Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes

Der Bundesrat hat in seiner 895. Sitzung am 30. März 2012 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zum Gesetzentwurf allgemein

2. Zum Gesetzentwurf allgemein

Der Bundesrat begrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf, mit dem die Solvency-II-Rahmenrichtlinie umgesetzt wird. Diese Richtlinie zielt - zusammen mit den Durchführungsbestimmungen der EU-Kommission und den technischen Standards, Leitlinien und Empfehlungen der EU-Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA - auf EU-weit einheitliche aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen für Versicherer. Einheitliche Rahmenbedingungen sind unverzichtbare Voraussetzungen für einen EU-Versicherungsbinnenmarkt.

Im Interesse künftig EU-weit harmonisierter Aufsichtsstandards sieht es der Bundesrat gleichzeitig als kritisch an, dass einige Regelungen im geltenden Versicherungsaufsichtsgesetz, die nicht im Widerspruch zur Richtlinie stehen, beibehalten werden sollen. Er bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob auf diese Vorgaben unter dem Gesichtspunkt EU-weit einheitlicher Aufsichtsstandards ganz oder teilweise verzichtet werden kann.

Im Interesse einer 1 : 1-Umsetzung der Solvency-II-Rahmenrichtlinie und unter Aufrechterhaltung seiner Haltung in der Stellungnahme zum Aufsichtsstärkungsgesetz (Bundesrats-Drucksache 277/09 (PDF) ) bittet der Bundesrat insbesondere zu prüfen, ob in Artikel 1 Nummer 23 § 16 Absatz 1 Satz 3 VAG-E gestrichen werden kann.

Begründung:

Das ausdrückliche Kreditaufnahmeverbot für Versicherer wurde im Jahr 2009 im Rahmen des sog. Aufsichtsstärkungsgesetzes in das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) aufgenommen. Der Bundesrat hatte sich damals ausdrücklich gegen diese Verschärfung ausgesprochen und die Beibehaltung der bisherigen, gefestigten Aufsichtspraxis - wonach die Aufnahme von Fremdmitteln im engen Rahmen zulässig ist - gefordert (vgl. Ziffer 1 Buchstabe f) des Bundesratsbeschlusses - Drucksache 277/09(B) HTML PDF ). Daran knüpft der Bundesrat an.

In Artikel 18 Absatz 1a und b der Solvency-II-Rahmenrichtlinie findet sich zwar das auch in § 16 Absatz 1 Satz 1 VAG-E statuierte Verbot des Betreibens versicherungsfremder Geschäfte. Demnach dürfen Versicherer neben Versicherungsgeschäften nur solche Geschäfte betreiben, die mit Versicherungsgeschäften in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Dies schließt aber die Kreditaufnahme nicht von vornherein aus. In der Richtlinie fehlt - anders als in der Richtlinie für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (IORP-Richtlinie) - ein ausdrückliches Kreditaufnahmeverbot. Der wissenschaftlichen Literatur zufolge (vgl. Dreher/Lange, Versicherungsrecht 2011, S. 825ff, 833) ist auch aus keinem anderen EU-Mitgliedstaat ein entsprechendes Verbot bekannt.

3. Zu Artikel 1 Nummer 28 (§§ 24 bis 33 VAG)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob es zweckmäßiger wäre, die Regelungen zur Geschäftsorganisation entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) anzupassen. Der Gesetzentwurf weicht an mehreren Stellen von der Terminologie dieser Richtlinie zum Governance-System ab (zum Beispiel bei den Begriffen "Geschäftsorganisation" in § 24, "Schlüsselaufgaben" in § 25 Absatz 1, "Risikocontrollingfunktion" in § 27 Absatz 5 und "Gesetze ..., die für den Betrieb des Versicherungsgeschäfts gelten" in § 29 Absatz 2 Satz 1).

Derartige Inkonsistenzen zwischen den europäischen Rechtsvorschriften und dem VAG würden die Rechtsanwendung erschweren. Dies gilt umso mehr, als es im Bereich des Governance-Systems zusätzliche unmittelbar geltende Durchführungsmaßnahmen der Kommission geben wird.

4. Zu Artikel 1 Nummer 28 (§ 28 Absatz 3 Satz 1 VAG)

In Artikel 1 Nummer 28 ist in § 28 Absatz 3 Satz 1 das Wort "alle" durch das Wort "wesentliche" zu ersetzen.

