Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten

A. Problem und Ziel

Der Beschluss des Bundesverfassungsgericht vom 26. Juli 2016 (1 BvL 8/15) gibt Anlass zu einer Änderung des Betreuungsrechts. Nach geltendem Recht kann der Betreuer gemäß § 1906 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 BGB einwilligen. Dies führt zu einer Schutzlücke in den Fällen, in denen sich der Betreute der Behandlung räumlich nicht entziehen will oder hierzu körperlich nicht in der Lage ist. Denn in diesen Fällen darf mangels Erforderlichkeit eine freiheitsentziehende Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 BGB betreuungsgerichtlich nicht genehmigt werden. Die strikte gesetzliche Verknüpfung der ärztlichen Zwangsmaßnahme mit der freiheitsentziehenden Unterbringung hat zur Folge, dass einwilligungsunfähige Betreute, die stationär in einer nicht geschlossenen Einrichtung behandelt werden können, faktisch aber nicht in der Lage sind, sich räumlich zu entfernen, oder sich nicht entfernen wollen, nicht gegen ihren natürlichen Willen ärztlich behandelt werden dürfen. Dies kann dazu führen, dass Betreute, die einer ärztlichen Maßnahme mit natürlichem Willen widersprechen, obgleich sie auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, ohne die medizinisch indizierte Behandlung einen schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden erleiden oder sogar versterben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem erwähnten Beschluss entschieden, dass diese Schutzlücke mit der aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar ist. Es hat damit die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Vorlagebeschluss vom 1. Juli 2015 (XII ZB 89/15, FamRZ 2015, 1484) bestätigt und dem Gesetzgeber aufgegeben, unverzüglich eine Regelung für die genannte Fallgruppe zu treffen. Ziel des Entwurfs ist es, die Regelungslücke in angemessener Weise unter Beachtung des Ultimaratio-Gebots zu schließen.

B. Lösung

Zur Schließung der Schutzlücke wird die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt. Für jede dieser Maßnahmen soll eine selbständige Norm jeweils mit einem eigenen richterlichen Genehmigungsvorbehalt geschaffen werden. Ärztliche Zwangsmaßnahmen werden an das Erfordernis eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, gebunden. Die materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme bleiben im Übrigen erhalten, ebenso die strengen verfahrensrechtlichen Anforderungen. Ärztliche Zwangsmaßnahmen dürfen wegen des mit ihnen verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffs aber auch nach einer Neuregelung nur das letzte Mittel sein, das in Situationen drohender erheblicher Selbstgefährdung des Betreuten in Betracht kommt. Auf Grund des Ultimaratio-Gebots sollen ambulant durchgeführte ärztliche Zwangsbehandlungen auch weiterhin ausgeschlossen bleiben. Zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Betreuten wird für die Zulässigkeit der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme zusätzlich als ausdrückliche Voraussetzung bestimmt, dass ein nach § 1901a BGB zu beachtender Wille des Betreuten der ärztlichen Zwangsmaßnahme nicht entgegenstehen darf. Damit wird klargestellt, dass die Regelung des § 1901a BGB auch stets die Grundlage für Entscheidungen über die Zulässigkeit von ärztlichen Zwangsmaßnahmen durch den Betreuer und das Betreuungsgericht darstellt. Außerdem soll die Verbreitung von Patientenverfügungen dadurch weiter gefördert werden, dass der Betreuer den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinweisen und ihn auf dessen Wunsch bei der Errichtung einer Patientenverfügung unterstützen soll. Diese Neuregelung soll zur Vermeidung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen beitragen, indem in der Betreuungspraxis vermehrt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, die Wünsche und den Willen von Betreuten, wenn diese einwilligungsfähig sind, gründlich zu ermitteln und schriftlich festzuhalten, namentlich in solchen Fällen, in denen in absehbarer Zeit mit dem (Wieder-)Eintritt einer erheblichen Gesundheitsgefährdung zu rechnen ist.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Für die Umsetzung der Neuregelung sind keine zusätzlichen Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand zu erwarten.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Keiner.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Keiner.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten

Keine.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Keiner.

F. Weitere Kosten

Entsprechend dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts wird mit dem Entwurf eine Regelung nur für die beschriebene besondere Fallgruppe von Betreuten getroffen. Ob und in welchem Umfang diese Regelung zu einem Anstieg von Verfahren zur Genehmigung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen führen wird, kann auf der Basis der derzeit zur Verfügung stehenden Daten nicht geschätzt werden. Statistische Daten zu den betreuungsgerichtlichen Genehmigungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung werden überhaupt erst seit dem 1. Januar 2014 erhoben. Eine verlässliche Prognose im Hinblick auf die Entwicklung der betreuungsgerichtlichen Genehmigungsverfahren und die damit einhergehende Belastung der Gerichte nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ist damit nicht möglich. Auch deshalb ist in Artikel 7 eine Evaluierung der Auswirkungen des Gesetzes unter anderem im Hinblick auf die Häufigkeit von gerichtlich genehmigten ärztlichen Zwangsmaßnahmen vorgesehen.

Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht ersichtlich.

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten

Bundesrepublik Deutschland
Berlin, 27. Januar 2017
Die Bundeskanzlerin

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Malu Dreyer

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten mit Begründung und Vorblatt.

Der Gesetzentwurf ist besonders eilbedürftig, damit eine vom Bundesverfassungsgericht im Betreuungsrecht festgestellte Schutzlücke schnellstmöglich geschlossen werden kann. Vor diesem Hintergrund sollen die parlamentarischen Beratungen alsbald beginnen, um noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden zu können.

Federführend ist das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Fristablauf: 10.03.17
besonders eilbedürftige Vorlage gemäß Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 GG

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 24. Mai 2016 (BGBl. I S. 1190) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 1901a wird wie folgt geändert:

2. § 1906 wird wie folgt geändert:

3. Nach § 1906 wird folgender § 1906a eingefügt:

" § 1906a Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen

Artikel 2
Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), das zuletzt durch ...[Artikel 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern (Stand 28.07.2016)] geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 326 wie folgt gefasst:

" § 326 Zuführung zur Unterbringung; Verbringung zu einem stationären Aufenthalt".

2. In § 104 Absatz 3 wird die Angabe " § 312 Nr. 3" durch die Angabe " § 312 Nummer 4" ersetzt.

3. In § 167 Absatz 1 Satz 1 werden die Wörter " § 312 Satz 1 Nummer 1 und 2" durch die Wörter " § 312 Nummer 1 und 2" und die Wörter " § 312 Satz 1 Nummer 3" durch die Angabe " § 312 Nummer 4" ersetzt.

4. In § 293 Absatz 2 Satz 2 wird die Angabe "1906" durch die Angabe "1906a" ersetzt.

5. § 312 wird wie folgt gefasst:

" § 312 Unterbringungssachen

Unterbringungssachen sind Verfahren, die die Genehmigung oder Anordnung einer

6. § 313 wird wie folgt geändert:

7. Dem § 317 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

"Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers stets erforderlich."

8. § 326 wird wie folgt geändert:

9. In § 327 Absatz 1 Satz 1, § 328 Absatz 1 Satz 1 und § 330 Satz 2 wird jeweils die Angabe " § 312 Nr. 3" durch die Angabe " § 312 Nummer 4" ersetzt.

10. In § 331 Satz 1 Nummer 2 werden die Wörter " § 312 Nummer 1 und 3" durch die Wörter " § 312 Nummer 1, 3 und 4" ersetzt.

