Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften:
Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts KOM (2005) 672 endg.; Ratsdok. 5127/06

Übermittelt vom Bundesministerium der Finanzen am 11. Januar 2006 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (BGBl. I 1993 S. 313 ff.).

Die Vorlage ist von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 19. Dezember 2005 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 661/00 = AE-Nr. 002839

Grünbuch

Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts Ein lebhafter Wettbewerb auf einem offenen Binnenmarkt ist der beste Garant dafür, dass europäische Unternehmen ihre Produktivität und ihr Innovationspotenzial steigern. Daher ist die Anwendung des Wettbewerbsrechts ein Schlüsselelement der "Lissabonner Strategie", die darauf abzielt, das Wirtschaftswachstum in der Europäischen Union zu fördern und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Bürger Europas zu schaffen.

Im Rahmen der Anstrengungen zur Verbesserung der Anwendung des Wettbewerbsrechts nach der Modernisierung des Verfahrensrechts zur Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag geht es in diesem Grünbuch und dem ihm beigefügten Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen um die Bedingungen für Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts. Sie zeigen auf, welche Hindernisse einem wirksameren Rechtsschutz entgegenstehen und schlagen verschiedene Optionen zur Lösung dieser Probleme vor. Durch die Erleichterung von Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts wird es Verbrauchern und Unternehmen, die durch Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsvorschriften geschädigt worden sind, einfacher gemacht, ihre Verluste vom Rechtsverletzer zurückzufordern; darüber hinaus wird die Anwendung des Wettbewerbsrechts gestärkt.

1 Hintergrund und Ziele des Grünbuchs

1.1 Schadenersatzklagen als ein Mittel der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft

Die Wettbewerbsvorschriften der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag können sowohl von staatlicher als auch von privater Seite geltend gemacht werden. Beide Formen sind Teil eines gemeinsamen Systems der Wettbewerbsrechtsdurchsetzung und dienen denselben Zielen, nämlich durch das Wettbewerbsrecht untersagte wettbewerbswidrige Praktiken zu unterbinden sowie Unternehmen und Verbraucher vor diesen Praktiken und etwaigen durch sie verursachten Schäden zu schützen. Die private wie auch die staatliche Wettbewerbsrechtsdurchsetzung ist ein wichtiges Instrument zur Schaffung und Erhaltung einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft.

Im Hinblick auf die staatliche Wettbewerbsrechtsdurchsetzung wenden Kommission und Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft in Einzelfällen an. Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 bilden die Kommission und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten gemeinsam ein Netz von Wettbewerbsbehörden, die für die staatliche Durchsetzung der geltenden Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft zuständig sind. Im Rahmen der Wettbewerbsrechtsdurchsetzung erlassen diese Behörden unter anderem Entscheidungen, in denen sie feststellen, dass ein Unternehmen gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen hat, sowie Entscheidungen, mit denen Geldbußen verhängt werden. Die staatliche Wettbewerbsrechtsdurchsetzung ist für einen wirksamen Schutz der durch den EG-Vertrag eingeräumten Rechte und eine wirksame Durchsetzung der sich aus dem EG-Vertrag ergebenden Verpflichtungen unerlässlich.

Die Artikel 81 und 82 EG-Vertrag sind in allen ihren Teilen unmittelbar anwendbar. Von Beginn an hat auch die private Wettbewerbsrechtsdurchsetzung bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag eine Rolle gespielt. Unter privater Wettbewerbsrechtsdurchsetzung ist hier die Anwendung des Wettbewerbsrechts in Zivilstreitigkeiten vor nationalen Gerichten zu verstehen. Diese kann in unterschiedlicher Form erfolgen. Gemäß Artikel 81 Absatz 2 EG-Vertrag sind die nach Artikel 81 verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse nichtig. Die Regeln des EG-Vertrags können auch herangezogen werden, um Unterlassungsansprüche geltend zu machen. Auch kann Personen, die infolge einer Verletzung des Wettbewerbsrechts Verluste erleiden, Schadenersatz zugesprochen werden.

