Beschluss des Bundesrates
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts KOM (2005) 672 endg.; Ratsdok. 5127/06

Der Bundesrat hat in seiner 821. Sitzung am 7. April 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:

Zu den einzelnen im Grünbuch aufgeworfenen Fragen

Zu Fragen A bis C:

Defizite bei der Sachverhaltsaufklärung und daraus resultierende Informationsasymmetrien zwischen Kartellmitgliedern und Geschädigten stehen häufig einer effizienten Durchsetzung privater Schadenersatzansprüche bei Kartellrechtsverstößen entgegen. Um die damit verbundene Benachteiligung der Geschädigten zu vermeiden, befürwortet der Bundesrat Beweiserleichterungen in Form der Anscheinsbeweis-Regelung des § 20 Abs. 5 GWB für sämtliche Wettbewerbsrechtsverstöße. In Verbindung mit einer konsequenten Anwendung von Vorschriften wie § 252 Satz 2 BGB über den entgangenen Gewinn sowie § 287 ZPO zur gerichtlich eröffneten Schadenschätzung könnten die Beweisschwierigkeiten für Privatkläger damit deutlich reduziert werden. Die Einführung einer weit reichenden Offenbarungspflicht von Urkunden, die auch Geschäftsgeheimnisse umfasst, sollte dagegen nicht ins Auge gefasst werden.

Zu Frage A:

Im Zivilprozess kann der Zugang der beweisbelasteten Partei zu Urkunden, die sich im Besitz der Gegenpartei befinden, für die Beweisführung von entscheidender Bedeutung sein. Diese Problemstellung des allgemeinen Zivilprozessrechts beschränkt sich allerdings nicht auf Schadenersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen. Der Fall einer Schadenersatzklage wegen behaupteter Verstöße gegen Artikel 81 oder 82 EGV weist nach Ansicht des Bundesrates keine Besonderheiten auf, die es rechtfertigen würden, für diesen Bereich besondere Regeln zu schaffen.

Das deutsche Zivilprozessrecht regelt die beschriebene Situation in zweifacher Hinsicht. Im Rahmen der Beweisführung kann die beweisbelastete Partei beantragen, dass die Gegenpartei nach Maßgabe der in den §§ 421 ff. ZPO genannten Voraussetzungen zur Vorlegung einer Urkunde verpflichtet wird. Unabhängig davon ist das Prozessgericht im Rahmen der Prozessleitung befugt, gemäß § 142 ZPO die Vorlegung von Urkunden anzuordnen; das Gericht verfügt damit über ein der Option 1 ähnliches Instrument. Eine solche Anordnung kann zu Urkunden ergehen, die sich im Besitz einer Partei oder eines Dritten befinden, sofern sich eine Partei auf die Urkunden bezogen hat. Kommt der Gegner dieser Anordnung nicht nach oder kommt das Gericht, wenn der Gegner den Besitz der Urkunde bestreitet, zu der Überzeugung, dass er nach dem Verbleib der Urkunde nicht sorgfältig geforscht habe, so kann eine vom Beweisführer vorgebrachte Abschrift der Urkunde als richtig angesehen werden. Kann der Beweisführer eine Abschrift nicht beibringen, so können seine Behauptungen über Beschaffenheit und Inhalt der Urkunde als bewiesen angenommen werden (§ 427 ZPO).

Damit sieht das deutsche Zivilprozessrecht auch wirksame Sanktionen im Sinne der Option 4 vor, die zugleich eine Verpflichtung zur Aufbewahrung relevanter Urkunden (Option 5) erübrigt, da an die Vernichtung von Urkunden für deren früheren Besitzer negative beweisrechtliche Folgen geknüpft werden können.

Demgegenüber wollen die zur Diskussion gestellten Optionen 2 und 3 auf die Obliegenheit der beweisbelasteten Partei verzichten, zunächst ihrer Darlegungs- und Beweisführungslast zu genügen. Eine derartige "vorsorgliche Offenlegungspflicht" der Gegenpartei würde nach Auffassung des Bundesrates den den gesamten Zivilprozess beherrschenden Beibringungsgrundsatz in Frage stellen, wonach es Sache der Parteien ist, den relevanten Prozessstoff vorzutragen und erforderlichenfalls unter Beweis zu stellen. Zudem würde sie die Gegenpartei einem schwer kalkulierbaren Ausforschungsrisiko aussetzen. Diese Optionen erscheinen daher nicht empfehlenswert.