11. § 337 wird wie folgt geändert:

Artikel 3
Änderung der Vorsorgeregister-Verordnung

§ 1 Absatz 1 Nummer 5 der Vorsorgeregister-Verordnung vom 21. Februar 2005 (BGBl. I S. 318), die zuletzt durch Artikel 137 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 4
Änderung des Erwachsenenschutzübereinkommens-Ausführungsgesetzes

In § 12 Absatz 2 des Erwachsenenschutzübereinkommens-Ausführungsgesetzes vom 17. März 2007 (BGBl. I S. 314; 2009 II S. 39), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 18. Februar 2013 (BGBl. I S. 266) geändert worden ist, werden in dem Satzteil vor Nummer 1 die Wörter " § 1906 Absatz 3 oder 4" durch die Wörter " § 1906 Absatz 4 oder § 1906a Absatz 1 oder Absatz 4" ersetzt.

Artikel 5
Änderung des Betreuungsbehördengesetzes

In § 1 Satz 2 des Betreuungsbehördengesetzes vom 12. September 1990 (BGBl. I S. 2002, 2025), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3393) geändert worden ist, wird die Angabe " § 312 Nr. 1 und 2" durch die Wörter " § 312 Nummer 1 bis 3" ersetzt.

Artikel 6
Einschränkung von Grundrechten

Durch Artikel 1 Nummer 3 dieses Gesetzes werden die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit ( Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und Freiheit der Person ( Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes) eingeschränkt.

Artikel 7
Evaluierung

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz untersucht innerhalb von drei Jahren nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gemäß Artikel 8 die Auswirkungen der Änderungen nach Artikel 1 auf die Anwendungspraxis, insbesondere die Art und Häufigkeit von betreuungsgerichtlich genehmigten oder angeordneten ärztlichen Zwangsmaßnahmen und die Wirksamkeit der Schutzmechanismen nach § 1906a Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 7 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Artikel 8
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

Wer seinen Willen frei bilden kann, hat im Rahmen des Rechts zur Selbstbestimmung auch "die Freiheit zur Krankheit". Entscheidet er sich mit freiem Willen gegen eine ärztliche Behandlung oder andere ärztliche Maßnahmen, ist dies als Ausdruck seiner Selbstbestimmung zu akzeptieren. Kann jemand krankheitsbedingt aber keinen freien Willen bilden, ist der Staat auf Grund seiner aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) folgenden Schutzpflicht aufgerufen und berechtigt, die Möglichkeit einer ärztlichen Maßnahme zum Schutz des Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne dessen Einwilligung vorzusehen. Im Rahmen des Betreuungsrechts bedeutet das, dass der Betreuer mit entsprechendem Aufgabenkreis für den Betroffenen in eine erforderliche medizinische Behandlung einwilligen kann, wenn der Betreute zum Zeitpunkt der Erklärung einwilligungsunfähig ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 26. Juli 2016 (1 BvL 8/15) entschieden, dass Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG den Staat aber darüber hinaus auch dazu verpflichtet, Menschen, für die im Hinblick auf ihre Gesundheitssorge ein Betreuer bestellt wurde und die bei einem drohenden schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit einer zu dessen Abwendung erforderlichen ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen Schutz durch ärztliche Versorgung zu gewähren. Für den Fall, dass der Betroffene eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff mit seinem natürlichen Willen ablehnt, muss der Gesetzgeber also die Möglichkeit einer zwangsweisen Durchführung dieser Maßnahme unter strengen Voraussetzungen vorsehen. Dabei dürfen ärztliche Zwangsmaßnahmen wegen des mit ihnen verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffs nur das letzte Mittel sein, das ausschließlich in Situationen drohender erheblicher Selbstgefährdung in Betracht kommt.

Eine gesetzliche Grundlage wurde durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl. I S. 266) geschaffen, nachdem der Bundesgerichtshof in zwei Beschlüssen vom 20. Juni 2012 (XII ZB 99/12, BGHZ 193, 337-353; XII ZB 130/12) seine ständige Rechtsprechung zur Zulässigkeit der betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung aufgegeben hatte, wonach der bisherige § 1906 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) eine hinreichende Rechtsgrundlage für eine Behandlung des Betroffenen gegen seinen natürlichen Willen im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung darstellte (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2006, XII ZB 236/05, BGHZ 166, 141-154). In den genannten Beschlüssen ging der Bundesgerichtshof unter Bezugnahme auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (Beschluss vom 23. März 2011, 2 BvR 882/09, BVerfGE 128, 282-322) und im Vollzug der öffentlichrechtlichen Unterbringung (Beschluss vom 12. Oktober 2011, 2 BvR 633/11, BVerfGE 129, 269-284) davon aus, dass es an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Regelung für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung fehle. Denn die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug und im Vollzug der öffentlichrechtlichen Unterbringung seien im Wesentlichen auf die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zu übertragen.

Mit dem Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine Einwilligung in eine ärztliche Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht umgesetzt worden. Dabei wurde die bis zu den genannten Beschlüssen des Bundesgerichtshofs bestehende Rechtsprechung hinsichtlich der materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung weitestgehend abgebildet. Dazu zählt seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. Oktober 2000 (XII ZB 69/00, BGHZ 145, 297-310), dass eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 BGB erfolgen darf. Darüber hinaus ist die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nach § 1906 Absatz 3 BGB nur zulässig, wenn der Betreute nicht einwilligungsfähig ist, wenn versucht wurde, ihn von der Notwendigkeit der Maßnahme zu überzeugen, die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, der Schaden durch keine andere dem Betreuten zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann und der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt. Damit darf die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur nach einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung betreuungsgerichtlich genehmigt werden. Dabei muss auch geprüft werden, ob die ärztliche Maßnahme dem früher erklärten freien Willen oder dem mutmaßlichen Willen des Betreuten entspricht. Der mutmaßliche Wille bestimmt sich danach, wie der Betreute entscheiden würde, wenn er einwilligungsfähig wäre. Die hierfür maßgeblichen Regelungen zur Feststellung des Patientenwillens nach den §§ 1901a und 1901b BGB gewährleisten das Selbstbestimmungsrecht von einwilligungsunfähigen Betreuten und sind stets - wie der Entwurf zu § 1906a Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 BGB nunmehr klarstellt - auch im Rahmen der Entscheidung über die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme zu berücksichtigen. Die hohen materiellrechtlichen Anforderungen an die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme werden zum Schutz des Betreuten durch entsprechende verfahrensrechtliche Vorschriften in Buch 3 Abschnitt 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) flankiert.

Zu den vom Bundesverfassungsgericht geforderten Verfahrenssicherungen gehört, dass der Sachverständige gemäß § 321 Absatz 1 Satz 5 FamFG nicht der zwangsbehandelnde Arzt sein soll und dass nach § 323 Absatz 2 FamFG die Beschlussformel Angaben zur Durchführung und Dokumentation der ärztlichen Zwangsmaßnahme in der Verantwortung eines Arztes enthalten muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011, 2 BvR 882/09, BVerfGE 128, 282, 311 ff.; Beschluss vom 26. Juli 2016, 1 BvL 008/15 (PDF) , Rn. 85).

Die im geltenden Recht vorgesehene Verknüpfung der ärztlichen Zwangsmaßnahme mit der freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 BGB führt jedoch - wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 26. Juli 2016 (1 BvL 8/15) festgestellt hat - in einigen Fällen zu einer mit der aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbaren Regelungslücke. Denn eine freiheitsentziehende Unterbringung darf mangels Erforderlichkeit nicht genehmigt werden, wenn der Betroffene sich der Behandlung räumlich nicht entziehen will oder hierzu körperlich nicht in der Lage ist. Da die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme in § 1906 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 BGB die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 BGB voraussetzt, können in diesen Fällen auch keine ärztlichen Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden. Diese Regelungslücke kann dazu führen, dass Betroffene, die einer ärztlichen Maßnahme mit ihrem natürlichen Willen widersprechen und auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, ohne die ärztliche Behandlung einen erheblichen gesundheitlichen Schaden erleiden oder sogar versterben. Damit wird solchen Betroffenen, selbst wenn in ihrer Person sämtliche materiellen Voraussetzungen einer verfassungsgebotenen Schutzpflicht zweifelsfrei vorlägen und die verfahrensrechtlichen Anforderungen eingehalten werden können, nicht der nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG gebotene Schutz zuteil (so das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 26. Juli 2016, 1 BvL 008/15 (PDF) , Rn. 98).