Begründung:

Nach dem Gesetzentwurf wird gefordert, dass alle Risiken von den Versicherungsunternehmen ordnungsgemäß identifiziert und beurteilt werden müssen. Dies geht deutlich über die EU-Richtlinie hinaus. Die Richtlinie fordert lediglich die Identifikation und Beurteilung der - je nach Unternehmen individuell festzulegenden - wesentlichen Risiken.

Eine darüber hinausgehende Berücksichtigung aller Risiken entspricht nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und erscheint realistisch betrachtet kaum durchführbar. In der vorliegenden Fassung würde der Gesetzentwurf folglich insbesondere kleinere Versicherungsunternehmen, die nur begrenzte finanzielle und personelle Kapazitäten haben, erheblich überfordern.

5. Zu Artikel 1 Nummer 28 (§ 32 VAG)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob in § 32 eine datenschutzrechtliche Regelung aufgenommen werden kann, die es Versicherungsunternehmen rechtszweifelsfrei ermöglicht, Funktionen und Tätigkeiten im Sinn des § 32 auszugliedern und dabei Daten von Versicherungsnehmern externen Dienstleistern zur Bearbeitung zu überlassen. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Überlassung personenbezogener Daten im Sinn des § 11 BDSG ohne Einwilligung des Betroffenen könnte eine vertragliche Vereinbarung mit dem Dienstleister sein, dass der Geheimnis- und Datenschutz dort in gleicher Weise gewährleistet ist wie bei dem Versicherungsunternehmen. Als Folge wäre die strafrechtliche Sanktionierung in § 203 Absatz 1 Nummer 6 StGB auf Unternehmen und Personen zu erweitern, derer sich die Versicherungsunternehmen im Rahmen von Funktionsausgliederungs- oder sonstigen Dienstleistungsverträgen bedienen.

Begründung:

Die Ausgliederung von Funktionen und Tätigkeiten ist unter den Voraussetzungen des § 32 VAG-E versicherungsaufsichtsrechtlich zulässig. Ob und in welchem Umfang die Vorgehensweise auch datenschutzrechtlich und strafrechtlich zulässig ist, ist jedoch stark umstritten.

Die Versicherungswirtschaft sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, mit der Weitergabe der Daten an Dienstleister gegen das Bundesdatenschutzgesetz sowie in der Personenversicherung gegen den Geheimnisschutz des § 203 StGB zu verstoßen. Die Einwilligung sämtlicher Versicherungsnehmer in die Ausgliederung einzuholen, erscheint jedoch praktisch nicht durchführbar. Zudem wären die Versicherer gezwungen, für jede Änderung der Geschäftsprozesse jeden einzelnen Versicherungsnehmer erneut um Einwilligung zu bitten. Durch eine Klarstellung in § 32 VAG-E sowie eine Ergänzung des § 203 StGB könnte für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Versicherungsunternehmen die Sicherheit geschaffen werden, dass ihr Tun datenschutzrechtlich und strafrechtlich nicht zu beanstanden ist. Außerdem könnte eine Benachteiligung deutscher Versicherungsunternehmen gegenüber ausländischen Wettbewerbern vermieden werden.

6. Zu Artikel 1 Nummer 28 (§ 32 VAG)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren näher zu prüfen, ob es sinnvoll und verhältnismäßig ist, dass die Anforderungen auch auf die Ausgliederung von Nebenfunktionen anzuwenden sind.

Begründung:

Die bisher vorgesehene Regelung geht deutlich über Artikel 49 der EU-Richtlinie hinaus. Während sich die Regelungen zur Ausgliederung in der EU-Richtlinie auf "Funktionen oder Versicherungs- oder Rückversicherungstätigkeiten" beziehen, erfasst § 32 VAG-E die "Ausgliederung von Funktionen oder Tätigkeiten", ohne hier eine inhaltliche Begrenzung vorzunehmen. Folglich würde jede Ausgliederung von Tätigkeiten erfasst und nicht nur auf spezifische Versicherungs- oder Rückversicherungstätigkeiten abgestellt. Dies würde bedeuten, dass beispielsweise Stromlieferungen, Datenentsorgung aber auch höherwertigere Dienstleistungen wie Anwalts- oder Marktforschungsdienstleistungen unter § 32 fallen würden und den Anforderungen der Vorschriften genügen müssten.

Außerdem sollte eine Benachteiligung deutscher Versicherer im Wettbewerb mit ausländischen Versicherungsunternehmen vermieden werden.

