Antrag des Landes Hessen
Entschließung des Bundesrates zur Stärkung der ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge

Der Hessische Ministerpräsident Wiesbaden, 7. März 2018

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat die anliegende Entschließung des Bundesrates zur Stärkung der ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge mit dem Antrag zuzuleiten, die Entschließung zu fassen.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 966. Plenarsitzung am 23. März 2018 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Volker Bouffier

Entschließung des Bundesrates zur Stärkung der ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge

Der Bundesrat möge beschließen:

Begründung und Einzelheiten

Zu 1.-3.

Die deutsche gesetzliche Rentenversicherung basiert schon seit vielen Jahrzehnten auf dem Prinzip der Umlagefinanzierung. Zurzeit werden die Renten von 35 Rentnerinnen und Rentnern durch die Beiträge von 100 Beschäftigten getragen. Dieses Verhältnis wird sich durch den demografischen Wandel erheblich zulasten der aktiv Tätigen verschieben.

Weil er diese Entwicklung und ihre Folgen für die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung vorausgesehen hatte, hat der Gesetzgeber schon in der Vergangenheit Maßnahmen zur Stärkung der zweiten und dritten Säule der Alterssicherung ergriffen. Die kapitalgedeckte Eigenvorsorge ist vom demografischen Wandel weit weniger betroffen und vermag daher die Versorgungslücke aus der geringeren gesetzlichen Rente zu schließen. Jedoch hat die zusätzliche Altersversorgung in Deutschland bislang nicht den nötigen Verbreitungsgrad erreicht.

Aktuell hat nur etwa jeder zweite Beschäftigte in der Privatwirtschaft in Deutschland Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung, bei kleinen und mittleren Betrieben sogar weniger als ein Drittel der Beschäftigten. Die nötige Stärkung der zweiten Säule der Altersversorgung ist mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz angestoßen worden und gibt den Tarifvertragspartnern die Möglichkeit einer verbesserten betrieblichen Altersversorgung an die Hand. Für Beschäftigte von nicht tarifgebundenen Unternehmen, vor allem also von kleinsten, kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wird dies jedoch voraussichtlich kein ausreichender Weg zu einer verbesserten Altersversorgung sein. Bei KMU sind rund 19 Millionen Menschen beschäftigt, die keinen Anspruch aus betrieblicher Altersversorgung haben. Besonders für diese Beschäftigten bedarf es daher dringend eines weiteren Instruments der Altersvorsorge.

Die dritte Säule der Altersversorgung, die private Altersvorsorge, hat nicht die Verbreitung gefunden, die sie als Instrument der Altersvorsorge braucht. Nicht einmal die Hälfte der berechtigten Bürger spart auf diese Weise. Als Gründe dafür werden vor allem die hohen Vertragskosten, die geringe Transparenz, und die Komplexität des Zulagenverfahrens genannt. Ganz entscheidend ist weiter, dass die private Altersvorsorge die Eigeninitiative der Menschen voraussetzt, sich viele Menschen aber nicht hinreichend mit ihrer eigenen Altersvorsorge befassen und sich häufig bei diesem Thema überfordert fühlen.

Ziel dieses Entschließungsantrags ist vor allem, den Beschäftigten der KMU einen erheblich vereinfachten und kostengünstigen Zugang zur privaten Altersvorsorge zu verschaffen. Dabei wird das System der betrieblichen Altersversorgung nicht ersetzt, sondern vielmehr gestärkt. Der vorliegende Entschließungsantrag ist eine konsequente Ergänzung der Reformüberlegungen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes. Steuer- und sozialversicherungsrechtliche Regelungen des Riesterverfahrens sollen sich jedoch nicht ändern.

Zu 4.

Bislang müssen sich Menschen aktiv für die zusätzliche Altersvorsorge entscheiden. Verhaltensökonomische Studien haben gezeigt, dass Menschen zögern, aktiv Entscheidungen zu treffen, wenn eine Veränderung mit Kosten und Mühen verbunden ist. Eine wirkungsvolle Reform der ergänzenden Altersvorsorge muss daher dafür sorgen, dass mit dem Vertragsabschluss möglichst wenig Informationsaufwand und möglichst niedrige Kosten verbunden sind. Es muss ein Weg gefunden werden, dass die Menschen trotz der ihnen eigenen Verharrungskräfte für ihr Alter vorsorgen. Sehr gute Erfahrungen wurden mit der automatischen Teilnahme unter Einräumung eines Austrittsrechts (opting-out-Modelle) in den USA, Neuseeland und dem Vereinigten Königreich gemacht. Die meisten Menschen machen danach von ihrem Austrittsrecht keinen Gebrauch. Gute Erfahrungen hat man auch in Deutschland bei Minijobbern gemacht, die seit 2013 automatisch voll rentenversicherungspflichtig sind, wenn sie nicht widersprechen. Die Zahl der so rentenversicherten Minijobber hat sich dadurch vervielfältigt. Der Bundesrat spricht sich daher dafür aus, ein solches Verfahren flächendeckend zu implementieren. Wer nicht über eine ausreichende betriebliche Altersvorsorge verfügt und auch nicht aktiv widerspricht, weil er zum Beispiel auf andere Weise vorgesorgt hat, wird in die private Altersvorsorge einbezogen.

