Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Internet-Politik und Internet-Governance - Europas Rolle bei der Mitgestaltung der Zukunft der Internet-Governance - COM (2014) 72 final

Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet.

Hinweis: vgl.
Drucksache 283/00 = AE-Nr. 001321 und AE-Nr. 090483

Brüssel, den 12.2.2014
COM (2014) 72 final

1. EINLEITUNG

Seit über 15 Jahren trägt die EU zur Bewahrung und Entwicklung des Internets bei: Als bedeutender Teil des Lebens und als Grundpfeiler des digitalen Binnenmarkts hat das Internet Innovation, Wachstum, Handel, Demokratie und die Menschenrechte vorangebracht1. Die Prognosen für das von der Internetwirtschaft ausgehende Wachstum liegen bei fast 11 % in der EU und der Beitrag zum BIP wird bis 2016 voraussichtlich von 3,8 %(2010) auf 5,7 % steigen.2 Kleine und mittlere Unternehmen, die das Internet intensiv nutzen, wachsen nahezu doppelt so schnell wie andere Unternehmen.3 Dieses wirtschaftliche Potenzial muss besser genutzt werden, um sicherzustellen, dass Menschen Zugang zu Inhalten, Waren und Dienstleistungen ihrer Wahl haben und selbst bestimmen können, welche personenbezogenen Daten sie mit anderen teilen wollen. Sichere, stabile und robuste Netze bilden die Grundlage für eine vertrauenswürdige und florierende Internetwirtschaft .4 Ein offenes, freies Internet, in dem alle Rechte und Freiheiten, die Menschen offline haben, auch online gelten, begünstigt den sozialen und demokratischen Fortschritt weltweit.

Eine nachhaltige Internet-Governance, die alle Akteure5 einbezieht, ist unerlässlich, um diese Vorteile zu bewahren. Internet-Governance umfasst ein breites Spektrum an Organisationen6 und bezeichnet im weiteren Sinne die Entwicklung und Anwendung gemeinsamer Grundsätze, Normen, Regeln, Entscheidungsverfahren und Programme durch Regierungen, den Privatsektor und die Zivilgesellschaft im Rahmen ihrer jeweiligen Rollen, die die Weiterentwicklung und Nutzung des Internets beeinflussen7.

In jüngster Zeit entwickeln sich immer mehr einander widersprechende Vorstellungen von der Zukunft des Internets und der Frage, wie die Internet-Governance unter Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren gestärkt werden kann. Darüber hinaus haben sich Enthüllungen über großangelegte Überwachungsprogramme und die Angst vor Cyberkriminalität negativ auf das Vertrauen in das Internet ausgewirkt. Ein weiterer Vertrauensverlust in Bezug auf das Internet und seine gegenwärtige Governance könnte insgesamt die Innovationsfähigkeit und das Wachstum der europäischen Unternehmen drosseln. Auch könnte ein Druck in Richtung neuer regionaler und nationaler Governance-Strukturen die Folge sein, was zu einer Zersplitterung des Internets führen könnte.

Diese Mitteilung ist ein Vorschlag für den Grundstein einer gemeinsamen europäischen Zielvorstellung für eine Internet-Governance,

Diese Mitteilung baut insbesondere hinsichtlich der Stärkung des Multi-Stakeholder-Modells auf der Mitteilung der Europäischen Kommission über die Verwaltung des Internets von 2009 auf. Sie enthält keine Forderungen nach neuen internationalen Rechtsinstrumenten zur Auseinandersetzung mit der Problematik der Internet-Governance.9

Schwerpunkt dieser Mitteilung sind Politikbereiche, die für das komplexe Gesamtsystem der Internet-Governance relevant sind. In den Abschnitten 2, 3 und 4 werden die wichtigsten Themen der derzeitigen Debatte behandelt: Grundsätze der Internet-Governance, Kooperationsrahmen und Kernfunktionen des Internets. Abschnitt 5 enthält konkrete Vorschläge für die Stärkung des derzeitigen Multi-Stakeholder-Modells. Die Abschnitte 6, 7 und 8 geben einen Ausblick auf einige der zentralen Fragen, die künftig im Zusammenhang mit der Internet-Governance angegangen werden müssen: das enge Zusammenspiel zwischen technischen Normen und Internet-Politik, die wichtigsten Herausforderungen bei der Wiederherstellung des Vertrauens und einander widersprechende gerichtliche Zuständigkeiten und Rechtsvorschriften. Viele der behandelten Themen werden Gegenstand weiterer Konsultationen mit den Akteuren sein.

