Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zum Erb- und Testamentsrecht KOM (2005) 65 endg.; Ratsdok. 7027/05

Übermittelt vom Bundesministerium der Finanzen am 14. März 2005 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (BGBl. I 1993 S. 313 ff.).

Die Vorlage ist von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 2. März 2005 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.

1. Einleitung

Mit diesem Grünbuch wird eine umfassende Konsultation zu Fragen der gesetzlichen und testamentarischen Erbfolge mit Auslandsbezug eingeleitet.

Die Kommission bittet alle Interessierten, Stellungnahmen sowie sonstige sachdienliche Beiträge zu diesem Grünbuch bis 30. September 2005 an folgende Anschrift zu richten:

Europäische Kommission
Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit Referat C1 - Ziviljustiz
B - 1049 Brüssel
Fax: (+32-2) 299 64 57
E-Mail: jlscoopjudcivil@cec.eu.int

Die Personen, die an dieser Konsultation teilnehmen und mit einer Veröffentlichung ihrer Antworten und Beiträge auf der Website der Kommission nicht einverstanden sind, werden gebeten, dies der Kommission mitzuteilen.

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Begriffsbestimmungen

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Schon im Wiener Aktionsplan1 von 1998 gehörte der Erlass einer EU-Regelung zum Erbrecht zu den prioritären Vorhaben. Dementsprechend war dann auch im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen2, das Rat und Kommission Ende 2000 angenommen hatten, die Ausarbeitung eines entsprechenden Rechtsinstruments vorgesehen. Im Haager Programm3 erging jetzt unlängst die Aufforderung an die Kommission, ein Grünbuch zu dieser Problematik vorzulegen, das sich mit dem anwendbaren Recht, Fragen der Zuständigkeit und Anerkennung sowie Maßnahmen administrativer Art (Ausstellung von Erbscheinen, Registrierung von Testamenten) auseinander setzt.

Durch die zunehmende Mobilität in einem Raum ohne Binnengrenzen sowie die steigende Zahl familiärer Bindungen zwischen EU-Bürgern aus verschiedenen Mitgliedstaaten, die häufig mit dem Erwerb von Gütern einhergehen, die in mehreren EU-Mitgliedstaaten belegen sind, wird die Abwicklung von Erbschaften beträchtlich erschwert.

Die Schwierigkeiten, die sich bei einer Erbschaft mit Auslandsbezug stellen, sind größtenteils auf die Unterschiede im materiellen Recht, im Verfahrensrecht und im Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten zurückzuführen.

Bislang ist dieser Teil des Internationalen Privatrechts auf Gemeinschaftsebene noch nicht harmonisiert. Hier besteht offenkundig Handlungsbedarf.

Die meisten Erbschaften werden einvernehmlich geregelt. Eine Gemeinschaftsregelung, die sich ausschließlich auf die gerichtliche Zuständigkeit für Erbsachen und die Anerkennung und Vollstreckung diesbezüglicher Entscheidungen beschränkt, wäre daher unzureichend.

Um den an einem Erbfall mit Auslandsbezug Beteiligten die Arbeit zu erleichtern und den EU-Bürgern bei praktischen Schwierigkeiten konkrete Lösungen an die Hand zu geben, muss eine EU-Regelung auch die Anerkennung außergerichtlicher Schriftstücke und Urkunden (Testamente, notarielle Urkunden, behördliche Bescheinigungen) umfassen. Da eine vollständige Angleichung des materiellen Rechts der Mitgliedstaaten nicht in Frage kommt, empfiehlt es sich, beim Kollisionsrecht anzusetzen. Nach Auffassung der Kommission lassen sich im Bereich des Erbrechts auf Gemeinschaftsebene keine Fortschritte erreichen, wenn nicht zuerst die Frage des anwendbaren Rechts geklärt wird.

Hier stellt sich zunächst die Frage nach dem potenziell sehr weit reichenden Anwendungsbereich der Kollisionsnormen, die den Kern einer Legislativinitiative bilden könnten: Gültigkeit von Testamenten, Erbenstellung, Pflichtteilsrechte, Abwicklung und Teilung der Erbschaft, Erbengemeinschaft usw.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch die Anknüpfungspunkte. Wie so oft im Internationalen Privatrecht ist die Versuchung groß, nach "dem" Anknüpfungspunkt zu suchen, der alle Probleme löst. In Frage käme die Staatsangehörigkeit, die lange Zeit die erste Wahl war, oder der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts als "modernere" Lösung.