Zu Frage B:

Nach deutschem Zivilprozessrecht kann das Gericht auch über Dokumente, die sich im Besitz einer Behörde befinden, unter den in § 432 ZPO genannten Voraussetzungen Beweis erheben. Das Gericht wird allerdings nur dann bei der Beschaffung von Urkunden tätig, soweit die beweisführende Partei hierzu selbst nicht imstande ist. Daneben bestehen die Aufklärungsbefugnisse des Gerichts gemäß § 142 ZPO (vgl. oben zu Frage A). Einen Anlass, besondere Vorschriften für Schadenersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen zu schaffen, sieht der Bundesrat auch hier nicht.

Demgegenüber erschiene es nicht sachgerecht, eine Prozesspartei dazu zu verpflichten, der Gegenpartei sämtliche bei der Wettbewerbsbehörde eingereichten Dokumente auszuhändigen (Option 6). Warum alle in einem Verwaltungsverfahren eingereichten Dokumente in einem späteren Zivilprozess der Gegenseite zugänglich gemacht werden sollen, erschließt sich nicht. Zudem stünde auch diese pauschale Offenlegungspflicht mit dem Beibringungsgrundsatz nicht in Einklang (vgl. oben zu Frage A).

Grundsätzlich ist es auch nicht Sache der nationalen Gerichte, die Einführung von Dokumenten, die sich im Besitz der Kommission befinden, in den Prozess zu bewirken (Option 7). Zu erwägen wäre insoweit ein Anspruch der Klagepartei gegen die Wettbewerbsbehörde auf Einsichtnahme in die dort befindlichen Dokumente bzw. auf Erteilung von Abschriften, um diese sodann im Prozess vorzulegen. Der Anspruch dürfte aber nur so weit reichen, dass es der Wettbewerbsbehörde möglich ist, die Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen zu gewährleisten. Nur subsidiär sollte eine gerichtliche Hilfe bei der Beschaffung von Dokumenten in Betracht gezogen werden.

Zu Frage C:

Seit der Neufassung des GWB vom 15. Juli 2005 ist in § 33 Abs. 4 eine Bindungswirkung des Gerichts an bestandskräftige Entscheidungen hinsichtlich der Feststellung eines kartellrechtswidrigen Verstoßes durch die Kartellbehörde, die Kommission, die Wettbewerbsbehörde oder das als solche handelnde Gericht in einem anderen Mitgliedstaat der EG vorgesehen, so dass die erste Alternative von Option 8 bereits geltendes Recht in Deutschland ist. Diese Tatbestandswirkung bezieht sich nach der Gesetzesbegründung allein auf die Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes. Alle weiteren Fragen, insbesondere zur Schadenkausalität und zur Schadenbezifferung, unterliegen der freien Beweiswürdigung des Gerichts. Dies trägt dem Grundsatz Rechnung, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts und dessen rechtliche Würdigung im Zivilprozess dem zuständigen Gericht obliegt.

Sofern geeignete Regeln über die Offenlegung von Urkundsbeweisen zur Verfügung stehen (vgl. oben zu Fragen A und B), bedarf es einer Modifizierung der Beweislastregeln im Sinne der Option 9 nicht. In jedem Fall würden gesetzliche Beweiserleichterungen nur an konkret bezeichnete Fallgestaltungen einer "Informationsasymmetrie" anknüpfen können.

Wie zu Frage A ausgeführt, hat die ungerechtfertigte Weigerung der Beklagtenpartei, der Anordnung der Urkundenvorlage nachzukommen, im deutschen Zivilprozessrecht schon jetzt im Sinne der Option 10 Einfluss auf die Würdigung der Beweislage. Dieser Ansatz ermöglicht die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls besser als eine zwingende widerlegbare oder sogar unwiderlegbare Beweisvermutung und ist diesen Ansätzen daher vorzuziehen.