Dieses Grünbuch beschränkt sich auf Schadenersatzklagen. Schadenersatzklagen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts dienen mehreren Zwecken, nämlich jene, die infolge wettbewerbswidrigen Verhaltens einen Verlust erlitten haben, zu entschädigen, sowie durch Unterbindung wettbewerbswidrigen Verhaltens die Wirksamkeit der Wettbewerbsvorschriften sicherzustellen und dergestalt zur Erhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beizutragen1 (Abschreckung). Durch die Möglichkeit, eine Schadenersatzklage in wirksamer Weise zu erheben, werden einzelne Unternehmen oder Verbraucher in Europa näher an die Wettbewerbsregeln herangeführt und aktiv an ihrer Durchsetzung beteiligt. Nach einem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) erfordert ein wirksamer Schutz der aus dem Vertrag erwachsenden Rechte, dass Personen für infolge einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 oder 82 entstandene Verluste Schadenersatz fordern können2.

1.2 Das Problem

Während das Gemeinschaftsrecht daher ein effektives System für Schadenersatzklagen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts fordert, ist dieser Rechtsbereich in den 25 Mitgliedstaaten "völlig unterentwickelt"3.

In Ermangelung einschlägiger gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften haben nach der Rechtsprechung des EuGH die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten für detaillierte Regeln zur Erhebung von Schadenersatzklagen zu sorgen. Da die Gerichte der Gemeinschaft (außerhalb des Vorabentscheidungsverfahrens) keine gerichtliche Zuständigkeit in diesem Bereich haben, werden sich generell die Gerichte der Mitgliedstaaten mit diesen Fällen befassen. In verschiedenen Mitgliedstaaten bestehen erhebliche Hindernisse für eine wirksame Handhabung von Schadenersatzklagen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft.

1.3 Ziele

Zweck dieses Grünbuchs und des Arbeitspapiers der Kommissionsdienststellen ist es, die Haupthindernisse für ein effizienteres System der Schadenersatzklagen festzustellen und verschiedene Optionen für weitere Überlegungen und mögliche Maßnahmen zur Optimierung von Schadenersatzklagen sowohl im Bereich der Folgeklagen (z.B. Fälle, in denen nach Feststellung eines Verstoßes durch die Wettbewerbsbehörde das zivilrechtliche Verfahren

2 Wichtigste PUNKTE

Die wichtigsten Punkte sind weiter unten zusammengestellt und werden in dem Arbeitspapier detaillierter behandelt. Alle interessierten Parteien sind aufgefordert, die dort dargelegten Erwägungen zu prüfen. Detailliertere Angaben zu den berücksichtigten Informationsquellen sind dem beigefügten Arbeitspapier zu entnehmen.

Die Kommission fordert alle interessierten Parteien auf, sich zu den erörterten Punkten und den diesbezüglich formulierten Optionen sowie auch zu etwaigen anderen Aspekten der Schadenersatzklagen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts zu äußern. Die Stellungnahmen werden der Kommission helfen zu entscheiden, ob Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene erforderlich sind, um die Bedingungen für Wettbewerbsrechtliche Schadenersatzklagen zu verbessern.

2.1 Zugang zu Beweismitteln

Schadenersatzklagen in Wettbewerbsfällen erfordern regelmäßig die Untersuchung einer breiten Palette von Fakten. Die besondere Schwierigkeit dieser Art von Rechtsstreitigkeit besteht darin, dass die relevanten Beweise häufig nicht leicht verfügbar sind und sich in Händen der sich rechtswidrig verhaltenden Partei befinden. Der Zugang der Kläger zu diesen Beweisen ist eine Grundvoraussetzung für wirksame Schadenersatzklagen. Daher muss geprüft werden, ob die Verpflichtung zur Aushändigung von Dokumenten oder anderweitigen Zurverfügungstellung von Beweisen eingeführt werden sollte. Dies ist für eigenständige Klagen besonders wichtig.

Ebenso könnte erwogen werden, den Beklagten zur Offenlegung der der Wettbewerbsbehörde unterbreiteten Dokumente zu verpflichten. In Fällen, in denen die Kommission oder eine nationale Wettbewerbsbehörde eine Untersuchung durchgeführt hat, dürfte sie über relevante Beweise verfügen, die für einen Kläger bei Folgeklagen wichtig sein könnten. Die Verwendung dieses Materials in nachfolgenden Zivilverfahren könnte hilfreich sein, um die Schadenersatzklage zu untermauern. Um den Verwaltungsaufwand für die Wettbewerbsbehörden zu verringern, sollte der Zugang zu diesen Dokumenten zwischen den Parteien geregelt werden.

