Begründung zur Bewertung von Stoffen als sensibilisierend
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39. 9-Vinylcarbazol
(CAS-NR. 1484-13-5)
(N-Vinylcarbazol; 9H-Carbazole, 9-ethenyl)

Ausgabe: Februar 2000
(BArbBl. 2/2000 S. 92)



Vorkommen:

9-Vinylcarbazol wird als Copolymer für die Produktion von Kunststoffen verwendet. Es hat als reaktives Enamin auch in der synthetischen Chemie Bedeutung erlangt [1, 2]. Gegenwärtig wird es nur noch selten eingesetzt [3].

Arbeitsmedizinische und experimentelle Daten:

In 2 Betrieben der Elektroindustrie traten allergische Dermatitiden bei Beschäftigten auf, die bei der isolierenden Beschichtung von elektrotechnischen Bauelementen beruflichen Kontakt mit 9-Vinylcarbazol hatten. 5 von 6 Personen mit direktem Kontakt zu 9-Vinylcarbazol erkrankten. In Kollektiven mit überwiegend indirektem Kontakt war der Anteil betroffener Personen geringer, aber ebenfalls hoch (14 von 30 bzw. 7 von 30 Personen). Wesentliche systemische Effekte, abgesehen von Fieber traten nicht auf. Erste Hautsymptome traten binnen weniger Tage bis 3 Wochen nach dem ersten Kontakt mit 9-Vinylearbazol auf [5].

Berichtet wurde ferner über 57 Fälle von allergischen Dermatitiden in der chemischen Industrie im Zeitraum 1955-1971, ausgelöst durch 9-Vinylearbazol. Angaben zu Testungen wurden nicht gemacht [6]. Aus demselben Großbetrieb wurden 3 weitere Fälle im darauf folgenden Zeitraum berichtet [7]. Über zwei Fälle beruflich erworbener allergischer Dermatitis durch 9-Vinylcarbazol aus diesem Chemiebetrieb wurde bereits 1955 berichtet. Im ersten Fall handelt es sich um einen 26 Jahre alten Laborarbeiter, dessen ungeschützte Hautpartien (Hände und Gesicht) Kontakt mit Dämpfen von 9-Vinylearbazol gehabt hatten. Die Testreaktion mit 1 % der Substanz in Cyclohexan war stark positiv, bei 6 Kontrollpersonen hingegen negativ. Im zweiten Fall war ein 20 Jahre alter Schlosser betroffen, der in einer Werkshalle, in der Butanol und 9-Vinylcarbazol verarbeitet wurden, beim Abriß und Verlegen von Rohrleitungen Kontakt mit Dampfen und Stäuben von 9-Vinylcarbazol gehabt hatte. Erste Hautsymptome traten 7 Wochen nach Arbeitsaufnahme auf. Die Testreaktionen mit 9-Vinylcarbazol waren in folgenden Lösemitteln und Verdünnungen positiv bzw. negativ in Klammern: in Cyclohexan, 1 % bis 1 ppm; in Butanol 100 ppm (negativ 10 ppm); in Ethanol, 1 % bis 10 ppm (negativ 1 ppm). Die Kontrolltests mit den Lösemitteln verliefen negativ [4].

In einer älteren tierexperimentellen Studie wurden 0,2 bis 0,5 ml einer 1 %igen Lösung von 9-Vinylearbazol in Ethanol bei Meerschweinchen täglich auf die Haut appliziert. Nach 4-6 Tagen starben ca. 80 % der Tiere unter "asthmaähnlichen Symptomen". Bei den überlebenden Tieren führte die Pinselung zur Sensibilisierung gegen 9-Vinylcarbazol [8].

Bewertung:

Die Fallzahlen von Kontaktdermatitis im Vergleich zu den berichteten Größen der exponierten Kollektive ebenso wie die kurzen Zeiträume zwischen Erstkontakt und Ausbruch der Erkrankung deuten darauf hin, daß das Risiko einer Kontaktdermatitis für den Menschen erheblich zu sein scheint, sofern Exposition stattfindet.

In einer älteren Studie an Meerschweinchen wurde mit der wenig sensitiven Methode der Hautpinselung in hoher (toxischer) Dosierung Sensibilisierung nachgewiesen.

Für eine sensibilisierende Wirkung des polymerisierten Kunststoffes auf der Basis von 9-Vinylcarbazol als Copolymer gibt es keine Hinweise.

Die Erfahrungen am Menschen und der Tierversuch begründen die sensibilisierende Wirkung von 9-Vinylcarbazol durch Hautkontakt (R43) [siehe auch 3].

Literatur:

1. Römpp Chemie Lexikon, CD-Version 1. Stuttgart/New York: Thieme, 1995

2. Ullmann's Enzyklopädie der technischen Chemie, Bd. 23, S. 616- 617. -4. Auflage, Weinheim: Verlag Chemie, 1983

3. Greim H. (Hrsg): Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe. Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten. Vinylcarbazol, 1997, Weinheim: WILEY - VCH-Losebl.-Ausg.

4. Gockell, W: Vinylcarbazol als hautschädigende Noxe in der chemischen und elektrotechnischen Industrie. - Berufsdermatosen 3 (1955), 9-14

5. Tabershaw, IR.; Skinner, J.B.; Dermatitis due to vinyl carbazole. - J. Industr. Hyg. 26 (1944), 313-315

6. Goldmann, P. J: Allergene und Hautkrankheiten in der werksärztlichen Praxis eines chemischen Industriebetriebes. - Arbeitsmed. Sozialmed. Arbeitshyg. 7 (1972), 98-100

7. A. M. Thiess: Chemie und Allergie (Werksärztliche Beobachtungen in der Großchemie BASF von 1955 - 1983). - Vortrag zum Konsultationsgespräch zwischen Vertretern aus Wissenschaft und Industrie beim Verband der Chemischen Industrie am 29.3.1984 in Frankfurt/Main, 29.03.1984, 2-13. Zit. in: 3.

8. BASF AG: Unveröffentlichte Untersuchung. Schreiben vom 13.12.1956. - Zit. auch in: H. Zeller: Zur Prüfung epidermal sensibilisierender Stoffe im Tierversuch.- Arch. Exp. Pathol. Pharmakol. 232 (1957), 239-246

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