2. EIN auf GRUNDSÄTZEN BASIERENDER ANSATZ

Die Stärke des Internets liegt darin, dass es offen und dezentral ist und auf nicht proprietären Standards beruht, wodurch kaum Zugangsbeschränkungen entstehen. Die Europäische Union hat sich stets für ein einziges, dezentrales Internet eingesetzt, in dem alle Ressourcen unabhängig vom Standort von Nutzern und Anbietern in gleicher Weise zugänglich sind. Dies gilt vor allem, wenn Menschenrechte betroffen sind; manche Staaten versuchen allerdings mit dem Verweis auf Sicherheitsbedenken, die globale Netzanbindung ihrer Bürgerinnen und Bürger durch Zensur und andere Beschränkungen zu beschneiden. Blockierung, Verlangsamung und Diskriminierung von Inhalten, Anwendungen und Diensten stehen dem offenen Charakter des Internets entgegen.10 Auch angesichts komplexer regulatorischer oder politischer Herausforderungen ist zu bedenken, dass das Filtern des Datenverkehrs an Landesgrenzen oder andere rein nationale Ansätze zu einer Fragmentierung des Internets führen und das Wirtschaftswachstum und den freien Datenverkehr behindern können. Dies schließt weder verstärkte Anstrengungen zur Diversifizierung der grundlegenden Infrastruktur, z.B. in Bezug auf lokale Internet-Knoten oder die Übertragungskapazität, aus - denn dadurch können die Robustheit und Ausfallsicherheit des Internets erhöht werden - noch Maßnahmen, die erforderlich sind, um den Schutz der Grundrechte zu gewährleisten und Bedenken auszuräumen, die durch Enthüllungen über großangelegte Ausspähungs- und Überwachungstätigkeiten aufgekommen sind.

Seit über zwei Jahren verfolgt die Kommission ein Konzept, das sich im Akronym COMPACT11 zusammenfassen lässt: das Internet als Raum staatsbürgerlicher Verantwortung, ein unfragmentiertes, nach dem Multi-Stakeholder-Grundsatz gesteuertes Netz zur Förderung der Demokratie und der Menschenrechte, das auf einer soliden technischen Architektur beruht, die Vertrauen schafft und eine transparente Governance sowohl der grundlegenden Infrastruktur des Internets als auch der darauf aufsetzenden Dienstleistungen begünstigt. - COMPACT geht auf die Tunis-Agenda von 2005 zurück. Seitdem sind in verschiedenen Foren eine Vielzahl von Governance-Grundsätzen verfochten worden, die jedoch meist auf eine nur geringe Anzahl von Akteuren zugeschnitten oder auf ein bestimmtes geografisches Gebiet begrenzt waren. 12 Zur Erreichung eines Konsenses wäre ein Prozess hilfreich, der zu Grundsätzen führen würde, die von einer breiteren Basis unterstützt würden und Kohärenz gewährleisteten.

Die Kommission unterstützt die Festlegung von kohärenten, globalen und den Grundrechten und demokratischen Werten entsprechenden Grundsätzen für die Internet-Governance unter Einbeziehung aller Akteure. Die Kommission wird Gespräche zwischen den Akteuren, u.a. durch Förderung von Multi-StakeholderPlattformen und der Hochrangigen Gruppe zur Internet-Governance13, unterstützen. Die Kommission ersucht den Rat und das Europäische Parlament, ihren Beitrag zu einem gemeinsamen europäischen Standpunkt in allen geeigneten Foren zu leisten.