Zu Frage D:

Nach geltendem deutschen Recht setzt ein kartellrechtlicher Schadenersatzanspruch ein schuldhaftes Verhalten voraus (§ 33 Abs. 3 Satz 1 GWB). Die Rechtsprechung nimmt allerdings bei Vorliegen eines objektiven Verstoßes grundsätzlich ein Verschulden des Verletzers an und stellt hohe Anforderungen an die Annahme eines unverschuldeten Rechtsirrtums. So hat der BGH mit Beschluss vom 16. Dezember 1986 "Taxizentrale Essen" (GRUR 1987, S. 564 ff.) den Grundsatz aufgestellt, dass ein Verschulden des Verletzers nur dann zu verneinen sei, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Ein gesetzlicher Regelungsbedarf wird hier derzeit nicht gesehen, insbesondere besteht kein Anlass, eine im Ergebnis verschuldensunabhängige Haftung im Sinne von Option 11 einzuführen. Option 13 entspricht der derzeitigen Rechtslage in Deutschland.

Zu Fragen E und F:

Das deutsche Schadensrecht fußt im Wesentlichen auf dem Grundsatz, dass der Geschädigte Ersatz für den ihm durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten entstandenen Vermögensverlust erhalten soll. Die kompensatorische Funktion des Schadenersatzes wird den berechtigten Entschädigungsinteressen des Geschädigten gerecht, ohne bedenkliche Anreize zu setzen, Schadenersatzklagen zu Bereicherungszwecken oder gezielten Störungen des Wettbewerbs zu missbrauchen.

Die Gewährung zwei- oder dreifachen Schadenersatzes im Sinne eines Strafschadenersatzes nach US-amerikanischem Rechtsverständnis birgt dagegen die Gefahr von Nachteilen für den Wettbewerb als Institution, während der Nutzen einer solchen Regelung zweifelhaft erscheint. Ein zwei- oder dreifacher Schadenersatz wäre wegen der Schadenersatzgesamthöhe jedenfalls ein deutlicher wirtschaftlicher Anreiz, den Rechtsrahmen zu missbrauchen.

Der Missbrauch eines solchen rechtlichen Rahmens könnte darin bestehen, Wettbewerber auch ohne berechtigte Ansprüche mit Schadenersatzklagen zu bedrohen, um sie im Hinblick auf den ungewissen Ausgang solcher Rechtsstreitigkeiten zur vergleichsweisen Zahlung von "Entschädigungen" für vorgeblich erlittene Schäden oder zu bestimmten Handlungen oder Unterlassungen im Wettbewerb zu veranlassen. Besonders mittelständische Unternehmen könnten Leidtragende einer solchen Entwicklung sein. Beispiele für solche Exzesse finden sich insbesondere im Wettbewerbsrecht der USA.

Zu Frage E:

Nach § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB ist der Anspruch auf Schadenersatz der Höhe nach im Wege der Differenzhypothese durch Ermittlung des konkret entstandenen Schadens zu berechnen. Dies entspricht dem in Option 14 als "kompensatorisch" bezeichneten Schadenersatz.

Der anteilige Gewinn, den das Unternehmen durch den Verstoß erlangt hat, kann gemäß § 33 Abs. 3 Satz 3 GWB bei der Entscheidung über den Umfang des Schadens durch das Gericht nach § 287 ZPO berücksichtigt werden, so dass der in Option 15 unterbreitete Vorschlag im gegenwärtigen deutschen Recht ansatzweise verwirklicht wird. Eine Rückforderung unrechtmäßiger Gewinne im Sinne einer reinen Gewinnabschöpfung sollte demgegenüber ausschließlich der Kartellbehörde und bestimmten Interessenverbänden vorbehalten bleiben, wie derzeit in den §§ 34 und 34a GWB vorgesehen. Das Kartellrecht weist - im Gegensatz zum Immaterialgüterschutzrecht - nicht bestimmte Erwerbschancen bestimmten Vermögensträgern zu, sondern verfolgt das Ziel, die Institution eines funktionsfähigen Wettbewerbs zu schützen. Daher ist es konsequent, den aus einem Verstoß erzielten Gewinn, soweit ihm kein Schaden gegenübersteht, der Allgemeinheit zuzuweisen.