Auch Regeln zur Beweislast und zur Beweisanforderung können dem Kläger diesbezüglich weiterhelfen. Die Frage des Beweiswertes der Entscheidungen der nationalen Wettbewerbsbehörden ist von besonderer Bedeutung.

Frage A:

Sollte es in zivilen Schadenersatzverfahren nach Artikel 81 und 82 EG-Vertrag besondere Regeln für die Offenlegung von Urkundsbeweisen geben? Wenn ja, welcher Art sollte diese Offenlegung sein?

Option 1:

Die Offenlegung sollte erfolgen, sobald eine Partei die relevanten Fakten des Falls detailliert dargelegt und die ihr mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Beweise zur Untermauerung ihrer Anschuldigungen unterbreitet hat (fact pleading). Die Offenlegung sollte sich auf relevante und mit zumutbarem Aufwand ermittelte einzelne Dokumente begrenzen und vom Gericht angeordnet werden.

Option 2:

Vorbehaltlich des "fact pleading" sollte eine von einem Gericht angeordnete Zwangsoffenlegung bestimmter Typen von Dokumenten zwischen den Parteien möglich sein.

Option 3:

Vorbehaltlich des "fact pleading" sollte jede Partei verpflichtet sein, den anderen Prozessparteien ein Verzeichnis der in ihrem Besitz befindlichen relevanten Dokumente, auf die sie Zugriff haben, zur Verfügung zu stellen.

Option 4:

Einführung von Sanktionen für die Vernichtung von Beweisen, um die in Option 1 bis Option 3 beschriebene Offenlegung zu ermöglichen.

Option 5:

Verpflichtung zur Aufbewahrung relevanter Beweise. Im Rahmen dieser Regelung könnte ein Gericht noch vor Einleitung eines Zivilverfahrens die Aufbewahrung von Beweisen anordnen, die für den nachfolgenden Prozess relevant sind. Die eine derartige Anordnung beantragende Partei sollte jedoch ihr mit zumutbarem Aufwand zugängliche Beweise vorlegen, um die Zuwiderhandlung glaubhaft zu machen.

Frage B:

Sind besondere Regeln für den Zugang zu Dokumenten, die sich im Besitz einer Wettbewerbsbehörde befinden, für wettbewerbsrechtliche Schadenersatzklagen hilfreich? Wie könnte ein derartiger Zugang aussehen?

Option 6:

Verpflichtung jeder an den Verfahren vor einer Wettbewerbsbehörde beteiligten Partei, einem Prozessführer im Zivilprozess alle Dokumente auszuhändigen die bei der Behörde eingereicht worden sind, mit Ausnahme von Anträgen auf Anwendung der Kronzeugenregelung. Bei Fragen im Zusammenhang mit der Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen und anderer vertraulicher Informationen sowie den Verteidigungsrechten fände das Recht des Gerichtsstandes (d.h. das Recht des zuständigen Gerichts) Anwendung.

Option 7:

Zugang nationaler Gerichte zu Dokumenten, die sich im Besitz der Kommission befinden. In diesem Zusammenhang bittet die Kommission um Mitteilung, a) wie die nationalen Gerichte die Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen oder anderen vertraulichen Informationen zu gewährleisten gedenken und b) in welchen Fällen die nationalen Gerichte die Kommission um Informationen ersuchen würden, die auch von den Parteien geliefert werden könnten.

Frage C:

Sollte die Beweislast des Klägers in Schadenersatzprozessen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts erleichtert werden und wenn ja, wie?

Option 8:

Verbindlicherklärung der Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden der EUMitgliedstaaten, mit denen ein Verstoß festgestellt wurde, für Zivilgerichte oder alternativ Beweislastumkehr in Fällen, in denen eine solche Entscheidung getroffen worden ist.

Option 9:

Verlagerung oder Einschränkung der Beweislast in Fällen von Informationsasymetrie zwischen Kläger und Beklagtem mit dem Ziel, diese Asymmetrie zu beseitigen. Durch diese Regeln könnte in gewissem Umfang das Fehlen oder nur ansatzweise Vorhandensein von Offenlegungsregeln, auf die der Kläger zurückgreifen kann, kompensiert werden.