3. EIN Rahmen für KOOPERATIVE GOVERNANCE

Angesichts der globalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung des Internets ist ein von gegenseitigem Respekt geprägter Dialog über die künftige Entwicklung der globalen Internet-Governance zwischen allen Akteuren unerlässlich. Aus dem Weltgipfel über die Informationsgesellschaft (WSIS) ist das Internet-Governance-Forum (IGF) hervorgegangen, das eine vorausschauende Debatte zwischen allen Akteuren - von denen viele zuvor nicht eng zusammengearbeitet hatten - voranzubringen. Es ist jedoch wichtig, die Qualität und Form der IGF-Ergebnisse zu verbessern, um dessen Einfluss auf die weltweite Internet-Governance und -Politik zu erhöhen.

Ein besseres Zusammenwirken der an der Internet-Governance beteiligten Akteure sollte durch einen problemorientierten Dialog statt durch neue Gremien gefördert werden. Dies würde es den jeweils betroffenen Akteuren ermöglichen, bestimmte Herausforderungen über strukturelle und Organisationsgrenzen hinweg in Angriff zu nehmen. Eine solche Vorgehensweise entspräche der dezentralen Architektur des Internets, die als Modell für ein besseres Zusammenwirken aller Beteiligten dienen sollte.

In einem nachhaltigen Modell müssen ferner die Rollen der am Governance-Prozess beteiligten Akteure klar definiert sein, unter anderem die Rolle der Behörden, damit diese ihre politische Verantwortung im Einklang mit den im Online-Bereich geltenden Menschenrechten wahrnehmen können. 14 Nachhaltigkeit erfordert auch ein gemeinsames Bekenntnis aller Akteure zu kohärent ausgestalteten Internet-Governance-Grundsätzen.

Ferner sind Mechanismen zur Rechenschaftspflicht für Akteure des Internetumfelds unerlässlich (z.B. für Organisationen, die für zentrale Internet-Funktionen zuständig sind). Im Rahmen von Mechanismen wie der Selbstbeurteilung und unabhängigen Peer-ReviewGutachten können die Umsetzung gefördert und Verbesserungen empfohlen werden.

Die "Affirmation of Commitments" der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) und ihre multilateralen Prüfgremien könnten für andere Organisationen und Verfahren als Vorbild dienen.

Die Kommission wird mit den folgenden Zielen mit den Akteuren in Dialog treten:

4. die Globalisierung GRUNDLEGENDER Entscheidungen über das INTERNET

Das Internet ist mittlerweile eine zentrale Infrastruktur mit globaler Dimension, die gut ohne eine strukturelle Aufsicht durch internationale zwischenstaatliche Einrichtungen funktioniert. Gleichwohl kann eine größere internationale Ausgewogenheit innerhalb der bestehenden Strukturen eine stärkere Legitimierung der gegenwärtigen Regelungen bewirken.

Im Jahr 2005 verpflichtete sich die Regierung der Vereinigten Staaten, die politischen Bedenken der Regierungen im Zusammenhang mit der Verwaltung der länderspezifischen Domänen oberster Stufe (ccTLD) zusammen mit der internationalen Gemeinschaft auszuräumen. 16 Dies ist jedoch noch nicht vollständig geschehen. In ihrer Mitteilung von 0917 wies die Europäische Kommission auf die noch unvollständige Internationalisierung der Kernfunktionen und wichtigsten Organisationen des Internets hin.

Seit 2009 hat die ICANN Schritte in diese Richtung unternommen, insbesondere die Errichtung von Zweigstellen in Istanbul und Singapur im Jahr 2013. Diese Schritte sind willkommen, der Status der ICANN als eine dem kalifornischen Recht unterliegende Organisation mit einem Vertragsverhältnis zu einem einzigen Land hat sich jedoch nicht geändert. Die ausschließliche Beziehung der ICANN zu einer einzigen Regierung geht - wie die Affirmation of Commitments zeigt - auf die Entstehungsgeschichte des Internets zurück, das inzwischen eine unverzichtbare Stützfunktion für Gesellschaften und Volkswirtschaften in der ganzen Welt hat, und muss im Zeitalter des Internets globaler werden. Im Oktober 2013 haben die Leiter von Organisationen, die für die Koordinierung der technischen Infrastruktur des Internets zuständig sind, in ihrer Erklärung von Montevideo18 über die Zukunft der Internet-Zusammenarbeit dazu aufgerufen, die Globalisierung der von der ICANN und der IANA ausgeübten Funktionen zu beschleunigen. Auf der globalen Multi-StakeholderKonferenz über die Zukunft der Internet-Governance, die im April 2014 von Brasilien ausgerichtet wird, dürften konkrete und durchsetzbare Schritte hin zur Globalisierung der Funktionen von ICANN und IANA aufgezeigt werden. 19