Mit den vorgeschlagenen Rechtsänderungen soll die festgestellte Schutzlücke in angemessener Weise unter Beachtung des Ultimaratio-Gebots geschlossen werden. Ärztliche Zwangsmaßnahmen dürfen wegen des mit ihnen verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffs auch nach der Neuregelung nur das letzte Mittel sein, das ausschließlich in Situationen drohender erheblicher Selbstgefährdung und zudem nur dann in Betracht kommt, wenn keine den Betroffenen weniger belastende Behandlungsalternative zur Verfügung steht, die das Behandlungsziel ebenso gut wie die geplante ärztliche Zwangsmaßnahme zu erreichen vermag. Die geltenden strengen materiellen und verfahrensrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind also beizubehalten und, soweit sinnvoll und geboten, mit dem Ziel einer weiteren Stärkung des Selbstbestimmungsrechts zu ergänzen (vgl. § 1906a Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 BGB in der Entwurfsfassung). Denn der Gesetzgeber hat, wie auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 26. Juli 2016 (Rn. 82) feststellt, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der freie Wille des Betroffenen zu respektieren ist. Auf der Grundlage von strikten gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen alle Personen, die an der Entscheidung über die Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme mitwirken (Betreuer bzw. Bevollmächtigter, behandelnder Arzt, Verfahrenspfleger, Sachverständiger und Betreuungsrichter), dafür Sorge tragen, dass der früher oder aktuell erklärte bzw. sonst zu Tage getretene freie Wille des Betroffenen mit der gebotenen Sorgfalt ermittelt und bei der Entscheidung über die konkrete ärztliche Maßnahme auch beachtet wird. Die jeder-zeitige Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen entspricht den Regelungen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006 (VN-Behindertenrechtskonvention), die auf Sicherung und Stärkung der Autonomie behinderter Menschen gerichtet sind. Das sind insbesondere Artikel 12 Absatz 2 der VN-Behindertenrechtskonvention, mit dem die Vertragsstaaten anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen, sowie Artikel 12 Absatz 4 Satz 2 der VN-Behindertenrechtskonvention, der die Vertragsstaaten verpflichtet, bei Maßnahmen betreffend die Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit die Rechte, den Willen und die Präferenzen der betreffenden Person zu achten, Artikel 14 Absatz 1a) der VN-Behindertenrechtskonvention, wonach die Vertragsstaaten verpflichtet sind, zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit genießen, und Artikel 17 der VNBehindertenrechtskonvention, wonach jeder Mensch mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen das Recht auf Achtung seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit hat. Allerdings ist den Konventionsbestimmungen kein grundsätzliches Verbot von Maßnahmen zu entnehmen, die gegen den natürlichen Willen von Menschen mit Behinderungen vorgenommen werden und an eine krankheitsbedingt eingeschränkte Selbstbestimmungsfähigkeit anknüpfen. Dies ergibt sich deutlich unter anderem aus dem Regelungszusammenhang des Artikels 12 Absatz 4 der VN-Behindertenrechtskonvention, der sich gerade auf Maßnahmen bezieht, die den Betroffenen in der Ausübung seiner Rechts- und Handlungsfähigkeit beschränken. Solche Maßnahmen untersagt die Konvention nicht allgemein; vielmehr beschränkt sie ihre Zulässigkeit unter anderem dadurch, dass Artikel 12 Absatz 4 der VN-Behindertenrechtskonvention die Vertragsstaaten zu geeigneten Sicherungen gegen Interessenkonflikte, Missbrauch und Missachtung sowie zur Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit verpflichtet (BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2016, Rn. 87 ff.; siehe auch schon Beschluss vom 23. März 2011, 2 BvR 882/09, BVerfGE 128, 282 322, Rn. 53). Die Bestimmungen der Konvention schließen es demzufolge nicht aus, dass im Einzelfall zum Wohl des Betroffenen auch eine Entscheidung gegen dessen natürlichen Willen getroffen und durchgesetzt werden darf, wenn der Betroffene nicht (mehr) handlungs- und entscheidungsfähig ist und dies zur Abwendung einer erheblichen Selbstgefährdung erforderlich ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Artikel 10 und 25 der VN-Behindertenrechtskonvention den Vertragsstaat verpflichten, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den wirksamen und gleichberechtigten Genuss des Rechts auf Leben durch Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten, sowie ihnen das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung zu gewähren.

Der Entwurf verfolgt darüber hinaus das Ziel, das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen bei medizinischen Behandlungen weiter zu stärken, indem die Verbreitung von Patientenverfügungen und Behandlungsvereinbarungen dadurch gefördert wird, dass der Betreuer bzw. Bevollmächtigte den Betroffenen in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinweisen und ihn auf dessen Wunsch bei der Errichtung einer Patientenverfügung unterstützen soll. Der Betroffene kann durch eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 BGB verbindlich bestimmen, ob und welche ärztlichen Zwangsmaßnahmen im Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit durchzuführen oder zu unterlassen sind. Die im Zustand der Einwilligungsfähigkeit bestimmte Festlegung ist für den Arzt verbindlich, wenn sie auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. Dies gilt unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung (§ 1901a Absatz 3 BGB). Patientenverfügungen können namentlich im psychiatrischen Kontext auch in Form von Behandlungsvereinbarungen zwischen dem Betroffenen, dem Betreuer und dem behandelnden Arzt bzw. dem Behandlungsteam errichtet werden. Sie bieten sich insbesondere an, wenn nach einer stationären psychiatrischen Behandlung die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen wiederhergestellt wurde, aber auf Grund der Besonderheiten der psychischen Erkrankung eine erneute psychiatrische Behandlung auch in stationärer Form in Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann. In einer in Absprache und im Einvernehmen mit dem behandelnden Arzt bzw. dem Behandlungsteam abgefassten Behandlungsvereinbarung kann der Betroffene (gegebenenfalls nach Beratung durch den Arzt und den Betreuer) auf der Grundlage der von ihm bei der zurückliegenden Behandlung gemachten Erfahrungen selbst bestimmen, ob und welche medizinischen oder pflegerischen Maßnahmen im Falle einer künftigen stationären Behandlung getroffen werden sollen. Der Arzt prüft dabei die medizinische Umsetzbarkeit der Wünsche des Betroffenen und verpflichtet sich, den Festlegungen zu entsprechen, so wie sich der Betreuer verpflichtet, die Einhaltung der Behandlungsvereinbarung zu überwachen. Auch wenn die Festlegungen nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen sollten, können sie Hinweise für die Behandlungswünsche und den mutmaßlichen Willen nach § 1901a Absatz 2 BGB enthalten. Patientenverfügungen einschließlich Behandlungsvereinbarungen stärken so das Recht auf freie Selbstbestimmung und sind ein Mittel, den Patientenwillen durchzusetzen. Sie können damit ärztliche Zwangsmaßnahmen vermeiden.