Option 10:

Die ungerechtfertigte Weigerung einer Partei, Beweise auszuhändigen, könnte einen Einfluss auf die Beweislast haben; sie könnte eine widerlegbare oder unwiderlegbare Beweisvermutung oder aber für das Gericht lediglich die Möglichkeit begründen, diese Weigerung bei der Würdigung der Beweislage zu berücksichtigen.

2.2 Verschuldenserfordernis

In vielen Mitgliedstaaten muss bei Schadenersatzklagen aus unerlaubter Handlung das Verschulden nachgewiesen werden. In einigen dieser Mitgliedstaaten wird ein Verschulden vermutet wenn eine Handlung nach dem Wettbewerbsrecht unzulässig ist. Andere Mitgliedstaaten kennen indes keine Verschuldensvermutung. Es gilt daher zu überlegen, welche Rolle das Verschulden bei Schadenersatzklagen spielen sollte.

Frage D:

Sollte für wettbewerbsrechtliche Schadenersatzklagen ein Verschuldenserfordernis bestehen?

Option 11:

Der Beweis der Zuwiderhandlung sollte ausreichend sein (analog zur verschuldensunabhängigen Haftung).

Option 12:

Der Beweis der Zuwiderhandlung sollte nur bei besonders gravierenden Wettbewerbsrechtsverstößen ausreichend sein.

Option 13:

Der Beklagte sollte die Möglichkeit haben aufzuzeigen, dass er einem Irrtum unterlag der sein Verhalten in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht entschuldigt. Unter diesen Umständen hätte die Zuwiderhandlung keine Schadenersatzhaftung zur Folge (Einrede eines entschuldbaren Irrtums).

2.3 Schadenersatz

Der tatsächliche Umfang des Schadenersatzanspruchs wird von verschiedenen Faktoren bestimmt. Erstens muss die Entschädigungshöhe festsetzt werden. Es sind mehrere Definitionen möglich, u.a. gestützt auf das Konzept der Entschädigung oder der Rückforderung unrechtmäßiger Gewinne. Auch muss sorgfältig geprüft werden, ob etwaige Schadenersatzleistungen Zinsen beinhalten sollten, wie hoch der zu zahlenden Zinsbetrag sein und wie er berechnet werden sollte. Für horizontale Hardcore-Kartelle könnte zudem - automatisch unter bestimmten Voraussetzungen oder nach gerichtlichem Ermessen - eine Verdoppelung des Schadenersatzes erwogen werden.

Neben der rechtlichen Definition des zu leistenden Schadenersatzes ist die Quantifizierung des Schadens ein zentrales Problem. Für die Berechnung des Schadens in komplexen Situationen sind verschiedene wirtschaftliche Modelle entwickelt worden. Hier stellt sich die Frage, ob diese Modelle in Schadenersatzstreitigkeiten berücksichtigt werden sollten.

Frage E:

Wie sollte der Schadenersatz definiert werden?

Option 14:

Definition des zu leistenden Schadenersatzes unter Bezug auf den Verlust, der dem Kläger durch das rechtswidrige Verhalten des Beklagten entstanden ist (kompensatorischer Schadenersatz).

Option 15:

Definition des zu leistenden Schadenersatzes unter Bezug auf die dem Rechtsverletzer entstandenen unrechtmäßigen Gewinne (Rückforderung unrechtmäßiger Gewinne).

Option 16:

Schadenersatz in doppelter Höhe bei horizontalen Kartellen. Ein solcher Schadenersatz könnte automatisch, unter bestimmten Voraussetzungen oder nach gerichtlichem Ermessen zugesprochen werden.

Option 17:

Verzinsung des Schadenersatzes ab dem Tag der Zuwiderhandlung oder dem Tag des Schadenseintritts.

Frage F:

Anhand welcher Methode sollte die Höhe des Schadenersatzes berechnet werden?

Option 18:

Welche Vorteile haben bei Schadenersatzklagen komplexe Wirtschaftsmodelle gegenüber einfacheren Methoden? Sollte das Gericht befugt sein, die Höhe des Schadens nach Billigkeitserwägungen festzusetzen?

Option 19:

Sollte die Kommission Leitlinien zur Quantifizierung des Schadenersatzes herausgeben?

Option 20:

Einführung geteilter Verfahren, in denen zwischen der Haftung des Rechtsverletzers und der Höhe des zu leistenden Schadenersatzes unterschieden wird, um das Gerichtsverfahren zu vereinfachen.