Die Kommission wird mit allen Akteuren zusammenarbeiten,

5. MULTI-STAKEHOLDER-PROZESS

Partizipative Prozesse im Zusammenhang mit dem Internet finden bisher in unterschiedlicher Weise statt, in Form der einfachen Vernetzung bis hin zu Beschlüssen mit globalen Auswirkungen, wie denen der ICANN und den Verfahren der Internet Engineering Task Force (IETF)20 zur Festlegung von Spezifikationen. Die Tatsache, dass ein Prozess als MultiStakeholder-Prozess bezeichnet wird, garantiert nicht per se, dass die Ergebnisse auch weithin als legitimiert angesehen werden. Die Kommission setzt sich auch weiterhin für ein echtes Multi-Stakeholder-Konzept für die Internet-Governance ein, das diese Legitimierung gewährleistet.

Zur Stärkung des Multi-Stakeholder-Modells schlägt die Europäische Kommission vor, dass Multi-Stakeholder-Prozesse im Zusammenhang mit Internet-Strategien neben ihrer Vereinbarkeit mit den Grundrechten mindestens folgende Anforderungen erfüllen müssen:

Darüber hinaus sollten im Rahmen von Multi-Stakeholder-Konzepten angemessene Schritte unternommen werden, um die beträchtlichen Unterschiede hinsichtlich der Beteiligungsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Gruppen von Akteuren zu berücksichtigen, damit eine bessere Repräsentativität, z.B. durch Fernteilnahme, gewährleistet ist. Ferner sollte anerkannt werden, dass die verschiedenen Phasen der Entscheidungsfindung jeweils eigene Anforderungen stellen und möglicherweise die Einbeziehung unterschiedlicher Gruppen von Akteuren erfordern. Die Kommission begrüßt es, dass einige Akteure dabei sind, Leitlinien für eine multilaterale Mitbestimmung auszuarbeiten, und ruft dazu auf, diese Bemühungen fortzusetzen. Solide partizipative Prozesse spielen weiterhin eine wesentliche Rolle für die künftige Internet-Governance. Gleichzeitig sollten sie die Fähigkeit der Behörden, deren Befugnisse und Legitimierung auf demokratische Prozesse zurückgehen, nicht an der Erfüllung ihrer Pflichten in Bezug auf die öffentliche Ordnung hindern, vorausgesetzt, sie stehen im Einklang mit den universellen Menschenrechten. Dazu gehört auch ihr Recht auf Eingreifen durch Regulierungsmaßnahmen, sofern dies erforderlich ist.

Die Europäische Kommission bekennt sich nachdrücklich zum Multi-StakeholderModell für die Internet-Governance. Die Kommission ruft die Akteure dazu auf, die Nachhaltigkeit des Modells dadurch weiter zu stärken, dass mehr Einbeziehung, Transparenz und Rechenschaftspflicht von den Akteuren und den Prozessen gefordert wird.

Die Kommission wird gemeinsam mit den Akteuren an einem Austausch bewährter Verfahren arbeiten.

Einbeziehung und Mitwirkung ermöglichen

Die Vielfalt der internetbezogenen Politikbereiche mit ihrem komplexen institutionellen

Rahmen hindert viele Akteure daran, sich wirksam in die Internetpolitik einzubringen.

Dadurch kann der allgemeine Eindruck der Ausgrenzung und Entmündigung entstehen. In diesem Zusammenhang müssen auch die Belange von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden. 21 Ferner sind weitere Anstrengungen erforderlich, um die MultiStakeholder-Strukturen in Ländern auszuweiten, deren Akteure derzeit nicht hinreichend vertreten sind. Die Unterstützung der europäischen und nordamerikanischen regionalen Internet-Registrierungsstellen (Regional Internet Registries) bei der Errichtung der afrikanischen regionalen Internet-Registrierungsstelle ist dafür ein gutes Beispiel.