Ein solcher gesetzlicher "Anstoß" in die gewünschte Richtung steht dabei völlig im Einklang mit verfassungsrechtlichen Grundrechten. Denn aufgrund des Austrittsrechts (opting-out) steht es weiterhin in der Freiheit jedes Beschäftigten, an der zusätzlichen Altersvorsorge nicht teilzunehmen.

Bei Beschäftigten, die kurzfristig beschäftigt sind oder nicht mehr als 450 € im Monat beziehen (Minijobber), ist gesondert zu prüfen, ob diese in die Regelung miteinbezogen werden. Ggf. ist die Eigenbeitragsleistung zu senken.

Zu 5.

Auch im System einer automatischen Einbeziehung entscheidet der Sparer über das Produkt, in das seine Mittel fließen. Trifft er jedoch keine Entscheidung oder möchte er sie nicht treffen, wählt der Arbeitgeber für ihn ein Produkt aus einer abgegrenzten Menge aus. Der Arbeitnehmer hat immer das Recht, von dem durch den Arbeitgeber ausgewählten

Produkt auf ein anderes zu wechseln. Dazu muss der Wechsel kostengünstig sein. Dies schließt ein, dass den Sparbeiträgen keine gesonderten Provisions- und Abschlusskosten belastet werden dürfen. Ebenso muss Sicherheit über den Anteil an bereits erzielten Erträgen bestehen. Produkte mit Sparerkollektiven kommen dafür nicht in Frage. Eine neutrale staatliche Stelle stellt zur Erleichterung der Auswahlentscheidung des Arbeitgebers die Produkte zusammen, die diese zusätzlichen Voraussetzungen erfüllen. Das Standardprodukt (vgl. 7. und 8.) wird Teil dieser Liste von Angeboten sein. Für den Arbeitgeber besteht dabei aber kein Auswahlrisiko. Ihn trifft keine Verantwortlichkeit in Bezug auf das gewählte Produkt, wenn dieses Teil der Liste ist.

Zu 6.

Derzeit ist es Sache der Sparer, die fälligen Beiträge für Riesterverträge eigenständig abzuführen und bei der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen die Zulagen zu beantragen. Das jetzige Verfahren ist kompliziert und erschwert damit dem Sparer den Zugang zur Eigenvorsorge. Dies lässt sich vermeiden, indem die Arbeitgeber in den Sparvorgang eingebunden werden. Die Beiträge werden dann direkt durch den Arbeitgeber vom Arbeitslohn einbehalten und an den Anbieter gezahlt.

Die Zulagenauszahlung muss ebenfalls vereinfacht werden. Dies gelingt durch eine Verknüpfung mit dem Lohnsteuerabzugsverfahren. Der Arbeitgeber verringert die von ihm abzuführende Lohnsteuer in Höhe der seinen Beschäftigten zustehenden Zulagen, die sich aus den Lohnsteuerabzugsmerkmalen ergeben.

Die Vereinfachungen sollen auch für bereits bestehende Verträge offen stehen.

Zu 7.

Viele Riesterprodukte sind gegenwärtig mit hohen Kosten verbunden und damit insbesondere für Personen mit geringem Einkommen finanziell unattraktiv. Zudem sind viele Produkte kompliziert und für den Sparer kaum transparent. Gerade im Kontext einer automatischen Einbeziehung bedarf es einer kostengünstigen und transparenten Alternative für die Sparer. Diese wird in mehrerer Hinsicht als Vergleichsprodukt eine gute Orientierung in einem schwierigen Markt geben. Positive Erfahrungen anderer Staaten zeigen, dass ein solches Produkt erfolgreich vom Staat organisiert werden kann.

Zu 8.

Auch in Deutschland sollte den Sparern ein Standardprodukt von einem staatlich organisierten Fonds angeboten werden. Dieser Fonds soll auf Selbstkostenbasis operieren. Die Investitionen sollen ökologischen und ethischen Mindeststandards entsprechen. Der Fonds hat weiterhin zum Ziel, ein Konkurrenzprodukt zu anderen Produkten zu schaffen ("benchmark"). Angesichts des leichten und kostengünstigen Produktwechsels wirkt der Fonds damit wettbewerbsfördernd. Die Produktangebote werden sich dadurch insgesamt verbessern. Ähnliche staatlich organisierte Fonds arbeiten mit großem Erfolg in anderen Ländern, z.B. in Schweden und im Vereinigten Königreich.