2.4 "Passing on defense" und Klagebefugnis des indirekten Abnehmers

Die "passing on defense" betrifft die rechtliche Behandlung des Sachverhalts, dass ein Unternehmen, das Waren oder Dienstleistungen von einem an einem wettbewerbswidrigen Verhalten beteiligten Lieferanten bezieht, in der Lage sein könnte, seine wirtschaftlichen Verluste durch Weitergabe der überteuerten Preise an seine eigenen Kunden zu mindern. Der durch wettbewerbswidriges Verhalten verursachte Schaden könnte somit an die Abnehmer in einer Lieferkette weitergereicht werden oder sogar in vollem Umfang von dem letzten Abnehmer, dem Endverbraucher, getragen werden. Es bedarf der rechtlichen Prüfung, ob es dem Rechtsverletzer erlaubt sein sollte, eine derartige Überwälzung zu seiner Verteidigung anzuführen. Gleichermaßen muss über die Klagebefugnis indirekter Abnehmer - an die der überhöhte Kaufpreis weitergegeben worden sein mag oder nicht - nachgedacht werden.

Die "passing on defense" trägt in erheblichem Maße zur Komplexität der Schadenersatzklagen bei, da die exakte Zuordnung des Schadens in einer Lieferkette außerordentlich schwer nachzuweisen sein dürfte. Außerdem werden Klagen indirekter Abnehmer durch Beweisprobleme belastet, denn sie dürften nicht unbedingt in der Lage sein, den Umfang ihres Schadens und den ursächlichen Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Verhalten zu beweisen.

Frage G:

Sollte es Regeln zur Zulässigkeit und Handhabung der "passing on defense" geben? Wenn ja, welcher Art sollten diese Regeln sein? Sollte der indirekte Abnehmer Klagebefugnis haben?

Option 21:

Die "passing on defense" ist zulässig, und sowohl der direkte als auch der indirekte Abnehmer sind klageberechtigt. Diese Option würde das Risiko bergen dass die Schadenersatzklage der Abnehmer abgewiesen wird - die des Direktabnehmers, weil sich der Rechtsverletzer ihm gegenüber auf die "passing on defense" berufen kann, und die des indirekten Abnehmers, da er nicht in der Lage sein wird, zu beweisen, in welchem Umfang der Schaden in der Lieferkette weitergegeben wurde. In diesem Zusammenhang sollte der Beweislast besondere Beachtung geschenkt werden.

Option 22:

Die "passing on defense" ist ausgeschlossen, und nur Direktabnehmer sind klageberechtigt. Bei dieser Option befinden sich die Direktabnehmer in einer besseren Position, da die mit der "passing on defense" verbundenen Schwierigkeiten das Verfahren nicht belasten.

Option 23:

Die "passing on defense" ist unzulässig, und sowohl direkte als auch indirekte Abnehmer sind klageberechtigt. Zwar verringert sich durch Ausschluss der

Option 24:

Ein zweistufiges Verfahren, bei dem die "passing on defense" ausgeschlossen ist der Rechtsverletzer von jedem Geschädigten verklagt werden kann und in einem zweiten Schritt der überhöhte Kaufpreis zwischen allen Parteien, die einen Verlust erlitten haben, aufgeteilt wird. Diese Option ist technisch schwierig hat jedoch den Vorteil, dass alle Geschädigten angemessen entschädigt werden.

2.5 Schutz der Verbraucherinteressen

Es ist aus praktischen Gründen sehr unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich, dass Verbraucher und Abnehmer mit geringen Schadenersatzforderungen eine Schadenersatzklage wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts einreichen. Daher sollte geprüft werden, wie diese Interessen durch kollektive Anspruchsdurchsetzung besser geschützt werden können. Neben dem spezifischen Schutz der Verbraucherinteressen können diese Verfahren dazu dienen, eine große Zahl von geringfügigen Forderungen in einer Klage zusammenzufassen, was Zeit und Geld spart.

Frage H:

Sollten Sammelklagen und der Schutz der Verbraucherinteressen durch besondere Verfahren gewährleistet werden? Wenn ja, wie könnten diese Verfahren ausgestaltet sein?