Das Schadenersatzrecht, dem in Deutschland der Kompensationsgedanke zu Grunde liegt, darf nicht dazu instrumentalisiert werden, allgemeine Zwecke staatlicher Ordnungspolitik zu verfolgen. Daher sollte eine spezifisch verschärfte Sanktionierung bei gravierendem wettbewerbswidrigen Verhalten, wie in Option 16 angedacht, nicht über zivilrechtliche Schadenersatzklagen geschädigter Mitbewerber oder Verbraucher verwirklicht werden, sondern vielmehr durch die für die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zuständigen staatlichen Stellen erfolgen.

Die in Option 17 vorgeschlagene Verzinsung des Schadenersatzes hat in § 33 Abs. 3 Satz 4 GWB bereits eine Regelung gefunden, welche eine Verzinsung ab dem Tag des Schadeneintritts vorsieht. Die vorgenannte erst kürzlich in Kraft getretene Vorschrift bedarf zunächst einer Erprobung in der Praxis. Neuerlicher Regelungsbedarf besteht hier derzeit nicht.

Zu Frage F:

Eine in Option 18 vorgeschlagene Festsetzung der Höhe des Schadens "nach Billigkeitserwägungen" erscheint zu weit gehend und brächte die Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheit mit sich. Sachgerecht ist demgegenüber die in § 287 ZPO dem Gericht bereits eingeräumte Möglichkeit, bei besonderer Schwierigkeit des konkreten Schadennachweises die Höhe des Schadens unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung und eigenem Ermessen festzusetzen. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 33 Abs. 3 Satz 3 GWB durch Zitierung der Vorschrift des § 287 ZPO dessen Bedeutung im Rahmen der kartellrechtlichen Schadenberechnung unterstrichen. Im Rahmen der konkreten Schadenberechnung ist im Hinblick auf die erste Frage der Option 18 festzustellen, dass komplexere Berechnungsmethoden zwar präzisere Ergebnisse liefern können, aber den Nachteil mit sich bringen, dass sie mit einem höheren Kosten- und Zeitaufwand verbunden sind, als einfachere Berechnungsmodelle. In Anbetracht der Vielfältigkeit der auftretenden kartellrechtlichen Verletzungsfälle erscheint die gesetzliche Anordnung einer bestimmten Schadenberechnungsmethode nicht zielführend. Die Schadenermittlung sollte im jeweils zu beurteilenden Einzelfall den Gerichten unter Berücksichtigung des § 287 ZPO überlassen bleiben.

Die in Option 19 vorgeschlagene Herausgabe von Leitlinien zur Quantifizierung des Schadenersatzes durch die Kommission birgt nach Auffassung des Bundesrates die Gefahr, dass die grundlegende Unterscheidung zwischen den drei Gewalten durch ein derartiges von der Kommission erlassenes so genanntes "soft law", das einerseits zwar nicht die Geltung eines Gesetzes hat, andererseits aber auch mehr Bindungswirkung als eine bloße Meinung entfalten soll, angegriffen wird.

Die in Option 20 zur Diskussion gestellte Einführung geteilter Verfahren, in denen zwischen der Haftung des Rechtsverletzers und der Höhe des zu leistenden Schadenersatzes unterschieden werden soll, um das Gerichtsverfahren zu vereinfachen, bedarf im deutschen Recht keiner eigenständigen kartellrechtsspezifischen Regelung. Bereits jetzt ist es zulässig, in Bezug auf die Haftung des Rechtsverletzers als solche zunächst eine Feststellungsklage zu erheben ( § 256 ZPO), wenn dem Kläger eine Klage auf Leistung nicht möglich oder zumutbar ist oder wenn davon auszugehen ist, dass bereits das Feststellungsurteil zu einer endgültigen Streitbeilegung führen wird. Außerdem besteht im Rahmen einer Leistungsklage nach § 304 ZPO die Möglichkeit, dass das Gericht durch Zwischenurteil über den Grund vorab entscheidet.