Im Erbrecht gibt es jedoch kein Anknüpfungskriterium, mit dem nicht auch Nachteile verbunden wären. Wird als Anknüpfungspunkt der letzte Wohnsitz des Erblassers gewählt, könnte dies beispielsweise zur Anwendung eines Rechts führen, das nur sehr wenige Verbindungen zur Erbsache aufweist: z.B. wenn der Erblasser nicht die Staatsangehörigkeit des Landes besitzt, in dem der Erbfall eintritt, und sich der größte Teil seines Vermögens in einem anderen Land befindet. Soll man also an einem einzigen Anknüpfungspunkt festhalten? Oder wäre eine gewisse Flexibilität vorzuziehen, d.h. sollte den Beteiligten gar eine gewisse Mitsprache eingeräumt werden?

Welches Anknüpfungsmoment zur Bestimmung des anwendbaren Rechts in der künftigen EU-Regelung auch immer herangezogen wird, es lässt sich nicht ausschließen, dass den berechtigten Erwartungen der Beteiligten in bestimmten Fällen damit nicht entsprochen werden kann. Diese Erwartungen sind ein Kriterium, das es in einem Binnenmarkt, der Freizügigkeit garantiert, zu berücksichtigen gilt. Eine Person kann sich beispielsweise eine gewisse Zeit lang in einem Land aufhalten, ohne dort Vermögen zu erwerben, weil sie anschließend in ihr Heimatland zurückkehren will, wo ihre Familie weiterhin wohnt und wo sich ihr Vermögen befindet. Stirbt diese Person im Aufenthaltsland, könnte es gerechtfertigt sein, auf den Erbvorgang das Recht ihres Staatsangehörigkeitslands anzuwenden. Dieser Anknüpfungspunkt wäre aber dann nicht mehr berechtigt, wenn der Erblasser sein Heimatland seit langer Zeit verlassen hat und in einem Mitgliedstaat ansässig war, in dem er alle seine familiären und vermögensrechtlichen Bindungen hatte.

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Die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist zwar von grundlegender Bedeutung, doch darf auch die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit nicht unterschätzt werden. In manchen Mitgliedstaaten muss bei jedem Erbfall zwingend ein Gericht eingeschaltet werden, in anderen ist dies nur bei komplexen oder streitigen Erbverhältnissen der Fall.

Bei der Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit muss auch geklärt werden, ob nur ein Anknüpfungspunkt zugelassen wird oder ob eine gewisse Flexibilität möglich ist.

Da Erbschaften in vielen Mitgliedstaaten größtenteils außergerichtlich - mitunter mit Hilfe von Behörden oder über Notare - abgewickelt werden, stellt sich überdies die Frage nach einer etwaigen Regelung der internationalen Zuständigkeit für diesen Behörden- und Personenkreis.

Anschließend gilt es, eine ganze Reihe spezifischer Fragen u. a. in Bezug auf Erbverträge, Pflichtteile und zur Regelung der Erbfolge errichtete Trusts ("Erbschaftstrusts") zu klären. Von dieser in den meisten Rechtsordnungen unbekannten Einrichtung wird in mehreren Mitgliedstaaten dennoch häufig Gebrauch gemacht.

Zu guter Letzt muss die Gemeinschaft, wenn sie in diesem Bereich legislativ tätig wird, auch danach trachten, Hindernisse administrativer und praktischer Art zu beseitigen. Im Hinblick darauf muss die Einführung eines "Europäischen Erbscheins" in Betracht gezogen werden. Dies wird ebenso wie die Registrierung von Testamenten im Haager Programm ausdrücklich gefordert.

2. KOLLISIONSNORMEN

2.1. Allgemeines

Die künftigen Normen sollten universell gelten: Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf rein "innergemeinschaftliche" Sachverhalte unter Ausschluss von Fällen, die einen Bezug zu Rechtsordnungen von Drittstaaten aufweisen, würde Privaten und Juristen gleichermaßen das Leben erschweren.

Als erstes stellt sich jedoch die Frage nach dem Umfang der erbrechtlichen Kollisionsnormen, da für ein und denselben Sachverhalt nicht in allen Rechtsordnungen unbedingt das Erbrecht maßgebend ist. Die Harmonisierung der erbrechtlichen Kollisionsnormen sollte mithin mit einer Abgrenzung ihres Anwendungsbereichs einhergehen.