7. Zu Artikel 1 Nummer 35 (§ 45 Absatz 2 VAG)

In Artikel 1 Nummer 35 ist § 45 Absatz 2 zu streichen. Begründung:

Bei der Solvabilitätsübersicht handelt es sich um eine der zentralen Elemente der neuen Solvency-II-Regelungen, deren Prüfung nicht dem externen Prüfer übertragen werden kann. Diese sollte als originäre Kernaufgabe von der Versicherungsaufsicht durchgeführt werden, zumal diese ohnehin für diesen Bereich die Verantwortung trägt.

8. Zu Artikel 1 Nummer 70, 112 und 114 (§§ 84, 131 und 135 Absatz 2 VAG)

Der Bundesrat bittet zu prüfen, ob im weiteren Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen zur Stärkung der Risikotragfähigkeit deutscher Lebensversicherer umgesetzt werden können. Vor dem Hintergrund der Niedrigzinsphase ist im Gesetzentwurf bereits eine Regelung zur Anpassung der Beteiligung an Bewertungsreserven aus festverzinslichen Finanztiteln enthalten. Um die deutsche Lebensversicherung unter Solvency-II-Rahmenbedingungen zukunftsfest zu machen und das Angebot von sozialpolitisch bedeutsamen langfristigen Garantien sicherzustellen, sollte geprüft werden, ob darüber hinaus folgende Anpassungen im Regelungsbereich der Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) möglich sind:

Begründung:

Zu a):

Die nicht festgelegte RfB ist ein zentraler Eigenmittelbestandteil innerhalb der aktuellen Solvabilitätsvorschriften. Deren Anteil an den gesamten Eigenmitteln lag in den letzten Jahren relativ konstant bei 80 Prozent. Die Anerkennung der nicht festgelegten RfB als Eigenmittel der höchsten Qualitätsklasse ist für Versicherungsunternehmen eine zentrale Voraussetzung, um künftige Kapitalanforderungen nach Solvency II erfüllen zu können. In der Solvency-II-Richtlinie ist die Zuordnung der nicht festgelegten RfB zu den aufsichtsrechtlichen Eigenmitteln höchster Qualität in Artikel 96 festgelegt. Bei der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht sollte daher ebenfalls eine klare Festlegung auf Gesetzesebene erfolgen, dass die gesamte nicht festgelegte RfB als Tier 1-Eigenmittel zählt. Im Gesetzentwurf ist dagegen in § 84 Absatz 1 Satz 2 VAG vorgesehen, dass die Aufsichtsbehörde zusätzlich festlegt, wie der eigenmittelfähige Teil der handelsrechtlichen RfB jeweils zu berechnen ist. Eine separate Festlegung der Eigenmittelfähigkeit durch die Aufsichtsbehörde entspricht nicht den Vorgaben der Solvency-II-Richtlinie und stellt die Qualität der nicht festgelegten RfB als Eigenmittel in Frage. Um Rechtssicherheit zu schaffen und Belastungen der Solvabilität der Versicherungsunternehmen zu vermeiden, sollte die Eigenmitteleinstufung in Qualitätsklassen auf Gesetzesebene geregelt werden und eine separate Festlegung durch die Aufsichtsbehörde entfallen.

Zu b):

Es sollte geprüft werden, ob die Vorgaben für die Versicherungsunternehmen, wie nach der Zuführung zur RfB mit den Mitteln umzugehen ist, stringenter gefasst und Regelungslücken zu Ausgleichsmechanismen zwischen den Teilbeständen geschlossen werden können. Derzeit sind die Mittel in der RfB künstlich in den Neu- und Altbestand getrennt. Der Altbestand wurde 1994 vollständig von den "neuen" Verträgen separiert und die bis dahin in der RfB akkumulierten Mittel ausschließlich dem Altbestand zugewiesen. Zudem existiert für den Altbestand eine gesonderte aufsichtsrechtliche RfB-Begrenzung.

Vor diesem Hintergrund sollten die bestehenden Regelungen hinterfragt werden. Es ist zu befürchten, dass ansonsten der Risikoausgleich im Kollektiv der Versicherten gestört und die Risikotragfähigkeit der Lebensversicherer geschwächt wird. Es sollten daher klare Festlegungen getroffen werden, in welchem Umfang Ausgleichsmechanismen zwischen den Teilbeständen eingesetzt werden können.

