Antrag des Landes Schleswig-Holstein
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung
(Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz - GKV-IPReG)

Punkt 16 der 989. Sitzung des Bundesrates am 15. Mai 2020

Der Bundesrat möge beschließen:

Zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe b

Doppelbuchstabe aa (§ 40 Absatz 3 Satz 2 bis 8 und 10 SGB V), Doppelbuchstabe bb (§ 40 Absatz 3 Satz 13 SGB V), Doppelbuchstabe ff (§ 40 Absatz 3 Satz 20 SGB V) und Nummer 15 Buchstabe a (§ 275 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 SGB V)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung:

Im Sinne des Grundsatzes "Rehabilitation vor Pflege" soll eine Rehabilitation helfen, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zu vermindern.

§ 40 Absatz 3 Satz 2 ff. SGB V eröffnet lediglich die Möglichkeit, eine geriatrische Rehabilitation nach vertragsärztlicher Verordnung ohne Überprüfung der medizinischen Erforderlichkeit durch die Krankenkasse durchzuführen. Diese Regelung greift zu kurz und sollte auch auf indikationsbezogene Rehabilitationen wie zum Beispiel orthopädische, kardiologische und onkologische Rehabilitationen sowie Anschluss-Rehabilitationen ausgeweitet werden. Eine Antragsüberflutung ist durch diese Ausweitung nicht zu befürchten, da es hier ausschließlich um die Vermeidung oder Verzögerung von Pflegebedürftigkeit insbesondere alter Menschen geht. Rehabilitationsmaßnahmen zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit sind von der gesetzlichen Regelung nicht betroffen. Vielmehr geht es darum, für die Zielgruppe ein angemessenes Verfahren anzubieten, das zudem den Verwaltungsaufwand aller Beteiligten deutlich reduziert.

Nach den vorliegenden Informationen wird ein Großteil der Anträge zunächst durch die GKV abgelehnt und erst nach durchgeführtem Widerspruchsverfahren bewilligt. Es ist aber davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil der Antragsstellerinnen und Antragssteller nicht die Kraft, das Wissen oder die Unterstützung hat, um entsprechende Rechtsmittel einzulegen. Diesem Personenkreis bleibt eine sinnvolle und notwendige Rehabilitation und die damit einhergehenden Möglichkeiten zur Teilhabe vorenthalten, da ihre Pflegebedürftigkeit aller Wahrscheinlichkeit nach verfrüht eintritt.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen erstmalig für das Jahr 2021 bis zum 30. Juni 2022 und danach jährlich bis zum 30. Juni 2024 einen Bericht vorlegt, in dem die Erfahrungen mit der vertragsärztlichen Verordnung von Rehabilitationen wiedergegeben werden sollen. Dieser Bericht bietet dann die Gelegenheit, die Gesetzesänderung und ihre Auswirkungen zu evaluieren.

Im Jahr 2030 werden die 67-Jährigen und Älteren etwa 23 Prozent der Bevölkerung ausmachen (2000: 14 Prozent). 48 Prozent aller deutschen Bundesbürger haben bereits heute eine oder mehrere chronische Erkrankungen (Bundeszentrale für politische Bildung 2019), sodass die Gesundheitsausgaben jährlich um 2,2 Prozent steigen werden (OECD).

Rehabilitationsmaßnahmen sind geeignet, diese Kosten zu senken. Der Bund der Privatkliniken (BDPK) hat zuletzt auf seinem parlamentarischen Abend am 4. März 2020 nachvollziehbar verdeutlicht, dass eine Rehabilitationsmaßnahme, die durchschnittlich 3 000 Euro kostet, sich bereits dann amortisiert, wenn die Pflegebedürftigkeit durch eine Rehabilitation um vier Monate hinausgeschoben werden kann. Zugrunde gelegt wurde ein durchschnittlicher Pflegeaufwand von 826 Euro monatlich. Jeder weitere Monat entlastet die Pflegekassen.