Eine Möglichkeit zur Lösung der Mitwirkungsproblematik besteht darin, den Zugang zu Foren und Informationen durch die Fernteilnahme an Sitzungen als Regel vorzusehen. Künftig kann auch die Anwendung von Data-Mining- und Visualisierungstools auf frei verfügbare Daten und Informationen zur Internet-Politik und -Governance eine breitere Beteiligung der Akteure möglich machen.

Die Kommission plant die Entwicklung einer Online-Plattform, des Global Internet Policy Observatory (GIPO)22, einer Internet-Politik-Beobachtungsstelle, über die solche Informationen zusammengeführt und einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden können. Die GIPO soll als globale Online-Plattform für die Beobachtung von internetbezogenen politischen und regulatorischen Maßnahmen und technologischen Entwicklungen dazu beitragen, Verbindungen zwischen verschiedenen Foren und Debatten herzustellen, um die Isolation einzelner Politikbereiche zu überwinden und Informationen in ihren Kontext zu stellen. Dadurch könnten sich Akteure mit begrenzten Mitteln leichter in die Internet-Governance und -Politik einarbeiten und einbringen. 23

Die Kommission schlägt die technische Entwicklung des Global Internet Policy Observatory (GIPO) im Jahr 2014 als weltweite Ressource vor.

Die Kommission fordert alle Akteure auf, am Aufbau von Kapazitäten zur Festlegung und Weiterentwicklung von Multi-Stakeholder-Prozessen in Ländern und Regionen mitzuwirken, in denen diese Verfahren noch nicht oder bisher nur in geringerem Maße entwickelt sind.

Die Kommission wird 2014 zusammen mit den Empfängern ihr Entwicklungshilfsprogramm zur Unterstützung der Entwicklung der Medien und Meinungsfreiheit und des Kapazitätsaufbaus im internetbezogenen technischen, politischen und juristischen Bereich ausbauen.

Auf nationaler Ebene gibt es bereits eine gewisse Erfahrung mit der Anwendung eines MultiStakeholder-Modells zur Ausgestaltung internetbezogener Strategien. In der EU sind Beispiele dafür der französische Conseil National du Numérique und die britische Multistakeholder Advisory Group on Internet Governance. Als herausragendes Beispiel außerhalb der Union ist das brasilianische Comitê Gestor da Internet zu nennen, das den Multi-Stakeholder-Prozess für Konsultationen bei der Ausarbeitung internetbezogener Strategien nutzt .24 Ähnliche Ansätze könnten auf europäischer Ebene sinnvoll eingesetzt werden, um die Zersplitterung der Internet-Governance-Politik auf ein Minimum zu beschränken. Sie könnten sich auf Erfahrungen bestehender Netze stützen. 25 Dies würde dem Erfordernis eines früh ansetzenden, vorgeschalteten Konsultationsmechanismus entsprechen, der durch einen ständigen Dialog mit zahlreichen Gruppen von Akteuren dem raschen technologischen Wandel und den Auswirkungen daraus resultierender Internet-GovernanceMaßnahmen gerecht wird. Eine weitere wichtige Funktion ist die Unterstützung der Koordinierungstätigkeit der bereits bestehenden beratenden Gremien in der EU, wo dies angebracht erscheint. Die Kommission muss in der Lage sein, mit den sehr unterschiedlichen Internet-Akteuren in Europa, einschließlich Initiativen an der Basis, die einen festen Bestandteil der Internetkultur bilden, nutzbringende Beziehungen zu unterhalten.

Die Kommission wird umfassende Konsultationen mit der Zivilgesellschaft, technischen und akademischen Kreisen und der europäischen Industrie sowie dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten zu der Frage durchführen, wie eine angemessene, transparente Einbeziehung aller Akteure in die Ausarbeitung künftiger europäischer Internet-Governance-Strategien erreicht werden kann.