Zu erwägen ist zudem, die aufsichtsrechtliche RfB-Begrenzung für den Altbestand durch eine Begrenzungsregelung für den Gesamtbestand zu ersetzen. Andernfalls drohen eine dauerhafte Ungleichbehandlung sowohl zwischen den Versicherten im Neu- und Altbestand als auch innerhalb des Altbestandes und eine starke Belastung der Solvabilität der Versicherungsunternehmen.

Ferner sollten auch die in § 131 Absatz 1 VAG vorgesehenen Regelungen zur Nutzung der nicht festgelegten RfB zur Verlustabdeckung nochmals hinterfragt werden. Die Umstände, unter welchen die Mittel aus der nicht festgelegten RfB zum Ausgleich nicht vorhersehbarer Verluste verwendet werden dürfen, sind im Gesetz nicht näher definiert. Auch die Verteilung der Verluste zwischen Unternehmen und Versicherten bleibt bislang unbestimmt. Die Maßnahme darf zudem nur mit der Vorabgenehmigung der Aufsichtsbehörde ergriffen werden. Die Beibehaltung dieser Regelungen würde für Versicherungsunternehmen zu einer sehr hohen Rechtsunsicherheit führen. Eine Vorabgenehmigung der Aufsichtsbehörde inkl. aufwändiger Einzelfallprüfung könnte die Verwendung der nicht festgelegten RfB als Risikopuffer zu stark einschränken und schnelles Handeln in einer akuten Notsituation unnötig erschweren.

Um eine größere Rechtssicherheit zu erreichen, sollte geprüft werden, ob statt der Vorabgenehmigung durch die Aufsichtsbehörde ausreichend konkrete Festlegungen dafür getroffen werden können, wann eine Maßnahme ergriffen werden kann und wie die Aufteilung der Verluste erfolgt.

9. Zu Artikel 1 Nummer 70 (§ 84 Absatz 1 VAG)*)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, wie die Anforderungen an die Einstufung handelsrechtlicher Rückstellungen für Beitragsrückerstattung (RfB) als Eigenmittel - Qualitätsklasse 1 - in § 84 Absatz 1 VAG-E weiter konkretisiert werden können. Dabei bittet er insbesondere zu prüfen, ob die Ermächtigung der BaFin in § 84 Absatz 1 Satz 2 VAG-E darauf beschränkt werden kann, die Zuordnung der Teile der RfB festzulegen, die auf festgelegte Überschussanteile entfallen.

Begründung:

Brancheninformationen zufolge machten RfB, die nicht auf festgelegte Überschussanteile entfallen, bei den deutschen Versicherern im Jahr 2010 ca. 46 Mrd. Euro aus. Das bilanzielle Eigenkapital lag dagegen nur bei 12 Mrd. Euro. Für die deutschen Versicherer ist es daher von herausragender Bedeutung, in welcher Höhe ihre RfB als Eigenmittel - Qualitätsklasse 1 - aufsichtsrechtlich anerkannt werden. Nur so sind sie in der Lage, ihre Kapitalanlagen mit Blick auf die aufsichtsrechtlich verfügbaren Eigenmittel zu steuern.

Nach dem Wortlaut des § 84 Absatz 1 Satz 1 VAG-E gehört nur derjenige Teil der handelsrechtlichen RfB zu den Eigenmitteln - Qualitätsklasse 1 -, der zur Deckung von Verlusten verwendet werden darf und nicht auf festgelegte Überschussanteile entfällt. Wie dieser Teil der RfB zu ermitteln ist, soll nach Satz 2 die BaFin festlegen. Weitere Konturen für die Ermächtigung fehlen.

Dadurch entsteht der Eindruck, als solle die BaFin die Möglichkeit haben, - ggf. per Allgemeinverfügung - die Anforderungen für die Einstufung von Teilen der RfB als Eigenmittel - Qualitätsklasse 1 - weitergehend einzugrenzen. Das kann nicht gewollt sein. Hintergrund des Satzes 2 dürfte vor allem die Frage sein, welcher Teil der RfB im Einzelfall als festgelegt und welcher als nicht festgelegt anzusehen ist. In diesen Fällen sollte die BaFin die Möglichkeit haben, die Zuordnung vorzunehmen.

Der Bundesrat bittet daher, im weiteren Gesetzgebungsverfahren vor allem zu prüfen, ob die Ermächtigung in § 84 Absatz 1 Satz 2 VAG-E entsprechend auf diesen Fall eingegrenzt werden kann.