In einem zweiten Schritt gilt es dann, einen oder mehrere Anknüpfungspunkte festzulegen.

Schließlich muss geklärt werden, ob der geplante EU-Rechtsakt über die Bestimmung der Erben und ihrer Rechte hinaus auch den Erbübergang im Einzelnen regelt.

Frage 1: Welche erbrechtlichen Aspekte sollen geregelt werden?

Sollten sich die Kollisionsnormen auf die Bestimmung der Erben und ihrer Rechte beschränken oder auch die Abwicklung oder Teilung des Nachlasses einbeziehen?

Frage 2: Wonach bestimmt sich das anwendbare Recht? Sollte für den gesamten Anwendungsbereich derselbe Anknüpfungspunkt gelten, oder könnten für die verschiedenen erbrechtlichen Aspekte unterschiedliche Anknüpfungspunkte herangezogen werden?

Muss die gemeinschaftsrechtliche Kollisionsnorm beispielsweise zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterscheiden? Müssen dem Recht des Staates, in dem das unbewegliche Vermögen belegen ist, gewisse Prärogativen vorbehalten werden?

2.2. Testamente und Erbverträge

Was die Gültigkeit der Testamente anbelangt, so ist das Erbrecht der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Testierfähigkeit, der Form testamentarischer Verfügungen, der inhaltlichen Anforderungen, der gemeinschaftlichen Testamente4, Erbverträge5 oder des Widerrufs unterschiedlich ausgestaltet. Auch die Kollisionsnormen sind unterschiedlich.

Frage 3: Welches Recht soll maßgebend sein für:
- die allgemeine Testierfähigkeit?
- die Gültigkeit in Bezug auf:

Wie ist die Kollisionsnorm auszugestalten, um einer etwaigen Änderung des Anknüpfungspunkts zwischen dem Zeitpunkt der Errichtung des Testaments und dem Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers Rechnung tragen zu können?

2.3. Kommorienten

Die Zeitfolge, in der zwei Personen versterben, die sich gegenseitig als Erben eingesetzt haben, kann sich auf die Rechte ihrer eigenen Erben auswirken. Wenn die Personen bei demselben Ereignis sterben, nehmen manche Mitgliedstaaten an, dass sie zum selben Zeitpunkt verstorben sind; andere hingegen stellen auf die mutmaßliche zeitliche Reihenfolge ihres Todes ab. Unterliegen die Erbschaften von Kommorienten unterschiedlichen Rechtsordnungen, kann sich eine Abwicklung dieser Erbschaften als unmöglich erweisen.

Frage 4: Wie ist eine etwaige Unvereinbarkeit der anwendbaren Erbstatute auf Nachlässe von Kommorienten aufzulösen?

2.4. Wahl des Erbstatuts

Die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union lassen eine Rechtswahl des Erblassers oder der Erben beim Erbstatut zwar nicht zu, die Frage bleibt aber dennoch bestehen. Ungeachtet des jeweiligen Anknüpfungspunkts ist nämlich nicht auszuschließen, dass dieser in bestimmten Fällen den berechtigten Erwartungen der Beteiligten nicht entspricht. Hier wäre u. U. eine gewisse Flexibilität angebracht.

Frage 5: Soll dem Erblasser (im Rahmen einer testamentarischen oder gesetzlichen Erbfolge) die Möglichkeit zugestanden werden, das Erbstatut mit oder ohne Zustimmung seiner mutmaßlichen Erben zu wählen? Sollte diese Rechtswahl auch den Erben nach Eintritt des Erbfalls zugestanden werden?

Frage 6: Wenn die Wahl des Erbstatuts grundsätzlich zulässig sein soll, sollten dann die Möglichkeiten einer solchen Rechtswahl beschränkt und deren Modalitäten festgelegt werden? Sollten folgende Anknüpfungspunkte, sofern sie nicht bereits als objektive Anknüpfung bestimmt wurden, zugelassen werden: Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt, andere?

Frage 7: Zu welchem Zeitpunkt müssen diese Anknüpfungen gegeben sein? Sollten sie mit weiteren Bedingungen verbunden werden (Dauer, Bestand zum Zeitpunkt des Todes usw.)?