Die Wirksamkeit von Rehabilitationsleistungen konnte bereits anhand verschiedener Studien nachgewiesen werden. So zeigt sich, dass sowohl die Mortalitätsrate, aber auch die Zahl folgender Krankenhausaufenthalte deutlich gesenkt werden konnten. Hinzu kommen die deutlich höhere Lebensqualität und die damit mögliche Teilhabe der Patienten und Patientinnen am Alltagsleben. Dies bestätigen auch die Krankenkassen. Eine Auswertung der AOK-Versichertendaten von 2014 zeigt: Stationäre Rehabilitation im Alter erfolgt selten ohne vorhergehende Krankenhausbehandlung. Bei den untersuchten Versicherten, die eine Rehabilitationsbehandlung erhielten, konnte Pflegebedürftigkeit überwiegend verhindert werden. Und auch die Barmer BEK veröffentlichte in ihrem Pflegereport 2014, dass Länder mit hohen Kapazitäten an Reha-Einrichtungen geringere Pflegeeintrittswahrscheinlichkeiten aufweisen.

Das GKV-IPReG stellt im Bereich medizinische Rehabilitation vorrangig die Rehabilitation und Teilhabe nicht mehr im Arbeitsleben befindlicher Menschen sicher. Diese Menschen haben unterschiedliche Rehabilitationsbedarfe, nicht alle Patienten und Patientinnen benötigen eine geriatrische Rehabilitation. Genauso können indikationsbezogene Maßnahmen den Eintritt der Pflegebedürftigkeit verzögern oder sogar vermeiden. Die Überprüfung dieser Bedarfe durch den MDK aufgrund der Aktenlage, die nach dem GKV-IPReG für indikationsbezogene - anders als jetzt für geriatrische - Rehabilitation weiterhin vorgeschrieben sein soll, ist nicht zielführend.

Auch das derzeitige Antragsverfahren für eine Anschlussrehabilitation nach einem akutstationären Aufenthalt verursacht massive Probleme und führt zu Zeitverzögerungen, die auch dem Heilungsverlauf entgegenstehen. Jährlich werden 19 Millionen Krankenhausbehandlungen mit durchschnittlich sieben Tagen Verweildauer durchgeführt. Für ca. eine Million Patienten ist eine Anschlussrehabilitation direkt nach ihrem akutstationären Aufenthalt im Krankenhaus medizinisch indiziert. Die Direkteinleitung der Anschlussrehabilitation sollte daher nicht nur - wie vorgesehen - auf Grundlage eines Indikationskataloges geregelt, sondern auch gesetzlich normiert werden, um hier Rechtssicherheit zu gewährleisten. Als Folgeänderung ist die Streichung der Ausnahmeregelung in § 275 Absatz 2 Nummer 1 letzter Halbsatz (Artikel 1 Nummer 15 Buchstabe a) konsequent.

Dies wäre auch im Sinne der Akutkrankenhäuser. In Fällen, in den Patienten und Patientinnen noch keine Bewilligung während ihres regulären stationären Aufenthaltes haben und aufgrund ihres gesundheitliche Zustandes nicht nach Hause entlassen werden können, führt dies zu Fehlbelegungszeiten im Krankenhaus. Diese werden mit Zahlungsrückforderungen der Krankenkassen belegt. Im Dezember 2019 hat der Deutsche Bundestag hierzu beschlossen, dass Krankenhäuser 300 Euro Strafe zahlen müssen, wenn Patienten nicht entlassen werden können, weil die Anschlussversorgung nicht gewährleistet ist.

Die vorliegende Änderung des § 40 Absatz 3 SGB V schafft die Voraussetzung dafür, dass die bedarfsgerechte Versorgung von Patienten und Patientinnen mit Rehabilitationsleistungen verbessert, die Pflege entlastet und die Pflegekosten gesenkt werden.