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25. TRK-Wert für Acrylamid

(BArbBl. 3/91 S. 86)


Acrylamid ist im Verzeichnis der krebserzeugenden Arbeitsstoffe bei Massengehalten>1 % in Gruppe II (stark gefährdend) und bei Massengehalten < 1 % bis 0,1 % in Gruppe III (gefährdend) eingeordnet.

Arbeitsmedizinische Erfahrungen

Acrylamid wird über die Atemwege und die Haut in den Organismus aufgenommen. Auf Augen, Schleimhäute und Haut wirkt es reizend, bei Hautkontakten kommt es zu unterschiedlichen Hautveränderungen, die reversibel sind.

Nach länger dauernder oder mehrfacher Exposition wurden zentralnervöse Symptome (Ataxie, Tremor, Reflexstörungen, verwaschene Sprache, geistige Verwirrtheit) oder auch periphere Polyneuropathien von unterschiedlichen Autoren beobachtet. In der Mehrzahl der Fälle waren die neurotoxischen Erscheinungen rückbildungsfähig, in Einzelfällen verblieben Restsymptome [5].

Aus klinisch arbeitsmedizinischer Erkenntnis sind keine auffälligen Häufungen von Krebserkrankungen bekannt.

Toxikologische Erfahrungen

Untersuchungen zur gentoxischen Wirkung von Acrylamid ergaben bisher kein einheitliches Bild. Tests zur Prüfung auf Punktmutationen verliefen negativ [1], während sich an der Maus Chromosomenschäden nachweisen ließen [2]. Nach oraler wie auch nach intraperitonealer Applikation an Mäusen erhöht Acrylamid dosisabhängig die Häufigkeit von Lungenadenomen. Auch Hauttumoren werden bei Mäusen unabhängig vom Applikationsweg (oral, intraperitoneal, kutan) dosisabhängig hervorgerufen, wenn nach der Gabe von Acrylamid die Haut mit einem Promotor behandelt wird. Obwohl Lungenadenome und Hauttumoren bei den jeweils verwendeten Mäusestämmen auch spontan häufig auftreten, sind die Ergebnisse als Hinweis auf ein krebserzeugendes Potential von Acrylamid zu werten [1, 3].

Diese Hinweise bestätigen sich in einer 2-Jahres-Studie [4, 5). Gruppen von je 60 männlichen und 60 weiblichen Ratten (Fischer 344) erhielten Acrylamid in Dosierungen von 0,01, 0,1, 0,5 und 2 mg/kg Körpergewicht pro Tag mit dem Trinkwasser. Am Ende der Studie war bei Männchen und Weibchen der höchsten Dosierung eine im Vergleich zu der Kontrolle und den übrigen Dosisgruppen erhöhte Mortalität zu verzeichnen. Die Körpergewichtsentwicklung war nur bei den männlichen Ratten der höchsten Dosierung signifikant erniedrigt. Bei dieser Dosierung war bei beiden Geschlechtern auch die bekannte neurotoxische Wirkung des Acrylamid zu beobachten.

Als wichtigste bösartige Tumoren traten auf:

Männchen

Organ DOSIS (mg/kg/Tag)
0 0,01 0,1 0,5 2,0
Scrotum 3/60 0/60 7/60 11/60 10/60
ZNS 5/60 2/60 0/60 2/60 6/60

Weibchen

Organ DOSIS (mg/kg/Tag)
0 0,01 0,1 0,5 2,0
Mamma 2/60 1/60 1/60 2/58 6/61
ZNS 1/60 2/60 1/60 0/60 7/60
Schilddrüse 1/58 2/59 1/59 0/58 4/60
Uterus 1/60 2/60 2/60 2/60 7/60

Bei den weiblichen Ratten war die Erhöhung der Tumorinzidenz nur bei der höchsten Dosierung. die auch schon andere toxische Effekte hervorrief, zu beobachten. Die Inzidenz an Mesotheliomen des Scrotums der männlichen Ratte war schon bei einer Dosis von 0,1 mg/kg Körpergewicht erhöht und erreichte bei 0,5 mg/kg statistische Signifikanz. Eine ausgeprägte Dosis-Wirkungsbeziehung war jedoch nicht zu erkennen.

Ähnlich verhält es sich mit den ZNS-Tumoren der männlichen Ratten: In diesem Versuch war ihre Inzidenz auch bei der höchsten Dosierung im Vergleich zu den Kontrollen nicht erhöht. Da diese jedoch im Vergleich zu den historischen Kontrollen deutlich erhöht ist (8 % gegenüber 1 %), ist es berechtigt, davon auszugehen. daß die hier beobachtete Erhöhung auf die Verabreichung von Acrylamid zurückzuführen ist.

Zur Überprüfung dieser Trinkwasserstudie mit Acrylamid an Ratten wurde eine weitere, sehr ähnlich angelegte Untersuchung - ebenfalls an Ratten (Fischer 344) - durchgeführt [6]. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das Ergebnis des ersten Versuches bestätigt wurde. Die wichtigsten Tumorbefunde sind folgende (Häufigkeiten in %):

Männchen

Organ DOSIS (mg/kg/Tag)
0 0 0,1 0,5 2,0
Scrotum 3,9 3,9 4,4 7,8 17,3
ZNS 1 1 2 2 4
Schilddrüse 3 3 5,9 4 22,7

 Weibchen

Organ DOSIS (mg/kg/Tag)
0 0 1 3
ZNS 0 0 2 3
Mamma 15 8 22 32
Schilddrüse 2 2 10 23

Insgesamt zeigte Acrylamid in verschiedenen Organen eine krebserzeugende Wirkung. Diese Wirkung war nicht stark. und sie trat nach Dosen auf, die zwar - absolut gesehen - klein waren, die aber nahe dem toxischen Bereich lagen. Bei der männlichen Ratte deutete sich für tägliche orale Dosen von 0,1 mg/kg Körpergewicht noch ein schwacher Effekt an.

