Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Grünbuch der Kommission über unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa - COM (2013) 37 final

Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet.

Hinweis: vgl.
Drucksache 824/09 (PDF) = AE-Nr. 090918,
Drucksache 232/11 (PDF) = AE-Nr. 110287 und AE-Nr. . 061275, 100538

Brüssel, den 31.1.2013
COM (2013) 37 final

Grünbuch über unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa (Text von Bedeutung für den EWR)

1. Einleitung

Die "Businesstobusiness"(B2B)-Lieferkette ist eine wesentliche Komponente der europäischen Wirtschaft. Diese Kette, über die Produkte und Dienstleistungen vom Lieferanten zum Verbraucher gelangen, wirkt sich unmittelbar auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung aus. Dienstleistungen in Handel und Vertrieb haben einen Anteil von 4,3 % am EU-BIP, auf sie entfallen 18,7 Millionen (bzw. 8,3 %) der Arbeitsplätze in der EU, und 17 % der KMU in der EU sind in diesem Sektor tätig.1 Durch diese Dienstleistungen wird sichergestellt, dass Waren und Dienstleistungen aus anderen Wirtschaftssektoren, wie Landwirtschaft, verarbeitender Industrie, Logistik und IT-Diensten, den Verbraucher erreichen.

Gegenstand des vorliegenden Grünbuchs ist die B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel, also die Kette der Transaktionen zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen, an deren Ende die Auslieferung von Produkten steht, welche in erster Linie für die Allgemeinbevölkerung, nämlich für den persönlichen Ver- oder Gebrauch bzw. für Privathaushalte, bestimmt sind. Die Lieferkette setzt sich aus verschiedenen Akteuren (Produzenten/Verarbeitern/Vertriebsunternehmen) zusammen, die alle Einfluss auf den vom Verbraucher zu zahlenden Endpreis haben. Dieser Einfluss ist unterschiedlich groß, je nachdem, um welchen Bereich des Lebensmittelsektors oder des Nicht-Lebensmittel-Sektors es geht. Eine gut funktionierende B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel ist von essenzieller Bedeutung, wenn das wirtschaftliche Potenzial dieser Sektoren maximal ausgeschöpft werden soll.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die B2B-Lieferkette bei Lebensmitteln wie auch bei Nicht-Lebensmitteln aus wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Gründen erheblich verändert. Die EU-weite verstärkte Konzentration und vertikale Integration hat zu strukturellen Veränderungen in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel geführt. Im Bestreben, durch Mobilisierung einer größeren Kaufkraft im Einkauf Skaleneffekte zu erzielen, haben sich verschiedene internationale Einzelhändler-Einkaufsallianzen gebildet. Im Zuge eines wachsenden Angebots an Eigenmarken der Händler sind manche von ihnen zu direkten Konkurrenten ihrer Lieferanten geworden. Einige wenige relativ starke Akteure der Lieferkette scheinen über beträchtliche Verhandlungsmacht zu verfügen.

Diese Faktoren können mitunter zu unlauteren Handelspraktiken in den Beziehungen entlang der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel führen. Unlautere Handelspraktiken sind Vorgehensweisen, die gröblich von der guten Handelspraxis abweichen und gegen das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs verstoßen. Unlautere Handelspraktiken werden typischerweise in einer Situation eines Ungleichgewichts der schwächeren Partei durch die stärkere Partei aufgezwungen; sie können auf jeder Seite der B2B-Beziehung und in jeder Stufe der Lieferkette auftreten.

Auf EU-Ebene hat man sich mit unlauteren Handelspraktiken erstmals 2009 im Zusammenhang mit dem EU-Lebensmittelsektor befasst, als die Verbraucherpreise vor dem Hintergrund der für Agrarerzeugnisse zu zahlenden Rekordpreise anstiegen. Der Mangel an Markttransparenz, die unausgewogene Verteilung der Verhandlungsmacht und wettbewerbswidrige Praktiken hatten offenbar zu Marktverzerrungen geführt, die potenzielle negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Lebensmittelversorgungskette haben konnten. Daraus erwuchs die Notwendigkeit, die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette zu analysieren. Die Kommission gelangte zu der Auffassung, dass den Verbrauchern - was Produktpalette und Preise anbelangt - keine ausreichend fairen Angebote gemacht werden und dass Zwischenhändler / lebensmittelverarbeitende Industrie / Einzelhändler die Gewinnspanne der landwirtschaftlichen Erzeuger schmälern.2 In der Tat hat die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette nicht nur Auswirkungen auf den Alltag der EU-Bürgerinnen und Bürger, die etwa 14 % ihres Haushaltsbudgets für Lebensmittel aufwenden3, sondern auch auf das Funktionieren von Wirtschaftssektoren wie Landwirtschaft, lebensmittelverarbeitender Industrie und Einzelhandel. Zudem waren die realen Lebensmittelpreise allein im Jahr 2008 um über 3 % gestiegen4, was zu einem Verlust an Kaufkraft und an Verbrauchervertrauen geführt hatte und zu einem der Haupttreiber der allgemeinen Preisinflation geworden war. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2010 innerhalb des Hochrangigen Forums für die Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette eine Expertenplattform für B2B-Vertragspraktiken eingerichtet. Im Jahr 2011 hat die Expertenplattform eine Reihe von Grundsätzen sowie Beispiele fairer und unfairer Praktiken in den vertikalen Beziehungen entlang der Lebensmittelversorgungskette formuliert, die von elf Organisationen verschiedener Interessenträger innerhalb der Lebensmittelversorgungskette in Europa unterzeichnet wurden5. Im Jahr 2012 hat die Plattform an der Konzipierung eines Durchsetzungsmechanismus gearbeitet. Trotz der gemeinsamen Bemühungen fand der vorgeschlagene Rahmen bis zum Zeitpunkt der dritten Sitzung des Hochrangigen Forums, die am 5. Dezember 2012 stattfand, nicht die Unterstützung der Vertreter der gesamten Lieferkette und es konnten keine wirksamen Abhilfemaßnahmen bei Verstößen ermittelt werden. Acht6 der elf Organisationen kündigten jedoch ihre Absicht an, die Umsetzung der Grundsätze einer fairen Praxis Anfang 2013 auf freiwilliger Basis in die Wege zu leiten. Gleichzeitig arbeiten sämtliche Akteure weiter gemeinsam darauf hin, im Rahmen dieses sektorspezifischen Ansatzes zu einem Kompromiss zu finden. Die Kommission hat zudem das Mandat des Hochrangigen Forums bis zum 31. Dezember 2014 verlängert7 und wird die spezifischen Entwicklungen im Bereich der Lebensmittelversorgungskette und die erzielten Fortschritte weiterhin überwachen.

Parallel dazu werden die Dienststellen der Kommission eine Folgenabschätzung in Angriff nehmen, um die verschiedenen Optionen zur Behandlung der Problematik unlauterer Handelspraktiken zu bewerten. Im Rahmen der Folgenabschätzung soll auch geprüft werden, ob das Problem auf lokaler Ebene angegangen werden könnte oder ob es einer Lösung auf EU-Ebene bedarf. Dieser Ansatz wird auf den Arbeitsergebnissen des Hochrangigen Forums für den Lebensmittelsektor aufbauen und gleichzeitig allen denkbaren Lösungen Rechnung tragen - von der Selbstregulierung bis hin zu Legislativmaßnahmen. Auf dieser Grundlage wird die Kommission dann im zweiten Halbjahr 2013 weitere geeignete Schritte vorschlagen.

Unlautere Handelspraktiken waren bereits Gegenstand verschiedener Umfragen und Untersuchungen in mehreren Mitgliedstaaten8. Wie ein aktueller Bericht des Europäischen Wettbewerbsnetzes (ECN)9 bestätigt, stellen unlautere Handelspraktiken im Lebensmittelsektor aus der Sicht vieler nationaler Wettbewerbsbehörden ein Problem dar.

