Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) Nr. 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen

Der Bundesrat hat in seiner 989. Sitzung am 15. Mai 2020 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 2 ( § 2b Absatz 2 AEntG)

In Artikel 1 Nummer 2 ist in § 2b Absatz 2 das Wort "unwiderleglich" zu streichen.

Begründung:

Gemäß § 2b Absatz 1 Satz 2 AEntG-E ist eine Anrechnung einer Entsendezulage auf die Entlohnung nicht möglich, sofern mit der Zulage Kosten gezahlt werden, die infolge der Entsendung tatsächlich entstanden sind. Legen die Arbeitsbedingungen nicht fest, welche Bestandteile einer Entsendezulage zum Zwecke der Erstattung von Entsendekosten gezahlt werden, "wird unwiderleglich vermutet, dass die gesamte Entsendezulage als Erstattung von Entsendekosten gezahlt wird" (§ 2b Absatz 2 AEntG-E).

Es handelt sich in § 2b Absatz 2 AEntG-E um eine unwiderlegbare Vermutung, die den Beweis des Gegenteils ausschließt.

Die Regelung ist dahingehend zu formulieren, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit des Gegenbeweises erhalten bleibt.

Die Formulierung in der Entsenderichtlinie lautet lediglich "... ist davon auszugehen, dass ... " (Artikel 3 Absatz 7). Es ist nicht ersichtlich, dass die Umsetzung der Entsenderichtlinie eine unwiderlegbare Vermutung erfordert.

Bei einer widerlegbaren Vermutung sind an den Beweis des Gegenteils strenge Anforderungen zu stellen. Es genügt nicht, dass die Vermutung lediglich erschüttert wird, vielmehr muss diese widerlegt sein. Auf Grund dieser hohen Hürde ist ein ausreichender Schutz von Entsendezulagen vor einer missbräuchlichen Anrechnung gewährleistet.

Es erscheint fraglich, ob von Erfahrungssätzen ausgegangen werden kann, die den Rückschluss erlauben, dass bei fehlenden Regelungen Entsendezulagen der Erstattung von Entsendekosten dienen. Die strikte Folge bei einer unwiderlegbaren Vermutung, dass es keine Rolle spielt, ob im Einzelfall die Entsendezulage trotz fehlender Regelung nicht der Erstattung von Entsendekosten dient, erscheint insofern überzogen.

Darüber hinaus bestehen rechtliche Bedenken im Hinblick auf den aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Justizgewährungsanspruch sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Zulässigkeit von unwiderlegbaren Vermutungen muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Lichte der Bedeutung des geschützten Grundrechts und der Folgen des Ausschlusses von Gegenbeweisen beurteilt werden. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte sind Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der unwiderlegbaren Vermutung in § 2b Absatz 2 AEntG-E begründet.

2. Zu Artikel 1 Nummer 5 Buchstabe a (§ 5 Satz 1 Nummer 1 AEntG)

Artikel 1 Nummer 5 Buchstabe a ist zu streichen.

Begründung:

§ 5 AEntG betrifft die Arbeitsbedingungen, die Gegenstand eines Tarifvertrages nach § 3 AEntG sein können. Damit bezieht sich § 5 AEntG auch auf solche Tarifverträge, die gemäß § 3 Nummer 1 AEntG für allgemeinverbindlich erklärt werden. Die Richtlinie (EU) Nr. 2018/957 verlangt gemäß Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c, dass die Entlohnung garantiert wird, die durch einen allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag festgelegt ist. Entlohnung bestimmt sich gemäß Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 3 der Richtlinie (EU) Nr. 2018/957 nach den nationalen Rechtsvorschriften und umfasst alle die Entlohnung ausmachenden Bestandteile, die durch allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge zwingend verbindlich sind. Eine Einschränkung auf nur Teile dieser (hier drei Stufen) lässt die Richtlinie nicht zu.

3. Zu Artikel 1 Nummer 11 (§ 13b Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 AEntG)

In Artikel 1 Nummer 11 sind in § 13b Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 die Wörter "die Gründe" durch die Wörter "eine Begründung" zu ersetzen.

Begründung:

Mit den im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderungen sollen die Vorgaben des dritten Unterabsatzes des neuen Artikels 3 Absatz 1a der Entsenderichtlinie umgesetzt werden. Dort heißt es allerdings, dass eine mit einer Begründung versehene Mitteilung vorgelegt werden muss. Um die Richtlinie 1 zu 1 umzusetzen, sollte daher auch die gleiche Begrifflichkeit verwendet werden. Rein formell ist "eine Begründung" eben nicht identisch mit "die Gründe".

4. Zu Artikel 1 Nummer 11 (§ 13c AEntG)

Der Bundesrat bittet um Prüfung,

Begründung:

§ 13c AEntG-E enthält Angaben zur Berechnung der für § 13b AEntG-E maßgeblichen Dauer der Beschäftigung des Arbeitnehmers in Deutschland. Die Vorschrift unterscheidet nach den möglichen Fallkonstellationen (Inlandsbeschäftigung zur Erbringung von Dienst- und Werkleistungen im Rahmen einer Tätigkeit innerhalb einer Unternehmensgruppe und im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung).

Die Entsenderichtlinie knüpft die Beschäftigungsdauer an die "Entsendedauer", ohne weitere Unterscheidungskriterien anzuführen. Es erscheint sachgerecht, grundsätzlich bei den verschiedenen Entsendekonstellationen zu differenzieren, wie dies in § 13c AEntG-E geschehen ist. Dadurch werden die unterschiedlichen Gegebenheiten und Umstände bei den verschiedenen Entsendungen berücksichtigt, um missbräuchlichen Umgehungen entgegenzuwirken.

Allerdings sollte geprüft werden, ob die einzelnen Regelungen dazu geeignet sind, Entsendungen praxisgerecht gestalten zu können (zum Beispiel bei langfristigen Liefer- und Wartungsverträgen mit jeweils kurzen Arbeitseinsätzen). Aus der Begründung des Gesetzentwurfs wird nicht ersichtlich, welche Interessenlagen und Gesichtspunkte bei der Festlegung der unterschiedlichen Berechnung der Entsendedauer berücksichtigt worden sind.