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Zur Schließung der dargelegten Schutzlücke sieht der Entwurf vor, dass die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt wird. Für jede dieser Maßnahmen soll eine selbständige Norm jeweils mit einem eigenen betreuungsgerichtlichen Genehmigungsvorbehalt geschaffen werden. Die derzeit in § 1906 Absatz 3 BGB geregelten materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine ärztliche Zwangsmaßnahme werden - mit Ausnahme der Kopplung an die freiheitsentziehende Unterbringung in § 1906 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 BGB - beibehalten. Statt an eine freiheitsentziehende Unterbringung soll die Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen zukünftig an einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus geknüpft werden, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betroffenen einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist. Damit lassen sich ärztliche Zwangsmaßnahmen auch auf offenen Stationen durchführen, wenn eine freiheitsentziehende Unterbringung nicht erforderlich ist, entweder weil der Betroffene sich freiwillig im Krankenhaus aufhält und sich der Behandlung räumlich nicht entziehen will oder er körperlich nicht dazu in der Lage ist, sich der Behandlung räumlich zu entziehen. Ärztliche Zwangsmaßnahmen sind unter den für sie geltenden besonderen Voraussetzungen aber auch weiterhin auf geschlossenen Stationen eines Krankenhauses möglich, wenn die freiheitsentziehende Unterbringung gemäß § 1906 Absatz 1 Nummer 2 BGB tatsächlich erforderlich ist und gemäß § 1906 Absatz 2 BGB betreuungsgerichtlich genehmigt wurde.

Ambulante Zwangsbehandlungen bleiben nach dem Entwurf ausgeschlossen. Denn sie sind mit dem Grundsatz unvereinbar, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen wegen des mit ihnen verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit und die freie Selbstbestimmung der Betroffenen nur als letztes Mittel in Betracht kommen und auf ein unvermeidbares Mindestmaß zu reduzieren sind. Aus medizinischer Sicht könnten Zwangsbehandlungen ambulant z.B. auch in solchen Fällen durchgeführt werden, in denen bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung eine Depotmedikation mit Neuroleptika in regelmäßigen Zeitabständen wiederholt werden soll. Mit einer Zulassung von ambulant durchgeführten Zwangsbehandlungen namentlich im psychiatrischen Bereich wäre aber die Gefahr verbunden, dass solche möglicherweise traumatisierende Zwangsbehandlungen in der Praxis regelmäßig, ohne ausreichende Prüfung von weniger eingriffsintensiven Alternativen und damit auch in vermeidbaren Fällen durchgeführt werden. Ambulante ärztliche Zwangsmaßnahmen widersprechen den Grundsätzen einer modernen Psychiatrie, wonach Menschen mit psychischen Krankheiten gerade in ihrem Wohn- und sonstigen persönlichen Umfeld vertrauensvolle Unterstützung und Hilfe und nicht staatlich genehmigten Zwang benötigen. Eine auf Vertrauen gegründete und auf Kooperation mit dem Patienten ausgerichtete ambulante psychiatrische Versorgung, die auf die Ausübung von Zwang verzichtet, stellt ein wesentliches Element eines auf die Vermeidung von Zwang ausgerichteten psychiatrischen Hilfesystems dar. Die Einführung der Möglichkeit einer ambulanten Zwangsbehandlung würde das Ziel, Zwang im psychiatrischen Hilfesystem so weit wie möglich zu vermeiden, konterkarieren. Durch die Koppelung der ärztlichen Zwangsmaßnahme an eine stationäre Behandlung des Betroffenen soll außerdem sichergestellt werden, dass die gebotene sorgfältige Prüfung der Voraussetzungen der ärztlichen Zwangsmaßnahme erfolgt; dabei geht es nicht nur um die Frage, ob die ärztliche Behandlung als solche durchzuführen ist, sondern auch darum, ob gerade die zwangsweise Durchführung der Behandlung notwendig und verhältnismäßig ist, also namentlich um die sorgfältige Prüfung der Einwilligungsfähigkeit, der Wünsche und des Willens des Betroffenen gemäß § 1901a BGB sowie der zur Verfügung stehenden weniger belastenden Alternativen. Diese Prüfung sollte nach Möglichkeit durch ein multiprofessionelles Team unter Einschluss auch des Pflegepersonals durchgeführt werden (so die Empfehlung der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer in ihrer Stellungnahme zu "Zwangsbehandlungen bei psychischen Erkrankungen" vom April 2013, Deutsches Ärzteblatt Heft 26, S. 1337). In der Praxis hat sich außerdem die Beteiligung einer klinischen Ethikberatung bewährt. Schließlich kann nur bei einer stationären Behandlung davon ausgegangen werden, dass die im jeweiligen Einzelfall medizinisch oder psychologisch erforderliche Begleitung bzw. Pflege des Betroffenen vor und vor allem nach der Behandlung gesichert ist.

Zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen soll zur Klarstellung ausdrücklich als weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme bestimmt werden, dass ein nach § 1901a BGB zu beachtender Wille des Betroffenen der ärztlichen Zwangsmaßnahme nicht entgegenstehen darf. Außerdem soll die Verbreitung von Patientenverfügungen einschließlich Behandlungsvereinbarungen (die rechtlich Patientenverfügungen darstellen) dadurch gefördert werden, dass der Betreuer in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinweisen und den Betreuten auf dessen Wunsch bei der Errichtung einer solchen unterstützen soll.

Die Entkopplung der ärztlichen Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung wird ergänzt um entsprechende verfahrensrechtliche Folgeänderungen. Diese betreffen die Neufassung des § 312 FamFG und die dazu notwendigen Anpassungen in den Verweisungen auf diese Vorschrift. Ferner wird eine Neuverortung der Regelung zur obligatorischen Bestellung des Verfahrenspflegers, die bisher in § 312 Satz 3 FamFG geregelt ist, in die den Verfahrenspfleger betreffende Bestimmung des § 317 FamFG vorgesehen. Die hohen verfahrensrechtlichen Standards für die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme bleiben im Übrigen unverändert.

III. Alternativen

Mit dem Entwurf wird der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 26. Juli 2016 - 1 BvL 8/15) an den Gesetzgeber umgesetzt, die festgestellte Schutzlücke für die Betreuten unverzüglich zu schließen, die bei einem drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können und deshalb notfalls auch auf Schutz durch ärztliche Versorgung gegen ihren natürlichen Willen angewiesen sind, eine ärztliche Behandlung jedoch gegen ihren natürlichen Willen unter keinen Umständen möglich ist, wenn sie zwar stationär behandelt werden, aber nicht geschlossen untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind. Die Zulassung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen im ambulanten Bereich wird aus den genannten Gründen abgelehnt. Im Übrigen bestehen zu dem Entwurf keine Alternativen

IV. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 GG (bürgerliches Recht und gerichtliches Verfahren).

V. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen

Die Regelungen sind mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar. Insbesondere entspricht der Entwurf der VN-Behindertenrechtskonvention.

VI. Gesetzesfolgen

1. Rechts- und Verwaltungsvereinfachung

Mit der Entkoppelung der ärztlichen Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung und der Schaffung einer selbständigen Norm für ärztliche Zwangsmaßnahmen wird das Recht übersichtlicher und für die von der Schutzlücke betroffene Fallgruppe in der Anwendung einfacher.

2. Nachhaltigkeitsaspekte

Der Entwurf entspricht den Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Durch ihn wird der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber umgesetzt, eine im Betreuungsrecht festgestellte Schutzlücke unverzüglich zu schließen. Aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG folgt die Schutzpflicht des Staates, für nicht einsichtsfähige Betreute bei drohenden erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen unter strengen Voraussetzungen eine ärztliche Behandlung als letztes Mittel auch gegen ihren natürlichen Willen vorzusehen. Es ist mit dieser Schutzpflicht des Staates unvereinbar, dass für Betreute, denen schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen drohen und die die Notwendigkeit der erforderlichen ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, eine ärztliche Behandlung gegen ihren natürlichen Willen unter keinen Umständen möglich ist, sofern sie zwar stationär behandelt werden, aber nicht geschlossen untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind. Die im Entwurf vorgesehene Neuregelung sorgt dafür, dass der verfassungsrechtlich gebotene Schutz für diese Personengruppe gewährleistet ist.

3. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Für die Umsetzung der Neuregelung sind keine zusätzlichen Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand zu erwarten.

4. Erfüllungsaufwand

Keiner.

5. Weitere Kosten

Entsprechend dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts wird mit dem Entwurf eine Regelung nur für die beschriebene besondere Fallgruppe von Betreuten getroffen. Ob und in welchem Umfang diese Regelung zu einem Anstieg von Verfahren zur Genehmigung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen führen wird, kann auf der Basis der derzeit zur Verfügung stehenden Daten nicht geschätzt werden. Statistische Daten zu den betreuungsgerichtlichen Genehmigungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung werden überhaupt erst seit dem 1. Januar 2014 erhoben. Eine verlässliche Prognose im Hinblick auf die Entwicklung der betreuungsgerichtlichen Genehmigungsverfahren und die damit einhergehende Belastung der Gerichte nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ist damit nicht möglich. Auch deshalb ist in Artikel 7 eine Evaluierung der Auswirkungen des Gesetzes unter anderem im Hinblick auf die Häufigkeit von gerichtlich genehmigten ärztlichen Zwangsmaßnahmen vorgesehen.

Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht ersichtlich.

6. Weitere Gesetzesfolgen

Der Entwurf hat keine erkennbaren Auswirkungen für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Der Entwurf hat keine erkennbaren gleichstellungspolitischen Auswirkungen. Männer und Frauen sind von den Vorschriften des Entwurfs in gleicher Weise betroffen.

Demografische Auswirkungen sind ebenfalls nicht erkennbar.

VII. Evaluierung

Eine Evaluierung dieses Gesetzes ist nach Artikel 7 innerhalb von drei Jahren nach dem Inkrafttreten vorgesehen.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des BGB)

Die betreuungsrechtliche Einwilligung in ärztliche Zwangsmaßnahmen wird von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppelt. Die Regelung über die Einwilligung in ärztliche Zwangsmaßnahmen wird aus § 1906 BGB herausgelöst und in einen neuen § 1906a BGB überführt. Statt an eine freiheitsentziehende Unterbringung wird die Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme künftig an einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus geknüpft, in dem die gebotene medizinische Versorgung sichergestellt ist. Zur Stärkung der Selbstbestimmung soll die Verbreitung von Patientenverfügungen dadurch gefördert werden, dass Betreuer die Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinweisen und sie auf deren Wunsch bei der Errichtung einer solchen unterstützen sollen.

Zu Nummer 1 (§ 1901a BGB)

In Absatz 3 wird die Regelverpflichtung für den Betreuer eingeführt, den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und ihn auf dessen Wunsch bei der Errichtung einer solchen zu unterstützen. Geeignete Fälle in diesem Sinne liegen zum Beispiel vor, wenn der Betreute nach einer im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit durchgeführten ärztlichen (Zwangs-)Behandlung wieder einwilligungsfähig ist, jedoch die Gefahr des erneuten Verlustes der Einwilligungsfähigkeit, namentlich in einer psychischen Krisensituation, droht. Der Betreute soll durch den Betreuer dabei unterstützt werden, für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit festzulegen, ob und welche medizinischen Behandlungen dann auch gegen seinen natürlichen Willen vorgenommen werden sollen und welche Behandlungen zu unterlassen sind. Dabei wird vom Betreuer nicht erwartet, dass er den Betreuten in medizinischen Fragen selbst berät. Vielmehr soll der Betreuer eine gegebenenfalls notwendige medizinische Beratung durch einen Arzt vermitteln. Ehrenamtliche Betreuer können sich bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe außerdem von einem Betreuungsverein (§ 1908f Absatz 1 Nummer 2 BGB) und von der Betreuungsbehörde (§ 4 Absatz 3 des Betreuungsbehördengesetzes - BtBG) beraten und unterstützen lassen.

Im psychiatrischen Hilfesystem werden vielfach Behandlungsvereinbarungen zwischen dem Patienten und dem behandelnden Arzt, gegebenenfalls unter Mitwirkung eines Betreuers, geschlossen. Die Behandlungsvereinbarung stellt eine besondere Form der Patientenverfügung dar. Der einwilligungsfähige Patient legt schriftlich fest, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. Dabei kann sich die Festlegung auch auf die Art und Weise der Behandlung beziehen. Der Arzt prüft, ob die Festlegungen praktisch durchführbar sind, und bekräftigt mit der Unterzeichnung der Behandlungsvereinbarung, dass er die Festlegungen beachten wird. Der Betreuer soll in geeigneten Fällen im Einverständnis mit dem Betreuten den Arzt zum Angebot einer Behandlungsvereinbarung auffordern. Er hat den Betreuten dann bei der Feststellung und Formulierung seiner Wünsche zu unterstützen und ist nach Absatz 1 Satz 2 verpflichtet, dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen, wenn der Betreute selbst nicht mehr einwilligungsfähig ist. Patientenverfügungen und Behandlungsvereinbarungen stärken die Patientenautonomie und können geeignete Mittel sein, ärztliche Zwangsmaßnahmen zu vermeiden.

Die Regelverpflichtung, auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und den Betroffenen auf seinen Wunsch bei Errichtung einer solchen zu unterstützen, gilt für den Bevollmächtigten nicht entsprechend. Denn die Vertretungsmacht des Bevollmächtigten beruht auf einer privatautonomen Entscheidung des Vollmachtgebers. Die Verpflichtungen des Bevollmächtigten sind dementsprechend vertraglichindividuell ausgestaltet. Im Übrigen kommt eine Vorsorgevollmacht in gesundheitlichen Angelegenheiten erst dann zur Anwendung, wenn der Vollmachtgeber nicht mehr einwilligungsfähig ist und somit eine Patientenverfügung nicht mehr wirksam errichten kann.

Zu Nummer 2 (§ 1906 BGB)

Die betreuungsrechtliche Einwilligung in ärztliche Zwangsmaßnahmen wird von der Regelung der freiheitsentziehenden Unterbringung des § 1906 Absatz 1 BGB entkoppelt und in einem eigenen Paragraphen (§ 1906a BGB) geregelt. Dadurch erhält § 1906 BGB wieder die Struktur, die die Bestimmung vor dem Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme hatte.

In die Überschrift werden die freiheitsentziehenden Maßnahmen nach Absatz 4 wegen ihrer eigenständigen Bedeutung aufgenommen. Die Änderung in Absatz 1 Nummer 2 erfolgt aus sprachlichen Gründen. Der Absatz 3 entspricht bis auf geringfügige Änderungen dem bisherigen Absatz 2 Satz 3 und 4. Die Änderungen haben nur eine klarstellende Funktion.

In Absatz 4 wird der Genehmigungsvorbehalt für freiheitsentziehende Maßnahmen auch für den Fall vorgesehen, dass der Betreute sich in einer freiheitsentziehenden Unterbringung befindet. Auch im Rahmen einer genehmigten Unterbringung nach Absatz 1 bedarf es damit einer gesonderten betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach Absatz 4, wenn dem Betreuten durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 12. September 2012, XII ZB 543/11, FamRZ 2012, 1866-1867; Beschluss vom 28. Juli 2015, XII ZB 44/15, FamRZ 2015, 1707-1709). Denn eine freiheitsentziehende Maßnahme nach Absatz 4 stellt für den Betroffenen gegenüber der freiheitsentziehenden Unterbringung nach Absatz 1 einen eigenständigen und nicht weniger gewichtigen Eingriff in seine körperliche Fortbewegungsfreiheit dar.