Allerdings wird darauf hingewiesen, dass unlautere Handelspraktiken - aus einer umfassenderen Perspektive betrachtet - nicht nur im Lebensmittelsektor, sondern auch in anderen Sektoren auftreten können. Mit Hilfe dieses Grünbuchs sollen einschlägige Informationen eingeholt werden. Verschiedene Faktoren könnten eine maßgebliche Rolle spielen: Zunächst einmal die Entwicklung des Einzelhandels in den Bereichen Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel hin zu einer "gemischten" Form, bei der die überwiegende Mehrheit der Einzelhändler unter derselben Geschäftsführung und zu denselben Bedingungen Lebensmittel, Haushaltswaren und andere Produkte anbietet. Zweitens die Tatsache, dass einige der größten Hersteller sowohl Lebensmittel als auch andere Waren wie Reinigungsmittel, Kosmetika oder Hygieneprodukte usw. anbieten, was sich erst recht angesichts der großen Bedeutung einiger Marken ebenfalls auf das Verhältnis zwischen Lieferanten und Einzelhändlern auswirken kann. Einschlägige Praktiken wurden in verschiedenen Sektoren identifiziert, unter anderem auch im Möbel- und Textilhandel10. Was den Bekleidungssektor anbelangt, wurden in einem Bericht aus dem Jahr 2007 über Geschäftsbeziehungen in der EU-Bekleidungslieferkette neun Praktiken im Verhältnis zwischen Herstellern und Einzelhändlern genannt, die als "unlauter" qualifiziert wurden. Dazu gehören unter anderem die automatische Inrechnungstellung der Werbekosten des Einzelhändlers, Rückbelastungen, Zahlungsverzögerungen, die Rücksendung nicht verkaufter Ware, die plötzliche Beendigung der Lieferbeziehung und die Verwertung von in Warenmuster eingeflossenen innovativen Konzepten. 11

Im Rahmen ihrer Arbeiten zur Überwachung des Handels- und Vertriebsmarktes 12 hat die Kommission auf die Existenz unlauterer Praktiken in verschiedenen Bereichen des Einzelhandels hingewiesen. Auch das Europäische Parlament erachtet es für notwendig, über den Bereich der Lebensmittelindustrie hinauszugehen, und forderte die Kommission auf, entsprechend tätig zu werden. 13 In der Binnenmarktakte 114 kündigte die Kommission ihre Absicht an, eine Initiative zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken zwischen Unternehmen auf den Weg zu bringen. Im Übrigen haben verschiedene in jüngster Zeit geführte Konsultationen mit Unternehmen die Existenz des Problems bestätigt. 15

Unlautere Handelspraktiken können sich negativ auf die EU-Wirtschaft und insbesondere auf die B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel auswirken. Sie können die Investitions- und Innovationskapazitäten von Unternehmen, insbesondere von KMU, beeinträchtigen. Zudem kann die Existenz fragmentierter nationaler Vorschriften zu einem zusätzlichen Hindernis für einen grenzüberschreitenden Einkauf und Vertrieb im Binnenmarkt werden.

Im vorliegenden Grünbuch werden die Probleme, die aus unlauteren Handelspraktiken in den Beziehungen entlang der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel erwachsen können, und die Probleme in Bezug auf die wirksame Durchsetzung nationaler Vorschriften zur Bekämpfung unlauterer Praktiken einer vorläufigen Bewertung unterzogen, wobei auch die entsprechenden Auswirkungen auf den Binnenmarkt berücksichtigt werden. Ferner sollen mit Hilfe des Grünbuchs weitere Fakten zusammengetragen und weitere Standpunkte eingeholt werden. Ziel des Grünbuchs ist es, mit den Interessenträgern in Konsultationen über diese Analysen einzutreten, Informationen zu beschaffen und gegebenenfalls etwaige nächste Schritte in diesem Bereich festzulegen.

Eine Verbesserung der Funktionsweise der Lieferkette würde die wirtschaftliche Integration befördern und bei der Behebung signifikanter Defizite des Binnenmarkts helfen, die ihren Grund in unlauteren Handelspraktiken und in der Fragmentierung der nationalen Rechtsvorschriften zu deren Bekämpfung haben. Dies wäre auch ein Beitrag zur Verwirklichung des umfassenderen Ziels der EU, bis 2020 eine intelligentere, nachhaltigere und integrativere Wirtschaft aufzubauen.

2. Definition des Begriffs "unlautere Handelspraktiken"

2.1. Der Begriff "unlautere Handelspraktiken"

Die Vertragsfreiheit ist ein Eckstein jeglicher B2B-Beziehungen in der Marktwirtschaft; Vertragsparteien sollten Verträge so ausgestalten können, wie es ihren Bedürfnissen am besten entspricht. Dies betrifft insbesondere unlautere Handelspraktiken in vorvertraglichen Verhandlungen, die anschließend in die Vertragsbedingungen Eingang finden. Damit die Vertragsfreiheit den Vertragsparteien zum gegenseitigen Nutzen gereicht, müssen diese in der Lage sein, die Vertragsbedingungen auch wirklich auszuhandeln. In bestimmten Fällen jedoch, in denen sich eine der Vertragsparteien in einer stärkeren Verhandlungsposition befindet, kann sie der schwächeren Partei einseitig Bedingungen diktieren und die Geschäftsbeziehung in allzu starkem Maße zu ihrem eigenen Vorteil ausgestalten und allein an ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen ausrichten. Insbesondere kann die betreffende Vertragspartei Bedingungen zugrunde legen, die in hohem Maße unausgewogen sind und die sie auch aufgrund ihrer Verhandlungsmacht nicht einzeln aushandeln wird. In derartigen Situationen ist die schwächere Partei unter Umständen nicht in der Lage, solche einseitig auferlegten ungünstigen Bedingungen abzulehnen, weil sie befürchten muss, dass der Vertrag dann nicht zustande kommt oder dass sie gar ganz aus dem Geschäft herausgedrängt wird. Derart ungleiche Verhandlungspositionen können auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen sein, z.B. einen erheblichen Unterschied in der relativen Größe / dem relativen Umsatz der Parteien, eine wirtschaftliche Abhängigkeit oder erhebliche versunkene Kosten, die einer der Parteien bereits entstanden sind (z.B. hohe Vorabinvestitionen).

Unlautere Geschäftspraktiken werden typischerweise in Situationen eines Ungleichgewichts von einer stärkeren Partei einer schwächeren Partei aufgezwungen, der es häufig nicht möglich ist, auf die durch mangelnde Fairness gekennzeichnete Beziehung zu verzichten und zu einem anderen Geschäftspartner zu wechseln, weil ein solcher Wechsel mit hohen Kosten verbunden wäre oder weil sich keine Alternativen bieten. Anzumerken ist, dass die Situation der Unausgewogenheit zu Lasten jeder Seite der B2B-Beziehung gehen kann: Sowohl Einzelhändler als auch Lieferanten können Opfer unlauterer Praktiken werden, die auf jeder Stufe der B2B-Lieferkette auftreten können. Derartige Situationen können sich beispielsweise für Agrarproduzenten ergeben, die häufig mit Blick auf den Absatz ihrer Erzeugnisse und die Auswahl ihrer Geschäftspartner lediglich über begrenzte Möglichkeiten verfügen und aufgrund der intrinsischen Eigenschaften vieler Waren möglicherweise nicht in der Lage sind, diese für einen längeren Zeitraum zu lagern, um bessere Einkaufskonditionen abzuwarten.