Frage 8: Sollte die Wahl des Erbstatuts auch bei gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen zugelassen werden? Muss diese Rechtswahl näher ausgestaltet werden? Wenn ja, in welcher Weise?

Frage 9: Sollte es einem Ehegatten gestattet werden, als Erbstatut sein Ehegüterrecht zu bestimmen?

2.5. Pflichtteilsrecht

Die Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten schützen die engsten Familienangehörigen eines Verstorbenen, der sie gerne enterbt hätte. Dieser Schutz erfolgt häufig in Form eines Pflichtteilsanspruchs, wird aber in der Europäischen Union nicht überall anerkannt.

Frage 10: Sollte der Pflichtteilsanspruch auch dann gewahrt werden, wenn das kollisionsrechtlich bestimmte Recht dieses Rechtsinstitut nicht kennt oder anders gestaltet? Wenn ja, in welcher Weise?

2.6. "Erbschaftstrusts"

Haben Gerichte oder sonstige zuständige Behörden über die Rechtmäßigkeit eines Trusts mit internationalem Bezug zu befinden, müssen sie das auf diesen Trust anwendbare Recht bestimmen können. Es könnte sich hier als notwendig erweisen, außer der dem Treugeber zugestandenen freien Rechtswahl in Bezug auf das auf den Trust anwendbare Recht spezielle Kollisionsnormen für Trusts auszuarbeiten.

Frage 11: Sollten für Trusts spezielle Kollisionsnormen eingeführt werden? Wenn ja, welche?

2.7. Rückverweisung

Eine einheitliche Regelung der Kollisionsnormen auf Gemeinschaftsebene macht die Rückverweisung überflüssig, wenn alle Anknüpfungsmomente in einem Mitgliedstaat angesiedelt sind. Bestimmen die Kollisionsnormen jedoch das Recht eines Drittstaats, stellt sich die Frage der Rückverweisung erneut.

Frage 12: Sollte die Rückverweisung in der geplanten EU-Regelung zugelassen werden, wenn die harmonisierten Kollisionsnormen als anwendbares Recht das Recht eines Drittstaats bestimmen? Wenn ja, in welcher Weise und in welchen Grenzen?

2.8. Vorfragen

Wie ein Erbfall abgewickelt wird, hängt mitunter davon ab, wie bestimmte Vorfragen (z.B. die Gültigkeit einer Ehe oder Partnerschaft oder die Feststellung der Abstammung), für die ein anderes Recht maßgebend sein kann als das auf den Erbfall anwendbare Recht, gelöst werden.

Frage 13: Nach welcher Kollisionsnorm soll sich das Recht bestimmen, das auf Vorfragen anwendbar ist, die für die Rechtswirkungen eines Erbfalls maßgebend sind?

3. ZUSTÄNDIGKEITSVORSCHRIFTEN

Die Mitgliedstaaten haben sich für ganz unterschiedliche Anknüpfungspunkte entschieden: letzter Wohnsitz des Erblassers, Wohnsitz des Klägers oder Beklagten, Gelegenheit bestimmter Vermögensgegenstände, Staatsangehörigkeit des Erblassers oder einer Streitpartei. Hier gilt es zwischen sehr unterschiedlichen Interessen abzuwägen: die der mutmaßlichen Erben, die mitunter in verschiedenen Ländern wohnen, wie die der betroffenen Staaten, in denen sich Vermögensgegenstände aus der Erbmasse befinden.

3.1. Wahl des Gerichtsstands

Eine erste Möglichkeit besteht darin, einen einzigen Gerichtsstand festzulegen, ohne nach der Art der Erbschaftsgegenstände - bewegliches oder unbewegliches Vermögen - zu unterscheiden. Wie beim anwendbaren Recht könnte aber auch hier eine flexiblere Regelung, und zwar in mehrerer Hinsicht, vorgesehen werden.

Frage 14: Ist ein einheitlicher Gerichtsstand für Erbsachen wünschenswert? Könnte die Zuständigkeit des Gelegenheitsstaats bei unbeweglichen Vermögensgegenständen aufgegeben werden? Welches allgemeine, einheitliche Zuständigkeitskriterium käme gegebenenfalls in Frage?

Frage 15: Könnte man erwägen, den Erben die Anrufung eines Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat als dem zu gestatten, der durch eine etwaige allgemeine Kollisionsnorm bezeichnet wird? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?