Im Übrigen wird der nicht mehr zeitgemäße Begriff "Anstalt" durch den Begriff "Krankenhaus" ersetzt. Damit wird ein Hauptanwendungsfall für die Vornahme von freiheitsentziehenden Maßnahmen in einer Einrichtung beschrieben, ohne dass damit ein anderes Verständnis des räumlichen Anwendungsbereiches des Absatzes 4 verbunden sein soll.

Zu Nummer 3 (§ 1906a BGB)

Die materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme werden nunmehr in § 1906a BGB geregelt. Da es sich um eine Zwangsmaßnahme handelt, die wie die in § 1906 Absatz 1 BGB geregelte freiheitsentziehende Unterbringung und die in § 1906 Absatz 4 BGB geregelten freiheitsentziehenden Maßnahmen mit einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten als Teil seines Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und in das Grundrecht auf Freiheit verbunden ist, erfolgt die Regelung unmittelbar nach § 1906 BGB. Von der Rechtsgrundlage des § 1906a BGB umfasst sind auch solche freiheitsentziehenden Maßnahmen im Sinne von § 1906 Absatz 4 BGB, die im Rahmen des stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus zur Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme unmittelbar erforderlich sind, aber nicht über einen längeren Zeitraum und nicht regelmäßig durchgeführt werden (zur Abgrenzung von genehmigungspflichtigen freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 1906 Absatz 4 BGB wird auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - so z.B. Beschluss vom 7. Januar 2015, XII ZB 395/14, NJW 2015, 865 - verwiesen). Die mit einer Freiheitsentziehung verbundene Verbringung des Betreuten in eine offene Station eines Krankenhauses ist hingegen auf § 1906a Absatz 4 BGB zu stützen.

Die Regelung des § 1906a BGB entspricht im Wesentlichen der bisherigen Rechtslage mit dem Unterschied, dass eine ärztliche Zwangsmaßnahme auch außerhalb einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 BGB vorgenommen werden kann, wenn sie im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt wird (Nummer 7). Damit wird zugleich die nach geltendem Recht umstrittene und höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage, ob ärztliche Zwangsmaßnahmen auch in anderen geschlossenen Einrichtungen als in Krankenhäusern vorgenommen werden dürfen (für die Zulässigkeit in anderen geschlossenen Einrichtungen z.B. LG Bonn, Beschluss vom 11. Dezember 2014 - 4 T 407/14 (PDF) -, FamRZ 2015, 1132; Gegenauffassung etwa LG Lübeck, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 7 T 019/14 (PDF) -, BtPrax 2014, 282), im Sinne der restriktiven Auffassung entschieden.

Der mit entsprechendem Aufgabenkreis bestellte Betreuer darf in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur einwilligen, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 7 kumulativ vorliegen. Danach muss die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden (Nummer 1), der Betreute muss einwilligungsunfähig sein (Nummer 2), ein nach § 1901a zu beachtender Wille des Betreuten darf der ärztlichen Zwangsmaßnahme nicht entgegenstehen (Nummer 3), es muss mindestens ein Überzeugungsversuch unternommen worden sein (Nummer 4), der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden kann durch keine andere den Betreuten weniger belastende Maßnahme abgewendet werden (Nummer 5), und der zu erwartende Nutzen der Maßnahme muss die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen (Nummer 6).

Mit Nummer 3 wird klargestellt, dass ein nach § 1901a BGB zu beachtender Wille des Betreuten der ärztlichen Zwangsmaßnahme nicht entgegenstehen darf (BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2015, 2 BvR 1549/14, 2 BvR 1550/14, FamRZ 2015, 1589-1593). Denn die Festlegungen in einer Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 BGB, die Behandlungswünsche des Betreuten und sein mutmaßlicher Wille nach § 1901a Absatz 2 BGB sind in dieser Reihenfolge auch maßgeblich für die Entscheidung des Betreuers, ob er in eine ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligt. Wenn eine auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffende wirksame Patientenverfügung vorliegt, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, ist der Betreuer bei seiner Entscheidung an die Behandlungswünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten gebunden. Maßstab der Entscheidung auf der Grundlage des mutmaßlichen Willens ist, wie der Betreute selbst entscheiden würde, wenn er einwilligungsfähig wäre. Der mutmaßliche Wille ist auf Grund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln (§ 1901a Absatz 2 Satz 2 BGB).

Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten (§ 1901a Absatz 2 Satz 3 BGB). Nachdem der Arzt geprüft hat, welche ärztliche Maßnahme medizinisch indiziert ist, ist diese Maßnahme mit dem Betreuer unter Berücksichtigung des für die zu treffende Entscheidung maßgeblichen Patientenwillens zu erörtern (§ 1901b Absatz 1 BGB). Bei der Feststellung des Patientenwillens (§ 1901a Absatz 1 BGB), der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens (§ 1901a Absatz 2 BGB) soll nach § 1901b Absatz 2 BGB nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten grundsätzlich Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Wie bei allen medizinischen Maßnahmen muss der Betreuer außerdem gemäß § 630e Absatz 4 BGB über die wesentlichen Umstände nach § 630e Absatz 1 BGB aufgeklärt werden. Unabhängig davon sind die für die Einwilligung des Betreuers wesentlichen Umstände nach § 630e Absatz 5 BGB auch dem nichteinwilligungsfähigen Betreuten in verständlicher Form zu erläutern, soweit dieser auf Grund seines Entwicklungsstandes und seiner Verständnismöglichkeiten in der Lage ist, die Erläuterung aufzunehmen, und soweit dies seinem Wohl nicht zuwiderläuft.

In Nummer 4 wird klargestellt, dass entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 23. März 2011, 2 BvR 882/09, BVerfGE 128, 282-322) und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 4. Juni 2014, XII ZB 121/14, BGHZ 201, 324-334) der Überzeugungsversuch ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommen werden muss.

Nach Nummer 5 darf der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere den Betreuten weniger belastende Maßnahme abgewendet werden können. Die Frage, ob die alternative Maßnahme den Betreuten weniger belastet, ist stets aus Sicht des Betreuten zu beantworten. Die Änderung gegenüber dem bisherigen § 1906 Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 hat lediglich klarstellenden Charakter.

Auch die Folgenabwägung nach Nummer 6 (bisher § 1906 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5) ist aus Sicht des Betreuten vorzunehmen. Dabei sind auch mögliche Nebenwirkungen der Maßnahme sowie die Ergebnisse bereits erfolgter Behandlungen zu berücksichtigen. Nur wenn der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt, darf der Betreuer in die Maßnahme einwilligen.

In Nummer 7 wird bestimmt, dass die Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme nur im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus zulässig ist, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist. Mit diesen Voraussetzungen soll erreicht werden, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen entsprechend dem Ultima-Ratio-Gedanken auf das unvermeidbare Mindestmaß reduziert werden. Sie sind nicht bereits dann erfüllt, wenn der Betreute im Krankenhaus lediglich ambulant behandelt wird. Vielmehr ist der stationäre Aufenthalt insbesondere zeitlich so auszugestalten, dass die gebotene sorgfältige Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die beabsichtigte ärztliche Zwangsmaßnahme durch den verantwortlichen Arzt und den Betreuer im Rahmen dieses Aufenthalts möglich ist. Diese Anforderung dürfte nur bei einem vollstationären Aufenthalt erfüllt sein. Weiterhin ist vorauszusetzen, dass in dem Krankenhaus, in dem der Betreute stationär aufgenommen wurde, die gebotene medizinische Versorgung einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist. Das Krankenhaus muss auf Grund seiner medizinischen Ausstattung die institutionellen Rahmenbedingungen dafür bieten, dass auch gerade die zwangsweise Durchführung der Behandlung fachgerecht und den konkreten Bedürfnissen des Betreuten entsprechend gewährleistet ist. Ferner muss das Krankenhaus sicherstellen, dass dort auch eine gegebenenfalls medizinisch erforderliche Nachsorge durchgeführt werden kann. Hierzu gehören auch etwaige Maßnahmen zur therapeutischen Aufarbeitung der Zwangsbehandlung. Der Betreute darf nicht unmittelbar nach Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme sich selbst überlassen bleiben, wenn ein weiterer therapeutischer Bedarf besteht.

