Antrag des Landes Rheinland-Pfalz
Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung des Wahlrechts behinderter Menschen

Die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz Mainz, 29. Januar 2013

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Winfried Kretschmann

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat beschlossen, beim Bundesrat den in der Anlage beigefügten Antrag für eine Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung des Wahlrechts behinderter Menschen einzubringen.

Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der 906. Sitzung des Bundesrates am 1. Februar 2013 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuleiten.

Mit freundlichen Grüßen
Malu Dreyer

Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung des Wahlrechts behinderter Menschen

Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:

Begründung:

Das Recht, zu wählen und gewählt zu werden, ist in einem demokratischen Gemeinwesen ein essentielles politisches Grundrecht. Aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl folgt, dass dieses Recht selbstverständlich auch Menschen mit Behinderungen zusteht. Eingriffe in das verfassungsrechtlich garantierte Wahlrecht sind nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich.

Bei Bundestags- und Europawahlen sind vom Wahlrecht Menschen ausgeschlossen, - für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten eine Betreuerin oder ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist und zwar auch dann, wenn der Aufgabenkreis der betreuenden Person die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht erfasst (§ 13 Nummer 2 und § 15 Absatz 2 Nr. 1 des Bundeswahlgesetzes, § 6a Absatz 1 Nummer 2 und § 6b Absatz 3 Nr. 1 des Europawahlgesetzes), - die sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden (§ 13 Nummer 3 und § 15 Absatz 2 Nr. 1 des Bundeswahlgesetzes, § 6a Absatz 1 Nummer 3 und § 6b Absatz 3 Nr. 1 des Europawahlgesetzes).

Der Wahlrechtsausschluss, der an die Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheit anknüpft, wird kritisiert, da die Anordnung der "Totalbetreuung" keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die tatsächliche Einsichts- und Wahlfähigkeit der Betroffenen zulasse. Das Verfahren zur Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers sei nicht darauf ausgerichtet, die Einsicht der betroffenen Person in Wesen und Bedeutung von Wahlen zu prüfen (vgl. hierzu u.a. Schulte, ZRP 1/2012, 16 ff. m.w.N.; Schreiber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 8., vollständig neubearbeitete Auflage, § 13 Rdn. 12 m. w. N.). Andererseits würden vielfach tatsächlich Wahlunfähige nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen, weil für sie kein Betreuungsverfahren durchgeführt wurde. So darf eine Betreuung wegen des Grundsatzes der Erforderlichkeit ( § 1896 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches) nicht angeordnet werden, wenn zwar alle Voraussetzungen vorliegen, aber die betroffene Person selbst durch eine Vorsorgevollmacht darüber entschieden hat, wer ihre Angelegenheiten regeln soll. Ferner wird darauf hingewiesen, dass es beim Vollzug des geltenden Rechts erhebliche Probleme gebe. Nicht selten bestünden Zweifel, ob die Bestellung der Betreuerin oder des Betreuers alle Angelegenheiten der Betroffenen erfasst oder nicht.

Gegen den Wahlrechtsausschluss wegen strafrechtlich angeordneter Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird insbesondere eingewendet, dass das Gericht über die Schuldunfähigkeit nur rückwärtsbezogen auf den in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt der Tat befinde, nicht aber über die Frage, ob die betreffende Person künftig im Rahmen der Unterbringung zur politischen Willensbildung in der Lage sein werde (vgl. Palleit, in: Gleiches Wahlrecht für alle? Menschen mit Behinderungen und das Wahlrecht in Deutschland, S. 15). Die vom

Gericht zu treffende Prognoseentscheidung beziehe sich ausschließlich auf die Gefahr weiterer Straftaten. Ferner wird geltend gemacht, dass Menschen, die mit dem gleichen Krankheitsbild in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht, aber nicht straffällig geworden seien, ihr Wahlrecht nicht verlören. Damit erfolge eine Ungleichbehandlung straffällig gewordener Menschen im Vergleich zu nicht straffällig gewordenen Menschen mit gleichem Krankheitsbild, wenn allein wegen der Straffälligkeit ein Wahlrechtsausschluss begründet werde. Dies gelte umso mehr, wenn die vorgesehenen und fachlich notwendigen Rehabilitationsmaßnahmen ergriffen würden. Schließlich wird angeführt, dass auch Personen, die sich in Sicherungsverwahrung befinden, ihr Wahlrecht behalten würden. Eine Reihe von Ländern (Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) haben keinen entsprechenden Wahlrechtsausschlussgrund in ihren Wahlgesetzen.

In der jüngeren Zeit ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass im Hinblick auf die in Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention garantierte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am politischen Leben Handlungsbedarf bestehe.

Im Rahmen der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat die Bundesregierung im Nationalen Aktionsplan beschlossen, in einer Studie zur aktiven und passiven Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an Wahlen die reale Praxis in diesem Bereich zu untersuchen und Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Partizipation zu entwickeln. Die Untersuchungsergebnisse und Handlungsempfehlungen sollten bis 2012 vorliegen.

Mit der vorgeschlagenen Entschließung soll auf die Dringlichkeit der von der Bundesregierung angestrebten Maßnahmen, auch im Hinblick auf die "Vorbildfunktion" des Bundeswahlrechts für die Landes- und Kommunalwahlgesetze der Länder, hingewiesen werden.