Zu Frage G:

Im Rahmen der letzten GWB-Novellierung ist die Frage, ob einem Schadenersatzanspruch die Weiterwälzung von Schäden auf nachfolgende Marktstufen entgegengehalten werden kann, nicht im Sinne eines generellen Ausschlusses dieser Einwendung geregelt worden. Damit ist dem Schädiger die Berufung auf eine im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigende Schadenweitergabe an nachgelagerte Marktstufen nicht prinzipiell verschlossen. Daran sollte insbesondere auch im Hinblick auf die kompensatorische Ausgleichsfunktion des Schadenersatzes festgehalten werden.

Die auch in der deutschen Literatur und Rechtsprechung bislang umstrittene Handhabung der so genannten "passing on defense" wurde mithin der Neufassung des GWB vom 15. Juli 2005 in § 33 Abs. 3 Satz 2 dahin gehend geregelt, dass ein Schadenersatz nicht ausgeschlossen sein soll, wenn eine Ware oder Dienstleistung zu einem überteuerten Preis bezogen und weiterveräußert wurde. Damit wollte der Gesetzgeber dem im deutschen Recht allgemein anerkannten Grundsatz Rechnung tragen, dass eine Vorteilsausgleichung nur unter den engen Voraussetzungen gerechtfertigt ist, dass zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Vorteil beim Geschädigten ein adäquater Kausalzusammenhang besteht, die Anrechnung dem Zweck des Schadenersatzes entspricht und den Schädiger nicht unbillig entlastet (vgl. Heinrichs in: Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 65. Aufl., 2006, Vorbemerkung vor § 249 BGB, Rnr. 119 ff.). Nach diesem Grundsatz ist hier eine Vorteilsausgleichung zu versagen, da der Verletzer anderenfalls einen Vorteil daraus ziehen könnte, dass es dem geschädigten Abnehmer gelungen ist, die kartellbedingte Preiserhöhung an seine Kunden weiterzugeben. Die gesetzliche Regelung in § 33 Abs. 3 Satz 2 GWB entspricht der Option 22 des Grünbuchs. Die in Option 21 vorgeschlagene Variante, dass die "passing on defense" zulässig, und sowohl der direkte als auch der indirekte Abnehmer klageberechtigt sein sollen, birgt die in dem Grünbuch bereits aufgezeigte Gefahr, dass der Verletzer überhaupt keinen Schadenersatz leisten muss, da es sich für den indirekten Abnehmer vielfach schwierig gestalten wird, zu beweisen, in welchem Umfang der Schaden in der Lieferkette weitergegeben wurde. Auch wenn die Durchführung der Vorteilsausgleichung nach der Rechtsprechung des BGH u. a. dem Zweck des Schadenersatzes entsprechen muss und weder den Geschädigten unzumutbar belasten noch insbesondere zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen darf, spricht nach Auffassung des Bundesrates aus Gründen der Rechtssicherheit viel dafür, dem geschädigten indirekten Abnehmer einen gesetzlich verankerten Ersatzanspruch zuzubilligen, wenn sich der Rechtsverletzer gegenüber dem Direktabnehmer auf die Weiterwälzung des Schadens berufen kann. Der Vorschlag in Option 23, wonach die "passing on defense" nicht zulässig sein soll und sowohl der direkte als auch der indirekte Abnehmer klageberechtigt sind, kann - neben der bereits oben aufgezeigten Problematik einer Schadenermittlung beim Zweitabnehmer - dazu führen, dass der Beklagte zu Mehrfachschadenersatz verurteilt wird. Wird aber eine Regelung gefunden, die im Grundsatz ein Nebeneinander von Ausschluss der "passing on defense" gegenüber dem unmittelbaren Abnehmer und Schadenersatzanspruch des indirekt Geschädigten zulässt, besteht nach Auffassung des Bundesrates auch Bedarf für eine weitergehende Lösung. Diese muss sicherstellen, dass der Schädiger nicht mehrfach für denselben Schaden in Anspruch genommen wird, und dass dem indirekt Geschädigten zumindest im Ergebnis die geltend gemachte Kompensation zugesprochen wird. Das in Option 24 angesprochene zweistufige Verfahren bringt die dort bereits erwähnten technischen Schwierigkeiten mit sich. Insbesondere stellen sich hier erhebliche Probleme im Zusammenhang mit der Aufteilung eines überhöhten Kaufpreises zwischen allen Klageberechtigten, was nicht selten zu Streitigkeiten über eine gerechte Quotelung führen dürfte.