Die Einführung eines staatlich organisierten Fonds darf den Wettbewerb zwischen allen Anbietern am Markt nicht verzerren. Der Fonds muss den gleichen Wettbewerbsbedingungen unterliegen wie die privaten Anbieter. Eine staatliche Einflussnahme auf die Verwaltung und auf die Anlagepolitik ist auszuschließen. Auch aus Kostengründen ist eine passive Anlagestrategie vorzuziehen. Die im Fonds gesammelten Mittel müssen grundrechtlich geschütztes Privateigentum des Sparers und damit dem Zugriff des Staates in jedem Fall entzogen sein. Die öffentliche Hand wird in keiner Weise finanzielle Zuwendungen oder Vorteile aus dem staatlich geregelten Fonds erhalten, darf ihn aber auch in keiner Weise subventionieren. Die Aufgabe der Fondsverwaltung kann kompetitiv in einem ordentlichen Vergabeverfahren ausgeschrieben werden.

Zu 9.

Nach dem Altersvorsorgezertifizierungsgesetz (AltZertG) sind von den Produktanbietern jedem Sparer Garantien zu geben: während der Ansparphase garantieren die Anbieter, dass zum Ende der Ansparphase zumindest die eingezahlten Altersvorsorgebeiträge für die Auszahlungsphase zur Verfügung stehen und für die Leistungserbringung genutzt werden (Beitragsgarantie). Während der Leistungsphase garantieren die Anbieter, dass die Rentenleistungen gleichbleiben oder steigen. Diese beiden Garantievorgaben stehen einer Anlage des Vermögens in Anlageformen entgegen, die potenziell das Risiko eines Verlusts des Vermögensstamms in sich tragen. Damit sind Aktien und sonstige risiko-, aber auch renditetragende Anlagen nach derzeitigem Recht für Riesterprodukte in der Gesamtlaufzeit nur in begrenztem Ausmaß geeignet. Das seit Jahren anhaltende Niedrigzinsumfeld hat dazu geführt, dass die Erträge aus festverzinslichen Anlagen äußerst gering waren. Real ist der Wert des Sparvermögens sogar gesunken. Aktienmärkte schwanken zwar, in der Mittel-und Langzeitbetrachtung liegt ihre Wertentwicklung bei hinreichend breiter Anlage im Schnitt aber über der von "sicheren" Geldanlagen. Gleichzeitig sinkt mit der Anlagedauer das Verlustrisiko. Dieses Ertragspotenzial darf den Sparern nicht verschlossen bleiben. In Zukunft sollen sie selbst entscheiden können, ob sie in der Ansparphase und in der Leistungsphase eine evtl. beschränkte Garantie wählen, damit sie verstärkt an den Renditechancen des Aktienmarktes teilnehmen können. Schon heute schließen Sparer von Basisrentenverträgen ("Rüruprente") Verträge ohne Beitragsgarantie ab. Im Vergleich zu Riestersparern können die Leistungen aus Basisrentenverträgen einen ungleich höheren Anteil am Alterseinkommen ausmachen. Riesterverträge dagegen decken nur einen ergänzenden Anteil ab. Auch hier sollte der Verzicht auf Garantien grundsätzlich in Frage kommen. Auch anteilige Garantien sind denkbar.

Zu 10.

Die Erweiterung der ergänzenden Altersvorsorge kann durch verschiedene Übergangsregelungen begleitet werden, die die Umstellung erleichtern und die Akzeptanz des neuen Verfahrens erhöhen. Z. B. kann die automatische Einbeziehung anfangs nur für neu begründete Arbeitsverhältnisse gelten. Erst nach einem Übergangszeitraum wird dann die automatische Einbeziehung auf bestehende Beschäftigungsverhältnisse angewendet. Die automatische Einbeziehung in die Altersvorsorge kann weiterhin an Lohnsteigerungen geknüpft werden oder der Eigensparanteil wird anfangs reduziert, für Bezieher geringer Einkommen ggf. auf Dauer. Bereits mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz vom 17. August 2017 (BGBl. I, S. 3214) wurde ein wichtiger Anreiz zur Altersvorsorge auch für Bezieher niedriger Einkommen geschaffen. Ab diesem Jahr werden Leistungen aus Riesterrenten in bestimmtem Umfang nicht mehr auf die Grundsicherung im Alter und auf die Rente bei Erwerbsminderung angerechnet.