6. technische NORMEN , die das Internet PRÄGEN

Die technischen Details der Internet-Protokolle und andere Spezifikationen in der Informationstechnologie können erhebliche Auswirkungen auf Fragen der öffentlichen Ordnung haben. Ihre Gestaltung kann Folgen für die Menschenrechte haben, z.B. die Rechte von Nutzern auf Datenschutz und Datensicherheit, ihre Möglichkeiten, Zugang zu Wissen und Informationen zu erhalten, und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet. Sie haben ferner Auswirkungen auf andere Akteure (u.a. auf Unternehmen, die den elektronischen Geschäftsverkehr nutzen), deren Sicherheitsbelange ebenfalls berücksichtigt werden müssen.

Die Kommission begrüßt die Bemühungen der technischen Kreise, Konzepte für die Festlegung von Spezifikationen einzuführen, die sich an Belangen der öffentlichen Ordnung orientieren. Positive Beispiele dafür sind die technischen Leitlinien für Datenschutzerwägungen im Zusammenhang mit neuen Protokollen 26, die Anerkennung der Mehrsprachigkeit bei internationalen Domänennamen sowie Normen zur Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen. Solche Anstrengungen sind deshalb besonders wichtig, weil IP-gestützte Technologien zunehmend in herkömmlichen Wirtschaftszweigen wie im Energie-, Verkehrs-, Finanz- und Gesundheitsbereich genutzt werden.

Aber selbst dort, wo die technische Diskussion ein offener Prozess ist, werden zentrale Entscheidungen vielfach von technischen Sachverständigen ohne die breite Beteiligung anderer Akteure getroffen. Ein wirksamer Multi-Stakeholder-Ansatz bei der Festlegung von Spezifikationen für das Internet wird auf einem effizienten Zusammenwirken zwischen technischen Erwägungen und Erwägungen zur öffentlichen Ordnung 27 beruhen, damit Belange der öffentlichen Ordnung systematischer in technische Spezifikationen einfließen. Dies ist besonders dann wichtig, wenn die eindeutig verbrieften Rechte des Einzelnen, insbesondere die Menschenrechte, betroffen sind. Gleichzeitig erfolgt die Verteilung und Verwaltung von Internet-Ressourcen nach Regeln, die im Rahmen von Multi-StakeholderProzessen aufgestellt werden.

Die Auswirkungen dieser Entwicklung bei der Festlegung internetbezogener Normen erfordern eine offene öffentliche Debatte mit allen Beteiligten.

Ferner ist es wichtig, die Implementierung offener Standards durch die europäische Internet-Branche sowie deren Beteiligung an der Entwicklung offener Internet-Standards zu unterstützen.

Die Kommission schlägt vor, gemeinsam mit den Betroffenen, darunter der europäischen Internet-Branche, Workshops mit internationalen Sachverständigen auf den Gebieten Recht, Ethik28, Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, internationale Beziehungen und Technologie zu organisieren. Als Ergebnis werden konkrete, durchsetzbare Empfehlungen zur Gewährleistung der Kohärenz zwischen bestehenden normativen Regelwerken und neuen Formen der Normsetzung für das Internet erwartet.

Die Kommission fordert alle Beteiligten auf, strukturierte Mechanismen auszubauen (oder gegebenenfalls zu schaffen), damit eine regelmäßige und frühzeitige vorgelagerte Mitwirkung, Überprüfung und Bewertung seitens aller Akteure im Rahmen technischer Entscheidungen möglich wird. Diese strukturierten Mechanismen sollten auch Bemühungen um die Vereinbarkeit technischer Entscheidungen mit den Menschenrechten beinhalten.

7. Vertrauen SCHAFFEN

Vertrauen in das Internet und in die Internet-Governance ist eine Grundvoraussetzung, wenn das Potenzial des Internets als Motor für Wirtschaftswachstum und Innovation ausgeschöpft werden soll. Sicherheit, Stabilität und Ausfallsicherheit des Internets sind von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen der digitalen Welt zu erhalten und zu steigern.