Vor dem Hintergrund, dass jede der hier zur Diskussion gestellten Optionen Vor- und Nachteile hat, scheint die im deutschen Recht geltende Regelung des § 33 Abs. 3 Satz 2 GWB aus Sicht des Bundesrates derzeit nicht änderungsbedürftig. Sie dürfte in der Praxis jedenfalls den effektivsten Weg zur Durchsetzung der wettbewerbsrechtlichen Regelungen darstellen, da sie die prozessuale Situation der unmittelbar und primär durch den Wettbewerbsverstoß betroffenen Direktabnehmer stärkt und damit die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Inanspruchnahme des Verletzers maximiert. Jedenfalls sollten die praktischen Erfahrungen mit der vom deutschen Gesetzgeber statuierten Lösung zunächst abgewartet werden.

Zu Frage H:

Die Möglichkeit, Verbraucherverbänden eine Klagebefugnis zur Geltendmachung individueller Schadenersatzansprüche einzuräumen (Option 25), ist ein erwägenswertes Mittel, um die effektive Geltendmachung von Streuschäden zu ermöglichen, die jeweils gering sind und daher einzeln in der Regel nicht geltend gemacht werden. Mit der Neufassung des § 33 Abs. 3 GWB hat der deutsche Gesetzgeber im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH klargestellt, dass die Artikel 81 und 82 EGV auch dann dem Schutz anderer Marktbeteiligter dienen, wenn sich der Verstoß nicht gezielt gegen diese richtet, so dass zum Kreis der Anspruchsberechtigten auch Endverbraucher gehören können.

Demgegenüber ist das Institut der Sammelklage (Option 26) dem deutschen Zivilprozessrecht fremd. Seine Einführung allein für Schadenersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen bedürfte einer besonderen Rechtfertigung, die derzeit nicht zu erkennen ist.

Soweit bestimmte Verbände zur Geltendmachung individueller Schadenersatzansprüche berechtigt werden, sollte den jeweils betroffenen Verbandsmitgliedern aus der bereits im Rahmen der Frage E aufgezeigten Erwägung eines mangelnden Zuweisungsgehalts des Kartellrechts in Bezug auf rechtswidrig erzielte Gewinne lediglich der persönlich erlittene Schaden zufließen. Die Möglichkeit einer darüber hinausgehenden Gewinnabschöpfung besteht nach derzeit geltendem deutschen Recht zu Gunsten der Kartellbehörde ( § 34 GWB) sowie (subsidiär) zu Gunsten bestimmter Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen im Falle eines vorsätzlich begangenen Verstoßes zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern (§ 34a GWB). Die erst im Juli 2005 eingeführte Regelung des § 34a GWB ist in ihrer Rechtsfolge insoweit missglückt, als die von Interessenverbänden eingeklagten Gewinne ausschließlich dem Bundeshaushalt zufließen sollen. Hier fehlt es für die Verbände an einem angemessenen Anreiz, gerichtlich gegen Verstöße vorzugehen. Nach der Interessenlage wäre es daher sachdienlicher, wenn die abgeschöpften Gewinne zumindest zu einem bestimmten Anteil auch den Verbänden zugute kämen. Insoweit bedarf die erst kürzlich eingeführte Regelung des § 34a GWB auch keiner weiteren Erprobungszeit, da einschlägige praktische Erfahrungen mangels Anreizes zur gerichtlichen Geltendmachung durch die Verbände nicht zu erwarten sind.