Derartige Praktiken sind etwa die Nichtbereitstellung ausreichender Informationen über die Vertragsbedingungen, das Verlangen von Zahlungen für Waren und Dienstleistungen, die für den Vertragspartner von keinerlei Wert sind, einseitige oder rückwirkende Änderungen der Vertragsbedingungen oder Zahlungen für fiktive Dienstleistungen, die die Vertragspartner davon abhalten, in anderen Mitgliedstaaten einzukaufen, was im Ergebnis zu einer regionalen Aufspaltung des Binnenmarkts führt.

Unlautere Handelspraktiken können in jeder Phase einer B2B-Beziehung zum Tragen kommen. Sie können bei der Aushandlung eines Vertrags angewandt werden, sie können Teil des Vertrags selbst sein oder sie können in der nachvertraglichen Phase auferlegt werden (z.B. rückwirkende Vertragsänderungen).

Unlautere Handelspraktiken nach Vertragsabschluss können schlicht und einfach in der Anwendung der missbräuchlichen Klauseln bestehen. Aber selbst wenn die Vertragsbedingungen für beide Seiten akzeptabel erscheinen, können Probleme auftreten. In der Regel decken Verträge nicht alle Aspekte des Verhaltens der Vertragsparteien in der Phase der Vertragsausführung ab, oder die Verträge sind so komplex, dass die Parteien nicht in vollem Umfang erfassen, was die Bestimmungen in der Praxis bedeuten. Außerdem haben die Parteien unter Umständen nicht denselben Informationsstand hinsichtlich der Implikationen des Geschäfts, was zu einem unfairen Verhalten der stärkeren gegenüber der schwächeren Partei führen kann. Hier befinden sich KMU generell in einer schwächeren

Position als größere Vertragspartner, da es ihnen an dem Fachwissen mangeln kann, das erforderlich ist, um die gesamte Tragweite der vereinbarten Bedingungen zu erfassen.

In einem optimal funktionierenden Markt würde ein Verlust an Vertrauen zwischen den Parteien zu einem Wechsel des Vertragspartners führen. Ist ein solcher Wechsel mit hohen Kosten verbunden oder besteht diese Möglichkeit nicht einmal, ergibt sich eine günstige Verhandlungsposition für die stärkere Partei, die sich dadurch zu einem unfairen Verhalten verleiten lassen kann.

Die Unmöglichkeit, zu einem anderen Geschäftspartner zu wechseln und die bestehende Geschäftsbeziehung zu beenden, spielt für die Herausbildung unlauterer Handelspraktiken eine zentrale Rolle. Hinzu kommt, dass die schwächere Partei häufig befürchtet, die Geschäftsbeziehung könne im Falle einer Beschwerde ihrerseits von der anderen Partei beendet werden. Dieser "Angstfaktor", aufgrund dessen sich die Wahrscheinlichkeit solcher Beschwerden deutlich verringert, ist somit einer der wichtigsten Aspekte, die es zu bedenken gilt, wenn es darum geht, die Eignung eines Durchsetzungsmechanismus zu bewerten. So scheinen beispielsweise 87 % der Lieferanten keine Maßnahmen zu ergreifen, die über Gespräche mit ihren Kunden hinausgehen. Fast zwei Drittel davon (65 %) verzichten auf weitere Schritte, weil sie "Vergeltungsmaßnahmen" befürchten, und 50 % zweifeln an der Wirksamkeit von Rechtsbehelfen. 16 Unlängst haben so gut wie alle Lieferanten und Produzenten, die von dem für die Beziehungen zwischen Lieferanten und Einzelhändlern im irischen Lebensmittelmarkt zuständigen Parlamentarischen Ausschuss eingeladen worden waren, um ihre Beziehungen zum Einzelhandel zu erörtern, abgelehnt, dies zu tun. 17 Zur Einholung der entsprechenden Informationen hat sich der Ausschuss schließlich für eine direkte Kontaktaufnahme auf vertraulicher Basis entschieden.

Fragen:

2.2. Beispiele unlauterer Handelspraktiken

Unlautere Handelspraktiken waren bereits Gegenstand verschiedener Umfragen und Untersuchungen, die häufig auf den Lebensmittelsektor abstellten.

In der Untersuchung der Wettbewerbskommission des Vereinigten Königreichs aus dem Jahr 2008 zur Belieferung von Lebensmittelgeschäften im Vereinigten Königreich 18 wurden 52 Praktiken identifiziert, von denen 26 angeblich das Potenzial hatten, aufgrund der Übertragung übermäßiger Risiken oder unerwarteter Kosten auf die Lieferanten für diese mit Blick auf ihre Einnahmen oder Kosten zu einem Unsicherheitsfaktor zu werden. Dabei ging es unter anderem um rückwirkende Preisanpassungen, um die rückwirkende Finanzierung von Werbemaßnahmen sowie andere Praktiken, die letztlich eine nachträgliche Anpassung von vorab getroffenen Liefervereinbarungen bewirken.

Im Bericht der spanischen Wettbewerbsbehörde über die Beziehungen zwischen Lieferanten und Einzelhändlern im Lebensmittelsektor 19 wurden 18 Praktiken zwischen Herstellern und Einzelhändlern ermittelt, die in drei Kategorien unterteilt wurden:

Der Bericht des irischen parlamentarischen Ausschusses verweist auf Behauptungen, denen zufolge bestimmte Einzelhändler sich eines "gravierenden Fehlverhaltens", der "Ausübung von Druck" und der "Einschüchterung" und sogar "illegaler Praktiken" gegenüber Lieferanten schuldig gemacht hätten, und stellt des Weiteren fest, dass viele Lieferanten unter missbräuchlichen Praktiken von Einzelhändlern zu leiden hätten, unter anderem unter unangemessenen Forderungen finanzieller "Beiträge", wenn sie sich weigerten, den Wünschen der Einzelhändler nachzukommen. 20

2.3. Potenzielle Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken

Die Anwendung unlauterer Handelspraktiken entlang der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel kann negative Folgen für die Unternehmen haben, wodurch wiederum die gesamte Wirtschaft geschädigt werden kann.

Die Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken auf die B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel lassen sich nur schwer quantifizieren, insbesondere aufgrund des Wesens der Problematik, aber auch aufgrund der Schwierigkeiten einer zahlenmäßigen Erfassung. Als potenzielle negative Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken werden kurzfristig wie langfristig auch die Konsequenzen für Investitionen und Innovation genannt.21 Die Kommission hat kürzlich eine Studie zur Entwicklung von Wahlmöglichkeiten und Innovationen im Lebensmitteleinzelhandel in Auftrag gegeben.

Ziel der Studie ist es unter anderem, quantitative Daten dazu verfügbar zu machen, ob es hier in den vergangenen Jahren im Zuge der Modernisierung und der Konzentration des Einzelhandels in der Europäischen Union zu Veränderungen gekommen ist.

In dem Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen, das dem Bericht über die Überwachung des Einzelhandelsmarktes beigefügt war, wurde als Beispiel der Fall von UHT-Milch in Frankreich angeführt; den Angaben des von FranceAgrimer verwalteten Observatoire des prix et des marges zufolge ist der Anteil des Erzeugerpreises (nicht der Marge) am Endkundenpreis für UHT-Milch im Zeitraum 2005-2009 von 32,2 % auf 25,9 % zurückgegangen, wodurch die Möglichkeiten der Erzeuger, Investitionen zu tätigen, eindeutig geschmälert wurden. Darüber hinaus wurde in dem Papier "Analysis on price transmission along the food chain in the EU"22, dem Begleitdokument zur Kommissionsmitteilung "Die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette in Europa verbessern", für den Zeitraum 2007-2009 eine relativ geringe und asymmetrische Preistransmission von landwirtschaftlichen Erzeugern an die Verbraucher in den analysierten Märkten (z.B. Schweinefleisch und Molkereiprodukte) ermittelt, was zum Teil auf etwaige Ungleichgewichte hinsichtlich der Verhandlungsmacht und/oder wettbewerbswidrige Praktiken in der Lebensmittelversorgungskette zurückzuführen sein könnte.