Frage 16: Sollte während eines in einem Mitgliedstaat anhängigen erbrechtlichen Verfahrens die Möglichkeit zugelassen werden, bei einem Gericht in einem anderen Mitgliedstaat, in dem Erbschaftsgegenstände belegen sind, einstweilige Sicherungsmaßnahmen zu beantragen?

Frage 17: Sollten in die geplante EU-Regelung Bestimmungen aufgenommen werden, die die Verweisung einer Erbsache an ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat zulassen? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?

Eine Anwendung der in der künftigen EU-Regelung festgelegten Anknüpfungspunkte könnte die Zuständigkeit eines Gerichts in einem Drittstaat begründen. In diesem Fall ist es nicht unbedingt wünschenswert, einseitig auf die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte zu verzichten, zumal andere, auf Gemeinschaftsebene nicht anwendbare Anknüpfungspunkte in

Frage kämen, die einseitig die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte gegenüber den Drittstaatsgerichten abgrenzen könnten. Wird dem Recht der Mitgliedstaaten eine "Restzuständigkeit" zur Regelung dieser Frage eingeräumt, ist eine gemeinsame Lösung nicht mehr möglich; dies kann zu anderen Kompetenzkonflikten führen.

Angenommen, als gemeinschaftsrechtlicher Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit gilt der letzte Wohnsitz des Verstorbenen. Ein Bürger des Mitgliedstaats A verstirbt in einem Drittland, in dem er seit kurzem seinen Wohnsitz hat. Alle seine Erben befinden sich in Mitgliedstaat A, der größte Teil seines Vermögens befindet sich in Mitgliedstaat B. In diesem Fall ist nach dem gemeinschaftsrechtlichen Anknüpfungspunkt (letzter Wohnsitz des Verstorbenen) kein Mitgliedstaat - weder A noch B - zuständig, obwohl der Erbfall eine sehr viel engere Verbindung zu diesen beiden Staaten aufweist als zu dem Drittstaat, in dem der Verstorbene seinen letzten Wohnsitz hatte. Ein Verweis auf das innerstaatliche Recht zur Lösung der Zuständigkeitsfrage könnte weitere Probleme aufwerfen. Gilt in Mitgliedstaat A die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungsmoment und in Mitgliedstaat B die Gelegenheit der Erbschaftsgegenstände, läge ein positiver Kompetenzkonflikt vor. Im umgekehrten Fall wäre ein negativer Kompetenzkonflikt die Folge.

Frage 18: Welche Kriterien wären für die Bestimmung der Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte in einem Fall wie dem vorerwähnten relevant?

Frage 19: Sollten diese besonderen Zuständigkeitsvorschriften auch für Vermögensgegenstände im Hoheitsgebiet eines Drittstaats gelten, der für diese Gegenstände eine ausschließliche Zuständigkeit geltend macht?

3.2. Übertragung unbeweglicher Vermögensgegenstände - Verfahrensfragen

Die Übertragung von Grundeigentum erfordert die Eintragung in mehreren Registern. In manchen Mitgliedstaaten erfolgt die Eintragung nur auf der Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung oder einer von den einzelstaatlichen Behörden ausgefertigten Urkunde. Hier wäre zu überlegen, ob eine Änderung der Registereinträge nicht auch auf der Grundlage von in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Dokumenten erfolgen könnte.

Frage 20: Sollen bei Immobilien, die Gegenstand einer Erbschaft sind, die Behörden des Belegenheitsstaats zuständig sein, während die Hauptzuständigkeit bei den Behörden eines anderen Mitgliedstaats verbleibt, soweit es darum geht,

Frage 21: Könnte man auf Gemeinschaftsebene einheitliche Vordrucke einführen, die in allen Mitgliedstaaten, in denen sich Erbschaftsgegenstände befinden, zu verwenden wären? Wenn ja, welche derzeit bereits bestehenden Dokumente kämen dafür in Betracht? Könnten manche Verfahrensschritte, die derzeit bei Erbschaften mit Auslandsbezug erforderlich sind, aufgehoben oder vereinfacht werden? Wenn ja, welche?