Zu Frage I:

Der Bundesrat spricht sich dagegen aus, das Kostenrisiko des Klägers in Schadenersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen zu verringern. Da im Falle eines Unterliegens des Klägers die Kosten jedenfalls nicht dem Beklagten auferlegt werden können, bedeutete ein solcher Ansatz die Abwälzung des Kostenrisikos einer eigennützig klagenden Partei auf die Staatskasse, was nicht hinnehmbar wäre. Unbemittelte Parteien haben bereits derzeit die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu beantragen.

Zu Frage J:

Die staatliche Wettbewerbsrechtsdurchsetzung ist für eine wirksame Kontrolle und Durchsetzung der sich aus den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des EGV ergebenden Verpflichtungen von zentraler Bedeutung. Im Hinblick auf die damit zu schützenden Gemeinwohlinteressen muss gewährleistet sein, dass die Modalitäten der privaten Kartellrechtsdurchsetzung nicht den Anforderungen und Instrumenten einer effizienten behördlichen Wettbewerbsrechtsdurchsetzung zuwiderlaufen. Nach Auffassung des Bundesrates sollte eine Verwertung von Erkenntnissen aus dem Ermittlungsverfahren der Kartellbehörde in Zivilverfahren nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Nach Auffassung des Bundesrates ist deshalb darauf zu achten, dass Verschärfungen der Schadenersatzsanktionen die erfahrungsgemäß hohe Effektivität von Kronzeugen- bzw. Bonusregelungen für die Aufklärung von Wettbewerbsrechtsverstößen nicht beeinträchtigen.

Um die Funktionsfähigkeit und Effektivität der Kronzeugenregelung jedoch auch künftig zu gewährleisten, sollten verfahrenstechnische Regelungen getroffen werden, mit denen sichergestellt werden kann, dass etwaige Rückschlüsse auf einen Kronzeugen trotz der Verwertung ausgeschlossen sind.

Die zur Diskussion gestellte Option 28 scheint hierfür allein jedoch nicht ausreichend, zumal die Einsichtnahme in die Ermittlungsakten der Kartellbehörde weitere, bei Dritten sichergestellte oder erwirkte Beweismittel zutage fördern kann, die Rückschlüsse auf einen Kronzeugen eröffnen können.

Die Einführung einer Kronzeugenregelung im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen könnte einen wichtigen Punkt im Rahmen der erforderlichen Koordinierung staatlicher und privater Wettbewerbsrechtsdurchsetzung darstellen. Die Kartellbehörden schaffen bereits jetzt durch detaillierte Bonusregelungen, die erhebliche Bußgeldminderungen bis hin zur gänzlichen Bußgeldfreiheit in Aussicht stellen, einen Anreiz für Kartellbeteiligte, sich als Kronzeugen bei der behördlichen Verfolgung eines Kartellverstoßes kooperativ zu zeigen. Dieser Anreiz wird im derzeit geltenden Recht dadurch unterlaufen, dass der Kartellbeteiligte im Anschluss an das behördliche Verfahren mit erheblichen zivilrechtlichen Schadenersatzforderungen überzogen werden kann. Aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses an der Verfolgung von Kartellverstößen erscheint Option 30, welche vorschlägt, die Haftung des Kronzeugen auf einen dem Anteil des Antragstellers an dem kartellisierten Markt entsprechenden Anteil unter Entbindung von der gesamtschuldnerischen Haftung zu beschränken und damit das Schadenersatzrisiko des Kronzeugen zu begrenzen, als eine sachgerechte Lösungsmöglichkeit.

Allerdings ist eine solche Begrenzung oder Verminderung der Schadenersatzpflicht des Kronzeugen gegenüber den von ihm geschädigten Privaten eine nur schwer zu rechtfertigende Belastung. Eine weiter gehende Verminderung oder gar ein gänzliches Entfallen des Schadenersatzanspruchs lehnt der Bundesrat daher - mit Blick auf die Interessen des Verletzten - ab. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass die Kommission die Notwendigkeit einer an der Option 30 orientierten Haftungsbeschränkung und -begrenzung vor einem konkreten Regelungsvorschlag ausführlich begründet und die Folgen unter Heranziehung rechtsvergleichender Studien umfassend untersucht.