Viele unlautere Handelspraktiken können Zahlungsfragen betreffen, die unmittelbar damit zusammenhängen, wie die Preise zwischen Lieferanten, Zwischenhändlern und Einzelhändlern strukturiert sind. So ergibt sich aus der neuen Studie der finnischen Wettbewerbsbehörde über den Handel mit Gütern des täglichen Verbrauchs, dass 90 % der antwortenden Unternehmen so genannte "Vermarktungsprämien" zu zahlen hatten, wobei unklar blieb, welchem Zweck diese dienten. Mitunter waren diese Zahlungen eine Vorbedingung für die Handelsbeziehung, ohne dass eine "echte" Gegenleistung erbracht wurde.23

Aufgrund von Einnahmenverlusten und Unsicherheiten können sich unlautere Handelspraktiken negativ auf Investitionen und Innovation auswirken. Insbesondere kann die rückwirkende Anwendung missbräuchlicher Klauseln zu Unsicherheiten in der Geschäftsplanung und zur Zurückhaltung bei Investitionen führen. Wirtschaftlichkeitsberechnungen beinhalten die Bewertung potenzieller Risiken. Rückwirkende Änderungen oder die "missbräuchliche" Nutzung von Informationen können Unternehmen in ihren Möglichkeiten beschränken, zu investieren, zu innovieren, zu expandieren oder neue Produktlinien zu entwickeln. Dies wäre etwa der Fall, wenn unverkaufte und an den Lieferanten zurückgesandte Ware (z.B. saisonale Haushaltswaren oder Produkte mit begrenzter Lagerfähigkeit) trotz anderslautender vertraglicher Vereinbarungen nicht bezahlt wird - was Lieferanten unnötige Kosten aufbürden, Unsicherheiten schaffen und sich negativ auf die Investitionstätigkeit auswirken kann. Wenngleich die möglichen negativen Folgen unlauterer Handelspraktiken alle Akteure entlang der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel treffen, gilt dies jedoch in unverhältnismäßig hohem Maße für KMU: Häufig fehlt es ihnen an Fachkenntnissen in Bezug auf komplexe Verträge, zudem schlagen die Kosten eines Wechsels bei ihnen stärker zu Buche, sie verfügen über weniger Handelskontakte, ihre Bereitschaft, förmliche Durchsetzungsmechanismen in Anspruch zu nehmen, ist geringer und sie haben mächtigen Handelspartnern weniger entgegenzusetzen.

Darüber hinaus wird angeführt, dass sich unlautere Handelspraktiken negativ auf den grenzüberschreitenden Handel auswirken und das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen können. So kann es Lieferanten beispielsweise widerstreben, mit ausländischen Einzelhändlern Geschäftsbeziehungen einzugehen, weil sie befürchten, in einem ihnen fremden nationalen rechtlichen Kontext Opfer unlauterer Handelspraktiken zu werden. Dies ist selbstverständlich nicht das einzige Hindernis: Der Umfang grenzüberschreitender Vertragsabschlüsse innerhalb der Lieferkette in der EU ist von einem Mitgliedstaat zum anderen unterschiedlich - je nachdem, inwieweit es große, vertikal integrierte Einzelhändler gibt, wie hoch der Anteil der Online-Anbieter ist, um welches Segment des Einzelhandels es sich handelt und welche Rolle der Großhandel spielt.24 Unabhängig von diesen Faktoren können unlautere Handelspraktiken den Aufbau grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen behindern, was vor allem auf die Schwierigkeit zurückzuführen ist, einschlägige grenzüberschreitende Regelungen durchzusetzen.

Fragen:

3. Rechtsrahmen zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken

3.1. Fragmentierung der Rechtsrahmen auf nationaler Ebene

Im Laufe der Jahre hat die Problematik unlauterer Praktiken in den Beziehungen zwischen Lieferanten und Einkäufern für die Behörden zunehmend an politischer Bedeutung gewonnen. Entsprechend treffen Mitgliedstaaten Maßnahmen, um das Problem unlauterer Handelspraktiken in den Griff zu bekommen. Dabei schlagen sie allerdings unterschiedliche Wege ein. Dies hat dazu geführt, dass Umfang, Art und rechtliche Ausgestaltung des Schutzes vor unlauteren Handelspraktiken auf nationaler Ebene in erheblichem Maße divergieren.

Ausgangspunkt war häufig eine von nationalen Wettbewerbsbehörden durchgeführte Analyse zur Bewertung des Wettbewerbs im Einzelhandel und der Rolle unterschiedlicher Geschäftspraktiken in den Beziehungen zwischen Einzelhändlern und Lieferanten. 25

Verhältnis zwischen Wettbewerbsrecht und Rechtsvorschriften über unlautere Handelspraktiken

In diesem Kontext gilt es, zwischen Wettbewerbsrecht einerseits und Rechtsvorschriften zur Verhinderung unlauterer Praktiken andererseits zu unterscheiden. Vorschriften zur Bekämpfung unlauteren Handels verfolgen insofern ein anderes Ziel als das Wettbewerbsrecht, als sie vertragliche Beziehungen zwischen Unternehmen regeln, etwa durch Festlegung der Bedingungen, die Lieferanten den Vertriebsunternehmen anbieten müssen, und zwar unabhängig von den tatsächlichen oder vermuteten Auswirkungen auf den Wettbewerb am Markt. Das trifft insbesondere auf Rechtsvorschriften zu, mit denen Unternehmen untersagt wird, bei ihren Handelspartnern ungerechtfertigte, unverhältnismäßige oder keine Gegenleistungen umfassende Bedingungen zu erzwingen, zu erhalten oder den Versuch hierzu zu unternehmen. 26

Das Wettbewerbsrecht kann bestimmte unlautere Handelspraktiken in den Beziehungen entlang der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel erfassen. Es kann jedoch keinesfalls alle derartigen Praktiken abdecken, da es das Ziel verfolgt, den Wettbewerb am Markt zu schützen, und sich in der Regel mit Fragen der Marktmacht befasst.27 Einige Mitgliedstaaten verfügen über Wettbewerbsregeln über einseitige Handlungen, die beispielsweise ein missbräuchliches Verhalten gegenüber wirtschaftlich abhängigen Unternehmen und/oder die missbräuchliche Ausnutzung einer stärkeren Verhandlungsposition untersagen oder mit Sanktionen belegen.

Der aktuelle Bericht des Europäischen Wettbewerbsnetzes, dem die nationalen Wettbewerbsbehörden und die Europäische Kommission angehören, gelangte zu dem Schluss, dass bestimmte Handelspraktiken, die von vielen Beteiligten als unlauter angesehen werden, nicht in den Anwendungsbereich der auf EU-Ebene oder in den meisten Mitgliedstaaten geltenden Wettbewerbsvorschriften fallen. 28

Zivilrecht, Handelsrecht und unlautere Handelspraktiken

Soweit es um die Fairness in individuellen Geschäftsbeziehungen geht, bieten die Grundprinzipien des Zivil- und/oder des Handelsrechts unter Umständen einen gewissen Schutz vor unlauteren Handelspraktiken. Ein allgemeines Fairnessgebot gibt es in den meisten Mitgliedstaaten. In der Regel geht es dabei um Konzepte wie das des sittenwidrigen Verhaltens oder das der Vertragsausführung/-aushandlung im Einklang mit den Geboten von Treu und Glauben, der guten Sitten, der Billigkeit oder der Redlichkeit. Werden diese Grundsätze nicht eingehalten, ist ein Vertrag in der Regel null und nichtig oder gerichtlich nicht einklagbar.