3.3. Zuständigkeit außergerichtlicher Stellen

Angesichts der Bedeutung der Aufgaben, die von außergerichtlichen Stellen - Notaren oder Bediensteten verschiedener Behörden - wahrgenommen werden, könnte den Erben erlaubt werden, gewisse Formalitäten bei Behörden in ihrer Nähe zu erledigen, wenn sie nicht an dem Ort wohnhaft sind, der durch die allgemeine Zuständigkeitsnorm bezeichnet wird.

Frage 22: Sollte die harmonisierte Zuständigkeitsnorm auch für andere Stellen gelten, die bei Erbfällen eingeschaltet werden können?

Frage 23: Sollten gewisse Formalitäten bei den Behörden eines anderen Mitgliedstaats als dem erledigt werden können, der nach der allgemeinen Kollisionsnorm zuständig ist? Muss diese Möglichkeit rechtlich konkreter ausgestaltet werden?

3.4. Trusts

Da Erbsachen vom Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 ausgenommen sind, gibt es keine gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften für Streitigkeiten wegen Trusts, die zur Regelung der Erbfolge errichtet worden sind ("Erbschaftstrusts").

Frage 24: Welche Zuständigkeitsvorschriften sollten in der künftigen Gemeinschaftsregelung für "Erbschaftstrusts" vorgesehen werden?

4. Anerkennung und Vollstreckung

Die künftige EU-Regelung soll die Abwicklung von Erbschaften erleichtern, indem sie die Anerkennung und Vollstreckung der zur Anerkennung der Erbenstellung notwendigen Urkunden und sonstigen Dokumente (gerichtliche Entscheidungen, notarielle Urkunden, Testamente, Bescheinigungen über die Erbenstellung, Vollmachten für Nachlassverwalter usw.) ermöglicht.

4.1. Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen

Durch die Harmonisierung des anwendbaren Rechts und der Zuständigkeitsvorschriften wird die künftige EU-Regelung ein sehr hohes Maß an Vertrauen begründen können, so dass Zwischenmaßnahmen zur Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen überflüssig werden dürften. Sollten allerdings Versagungsgründe beibehalten werden, müssten sie für alle Mitgliedstaaten gleich sein.

Frage 25: Kann das Exequaturverfahren zur Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen abgeschafft werden? Oder sollten Gründe für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen aufgenommen werden? Wenn ja, welche?

Frage 26: Wäre es denkbar, dass eine gerichtliche Entscheidung in Erbsachen in einem anderen Mitgliedstaat von Rechts wegen anerkannt wird und eine Umschreibung der Grundbücher vorgenommen werden kann, ohne dass es hierzu eines besonderen Verfahrens bedarf? Sollte hier Artikel 21 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 als Vorbild dienen?

4.2. Anerkennung und Vollstreckung von notariellen Urkunden und Testamenten

In einer Reihe von Mitgliedstaaten errichten Notare und andere Stellen Urkunden über die Erbfolge und die Abwicklung der Erbschaft. Die Anerkennung und Vollstreckung dieser Urkunden muss geregelt werden.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Vorschriften für ausländische Testamente gelten sollen, die ihre Wirkung häufig nicht voll entfalten können.

Frage 27: Können auf erbrechtliche Urkunden dieselben Vorschriften angewandt werden wie für die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen? Wäre es somit denkbar, dass in einem Mitgliedstaat notariell erstellte erbrechtliche Urkunden die Änderung von Grundbüchern in anderen Mitgliedstaaten ermöglichen, ohne dass es hierzu eines besonderen Verfahrens bedarf? Sollte hier Artikel 46 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 als Vorbild dienen?

Frage 28: Sind besondere Vorschriften vorzusehen, um die Anerkennung und Vollstreckung von in einem anderen Mitgliedstaat errichteten Testamenten zu erleichtern?

4.3. "Nachlassverwalter" (einschließlich Verwalter von Erbschaftstrusts)

Die Bestellung eines Dritten zur Verwaltung oder Abwicklung des Nachlasses (im Folgenden "Nachlassverwalter") ist je nach Mitgliedstaat fakultativ oder obligatorisch. Die Bestellung dieser Personen sowie ihre Befugnisse, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind, werden in den übrigen Mitgliedstaaten nicht immer anerkannt.

Bei der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu Erbschaftstrusts stellt sich überdies die Frage, welche Wirkung der Anerkennung solcher Trusts in Bezug auf die Änderung der Grundbücher zukommt.