Zu Frage K:

Im Rahmen der Frage des anwendbaren Rechts sollte grundsätzlich auf die in Artikel 5 der vorgeschlagenen Verordnung "Rom II" vorgesehene Kollisionsnorm abgestellt werden, welche an den Ort des Schadeneintritts anknüpft (vgl. Option 31). Eine Klarstellung, dass sich bei Schadenersatzklagen auf Grund eines Kartellrechtsverstoßes der Ort des Schadeneintritts danach bestimmt, auf welchem örtlichen Markt dem Geschädigten durch die wettbewerbswidrigen Praktiken ein Nachteil entstanden ist, erscheint entsprechend der Option 32 sachgerecht. In Fällen, in denen das Hoheitsgebiet mehrerer Staaten von dem der Klage zu Grunde liegenden wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen ist und in denen das Gericht für Entscheidungen über sämtliche dem Kläger entstandenen Verluste zuständig ist, sollte wohl zweckmäßigerweise das Recht des Gerichtsstands anzuwenden sein. Anderenfalls müsste das angerufene Gericht innerhalb der rechtlichen Beurteilung eines einheitlichen Falls verschiedene ausländische Rechtsordnungen anwenden. Diese Folge der Option 34 erscheint nicht praxisnah und widerspricht dem Ziel einer effektiven Durchsetzung von Schadenersatzklagen.

Zu Frage L:

Die Option 35 erklärt sich vor dem Hintergrund insbesondere des englischen Zivilprozessrechts. Im deutschen Zivilprozessrecht ist dieses Problem im Sinne der Anregungen des Grünbuchs gelöst: Die Auswahl und Bestellung eines Sachverständigen obliegt dem Gericht ( § 404 Abs. 1 ZPO), das allerdings die Parteien auffordern kann, Personen zu bezeichnen, die geeignet sind, als Sachverständige vernommen zu werden (§ 404 Abs. 3 ZPO). Einigen sich die Parteien auf einen bestimmten Sachverständigen, so hat das Gericht diesen Sachverständigen zu bestellen (§ 404 Abs. 4 ZPO).

Zu Frage M:

§ 33 Abs. 5 GWB sieht für das derzeit geltende deutsche Recht bereits vor, dass die Verjährung eines Schadenersatzanspruchs wegen eines kartellrechtlichen Verstoßes gehemmt wird, wenn die Kartellbehörde oder die Kommission bzw. die Wettbewerbsbehörde eines anderen Mitgliedstaats der EG ein entsprechendes Verletzungsverfahren einleitet. Diese Regelung steht im Zusammenhang mit § 33 Abs. 4 GWB, welcher die tatbestandliche Bindungswirkung einer bestandskräftigen Feststellung des Verstoßes durch die vorgenannten Behörden vorsieht. Mit der Verjährungsregelung in § 33 Abs. 5 GWB soll erreicht werden, dass der individuell Geschädigte tatsächlich die Tatbestandswirkung des § 33 Abs. 4 GWB in Anspruch nehmen kann und zivilrechtliche Schadenersatzansprüche beispielsweise nach Ablauf eines langwierigen Bußgeldverfahrens nicht bereits verjährt sind. Insoweit wird hier im deutschen Recht derzeit kein weiterer Regelungsbedarf gesehen.

Zu Frage N:

Das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen der rechtsverletzenden Handlung und dem eingetretenen Schaden ist nach deutschem Recht eine notwendige Tatbestandsvoraussetzung jeder Schadenersatzklage. Im Kartellrecht ergibt sich dies auch aus dem Wortlaut des § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB, wonach der Rechtsverletzer zum Ersatz "des daraus entstandenen Schadens" verpflichtet ist. Einer gesetzlichen Klarstellung bedarf es insoweit nach Auffassung des Bundesrates nicht.

Zu Frage O:

Prozesse wegen zivilrechtlicher Schadenersatzansprüche auf Grund Verletzung von EU-Kartellrecht sollten weiterhin in die nationalen Verfahrensordnungen eingebettet sein. Die Schaffung eigener Verfahrensregeln, worauf manche Anregung des Grünbuchs abzielt, erscheint weder erforderlich noch sinnvoll.