Spezifische nationale Rechtsrahmen zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken

Einige Mitgliedstaaten haben den zivilrechtlich garantierten Schutz ausgeweitet, um die zunehmende Zahl von Fällen unlauterer Handelspraktiken mit abzudecken. 29 Dabei gelangten unterschiedliche nationale Instrumente zur Anwendung. Während in einigen Mitgliedstaaten die bevorzugte Option darin bestand, spezifische Rechtsvorschriften zu erlassen30, haben andere Mitgliedstaaten Verhaltenskodizes eingeführt bzw. gefördert oder beabsichtigen, dies zu tun31.

Ebenso bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich des Anwendungsbereichs der einschlägigen gesetzlichen oder Selbstregulierungsinstrumente. Während diese in einigen Mitgliedstaaten den Schutz vor unlauteren Handelspraktiken in der Einzelhandelslieferkette oder in einem bestimmten Sektor des Einzelhandels gewährleisten, haben die entsprechenden Vorschriften in anderen Mitgliedstaaten allgemeine Geltung. So existieren beispielsweise in Portugal32, Slowenien 33, Spanien 34, Belgiens und im Vereinigten Königreich36 Verhaltenskodizes, die die Lebensmittelversorgungskette betreffen37, und in den Niederlanden und in Irland ist die Einführung entsprechender Kodizes geplant. Die Tschechische Republik, Ungarn und Italien haben Gesetze zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken im Lebensmittelsektor erlassen. Auch im Kraftfahrzeugeinzelhandel wird vor allem auf Selbstregulierung gesetzt, um gegen unlautere Handelspraktiken vorzugehen. Die Vorschriften des französischen Handelsrechts zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken hingegen gelten generell für alle B2B-Beziehungen.

Im Übrigen kann davon ausgegangen werden, dass die aus der Unterschiedlichkeit der Rechtsvorschriften resultierenden Probleme innerhalb des Binnenmarkts im Zuge der intensiveren Nutzung des elektronischen Handels und generell der Globalisierung mit der Zeit noch zunehmen werden.

Die damit einhergehenden Unterschiede in Bezug auf den Schutz vor unlauteren Handelspraktiken können Unternehmen davon abhalten, außerhalb ihres Herkunftsmitgliedstaates tätig zu werden. Erschwerend hinzu kommt, dass die nationalen Rechtsrahmen häufigen Veränderungen unterworfen sind, was als Indiz dafür zu werten ist, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken nicht immer erfolgreich sind und dass sie der Herausbildung neuer unlauterer Praktiken Rechnung tragen müssen. Entsprechend machen Unternehmen, die von unlauteren Handelspraktiken betroffen sind, geltend, dass es schwierig und kostspielig ist, sich über ihre Rechte in den einzelnen Mitgliedstaaten kundig zu machen. Insbesondere gilt dies für KMU.

In Mitgliedstaaten, in denen kein spezifischer Rechtsrahmen für die Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken existiert, wird üblicherweise argumentiert, dass das allgemeine Wettbewerbsrecht ausreichend wirksam ist, um die Problematik anzugehen (Tschechische Republik), oder dass man nur ungern in die Vertragsfreiheit der Parteien eingreifen wolle (Vereinigtes Königreich), vor allem dann, wenn kein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln vorliegt38. Ein allgemeineres Argument, das ebenfalls häufig ins Feld geführt wird, betrifft die Wirksamkeit und die Notwendigkeit von Rechtsvorschriften über unlautere Handelspraktiken und deren potenzielle Auswirkungen, unter anderem auf die Preise.

3.2. Schutz vor unlauteren Handelspraktiken auf EU-Ebene

Auch wenn die Problematik der unlauteren Handelspraktiken im Kontext verschiedener jüngerer Initiativen39 aufgegriffen wurde, gibt es derzeit keinen spezifischen EU-Regulierungsrahmen für die Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel.

Das EU-Wettbewerbsrecht soll einen Beitrag zum Aufbau und zum Erhalt des Binnenmarkts und zum Wohlergehen der Verbraucher leisten. 40 Ziel ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen der Markt ordnungsgemäß funktionieren kann, wobei es nicht um die Problematik der Fairness in individuellen Geschäftsbeziehungen an sich geht, es sei denn, dass diese aufgrund der Existenz einer Marktmacht das Funktionieren des Marktes beeinträchtigen. Somit kann sich das EU-Wettbewerbsrecht nur mit einigen, aber keineswegs mit allen unlauteren Handelspraktiken befassen.

Auch andere sektorübergreifende EU-Instrumente zielen auf die Bekämpfung unlauterer Praktiken in Handelsbeziehungen ab. Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken41 deckt ausschließlich Beziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern ab, wobei allerdings anerkannt wird, dass die Notwendigkeit einer einschlägigen Maßnahme auf EU-Ebene für den B2B-Bereich sorgfältig geprüft werden muss.42 Diese Rechtsvorschrift dient der vollständigen Harmonisierung des Schutzes der Verbraucher - vor, während und nach geschäftlichen Transaktionen - vor Praktiken, die den Anforderungen der beruflichen Sorgfalt zuwiderlaufen und das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher beeinflussen können. Es steht den Mitgliedstaaten frei, den Geltungsbereich der Richtlinienbestimmungen auf die Praktiken zwischen Unternehmen auszuweiten, was in einigen Fällen auch geschehen ist. Die Richtlinie lässt das Vertragsrecht, insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags, unberührt. Was den Bereich der Vermarktung betrifft, enthält die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung43 bereits Vorschriften, die europaweit einen Mindestschutz Gewerbetreibender, und zwar von Kunden wie Wettbewerbern, vor irreführender Werbung gewährleisten. Die Kommission hat vor kurzem künftige Maßnahmen im Bereich irreführender B2B-Vermarktungspraktiken umrissen44, die unter anderem auch eine bessere Durchsetzung sowie materiellrechtliche Vorschriften zum Schutz der Unternehmen in Europa vor irreführenden Praktiken beinhalten. Insbesondere will die Kommission eine Überarbeitung der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung vorlegen.

Die Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug45 betrifft speziell die Problematik der Zahlungsbedingungen. Die Verordnungen 593/2008 und 864/2007 über das auf vertragliche respektive außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht hingegen enthalten umfassende Vorschriften, die festlegen, welches Recht im Falle von Streitigkeiten anzuwenden ist, bei denen es um unlautere Handelspraktiken geht, soweit diese vertragliche oder außervertragliche Verpflichtungen zwischen den Parteien betreffen.

Was sektorale Regelungen anbelangt, wurden für den Milch-/Molkereisektor Grundsätze für faire Vertragsbeziehungen eingeführt46, unter anderem die Verpflichtung zum Abschluss schriftlicher Verträge zwischen Landwirten und verarbeitenden Betrieben und die Verpflichtung für Ankäufer, Landwirten eine Mindestvertragslaufzeit anzubieten. Einige sektorale Selbstregulierungslösungen wurden auch auf EU-Ebene geprüft. Es ist darauf hinzuweisen, dass durch die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln 47 ausschließlich Verbraucher vor missbräuchlichen Vertragsklauseln geschützt werden. Dieser Richtlinie zufolge ist eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht. Im Rahmen der Legislativvorschläge zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik hat die Kommission ebenfalls eine Reihe sektoraler Initiativen auf den Weg gebracht, um einen redlichen Geschäftsverkehr in den B2B-Beziehungen im Fischerei- und Aquakultursektor zu fördern. 48

Einige Rechtsvorschriften auf EU-Ebene können zum Teil auch unlautere Handelspraktiken in Geschäftsbeziehungen erfassen. Auf diese Weise kann ein Flickenteppich von Vorschriften entstehen, die zum Tragen kommen können -je nachdem, um welche spezifischen Praktiken es geht oder wo das Unternehmen, das diese Praktiken anwendet, über Marktmacht verfügt. Generell genießt ein Unternehmen, das sich mit unlauteren Handelspraktiken seitens eines Geschäftspartners konfrontiert sieht, nach wie vor keinen EU-weit geltenden einheitlichen Schutz. Diese rechtliche Fragmentierung des Binnenmarkts kann Unternehmen entmutigen oder gar davon abhalten, außerhalb ihres Herkunftsmitgliedstaates tätig zu werden.