Absatz 1 Satz 2 und die Absätze 2 und 3 entsprechen der bisherigen Regelung. Die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme unterliegt nach Absatz 2 weiterhin dem gerichtlichen Genehmigungsvorbehalt. Auch eine Patientenverfügung, die eine ärztliche Zwangsmaßnahme ausdrücklich gestattet, lässt den gerichtlichen Genehmigungsvorbehalt nicht entfallen.

§ 1904 Absatz 4 BGB findet keine entsprechende Anwendung. Die Genehmigungsentscheidung bleibt in der Zuständigkeit des Richters, da die Genehmigung der Einwilligung in diese Maßnahmen nach § 312 Nummer 3 FamFG als Unterbringungssache definiert wird und Unterbringungssachen von der Aufgabenübertragung auf den Rechtspfleger in § 3 Nummer 2 Buchstabe b des Rechtspflegergesetzes nicht umfasst sind.

Absatz 4 schafft die rechtliche Grundlage für die Einwilligung des Betreuers in eine notwendige Verbringung des Betreuten zu einem stationären Aufenthalt in ein offenes Krankenhaus gegen seinen natürlichen Willen zum Zwecke der ärztlichen Zwangsmaßnahme. Danach darf der Betreuer in die freiheitsentziehende Verbringung nur einwilligen, wenn die Voraussetzungen der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme nach Absatz 1 erfüllt sind und die Verbringungsmaßnahme ihrerseits notwendig ist, weil der Betreute, der körperlich nicht in der Lage oder der nicht willens ist, sich der ärztlichen Maßnahme räumlich zu entziehen, der Verbringung in das Krankenhaus mit natürlichem Willen widerspricht. Auch die Einwilligung in die Verbringungsmaßnahme steht in entsprechender Anwendung des Absatzes 2 unter gerichtlichem Genehmigungsvorbehalt.

Die Einwilligung eines Bevollmächtigten in eine ärztliche Zwangsmaßnahme und in eine Verbringungsmaßnahme nach Absatz 4 setzt nach Absatz 5 - entsprechend der bisherigen Regelung - voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die Einwilligung diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Die Wirksamkeit von Vollmachten, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes errichtet wurden und auf die bisherige Regelung ärztlicher Zwangsmaßnahmen des § 1906 Absatz 3 BGB

Bezug nehmen, bleibt durch die neue Regelung des § 1906a BGB unberührt. Im Wege der Auslegung kann davon ausgegangen werden, dass der Bevollmächtigte im Falle einer solchen Bestandsvollmacht im gleichen Umfang wie bisher - also zur Einwilligung in ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen der freiheitsentziehenden Unterbringung - bevollmächtigt bleibt. Eine Anpassung der Vollmacht wird daher nur dann erforderlich, wenn der Vollmachtgeber den Umfang der Vollmacht nach Inkrafttreten dieses Gesetzes erweitern und auch die Einwilligung in ärztliche Zwangsmaßnahmen im Sinne des Absatz 1 (außerhalb einer freiheitsentziehenden Unterbringung, aber im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus) und gegebenenfalls in freiheitsentziehende Verbringungsmaßnahmen nach Absatz 4 einbeziehen möchte.

Zu Artikel 2 (Änderung des FamFG)

Zu den Nummern 1 bis 4 (Inhaltsübersicht, §§ 104, 167 und 293 FamFG)

Die Änderung der Inhaltsübersicht ist Folge der Änderung der Überschrift des § 326 FamFG in Nummer 8. Bei den Nummern 2 und 3 handelt sich um Folgeänderungen zur Neufassung des § 312 FamFG (vgl. die Begründung zu Nummer 5). Die Folgeänderung in Nummer 4 ist aufgrund des neuen Regelungsstandorts des Genehmigungsvorbehalts bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen (vgl. Artikel 1 Nummer 3) veranlasst.

Zu Nummer 5 (§ 312 FamFG)

Die Vorschrift definiert die Unterbringungssachen, für die in Buch 3 Abschnitt 2 des FamFG besondere Verfahrensvorschriften geregelt sind.

Die Neufassung beinhaltet die notwendige Anpassung an die materiellrechtlichen Änderungen in den §§ 1906 und 1906a BGB-E und eine rechtssystematische Bereinigung.

Auf Grund der in diesem Entwurf vorgesehenen materiellrechtlichen Entkopplung der ärztlichen Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung werden die als Unterbringungssachen definierten Verfahren des § 312 FamFG neu gefasst und rechtssystematisch klarer gegliedert.

Nummer 1 erfasst nur noch die Genehmigung oder Anordnung einer zivilrechtlichen freiheitsentziehenden Unterbringung eines Volljährigen. Die bisher auch unter Nummer 1 erfasste ärztliche Zwangsmaßnahme wird als eigenständige Unterbringungssache in Nummer 3 neu verortet und um den Verweis auf die Rechtsgrundlage für die Verbringung des Betroffenen zu einem stationären Aufenthalt in ein Krankenhaus für die Vornahme der ärztlichen Zwangsmaßnahme ergänzt. Obgleich die freiheitsentziehende Unterbringung nicht mehr materiellrechtliche Voraussetzung der ärztlichen Zwangsmaßnahme ist, soll an der Legaldefinition der Unterbringungssache und an dem Begriff der Unterbringungsmaßnahme festgehalten werden. Verfahren, die die Genehmigung oder Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme betreffen, sind wie bisher unter Nummer 2 benannt. Von den Verfahren nach den Nummern 1 bis 3 werden jeweils auch die freiheitsentziehende Unterbringung sowie die Einwilligung in die freiheitsentziehende Maßnahme und die ärztliche Zwangsmaßnahme durch einen Bevollmächtigten erfasst, indem auf die materiellrechtlichen Regelungen in § 1906 Absatz 5 und § 1906a Absatz 4 BGB-E ausdrücklich Bezug genommen wird. In § 312 Nummer 1 bis 3 FamFG-E sind damit künftig alle Fälle der Genehmigung einer zivilrechtlichen Unterbringungsmaßnahme zusammengefasst, einschließlich der Anordnung solcher Maßnahmen nach § 1846 BGB in Verbindung mit § 1908i Absatz 1 BGB und § 1906a Absatz 1 Satz 2 BGB-E, die auch als einstweilige Maßregel nach § 334 FamFG möglich ist. Nummer 4 erfasst künftig die öffentlichrechtliche Unterbringung eines Volljährigen und die ärztliche Zwangsmaßnahme bei Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker.

§ 312 Satz 2 FamFG wird ersatzlos gestrichen. Er wurde durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme eingefügt und hatte einen deklaratorischen Zweck. Die Anwendung des Unterbringungsverfahrensrechts bei der gerichtlichen Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung ergibt sich unmittelbar aus der Neufassung des § 312 FamFG-E.

§ 312 Satz 3 FamFG wurde durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme eingefügt. Aus systematischen Gründen soll die Regelung der obligatorischen Bestellung eines Verfahrenspflegers bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung dem die Verfahrenspflegerbestellung betreffenden § 317 Absatz 1 FamFG zugeordnet werden (vgl. Nummer 7).