Frage 29: Ist die Anerkennung der Bestellung und der Befugnisse der Nachlassverwalter in allen Mitgliedstaaten von Rechts wegen denkbar? Sind Gründe vorzusehen, aus denen die Bestellung und die Befugnisse dieser Personen angefochten werden können?

Frage 30: Sollte eine Bescheinigung eingeführt werden, in der die Bestellung des Nachlassverwalters bestätigt und seine Befugnisse beschrieben werden? Welche Person oder Behörde sollte diese Bescheinigung ausstellen dürfen? Wie sollte diese Bescheinigung inhaltlich aussehen?

Frage 31: Würde die Anerkennung eines Erbschaftstrusts die Eintragung der Vermögensgegenstände des Trusts und ihrer diesbezüglichen Urkunden im Grundbuch ermöglichen? Welche Bestimmungen müssten andernfalls eingeführt werden?

Frage 32: Sind Bestimmungen vorzusehen, um den durch erbrechtliche oder andere Vorschriften geschützten Pflichtteil trotz Vorhandenseins eines Trusts zu wahren? Wenn ja, welche?

5. Nachweis der Erbenstellung: der Europäische Erbschein

Der Nachweis der Erbenstellung wird je nach Rechtsordnung unterschiedlich erbracht. Für die Erben kommt es ganz wesentlich darauf an, dass sie ihre Rechte nachweisen können, um ihre Erbschaft antreten zu können, ohne ein Verfahren anstrengen zu müssen. Dank eines harmonisierten Kollisionsrechts rückt die Einführung einer innerhalb der Gemeinschaft einheitlichen Bescheinigung in greifbare Nähe. Dies wäre unzweifelhaft von großem Vorteil.

Klärungsbedürftig sind u. a. die Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung, ihr Inhalt sowie ihre Rechtswirkungen.

Frage 33: Mit welchen Rechtswirkungen könnte die Bescheinigung verbunden werden? Frage 34: Welche Angaben sollte die Bescheinigung enthalten?

Frage 35: In welchem Mitgliedstaat sollte die Bescheinigung ausgestellt werden? Sollte es jedem Mitgliedstaat überlassen werden, welche Behörde zur Erteilung der Bescheinigung befugt ist, oder sind in Anbetracht des Inhalts und der Wirkungen der Bescheinigung gewisse Kriterien vorzugeben?

6. Registrierung von Testamenten

Die Suche nach Testamenten bereitet ein mitunter unüberwindliches Hindernis, vor allem bei im Ausland errichteten Testamenten.

Frage 36: Sollte in allen Mitgliedstaaten ein System zur Registrierung von Testamenten eingeführt werden? Sollte ein Zentralregister eingerichtet werden?

Frage 37: Welche Modalitäten sind vorzusehen, um den Zugang der mutmaßlichen Erben und zuständigen Behörden (auch von ihrem eigenen Mitgliedstaat aus) zu den den einzelstaatlichen Angaben vorbehaltenen Teilen des Registers oder zum Zentralregister zu erleichtern?

7. Legalisation

Die Schaffung eines europäischen Rechtsraums erfordert den Verzicht auf Formalitäten oder zumindest deren Vereinfachung.

Frage 38: Würde die Aufhebung sämtlicher Förmlichkeiten im Zusammenhang mit der Legalisation oder der Anbringung der Apostille auf in einem Mitgliedstaat errichtete öffentliche erbrechtliche Urkunden Schwierigkeiten bereiten?

8. LEGISLATIVE Vorgehensweise

Wie die vorstehenden Ausführungen erkennen lassen, stellt sich die Ausarbeitung eines gemeinschaftlichen Regelungskorpus zu Fragen des Erb- und Testamentsrechts als besonders umfangreiche und komplexe Unternehmung dar.

Frage 39: Ist die Ausarbeitung eines einzigen, umfassenden Rechtsinstruments denkbar? In welcher Reihenfolge und in welchen Schritten wären die Arbeiten andernfalls durchzuführen?

Hinweis: vgl. Drucksache 534/99 = AE-Nr. 992595
1 ABl. C 19 vom 23.1.1999, S. 1.
2 ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 1.
3 Vgl. die Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat von Brüssel, 4./5. November 2004.
4 Testamente, die von zwei Personen in derselben Urkunde errichtet werden.
5 Verträge über einen oder mehrere noch nicht eingetretene Erbfälle.