Analytik

Zur Messung von Acrylamid in der Luft in Arbeitsbereichen stehen anerkannte Verfahren nach ZH 1/120 zur Verfügung [7]. Die Verfahren erlauben Stichprobenmessungen mit ortsfester und personengetragener Probenahme. Die analytische Bestimmung erfolgt durch Gaschromatographie oder Hochleistungsflüssigkeitschromatographie mit einer relativen Bestimmungsgrenze von 0,003 mg/m3.

Herstellung und Verwendung

Acrylamid wird im wesentlichen zur Herstellung von Dispersionen und Flockungsmitteln eingesetzt. In der Bundesrepublik werden derzeit von zwei Herstellern ca. 20000 t/a Acrylamid in Form wäßriger Lösung hergestellt. Der Verbrauch beläuft sich auf ca. 15000 t/a, davon 80 bis 90 % als wäßrige Lösung. Als Pulver muß Acrylamid z.B. dann eingesetzt werden, wenn die Weiterverarbeitung wasserfrei erfolgen muß. Kleinere Mengen an Pulver werden auch als Copolymeres bei der Herstellung von Dispersionen eingesetzt. Wäßrige Lösungen können bei solchen Kleinproduktionen nicht verwendet werden, weil sie nur begrenzt lagerfähig sind.

Ergebnisse von Arbeitsbereichsmessungen

Für Herstellung und Abfüllung von 30 %iger wäßriger Acrylamidlösung liegen 23 stationäre Messungen vor. Sie liegen überwiegend unter 0,01 mg/m3, Spitzenwerte erreichen 0,02 mg/m3. Aus dem Bereich der Verwendung von Acrylamidlösungen liegen 12 personenbezogene Schichtmittelwerte und drei Kurzzeitmessungen vor. Alle Meßergebnisse lagen unter 0,01 mg/m3. Für die Herstellung von pulverförmigem Acrylamid liegen Informationen eines niederländischen Herstellers vor. Im Bereich einer halbautomatischen Sackpalletierungsanlage wurden 73 personenbezogene Schichtmittelwert-Bestimmungen durchgeführt. Die Werte liegen im Bereich von 0,05 bis 1,56 mg/m3, das 95 Percentil bei 0,60 mg/m3. Der TRK-Wert kann daher für derartige Arbeitsbereiche. die allerdings nach vorliegenden Unterlagen in der Bundesrepublik nicht vorhanden sind, nicht eingehalten werden. Für die Weiterverarbeitung von pulverförmigem Acrylamid liegen 43 personenbezogene Meßwerte aus vier Arbeitsbereichen vor.

338-Stunden-Messungen liegen zwischen < 0,01 und 0,07 mg/m3. 15 dieser Meßwerte liegen über 0,03 mg/m3. Zusätzlich liegen 10 Kurzzeitmessungen über 0,5 bzw. 1 Stunde vor, mit Werten zwischen 0,02 und 0,22 mg/m3.

Literatur

[1] Bull, R. J., M. Robinson, R. Dana Laurie, G. D. Stoner, E. Greisinger, J. R. Meier, J. Stober: Carcinogenic Effects of Acrylamide in Sencar and A/J Mice. Cancer Res. 44 (1984), S. 107 - 111.

[2) Shiraishi, Y.: Chromosome Aberrations Induced by Mononeric Acrylamide in Bone Marrow and Germ Cells of Mice. Mutat. Res. 57, (1978), S. 313 - 324.

[3] Bull, R. J., M. Robinson. J. A. Stober: Carcinogenic Activity of Acrylamide in the Skin an Lung of Swiss-ICR Mice. Cancer Lett. 24 (1984). S. 209 - 212.

[4] Johnson, K. A., S. J. Gorzinski, K. M. Bodner, R.a . Campbell: Acrylamide: a Two-Year Drinking Water Chronic Toxicity-Oncogenicity Study in Fischer 344 Rats. Mammalian and Environmental Toxicology Research Laboratory, Health and Environmental Sciences. USA, Dow Chemical, USA. Final Report: 21. September 1984.

[5] Henschler. D.: Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe: Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründung von MAK-Werten; Arbeitsstoff-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Verlag Chemie, D-6940 Weinheim. (1985).

[6] American Cyanamid Company: a Lifetime Oncogenicity Study in Rats with Acrylamide. Final-Report, Study No. 85033. 27. Juni 1989. American Cyanamid Company, Chemicals Group, Toxicology and Product Safety Department. One Cynamid Plaza, Wayne. NJ 07470.

[7] Von den Berufsgenossenschaften anerkannte Analysenverfahren zur Feststellung der Konzentrationen krebserzeugender Arbeitsstoffe in der Luft in Arbeitsbereichen, ZH 1/120. Carl Heymanns Verlag, Köln.

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