Option 25:

Ein Klageanspruch für Verbraucherverbände, ohne einzelnen Verbrauchern die Klagemöglichkeit zu nehmen. Besondere Beachtung verdienen Fragen wie Klagebefugnis (ein mögliches Registrierungs- oder

Genehmigungssystem), Verteilung des Schadenersatzes (sollte der zuerkannte Schadenersatz an den Verband selbst oder an seine Mitglieder gehen) und Quantifizierung des Schadenersatzes (der dem Verband gewährte Schadenersatz könnte auf der Grundlage der unrechtmäßigen Gewinne des Beklagten berechnet werden, während der den Mitgliedern gewährte Schadenersatz auf der Grundlage des persönlich erlittenen Schadens berechnet werden könnte).

Option 26:

Eine besondere Vorschrift für Sammelklagen von Zwischenabnehmern.

2.6 Prozesskosten

Kostenerstattungsregeln spielen eine wichtige Rolle als positive oder negative Anreize für die Klageerhebung. Da das Gemeinschaftsrecht sowie die Europäische Menschenrechtskonvention bei Zivilklagen einen wirksamen Zugang zu den Gerichten fordern sollte geprüft werden, wie Kostenregeln diesen Zugang erleichtern können.

Frage I:

Sollten besondere Regeln eingeführt werden, um das Kostenrisiko für den Kläger zu verringern? Wenn ja, welche Art von Regeln?

Option 27:

Einführung einer Regel, dass erfolglose Kläger nur dann die Kosten zu tragen haben wenn die Rechtsverfolgung offensichtlich mutwillig ist. Außerdem könnte erwogen werden, dem Gericht die Möglichkeit zu geben, zu Beginn einer Gerichtsverhandlung zu verfügen, dass der Kläger selbst bei erfolgloser Klage keinerlei Kosten zu tragen hat.

2.7 Koordinierung der staatlichen und privaten Wettbewerbsrechtsdurchsetzung

Staatliche und private Wettbewerbsrechtsdurchsetzung ergänzen einander, so dass sie optimal koordiniert werden sollten. Entscheidungen von Wettbewerbsbehörden können dafür maßgeblich sein, ob Kläger tatsächlich in der Lage sind, ihren Anspruch zu beweisen (siehe Abschnitt 2.1, Frage C, Option 8). Eine optimale Koordinierung der privaten und der staatlichen Wettbewerbsrechtsdurchsetzung ist für das Verhältnis zwischen Anträgen auf Anwendung der Kronzeugenregelung in den behördlich betriebenen Verfahren und privaten Schadenersatzverfahren besonders wichtig. Kronzeugenprogramme und zivilrechtliche Haftung tragen durch ihre Auswirkungen zu demselben Ziel - der wirksameren Unterbindung der Kartellbildung - bei. Den Auswirkungen von Schadenersatzklagen auf die Funktionsweise der Kronzeugenprogramme sollte besondere Beachtung geschenkt werden, um die Wirksamkeit dieser Regelungen zu erhalten. In diesem Zusammenhang sollte berücksichtigt werden dass Kronzeugenprogramme für private Prozessparteien in Schadenersatzprozessen generell hilfreich sind, da sie zur Aufdeckung von Kartellen beitragen.

Frage J:

Wie können private und staatliche Wettbewerbsrechtsdurchsetzung optimal koordiniert werden?

Option 28:

Ausschluss der Offenlegung von Anträgen auf Anwendung der Kronzeugenregelung, und somit Schutz der Vertraulichkeit entsprechender Anträge an die Wettbewerbsbehörden.

Option 29:

Bedingte Verminderung des Schadenersatzes, der gegen den Kronzeugen geltend gemacht werden kann, während die Forderungen gegen andere Rechtsverletzer - die für den gesamten Schaden gesamtschuldnerisch haften - unverändert Bestand haben.

Option 30:

Entbindung des Kronzeugen von der gesamtschuldnerischen Haftung, und somit Begrenzung seines Schadenersatzrisikos. Eine mögliche Lösung bestände darin, die Haftung des Kronzeugen auf einen dem Anteil des Antragstellers an dem kartellisierten Markt entsprechenden Anteil zu beschränken.

2.8 Gerichtliche Zuständigkeit und anwendbares Recht

Die gerichtliche Zuständigkeit für Verfahren gegen Beklagte mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats bestimmt sich nach Maßgabe der Verordnung 044/2001.4 Gegen diese Beklagten kann entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in denen sie ihren Wohnsitz haben oder - nach Wahl des Klägers - vor den Gerichten des Staates, in dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, prozessiert werden. Der Ort des Eintritts des schädigenden Ereignisses kann entweder a) der Ort des Ereignisses, welches den Schaden hervorgerufen hat oder b) der Ort sein, an dem der Schaden selbst eingetreten ist (nach Wahl des Klägers).