Im Jahr 2011 hat die Europäische Kommission einen einheitlichen Katalog von Kaufrechtsvorschriften vorgeschlagen, die auf grenzüberschreitende Käufe beweglicher Güter und digitaler Inhalte angewandt werden können. 49 Dieses Gemeinsame Europäische Kaufrecht ("Common European Sales Law" - CESL) wird fakultativen Charakter haben. Die Vertragsparteien können beschließen, dieses Recht anzuwenden, sind aber nicht dazu verpflichtet. Damit es in B2B-Beziehungen zur Anwendung gelangen kann, muss es sich bei mindestens einer Partei um ein KMU handeln. Zielgruppe sind nämlich insbesondere KMU, die vor einseitig aufgezwungenen ungünstigen Bedingungen geschützt werden sollen. Bei einigen Vorschriften wird es sich um Auffangbestimmungen handeln: So sieht das CESL beispielsweise vor, dass, wenn der Preis nicht ausdrücklich vereinbart wurde, der üblicherweise in vergleichbaren Situationen in Rechnung gestellte Preis zu zahlen ist, oder dass ein Vertrag mit unbestimmter Laufzeit von jeder Partei nur unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist beendet werden kann. Einige Bestimmungen, die ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Interessen beider Parteien gewährleisten sollen, sind so wichtig, dass sie obligatorisch sein werden:

Fragen:

4. Durchsetzung der Vorschriften zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken

4.1. Durchsetzungsmechanismen auf nationaler Ebene

Das Niveau des Schutzes der schwächeren Vertragspartei in einer B2B-Beziehung variiert von einem Mitgliedstaat zum anderen. Auf nationaler Ebene werden zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken unterschiedliche Durchsetzungsmechanismen angewandt. Unter anderem zählen dazu Rechtsbehelfe (in den meisten Mitgliedstaaten), etwaige Maßnahmen der Wettbewerbsbehörden gemäß den nationalen Vorschriften über einseitige Handlungen (z.B. in Spanien), Verwaltungsbeschwerden (z.B. in Frankreich) oder Ombudsleute (z.B. im Vereinigten Königreich).

Die Befugnisse der Durchsetzungsbehörden variieren je nach dem von dem betreffenden Mitgliedstaat angewandten Durchsetzungsinstrument. Einige Stellen dürfen keine anonymen Beschwerden entgegennehmen (z.B. Gerichte), andere können nicht die Anonymität der Beschwerdeführer während des gesamten Verfahrens sicherstellen (z.B. die Wettbewerbsbehörden in einigen Mitgliedstaaten), und einer dritten Kategorie von Stellen ist die Einleitung von Untersuchungen nur bei Vorliegen glaubwürdiger Beweise gestattet (z.B. dem "Adjudicator" nach dem "Groceries Supply Code of Practice" im Vereinigten Königreich oder dem Wirtschaftsministerium in Frankreich).

Die von den Mitgliedstaaten gewählten unterschiedlichen Ansätze zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken können zu einer erheblichen Fragmentierung des Binnenmarkts führen. Für Unternehmen, insbesondere für KMU, erweist es sich als schwierig, in Erfahrung zu bringen, welche Rechtsbehelfe in den einzelnen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen.

Schließlich hat eine kürzlich durchgeführte Befragung der Unternehmen gezeigt, dass ungeachtet der unterschiedlichen Ansätze der Mitgliedstaaten auch die bestehenden Durchsetzungsmechanismen als unzureichend erachtet werden (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Einschätzung der Hinlänglichkeit der bestehenden Durchsetzungsmechanismen in den Mitgliedstaaten (EBTP, 2012)

Dass es weithin an angemessenen Durchsetzungsmechanismen fehlt, die die schwächeren Vertragsparteien vor unlauteren Handelspraktiken schützen, behindert nach Ansicht der EBTP-Umfrage-Teilnehmer die Entwicklung der Unternehmen und des Handels, insbesondere in grenzüberschreitenden Kontexten. Erhebliche Auswirkungen hat dies für KMU, bei denen die Wahrscheinlichkeit am geringsten ist, dass sie über die erforderlichen Mittel verfügen, um - angesichts der Komplexität derartiger Verfahren und der eigenen Unkenntnis darüber, wie sie ihre Rechte mit den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln durchsetzen können - die potenziell hohen Kosten einer juristischen Vertretung tragen zu können.

4.2. Durchsetzungsmechanismen auf EU-Ebene

Wie bereits in Abschnitt 3.2 erwähnt, bestehen derzeit auf EU-Ebene keine speziellen Durchsetzungsmechanismen zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken. Es existieren jedoch durchaus verschiedene sektorübergreifende Instrumente, die allgemein Streitigkeiten und damit auch Streitigkeiten im Zusammenhang mit unlauteren Handelspraktiken abdecken. 50

Was irreführende Vermarktungspraktiken zwischen Unternehmen betrifft, hat die Kommission im Rahmen ihrer Überprüfung der Richtlinie 2006/114/EG im Jahr 2012 die Schaffung eines Verfahrens der Zusammenarbeit bei der Durchsetzung angekündigt 5 1, durch das die grenzüberschreitende Kooperation gestärkt und ein besserer Schutz vor den schädlichsten irreführenden Vermarktungspraktiken gewährleistet werden soll.

Wie bereits erwähnt, befassen sich die Vertreter der Akteure der Lebensmittelversorgungskette innerhalb des Hochrangigen Forums für eine bessere Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette auch mit verschiedenen Streitbeilegungsoptionen zur Durchsetzung der formulierten Grundsätze einer guten Praxis. Dabei handelt es sich um einen sektorspezifischen Ansatz, während im vorliegenden Grünbuch die Frage der unlauteren Handelspraktiken in den Beziehungen entlang der B2BLieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel unter Zugrundelegung eines sektorübergreifenden Ansatzes betrachtet wird. Parallel zu der mit diesem Grünbuch eingeleiteten Konsultation wird die Kommission die spezifischen Entwicklungen innerhalb der Lebensmittelversorgungskette überwachen und die Arbeiten zur Abschätzung der Folgen unterschiedlicher Optionen in Angriff nehmen mit dem Ziel, eine faire und wirksame Lösung für die Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken zu finden.

Trotz dieser sektorübergreifenden Instrumente, die bereits zur Bekämpfung der in Abschnitt 5 aufgeführten verschiedenen Arten unlauterer Handelspraktiken eingesetzt werden, ist es unter Umständen erforderlich sicherzustellen, dass in allen Mitgliedstaaten gemeinsame Durchsetzungsgrundsätze bestehen. Dabei könnte unter anderem ein geeignetes Mittel vorgesehen werden, um den weiter oben beschriebenen "Angstfaktor" auszuschließen, indem beispielsweise den zuständigen nationalen Behörden die Befugnisse übertragen wird, von Amts wegen tätig zu werden und anonyme Beschwerden entgegenzunehmen. Darüber hinaus sollten solche gemeinsamen Durchsetzungsgrundsätze vorsehen, dass die zuständigen Behörden berechtigt sind, geeignete Sanktionen zu verhängen. Denkbar wäre etwa unter anderem, dass sie die Einhaltung fairer Praktiken anordnen, für die Wiedergutmachung entstandener Schäden sorgen, Geldstrafen mit abschreckender Wirkung verhängen und öffentlich über ihre Erkenntnisse Bericht erstatten. Bestehende nationale Vorschriften könnten als Beispiele für besonders wirksame Durchsetzungsmechanismen dienen, die in einen gemeinsamen Katalog von Durchsetzungsgrundsätzen aufgenommen werden könnten.