Zu Nummer 6 (§ 313 FamFG)

Es handelt sich um Folgeänderungen zur Neufassung des § 312 FamFG (vgl. die Begründung zu Nummer 5).

Zu Nummer 7 (§ 317 FamFG)

Durch die Neuverortung des Regelungsinhalts des § 312 Satz 3 FamFG in § 317 Absatz 1 FamFG (vgl. die Begründung zu Nummer 5) wird zugleich klargestellt, dass § 317 Absatz 4 FamFG auch im Falle der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung Anwendung findet, wonach die Bestellung eines Verfahrenspflegers unterbleibt oder aufgehoben wird, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.

Gleichzeitig wird der Anwendungsbereich der Regelung auch für Verfahren nach § 312 Nummer 4 FamFG-E eröffnet. Denn das Schutzbedürfnis des Betroffenen kann in diesen Fällen nicht anders beurteilt werden als im Verfahren zur Genehmigung einer zivilrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme.

Zu Nummer 8 (§ 326 FamFG)

Mit der Einführung einer Rechtsgrundlage für die Verbringung des Betroffenen zu einem stationären Aufenthalt in ein Krankenhaus für die Vornahme der ärztlichen Zwangsmaßnahme in § 1906a Absatz 4 BGB-E ergibt sich die Notwendigkeit für die Ergänzung des § 326 FamFG. Die verfahrensrechtlichen Regelungen zur Durchführung der Verbringung entsprechen damit denen für die Zuführung zur Unterbringung.

Zu den Nummern 9 bis 11 (§§ 327, 328, 330, 331 und 337 FamFG)

Es handelt sich um Folgeänderungen zur Neufassung des § 312 FamFG (vgl. die Begründung zu Nummer 5).

Zu Artikel 3 (Änderung der Vorsorgeregister-Verordnung)

Es handelt sich um eine Folgeänderung auf Grund der Neufassung des § 1906 BGB und der Einfügung des § 1906a BGB.

Zu Artikel 4 (Änderung des Erwachsenenschutzübereinkommens-Ausführungsgesetzes)

Es handelt sich um eine Folgeänderung auf Grund der Neufassung des § 1906 BGB und der Einfügung des § 1906a BGB.

Zu Artikel 5 (Änderung des BtBG)

Es handelt sich um eine Folgeänderung auf Grund der Neufassung des § 312 FamFG (vgl. die Begründung zu Artikel 2 Nummer 5).

Zu Artikel 6 (Einschränkung von Grundrechten)

Nach Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 GG muss das Gesetz, das ein Grundrecht einschränkt, dieses Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

Zu Artikel 7 (Evaluierung)

Die Vorschrift sieht eine Evaluierung des Gesetzes innerhalb von drei Jahren nach dessen Inkrafttreten vor. Gegenstand der Evaluierung sollen dabei die Auswirkungen der Änderungen auf die Anwendungspraxis, insbesondere die Art und Häufigkeit von betreuungsgerichtlich genehmigten und angeordneten ärztlichen Zwangsmaßnahmen, die Gruppe der Betroffenen, ihr Geschlecht und Alter sowie die Wirksamkeit der Schutzmechanismen nach § 1906a Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 7 BGB und des Verfahrensrechts, sein.

Zu Artikel 8 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten dieses Gesetzes.

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Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Absatz 1 NKRG: NKR-Nummer 4000, BMJV: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten

Der Nationale Normenkontrollrat hat den Entwurf des oben genannten Regelungsvorhabens geprüft.

I. Zusammenfassung

Bürgerinnen und Bürgerkeine Auswirkungen
Wirtschaftkeine Auswirkungen
Verwaltungkeine Auswirkungen
Weitere KostenDie mit den Rechtsänderungen verbundene Entwicklung betreuungsgerichtlicher Genehmigungsverfahren und die entsprechende Mehrbelastung der Gerichte sind nicht abgeschätzt.
EvaluierungDer Gesetzentwurf verpflichtet die Bundesregierung, innerhalb von drei Jahren die Auswirkungen der Rechtsänderungen auf die Anwendungspraxis zu untersuchen, insbesondere die Art und Häufigkeit von betreuungsgerichtlich genehmigten oder angeordneten ärztlichen Zwangsmaßnahmen und die Wirksamkeit der vorgesehenen Schutzmechanismen.
Insofern der Regelungsentwurf die künftige Mehrbelastung der Betreuungsgerichte nicht darstellt, entspricht er nicht den Anforderungen an eine Gesetzesvorlage der Bundesregierung. Da jedoch gleichzeitig die Evaluierung der Rechtsänderungen binnen drei Jahren verbindlich vorgesehen wird, erhebt der NKR in diesem Sonderfall keine Einwendungen gegen die Darstellung der Gesetzesfolgen in dem Regelungsentwurf.

II. Im Einzelnen

Auf der Grundlage einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) soll mit dem Regelungsentwurf eine Lücke im Recht der Betreuung behinderter Volljähriger geschlossen werden:

Nach derzeitiger Gesetzeslage kann der Betreuer in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur einwilligen, wenn der Volljährige mit gerichtlicher Genehmigung freiheitsentziehend untergebracht ist. Die gesetzliche Verknüpfung der ärztlichen Zwangsmaßnahme mit der freiheitsentziehenden Unterbringung kann dazu führen, dass Betreute, die - nicht untergebracht sind,- aber einer ärztlichen Maßnahme mit natürlichem Willen widersprechen, obgleich sie auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, ohne die medizinisch indizierte Behandlung einen schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden erleiden oder sogar versterben.

Zur Schließung der Schutzlücke will das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung entkoppeln. Für jede der Maßnahmen soll eine selbständige Norm jeweils mit einem eigenen richterlichen Genehmigungsvorbehalt geschaffen werden.

II.1. Erfüllungsaufwand

Bürgerinnen und Bürger/Wirtschaft/Verwaltung

Für Bürgerinnen und Bürger sowie für die Wirtschaft und die Verwaltung entsteht kein Erfüllungsaufwand.

II.2. Weitere Kosten - Justiz

Eine Mehrbelastung mit Kostenfolgen ergibt sich jedoch für die Gerichte aus der Vorgabe, über jede ärztliche Zwangsmaßnahme im Anwendungsbereich der Neuregelung zu entscheiden. Deshalb ist es notwendig, die künftige Entwicklung betreuungsgerichtlicher Genehmigungsverfahren zumindest abzuschätzen; als Ausgangspunkt hierfür steht die Statistik über ärztliche Zwangsmaßnahmen bei freiheitsentziehender Unterbringung zur Verfügung. Die Abschätzung fehlt in dem Regelungsentwurf.

II.3. Evaluierung

Das BMJV hat die Unvollständigkeit erkannt, jedoch eine Evaluierung der Auswirkungen des Gesetzes ausdrücklich auch im Hinblick auf die Häufigkeit von gerichtlich genehmigten ärztlichen Zwangsmaßnahmen verbindlich vorgesehen.

III. Votum

Insofern der Regelungsentwurf die künftige Mehrbelastung der Betreuungsgerichte nicht darstellt, entspricht er nicht den Anforderungen an eine Gesetzesvorlage der Bundesregierung. Da jedoch gleichzeitig die Evaluierung der Rechtsänderungen binnen drei Jahren verbindlich vorgesehen wird, erhebt der NKR in diesem Sonderfall keine Einwendungen gegen die Darstellung der Gesetzesfolgen in dem Regelungsentwurf.

Dr. Ludewig Dr. Holtschneider
Vorsitzender Berichterstatter