Nach Artikeln 6, 27 und 28 der Verordnung ist die Zusammenfassung verschiedener, jedoch miteinander im Zusammenhang stehender Klagen zulässig.

In der Frage des anwendbaren Rechts sollte auf den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Verordnung "Rom II") Bezug genommen werden.5 Da Schadenersatzansprüche generell aus unerlaubten Handlungen resultieren, fallen sie in den Anwendungsbereich dieses Vorschlags.

In diesem Zusammenhang muss geprüft werden, ob die allgemeine Kollisionsnorm in Artikel 5 des Vorschlags auf Wettbewerbsfälle anwendbar ist, oder ob es zur Klarstellung einer speziellen klarstellenden Kollisionsnorm bedarf. Eine solche klarstellende Kollisionsnorm könnte deutlich machen, dass ein auf die Auswirkungen der unerlaubten Handlung abstellender Ansatz verfolgt werden sollte. Alternativ könnte in allen Fällen das Recht des Gerichtsstandes Anwendung finden. In diesem Zusammenhang sollte Fällen, in denen das Hoheitsgebiet mehrerer Staaten von dem wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen ist besondere Beachtung geschenkt werden.

Frage K:

Welches materielle Recht sollte bei kartellrechtlichen Schadenersatzklagen anwendbar sein?

Option 31:

Das anwendbare Recht sollte durch die allgemeine Kollisionsnorm in Artikel 5 der vorgeschlagenen Verordnung "Rom-II" bestimmt werden,

d.h. unter Bezugnahme auf den Ort, an dem der Schaden eintritt.

Option 32:

Es sollte eine spezielle Kollisionsnorm für Schadenersatzklagen aufgrund eines Wettbewerbsrechtsverstoßes eingeführt werden. Damit sollte klargestellt werden, dass für diese Art von Klagen die allgemeine Kollisionsnorm in Artikel 5 bedeutet, dass für den Anspruch die Gesetze des Staates maßgebend sein könnten, auf dessen Markt dem Geschädigten durch die wettbewerbswidrigen Praktiken ein Nachteil entstanden ist.

Option 33:

Die spezielle Kollisionsnorm könnte so ausgestaltet sein, dass stets das Recht des Gerichtsstandes anzuwenden ist.

Option 34:

In Fällen, in denen das Hoheitsgebiet mehrerer Staaten von dem der Klage zugrunde liegenden wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen ist und in denen das Gericht für Entscheidungen über sämtliche dem Kläger entstandenen Verluste zuständig ist, könnte darüber nachgedacht werden, ob dem Kläger die Möglichkeit gegeben werden sollte, das anzuwendende Recht zu wählen. Diese Wahl könnte dahingehend eingeschränkt werden, dass aus den Rechtssystemen, die nach dem Grundsatz des betroffenen Marktes anzuwenden wären, ein einziges anwendbares Recht ausgewählt werden müsste. Die Wahl könnte jedoch auch erweitert werden, so dass die Wahl eines einzigen Rechts oder des auf jeden Verlust getrennt anwendbaren Rechts oder des Rechts des Gerichtsstands möglich wäre.

2.9 Sonstiges

In Anbetracht der Komplexität von Schadenersatzklagen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts, ist die Hinzuziehung von Gerichtssachverständigen besonders wichtig, um wirksame Verfahren sicherzustellen. Würden die Sachverständigen durch die Gerichte bestellt wären Einsparungen möglich, da weniger Sachverständige benötigt würden. Dadurch würde auch die große Zahl von Sachverständigen, die je nach dem Standpunkt ihres Kunden widersprüchliche Beweise vorbringen, verringert.

Frage L:

Sollte ein Sachverständiger, wenn immer erforderlich, vom Gericht bestellt werden?

Option 35:

Aufforderung an die Parteien, sich auf einen vom Gericht und nicht von ihnen selbst bestellten Sachverständigen zu verständigen.

Die Aussetzung der Verjährungsfrist oder längere Verjährungsfristen spielen eine wichtige Rolle bei der Gewährleistung einer wirksamen Durchsetzung der Schadenersatzansprüche, insbesondere im Fall von Folgeklagen.