Fragen:

5. Arten unlauterer Handelspraktiken

Die Ergebnisse der weiter oben erwähnten Umfragen und Untersuchungen zeigen, dass unlautere Handelspraktiken in vielen EU-Mitgliedstaaten als gängiges Phänomen in der B2BLieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel gesehen werden. Es wurden verschiedene Arten unlauterer Geschäftspraktiken oder damit zusammenhängender Probleme ermittelt, die im Folgenden beschrieben werden. Ausbauend auf den im Rahmen des Hochrangigen Forums für eine Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette formulierten Grundsätzen und zusammengestellten Beispielen fairer und unfairer Praktiken in den vertikalen Beziehungen entlang der Lebensmittelversorgungskette sowie auf den Arbeiten der Kommission im Bereich der B2BLieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel wurden sieben Arten unlauterer Praktiken identifiziert. Diese unlauteren Praktiken werden im Folgenden beschrieben. Gleichzeitig werden entsprechende faire Praktiken aufgezeigt, die Abhilfe schaffen könnten.

5.1. Mehrdeutige Vertragsbestimmungen

Die gängigste Form unlauterer Handelspraktiken besteht (nach den Ergebnissen der oben erwähnten Umfragen und Untersuchungen) in der Festlegung mehrdeutiger Vertragsbestimmungen, die es ermöglichen, der schwächeren Vertragspartei zusätzliche Verpflichtungen aufzuerlegen.

Eine faire Praxis könnte sich dadurch auszeichnen, dass die Vertragsparteien gewährleisten, dass Rechte und Pflichten, einschließlich Sanktionen, in klarer, transparenter und eindeutiger Weise vertraglich festgelegt werden. Die Vertragsparteien sollten präzise und umfassende Angaben zu ihren Geschäftsbeziehungen machen. Festgelegt werden könnte unter anderem, dass vertragliche Sanktionen dem erlittenen Schaden angemessen sein sollten. Verträge sollten Klauseln enthalten, die bestimmen, unter welchen Umständen und Bedingungen späteren Änderungen der Kosten bzw. Preise von Produkten oder Dienstleistungen zulässig sind.

5.2. Fehlen eines schriftlichen Vertrags

Es ist zu prüfen, unter welchen Umständen sich unlautere Handelspraktiken herausbilden. Zur Anwendung unlauterer Handelspraktiken kommt es eher, wenn Verträge nicht in schriftlicher Form abgefasst, da die Parteien in diesem Fall über keinen dauerhaften Nachweis der vereinbarten Bedingungen verfügen.

Eine faire Praxis könnte sich dadurch auszeichnen, dass die Vertragsparteien gewährleisten, dass Vereinbarungen in schriftlicher Form erfolgen, es sei denn, dies ist für eine oder beide Parteien nicht machbar. Der Inhalt mündlicher Verträge sollte nach deren Abschluss von mindestens einer Partei schriftlich bestätigt werden.

5.3. Rückwirkende Vertragsänderungen

Rückwirkende Änderungen wie etwa Abzüge vom Rechnungsbetrag zur Abgeltung von Werbeaufwendungen, einseitige Rabatte auf die verkauften Mengen, Regalgebühren usw. können auf den ersten Blick legitim erscheinen, aber dennoch unbillig sein, wenn sie nicht zuvor in hinreichend klarer Form vereinbart wurden.

Eine faire Praxis könnte sich dadurch auszeichnen, dass für beide Seiten akzeptable Bedingungen festgelegt werden. Jegliche Vereinbarung sollte genau darlegen, unter welchen Umständen die Parteien die Bedingungen gemeinsam, zeitnah und in Kenntnis der Sachlage ändern können und wie dies zu geschehen hat. Unter anderem sollte das Verfahren zur Festsetzung des erforderlichen Ausgleichs etwaiger Kosten erläutert werden, die einer der Vertragsparteien aufgrund einer Vertragsänderung entstehen können.

5.4. Unbillige Übertragung des kommerziellen Risikos

Gewisse Praktiken bedürfen unabhängig davon, ob sie vorab vereinbart wurden oder nicht, einer Überprüfung.

Eine wichtige Kategorie solcher Praktiken ist die Übertragung des Risikos auf die andere Partei, indem beispielsweise die Verantwortung für Warendiebstähle in vollem Umfang dem Lieferanten aufgebürdet wird (Schwundkosten), obgleich der Einzelhändler in der Regel am besten in der Lage wäre, Diebstähle bzw. das Verschwinden von Waren in seinen Räumlichkeiten zu verhindern. Wird das Diebstahlrisiko auf den Lieferanten übertragen, zeigen die Einzelhändler ein deutlich geringeres Interesse, geeignete Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Andere in diese Kategorie fallende Praktiken sind die Finanzierung eigengeschäftlicher Tätigkeiten der anderen Partei (wie etwa hoher Investitionen in neue Verkaufsstellen), die Verpflichtung zum Ausgleich von Verlusten des Handelspartners oder erhebliche Zahlungsverzögerungen.

Eine weitere unlautere Praxis, die Aufmerksamkeit verdient, ist die missbräuchliche Anwendung so genannter "Rückwärtsmargen". Diese Praxis ist Bestandteil vieler moderner Einzelhandelsgeschäftsmodelle und besteht darin, dass der Ankauf von Waren mit zusätzlichen Dienstleistungen gekoppelt wird, die der Einzelhändler dem Lieferanten gegen ein Entgelt anbietet (z.B. Werbe- und Transportentgelte, Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Nutzung von Regalflächen usw.). Zumeist sind derartige Praktiken legitim. In bestimmten Fällen können sie jedoch unverhältnismäßig und unbillig sein: In einigen Rechtsordnungen in der EU (z.B. in Frankreich) haben die Gerichte entschieden, dass die Erhebung von Listungsgeldern nur dann als gerechtfertigt zu betrachten ist, wenn sie für tatsächliche Dienstleistungen berechnet werden, verhältnismäßig sind und in transparenter Weise in Rechnung gestellt werden.

Eine faire Praxis könnte sich dadurch auszeichnen, dass die Vertragsparteien vereinbaren, dass jeder Beteiligte die Verantwortung für seine eigenen Risiken übernimmt und nicht in ungebührlicher Weise versucht, Risiken auf andere Parteien zu übertragen. Die Vertragsparteien sollten sich über die Bedingungen verständigen, die für den Beitrag zu eigengeschäftlichen Tätigkeiten und/oder Werbetätigkeiten der Parteien gelten. Entgelte für legitime Dienstleistungen sollten deren Wert entsprechen. Die Weiteren könnte festgelegt werden, dass in dem Fall, in dem zwischen beiden Parteien Listungsgelder vereinbart werden, diese dem Risiko angemessen sein sollten. Die Vertragsparteien sollten in keinem Fall Zahlungen für nicht erbrachte Dienstleistungen oder nicht gelieferte Waren oder Zahlungen, die offenkundig nicht dem Wert / den Kosten der erbrachten Dienstleistung entsprechen, verlangen dürfen.