Die Kommission begegnet diesen Herausforderungen, insbesondere durch die Reform des EU-Rechtsrahmens für den Datenschutz 29, die wirksame Bekämpfung der Cyberkriminalität und ihr ehrgeiziges Konzept zur Cybersicherheit, u.a. die Cybersicherheitsstrategie30. Diese Strategie zielt darauf ab, das Online-Umfeld der EU zu einem der sichersten der Welt zu machen, in dem die Grundrechte zugleich gewahrt und gefördert werden. 31 Bei immer mehr Tätigkeiten im Internet werden die Menschen an der Ausübung ihrer Grundrechte gehindert.

Cyberkriminalität, darunter Missbrauch von Kindern im Internet 32, Identitätsdiebstahl, CyberAngriffe, Betrug im bargeldlosen Zahlungsverkehr, aber auch andere Formen der unrechtmäßigen Verarbeitung personenbezogener Daten, untergraben in hohem Maße das Vertrauen in die Nutzung des Internet. Die Kommission ist entschlossen, die Cyberkriminalität rigoros zu bekämpfen.

Die technischen Kreise spielen eine zentrale Rolle, unter anderem indem sie Vertrauen in die IP-gestützte Kommunikation und die Zuverlässigkeit von Kryptosystemen für eine noch verlässlichere IP-gestützte Kommunikation schaffen. Dadurch können der Kampf gegen die Cyber-Kriminalität und der Schutz der Privatsphäre der Nutzer unterstützt werden.

Flächendeckende Überwachung und nachrichtendienstliche Aktivitäten haben ebenfalls zu einem Vertrauensverlust in Bezug auf das Internet und die gegenwärtige Internet-Governance geführt. Die Kommission hat sich einiger dieser Bedenken angenommen, z.B. in ihrer Mitteilung über die Wiederherstellung des Vertrauens in die grenzüberschreitende Übermittlung personenbezogener Daten33.

Auch die Auswirkungen auf die globale InternetGovernance müssen behandelt werden.

Die Kommission wird gemeinsam mit dem Rat und dem Parlament auf eine rasche Annahme und Umsetzung der wichtigsten Rechtsvorschriften, einschließlich der Reform des Datenschutzrechtsrahmens und der vorgeschlagenen Richtlinie über Netz- und Informationssicherheit, hinarbeiten, um das Vertrauen in das Online-Umfeld zu erhöhen.

Die Kommission ist entschlossen, gemeinsam mit den Partnern an der Wiederherstellung des Vertrauens in das Internet als einer wesentlichen Voraussetzung für die nachhaltige Zukunft eines offenen Internets zu arbeiten. Dazu gehört auch die Stärkung der globalen Internet-Governance.

8. EINANDER WIDERSPRECHENDE gerichtliche ZUSTÄNDIGKEITEN und RECHTSVORSCHRIFTEN

Wie andere grenzüberschreitende Tätigkeiten stellt das Internet eine Reihe von Herausforderungen für die Rechtsanwendung dar. Obwohl diese Herausforderungen nicht immer internetspezifisch sind, ist es angesichts der schieren Menge der online vorgenommenen grenzüberschreitenden Transaktionen erforderlich, genauer darüber nachzudenken, wie das bestehende Recht im Internet anzuwenden ist.

Die exterritoriale Anwendung nationalen Rechts, die sich oft nach der geografischen Zuordnung im Domänennamensystem richtet, hat zu zahlreichen widersprüchlichen Rechtsentscheidungen geführt34. Dies kann zum Beispiel zu Fällen führen, in denen Domänennamen, die in einem Rechtsraum genutzt werden, je nach geografischem Standort der Registrierungsstelle oder des Registers auf der Grundlage von in einem anderen Rechtsraum geltenden Bestimmungen widerrufen werden.

Darüber hinaus sind viele Tätigkeiten im Internet zunehmend auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen zwischen Privatunternehmen und Internetnutzern geregelt. In diesem Zusammenhang sind auch außervertragliche Verpflichtungen von im elektronischen Geschäftsverkehr tätigen Händlern und Zwischenhändlern von Bedeutung. Die Komplexität und in einigen Fällen die Undurchsichtigkeit dieser Regelungen, u.a. hinsichtlich der Bestimmungen über die gerichtliche Zuständigkeit und die anwendbaren Gesetze, können zu einer gewissen Rechtsunsicherheit führen.