Frage M:

Sollten Verjährungsfristen ausgesetzt werden? Wenn ja, ab wann?

Option 36:

Aussetzung der Verjährungsfrist für Schadenersatzklagen ab dem Termin der Verfahrenseinleitung durch die Kommission oder jegliche europäische Wettbewerbsbehörde. Alternativ könnte die Verjährungsfrist beginnen, nachdem ein letztinstanzliches Gericht in der Sache der Zuwiderhandlung entschieden hat.

Der Kausalzusammenhang ist ein notwendiges Erfordernis jeglicher Schadenersatzklage.

Zwar mag eine kausale Beziehung zwischen der Zuwiderhandlung und einem Verlust wegen der wirtschaftlichen Komplexität der Fälle schwer zu beweisen sein, doch darf der Rechtsbegriff des Kausalzusammenhangs als solcher, wie er in der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten entwickelt worden ist, kein nennenswertes Hindernis für Kläger darstellen.

Jedoch sollte das Erfordernis des Bestehens eines Kausalzusammenhangs nicht dazu führen, dass denjenigen, denen aus einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht Verluste entstanden sind, deren Ersatz unmöglich gemacht wird.

Frage N:

Ist eine Klarstellung der gesetzlichen Verpflichtung, dass ein Kausalzusammenhang bestehen muss, erforderlich, um Schadenersatzklagen zu erleichtern?

Frage O:

Gibt es sonstige Aspekte, zu denen sich die Betroffenen äußern möchten?

Die Kommission bittet um Stellungnahmen zu diesem Grünbuch, insbesondere zu den vorstehend aufgelisteten Fragen und Optionen, um beurteilen zu können, ob es erforderlich und angemessen ist, auf Gemeinschaftsebene Maßnahmen zu treffen, um die Bedingungen für eigenständige Klagen und Folgeklagen zu verbessern.

Um einen Meinungsaustausch zu erleichtern, wurde eine Grünbuch-Website unter folgender Adresse angelegt:


http://europa.eu.int/comm/competition/antitrust/others/actions_for_damages/gp.html
Stellungnahmen können bis zum 21. April 2006 übermittelt werden, und zwar per E-Mail an
compdamagesactions@cec.eu.int
oder auf dem Postweg an:
Europäische Kommission
Generaldirektion Wettbewerb
Referat A 1 - Kartellpolitik und strategische Unterstützung
Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts
B-1049 Brüssel

Die Beiträge, die die GD Wettbewerb im Rahmen einer öffentlichen Konsultation erhält, werden in der Regel veröffentlicht. Es besteht jedoch die Möglichkeit, Beiträge oder Teile davon auf Antrag vertraulich zu behandeln. Sollten Sie eine vertrauliche Behandlung wünschen geben Sie bitte auf dem Deckblatt Ihres Beitrags klar und deutlich an, dass dieser Beitrag nicht veröffentlicht werden soll. In diesem Fall sollten Sie der GD Wettbewerb gleichzeitig eine nicht vertrauliche Fassung des Beitrags zur Veröffentlichung zukommen lassen.


1 Siehe Urteil des Gerichtshofes vom 20. September 2001 in der Rs. C-453-99, Courage/Crehan, Rdnrn. 26 und 27.
2 Siehe vorgenanntes Urteil.
3 Siehe "Study on the conditions of claims for damages in case of infringement of EC antitrust rules" auf der Website der Kommission unter folgender Adresse: http://europa.eu.int/comm/competition/antitrust/others/private_enforcement/index_en.html . eingeleitet wird) als auch im Bereich eigenständiger Klagen (d.h. Klagen, die sich nicht aus einer zu einem früheren Zeitpunkt von der Wettbewerbsbehörde festgestellten Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht ergaben) aufzuzeigen.
4 Verordnung (EG) Nr. 044/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1. In Dänemark bestimmt sich die gerichtliche Zuständigkeit nach dem Übereinkommen von Brüssel über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidung in Zivil- und Handelssachen ABl. C 189 vom 28.7.1990, S.2 in der geänderten Fassung, die sich weitgehend mit der Verordnung 044/2001 deckt.
5 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II", KOM (2003) 427 endg.) in der Fassung des geänderten Vorschlages (Nachweis nicht vorhanden).