5.5. Missbräuchliche Nutzung von Informationen

Die "missbräuchliche" Nutzung von Informationen durch eine Vertragspartei ist ein Merkmal verschiedener unlauterer Praktiken. Mag es legitim sein, dass eine Partei um bestimmte Informationen über die angebotenen Produkte ersucht, sollten die erhaltenen Detailinformationen dennoch nicht dafür genutzt werden, beispielsweise ein eigenes, konkurrierendes Produkt zu entwickeln und damit die schwächere Partei der Früchte ihrer Innovationstätigkeiten zu berauben. Die Kommission hat eine Studie über die wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte der Nutzung und widerrechtlichen Aneignung von vertraulichen Geschäftsinformationen und Handelsgeheimnissen sowie über entsprechende Rechtsstreitigkeiten veröffentlicht.52 In diese Kategorie fallen auch Praktiken wie die Weigerung, eine Vertraulichkeitsvereinbarung zu unterzeichnen, oder die Nichteinhaltung von Vertraulichkeitsvorschriften.

Eine faire Praxis könnte sich dadurch auszeichnen, dass die einer Vertragspartei im Rahmen eine Geschäftsbeziehung offengelegten Informationen nur auf faire Weise genutzt werden dürfen (insbesondere in Situationen, in denen die Geschäftspartner zum Teil auch Wettbewerber sind). Des Weiteren könnte festgelegt werden, dass jede Vertragspartei in angemessener Weise dafür Sorge zu tragen hat, dass die den anderen Parteien zur Verfügung gestellten Informationen korrekt und nicht irreführend sind.

5.6. Unbillige Beendigung einer Geschäftsbeziehung

Auch die plötzliche und ungerechtfertigte Beendigung einer Geschäftsbeziehung bzw. die Beendigung einer Geschäftsbeziehung ohne Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist kann den gängigsten unlauteren Handelspraktiken zugerechnet werden. Wenngleich die Beendigung einer Geschäftsbeziehung normaler Bestandteil des Wirtschaftslebens ist, sollte sie jedoch nicht als Mittel zur Schikanierung einer Vertragspartei genutzt werden, indem abgelehnt wird, eine solche Entscheidung zu begründen, oder indem keine angemessene Kündigungsfrist eingehalten wird.

Eine faire Praxis könnte sich dadurch auszeichnen, dass die Vertragsparteien eine faire Beendigung von Verträgen sicherstellen. Die Kündigung eines Vertrags sollte im Einklang mit dem auf den Vertrag anwendbaren Recht erfolgen, wobei eine ausreichende Kündigungsfrist vorgesehen werden sollte, damit die Partei, der gekündigt wird, ihre Investitionen wieder einbringen kann.

5.7. Regionale Angebotsbeschränkungen

Die von einigen multinationalen Lieferanten auferlegten regionalen Angebotsbeschränkungen können Einzelhändler davon abhalten, identische Waren zentral grenzüberschreitend einzukaufen und in anderen Mitgliedstaaten zu vertreiben. 53 Große Markenhersteller, die eine effektive Kontrolle auf der Ebene der Logistik und des Großhandels ausüben, haben möglicherweise kein unmittelbares Interesse an einer Reduzierung der Preise und werden versuchen, auf nationaler Ebene Verträge auszuhandeln, bei denen an bestehenden Preisunterschieden festgehalten wird. Andererseits versuchen Einzelhändler, sich zu geringstmöglichen Kosten bei Großhändlern oder Zweigniederlassungen des Lieferanten einzudecken, und üben Druck auf die Hersteller aus, indem sie direkt Verträge mit konkurrierenden Lieferanten schließen, um Markenprodukte anzubieten. Einzelhändler in kleinen Mitgliedstaaten gehen davon aus, dass sie, wenn sie bei nicht einheimischen Großhändlern oder gar direkt bei Lieferanten auf wettbewerbsfähigeren benachbarten Märkten mit attraktiveren Preisen einzukaufen versuchen, an die für ihren jeweiligen geografischen Markt zuständige Niederlassung oder an ihre nationalen Großhändler verwiesen werden, die regionale Verträge mit den Lieferanten geschlossen haben. Derartige Beschränkungen können zu einer Segmentierung des Marktes und beträchtlichen Unterschieden zwischen verschiedenen Ländern bei den Großhandelspreisen führen.

In ihrer Mitteilung von 2009 mit dem Titel "Die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette in Europa verbessern" hat die Kommission für ausgewählte Produkte die Preisspannen zwischen den Mitgliedstaaten analysiert. 54

Den Informationen zufolge, die im Februar 2009 auf einer Sitzung eines irischen Parlamentarischen Ausschusses vorgelegt wurden, können die Preise von in Irland und im Vereinigten Königreich verkauften Produkten um bis zu 130 % variieren, wobei die irischen Einzelhändler verpflichtet sind, ihre Einkäufe auf der Grundlage der für Irland geltenden Preisliste zu tätigen. Während sich die zwischen einzelnen Märkten bestehenden Unterschiede der Verbraucherpreise für ein und dasselbe Markenprodukt zwar zum Teil durch Faktoren wie Löhne/Gehälter, Sozialabgaben, Energiekosten, Steuern und Logistik erklären lassen, können regionale Angebotsbeschränkungen schädliche Auswirkungen haben. Eine ähnliche Studie wurde 2012 in Belgien durchgeführt. 55

Sofern sie nicht durch objektive Gründe der Effizienz (z.B. Logistik) gerechtfertigt sind, können derartige Beschränkungen des grenzüberschreitenden Einkaufs zu einer Preisdiskriminierung im Niederlassungsland des Käufers führen. Somit werden die betroffenen Verbraucher durch höhere Preise und eine engere Produktauswahl benachteiligt. Der Zugang zu vorteilhafteren Preisen bleibt ihnen vorenthalten und sie kommen nicht in den Genuss eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts. Die von Lieferanten angeführten technischen Gründe - wie etwa die Produktkennzeichnung - mögen in bestimmten Fällen zutreffend sein, können aber nicht generell für identische Waren geltend gemacht werden.

5.8. Gemeinsame Merkmale unlauterer Handelspraktiken

Die Weitergabe angefallener Kosten und die Übertragung des unternehmerischen Risikos auf die schwächere Vertragspartei ist ein gemeinsamer Nenner der meisten der im Vorangehenden beschriebenen unlauteren Handelspraktiken. Ein übermäßiger Druck, die Unmöglichkeit einer angemessenen Geschäftsplanung und die mangelnde Klarheit bezüglich der tatsächlichen Vertragsinhalte erschweren eine optimale Entscheidungsfindung und haben eine Schmälerung der Margen zur Folge, wodurch wiederum die Investitions- und Innovationskapazitäten der Unternehmen beeinträchtigt werden.

Fragen:

6. Allgemeine Bemerkungen

Frage:

7. Nächste Schritte

Die Kommission ist fest entschlossen, weiterhin mit allen relevanten Akteuren zusammenzuarbeiten und alle Beiträge, die diese der Kommission übermitteln, zu berücksichtigen, mit dem Ziel, die Funktionsweise und Effizienz der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel zu verbessern.

Alle interessierten Parteien sind aufgefordert, zu den im Vorangehenden formulierten Fragen Stellung zu nehmen. Beiträge sollten bis spätestens 30. April 2013 unter folgender E-Mail-Adresse bei der Kommission eingehen: marktretail@ec.europa.eu.

In den Beiträgen muss nicht auf alle in diesem Grünbuch angesprochenen Punkte eingegangen werden. Geben Sie deshalb bitte eindeutig an, auf welche Fragen sich ihr Beitrag bezieht. Soweit möglich, nennen Sie bitte konkrete Argumente für oder gegen die in diesem Grünbuch vorgestellten Optionen und Konzepte.

Im Anschluss an dieses Grünbuch und auf der Grundlage der erhaltenen Antworten wird die Kommission bis Mitte 2013 die nächsten Schritte ankündigen.

Die eingegangenen Beiträge werden im Internet veröffentlicht. Deshalb sollte die diesem Grünbuch beigefügte Datenschutzerklärung gelesen werden, die Informationen zur Verarbeitung personenbezogener Daten und zur Behandlung der Beiträge enthält.