10. Zu Artikel 1 Nummer 103 (§ 121 Absatz 2 Satz 2 VAG)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob das Aufrechnungsverbot in § 121 Absatz 2 Satz 2 ersatzlos gestrichen werden kann.

Nach Titel IV Kapitel III der Solvency-II-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten u.a. die bevorrechtigte Behandlung von Versicherungsforderungen gegenüber anderen Forderungen im Rahmen des Liquidationsverfahrens sicherzustellen. Diese Vorgaben gelten gemäß Artikel 267 dieser Richtlinie allein für "Versicherungsunternehmen", also nach der Begriffsbestimmung der Richtlinie für Erstversicherungsunternehmen. Damit deckt die Solvency-II-Richtlinie die Beibehaltung des Sicherungsvermögens im Gesetzentwurf nur insoweit ab, als für Erstversicherungsunternehmen festgeschrieben wird, dass die versicherungstechnischen Rückstellungen durch entsprechende Vermögenswerte zu unterlegen und in einem besonderen Verzeichnis zu führen sind. Darüber hinausgehende Vorgaben, insbesondere spezielle Treuhand- und Verfügungsvorschriften, gehen über die Anforderungen der Solvency-II-Richtlinie hinaus.

Im Zusammenhang mit dem Sicherungsvermögen sollte daher das Aufrechnungsverbot in § 121 Absatz 2 Satz 2 gestrichen werden, da es das in der Praxis übliche Kontokorrent zwischen Erst- und Rückversicherer erheblich beeinträchtigt. Das Verbot verhindert, dass der Rückversicherer, der noch offene Prämien-Ansprüche gegen einen Erstversicherer hat, diese Prämien-Ansprüche gegen Ansprüche aufrechnen kann, die der Erstversicherer gegen ihn hat - und das, obwohl im konkreten Einzelfall kein Sicherungsbedürfnis des Erstversicherungsunternehmens mehr besteht, weil dessen Versicherungsnehmer bereits befriedigt worden sind.

Das Aufrechnungsverbot ist weder europarechtlich noch nationalrechtlich geboten. Es wurde in der 9. VAG-Novelle zum 1. Januar 2008 in Reaktion auf einen Einzelfall eingeführt. Infolge des BGH-Urteils - IV ZR 177/09 - vom 20. Juli 2011 entfällt die Daseinsberechtigung für diese Regelung, da das Verbot in diesem Einzelfall ohne Wirkung blieb.

Des Weiteren war die Saldierung wechselseitiger Forderungen eine bewährte und notwendige Praxis für Erst- und Rückversicherungsunternehmen. Durch das Aufrechnungsverbot werden die Geschäftsverbindungen in der Erst- und Rückversicherungsbranche unnötig belastet und es könnte daher entfallen.

11. Zu Artikel 1 Nummer 122 (§ 151 Absatz 1 Satz 1 VAG)

In Artikel 1 Nummer 122 sind in § 151 Absatz 1 Satz 1 nach den Wörtern "die Rechtsschutzversicherung" die Wörter "im Inland" und nach den Wörtern "der Rechtsschutzversicherung" die Wörter "ausschließlich bezogen auf das Inland" einzufügen.

Begründung:

Die Vorschrift gilt, wie das VAG insgesamt, nur im Inland. Dies sollte bei grenzüberschreitenden Versicherungsgeschäften im EU-/EWR-Raum aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit explizit erwähnt werden.

Da § 151 Absatz 1 VAG-E den § 8a Absatz 1 VAG unverändert übernimmt, wird auch in der neuen Regelung die Frage aufgeworfen, ob Versicherungsunternehmen mit Sitz in Deutschland, die im Inland nur die Rechtsschutzversicherung betreiben, aber über Auslandsniederlassungen im EU-/EWR-Raum die Rechtsschutzversicherung zusammen mit anderen Sparten betreiben, die Abwicklung von Rechtsschutzschäden auch im Inland ohne das Vorliegen einer Interessenkollision auf eine separate Gesellschaft auslagern müssen.

Eine weiterführende Frage wäre, ob die Versicherungsunternehmen nur wegen des gemeinsamen Betriebs der Rechtsschutzversicherung mit anderen Sparten in einer einzelnen Auslandsniederlassung Schadensabwicklungsunternehmen in allen ihren EU-Niederlassungen einrichten müssten. In diesem Fall läge eine Benachteiligung deutscher Versicherer gegenüber den in den betreffenden Staaten ansässigen Unternehmen vor. Die Einrichtung solcher Schadensabwicklungsunternehmen wäre für den Verbraucherschutz nicht erforderlich, da die Versicherten vor Interessenkollisionen durch die dortigen Schutzmechanismen geschützt sind.

