Regelwerk Allgemein Verwaltung

Vollzug des Landesversammlungsgesetzes; Handlungsempfehlungen zu Beschränkungen einer Versammlung bei der Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
- Sachsen-Anhalt -

Vom 01.03.2016
(MBl. LSa Nr. 10 vom 21.03.2016 S. 164)
Gl.-Nr. 2051



RdErl. des MI vom 01.03.2010 - 21.1-12206-32

1. Grundsätze zur Abwägung der Versammlungsfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht

Artikel 8 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und Artikel 12 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt schützen die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (Versammlungsfreiheit). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am Wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleisten Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes und Artikel 12 Abs. 1 der Verfassung nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung. Die Versammlungsfreiheit verschafft damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie denn Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Die Durchführung von Versammlungen etwa in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen oder Grundstücken ist nicht geschützt.

Zudem schützt das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zwar die Durchführung von Versammlungen, ermöglicht jedoch nicht Rechtsgutverletzungen, die außerhalb von Versammlungen unterbunden werden dürfen. Kollidiert das durch die Versammlungsfreiheit geschützte Selbstbestimmungsrecht der Veranstalter und Teilnehmer einer Versammlung mit verfassungsrechtlich geschützten Rechten Dritter, so sind die widerstreitenden Interessen im Wege der praktischen Konkordanz durch die Versammlungsbehörde zum Ausgleich zu bringen.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht stellt ein dem Versammlungsrecht gleichwertiges Rechtsgut dar, zu dessen Schutz Beschränkungen auf der Grundlage von § 13 Abs. 1 des Landesversammlungsgesetzes (VersammlG LSA) vom 03.12.2009 (GVBl. LSa S. 558) verfügt werden dürfen oder eine Versammlung nach § 13 Abs. 4 Satz 1 VersammlG LSa aufgelöst werden darf. Die "öffentliche Sicherheit" umfasst auch den Schutz des aus Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 des Grundgesetzes und Artikel 5 Abs. 1 i.V.m. Artikel 4 Abs. 1 der Verfassung fließenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 des Grundgesetzes folgt, dass jedem Bürger ein "Innenraum" verbleiben muss, in den er sich zurückziehen kann und zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat. Zu diesem jedem Bürger zustehenden unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung gehören die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung.

Eine Wohnung ist jeder Raum, welcher dem Einzelnen zur Wahrung und Entfaltung seiner Privatsphäre zu dienen bestimmt ist und der der Zugänglichkeit und Einsicht der Öffentlichkeit entzogen ist. Hierzu gehören im engeren Sinne die privaten Wohnräume. Aber auch andere Räumlichkeiten, soweit sie Wohnzwecken dienen (z.B. Hotelzimmer oder Wohnheime), können unter den Begriff der Wohnung im Sinne der Grundrechte fallen und sind ihr damit gleichgestellt.

Bei Räumlichkeiten, die der vorübergehenden Unterkunft dienen (z.B. Wohnheime und ähnliche Unterkünfte), ist zu berücksichtigen, dass in diesen Unterkünften Menschen untergebracht sind, die keine Möglichkeit haben, sich in eigene geschützte Wohnbereiche zurückzuziehen. Vielmehr stellt die Unterkunft für einen gewissen Zeitraum die einzige Rückzugsmöglichkeit dar. Auch diese eingeschränkte Möglichkeit der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit gilt es in jedem Fall zu schützen.

Die unmittelbare Umgebung einer Wohnung oder einer gleichgestellten Räumlichkeit ist daher von Versammlungen freizuhalten, die dazu geeignet sind, einen mit Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes und Artikel 5 Abs. 1 der Verfassung nicht zu vereinbarenden psychischen Druck zu erzeugen.

Wo die Grenzen der geschützten Privatsphäre außerhalb des entsprechenden Gebäudes verlaufen, lässt sich nicht generell und abstrakt festlegen. Sie können vielmehr nur aufgrund der jeweiligen Beschaffenheit des Ortes bestimmt werden, an dem sich der jeweils Betroffene aufhält oder den der jeweils Betroffene aufsucht.

Soweit Kinder zu dem betroffenen Personenkreis gehören, erfährt der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zusätzlich eine Verstärkung durch Artikel 6 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes und Artikel 11

umwelt-online - Demo-Version


(Stand: 06.09.2023)

Alle vollständigen Texte in der aktuellen Fassung im Jahresabonnement
Nutzungsgebühr: 90.- € netto (Grundlizenz)

(derzeit ca. 7200 Titel s.Übersicht - keine Unterteilung in Fachbereiche)

Preise & Bestellung

Die Zugangskennung wird kurzfristig übermittelt

? Fragen ?
Abonnentenzugang/Volltextversion