Im Privatrecht gibt es für bestimmte Bereiche insbesondere im Hinblick auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse einheitliche europäische Bestimmungen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. In diesen Vorschriften sind derartige Probleme innerhalb der Europäischen Union geregelt. Auf internationaler Ebene sind die Bestimmungen über kollidierende Rechtsnormen dagegen unzureichend, was zu ungelösten Widersprüchen zwischen dem EU-Recht und dem in Drittländern geltenden Recht führt. Insbesondere bei internetbezogenen Dienstleistungen wie Cloud-Computing-Diensten, die naturgemäß grenzübergreifend sind, kann diese Komplexität auf internationaler Ebene das Wachstum hemmen.

Bei der Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld zwischen dem internationalen Internet einerseits und nationalen Rechtsräumen andererseits sollte auch berücksichtigt werden, dass die Vielfalt der Fälle, die Gegenstand von kollidierenden Rechtsvorschriften sein können, mehr als nur einen einzigen Mechanismus erforderlich machen.

Die Europäische Kommission wird eine eingehende Überprüfung der auf internationaler Ebene bestehenden Risiken aufgrund kollidierender Rechtsnormen und gerichtlicher Zuständigkeiten im Internetumfeld einleiten und alle verfügbaren und notwendigen Mechanismen, Verfahren und Instrumente evaluieren, um diese Widersprüchlichkeiten aufzulösen. Sie wird anschließend alle Handlungsoptionen für Maßnahmen auf Unions- oder internationaler Ebene, gegebenenfalls auch Legislativinitiativen oder zusätzliche Leitlinien (einschließlich einer angemessenen Folgenabschätzung) sorgfältig prüfen. Diese Arbeit wird auf bestehenden Konzepten aufbauen.

9. SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die Europäische Union und die Weltgemeinschaft müssen einen bewussten Standpunkt zur künftigen Form und Gestaltung der Internet-Governance beziehen. Die Kommission ist überzeugt, dass die Organe der EU und die Mitgliedstaaten eine gemeinsame Zielvorstellung für ein zukunftsfähiges Model der Internet-Governance brauchen. Die Kommission plant die Vorlage eines Fortschrittsberichts über die Hauptaspekte dieser Mitteilung vor dem Hintergrund der globalen Entwicklungen im Bereich der Internet-Governance für das Jahr 2015.

Das Internet sollte ein einziges, offenes, freies, unfragmentiertes Netz der Netze bleiben, das denselben Gesetzen und Normen unterliegt, die auch in anderen Bereichen unseres täglichen Lebens gelten. Die Internet-Governance sollte sich auf ein Multi-StakeholderGovernance-Modell der Mitwirkung, Transparenz und Rechenschaftspflicht stützen; etwaige Regulierungsmaßnahmen zur Erreichung von Zielen des öffentlichen Interesses wie Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Wahrung demokratischer Werte sowie der sprachlichen und kulturellen Vielfalt und Sorge für das Wohl besonders schutzbedürftiger Personen bleiben davon unberührt. Eine sichere, solide und robuste Netzarchitektur ist die Grundlage für das Vertrauen der Internetnutzer. Gleichzeitig muss - aufbauend auf einen gestärkten digitalen, mit der Welt vernetzten Binnenmarkt - die Innovationskraft des Internets unter der uneingeschränkten Beteiligung der europäischen Internetwirtschaft gewahrt bleiben. Dies erfordert eine behutsame und dennoch solide Begleitung.

Die Europäische Union ist gut aufgestellt, um ihren Beitrag zu einer verantwortungsvollen Regulierung und Verwaltung des Internets zu leisten, das sich zu einer modernen, vernetzten Gesellschaft, mit verzweigten Zuständigkeits- und Entscheidungszentren weiterentwickelt. Die Kommission ersucht den Rat und das Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen sowie die Mitgliedstaaten, sich auf eine gemeinsame Zielvorstellung im Sinne dieser Mitteilung zu einigen und diese in künftigen internationalen Debatten gemeinsam zu verteidigen.