Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zur Bewertung des Europäischen Haftbefehls


Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 305416 - vom 25. April 2006.
Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 15. März 2006 angenommen.

Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zur Bewertung des Europäischen Haftbefehls (2005/2175(INI))

Das Europäische Parlament,

A. in Erwägung des innovativen und exemplarischen Charakters, den der Europäische Haftbefehl für die Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit und die Verstärkung des gegenseitigen Vertrauens darstellt, sowie seiner direkten Auswirkungen auf die bürgerlichen Freiheiten,

B. in der Erwägung, dass der Europäische Haftbefehl weiterhin eines der Hauptinstrumente der Europäischen Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit und auf dem Gebiet der Bekämpfung des Terrorismus und der Großkriminalität ist,

C. in der Erwägung, dass die von der Kommission durchgeführte erste Bewertung zeigt, dass sich der Europäische Haftbefehl im Vergleich zum Auslieferungsverfahren, das langsam schwerfällig und inzwischen überholt ist, als sehr effizient erwiesen hat; in der Erwägung, dass mit ihm auch die Gefahr verringert werden kann, dass ein Beschuldigter oder ein Verurteilter der Justiz aus Gründen der "gerichtlichen Souveränität" entkommt, und dass mit ihm somit die organisierte Kriminalität und der Terrorismus wirksamer bekämpft werden können,

D. unter Hinweis darauf, dass einer der Fortschritte des Europäischen Haftbefehls im Unterschied zum Auslieferungsverfahren in der Beseitigung der Einmischung der politischen Stellen in das Verfahren besteht,

E. in der Erwägung, dass mehrere Mitgliedstaaten ihren Willen deutlich bekundet haben, Elemente des klassischen Auslieferungsverfahrens zu erhalten (Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit, Einflussnahme der politischen Stellen auf das Gerichtsverfahren) oder aber zusätzliche Ablehnungsgründe einzuführen, die dem Rahmenbeschluss 2002/584/JI zuwiderlaufen, wie etwa politische oder die nationale Sicherheit betreffende Gründe oder aber Gründe im Zusammenhang mit der Achtung der Grundrechte,

F. in Erwägung der praktischen Hindernisse, die bei der Anwendung des Europäischen Haftbefehls aufgetreten sind, insbesondere bei der Übersetzung, der Übermittlung oder dem Gebrauch unterschiedlicher Formblätter, die kaum mit den Erfordernissen des Europäischen Haftbefehls vereinbar sind,

G. in Erwägung der Schwierigkeiten, die in letzter Zeit mehrere Mitgliedstaaten (insbesondere Deutschland) bei der Umsetzung gehabt haben, und der Notwendigkeit, die einzelstaatlichen Verfassungstexte in Einklang mit dem Rahmenbeschluss 2002/584/JI zu bringen, um die Übergabe von Staatsangehörigen zu ermöglichen (insbesondere in Polen und auf Zypern),

H. in der Befürchtung, dass diese Schwierigkeiten das gegenseitige Vertrauen beeinträchtigen und eine Kettenreaktion auslösen könnten, die die Anwendung des Europäischen Haftbefehls durch andere Mitgliedstaaten wieder in Frage stellen könnte, wie die Tatsache zeigt, dass nach der Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts, das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses für nichtig zu erklären, mehrere Mitgliedstaaten mitgeteilt haben, dass sie bis zur Verabschiedung eines neuen verfassungsgemäßen Gesetzes zur Umsetzung vorübergehend wieder die vor dem Europäischen Haftbefehl geltenden Auslieferungsinstrumente anwenden müssten,

I. in der Erwägung, dass das mangelnde gegenseitige Vertrauen zwischen Richtern auf unzureichende gemeinsame Mindestnormen in Strafverfahren zurückzuführen ist, wodurch die Effizienz der justiziellen Zusammenarbeit verringert wird,

J. in der Erwägung, dass die Schaffung des europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, der auf gegenseitigem Vertrauen beruht, nicht ohne eine minimale Annäherung der nationalen Rechtsvorschriften denkbar ist, wie vom Parlament in seiner Empfehlung vom 22. Februar 20053 unterstrichen wurde,

K. in der Erwägung, dass die von der Kommission vorgelegte erste Bewertung (KOM (2005) 0063) sich nur auf 24 Mitgliedstaaten bezog und in Bezug auf Italien, den letzten Mitgliedstaat, der den Rahmenbeschluss 2002/584/JI umgesetzt hat, erst vor kurzem vervollständigt werden konnte (KOM (2006) 0008),

L. in der Erwägung, dass die Probleme der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung weitgehend gleicher Natur sind, wie die Aussprache während des Parlamentarischen Treffens am 17. und 18. Oktober 2005 gezeigt hat, und dass in Zukunft ein verstärkter Informationsaustausch und eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament erforderlich sind, um eine reibungslose Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI sowie weiterer Texte, die noch geprüft werden, zu gewährleisten M. in der Erwägung, dass der Vertrag über eine Verfassung für Europa zahlreiche Fortschritte im Bereich der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit in Europa beinhaltet in der Erwägung, dass zu diesen Fortschritten die Abschaffung der "Säulen" und die Vergemeinschaftung der Verfahren zählen, die die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union sowie den demokratischen und transparenten Charakter der gefassten Beschlüsse stärken könnten; unter Hinweis darauf, dass dieser Teil des genannten Vertrags bei den jüngsten Ratifizierungskampagnen weder diskutiert noch abgelehnt wurde,

N. in dem Bedauern, dass die Rolle des Parlaments in Bezug auf die Annahme des Europäischen Haftbefehls und seine Bewertung sowie die Kontrolle seiner Anwendung durch den Gerichtshof durch die Tatsache begrenzt sind, dass es sich um ein Instrument der "dritten Säule" handelt, das auf den Artikeln 31 und 34 des EU-Vertrags (Titel VI) beruht O. in der Erwägung, dass die derzeit geltenden Verträge in ihrer Gesamtheit angewendet werden sollten und folglich die in Artikel 42 des EU-Vertrags vorgesehene Brückenklausel aktiviert werden sollte, die die Möglichkeit vorsieht, dass die Mitgliedstaaten beschließen, den Europäischen Haftbefehl in die "erste Säule" zu integrieren um die demokratische Kontrolle durch das Parlament und die juristische Kontrolle durch den Gerichtshof zu gewährleisten,

P. in der Erwägung, dass die Übereinkunft über die Einführung eines nordischen Haftbefehls am 15. Dezember 2005 von Dänemark, Finnland, Island, Schweden und Norwegen unterzeichnet wurde; in der Erwägung, dass der nordische Haftbefehl, obwohl er auf den Grundsätzen und der Struktur des Europäischen Haftbefehls beruht, einige Verbesserungen gegenüber dem Europäischen Haftbefehl enthält, da er ein effizienteres Übergabeverfahren vorsieht, das insbesondere erreicht wird durch die Verringerung der Zahl der fakultativen Gründe für die Nichtvollstreckung und Verfahrensfristen, die im Vergleich zu den für den Europäischen Haftbefehl vorgesehenen noch weiter verkürzt sind; in der Erwägung, dass sich die Europäische Union zweckmäßigerweise vom nordischen Haftbefehl inspirieren lassen könnte, um die Effizienz des Europäischen Haftbefehls zu erhöhen,


1 ABl. C 284 E vom 21.11.2002, S. 193.
2 ABl. L 190 vom 18.7.2002, S. 1.
3 ABl. C 304 E vom 1.12.2005, S. 109.
4 ABl. C 33 E vom 9.2.2006, S. 159.