12. Zu Artikel 1 Nummer 130 (§§ 205 und 207 VAG)

§ 207 VAG-E erlaubt dem Bundesminister für Finanzen, ergänzend zu § 204, besondere Regelungen zu den Eigenmittelanforderungen für Sterbekassen zu treffen. In der Verordnung sollte klargestellt werden, dass Sterbegeldversicherer, die die gemischte Lebensversicherung (Kleinlebensgeschäft) nicht mehr aktiv betreiben, von den Solvency-II-Regelungen ausgenommen werden.

Begründung:

Bislang ist es Sterbegeldversicherern auf Antrag gestattet, die Kleinlebensversicherung bis zu einer Vertragshöhe von 8 000 Euro, dies entspricht dem in Deutschland höchstmöglichen Sterbegeld, anzubieten. Unternehmen, die nur die Sterbegeldversicherung bis 8 000 Euro anbieten, sind unabhängig von ihrem Bruttobeitragsaufkommen und ihren Bruttorückstellungen von den Solvency II Vorschriften befreit. Dies gilt aber nicht für Unternehmen, die die Kleinlebensversicherung anbieten. Um nicht unter die Richtlinie zu fallen, haben die Sterbegeldversicherer, die bislang die Kleinlebensversicherung anbieten, beschlossen, diese Sparte künftig nicht mehr zu vertreiben. In der Begründung zu § 207 VAG-E sollte ebenfalls auf die Ausnahme verwiesen werden.

13. Zu Artikel 1 Nummer 131 (§ 221 VAG)

Begründung:

Zu a):

Die Verordnungsermächtigung des Bundes in § 221 VAG-E ist auf die der Bundesaufsicht unterliegenden Pensionskassen beschränkt. Für die Länder ist keine entsprechende Verordnungsermächtigung vorgesehen. Die Ermächtigung bezieht sich nicht auf Verfahrensregelungen, sondern auf materiellrechtliche Regelungen. Mit der vorgesehenen Regelung würde der Bund somit in diesem Bereich seine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit gemäß Artikel 74 Absatz 1 Nummer 11 GG zurücknehmen und Lücken schaffen. Sollte dies gewünscht sein, ist den Ländern eine Verordnungsermächtigung einzuräumen.

Zu b):

Das zum Teil bisher für den Erlass von Verordnungen vorgeschriebene Benehmen mit den Aufsichtsbehörden der Länder soll nach dem vorliegenden Entwurf entfallen. Da "Benehmen" mehr bedeutet als das Übersenden von Unterlagen, würde damit unabhängig von § 318 VAG-E die Mitwirkungsmöglichkeit der Länder eingeschränkt.

14. Zu Artikel 1 Nummer 133 (§ 276 Absatz 4 VAG)

In Artikel 1 Nummer 133 sind in § 276 Absatz 4 nach den Wörtern " Pensionsfonds ist" die Wörter ", die nachweislich eine Leitungsfunktion gegenüber Versicherungsunternehmen ausüben" einzufügen.

Begründung:

Die versicherungsaufsichtsrechtlichen Vorgaben stellen für Holdinggesellschaften, die nachweislich keine Leitungsfunktion gegenüber Versicherungsunternehmen ausüben, eine Überforderung dar. Eine Anwendung der Vorschrift in § 276 Absatz 4 VAG-E erscheint in diesen Fällen unverhältnismäßig.

Als Beispiel seien die in § 25 VAG-E festgelegten Vorschriften zur Einrichtung eines umfassenden Risikomanagements für Versicherungsunternehmen, die Dokumentationspflichten in § 24 Absatz 3 VAG-E bezüglich einer schriftlichen Fixierung der Governance-Organisation oder die Eignungsanforderungen für Aufsichtsratsmitglieder in § 276 Absatz 1, Absatz 3 Nummer 1 VAG-E genannt. Außerdem erscheint die in § 276 Absatz 4 VAG-E geregelte zusätzliche Holdingaufsicht mit dem "Vollharmonisierungsansatz" in der Solvency-II-Richtlinie nicht vereinbar. So enthält die Richtlinie in den §§ 231 ff. VAG-E bereits eigene Vorschriften zur Holdingaufsicht.

Eine weitere zusätzliche Aufsicht nach § 276 Absatz 4 VAG-E würde über die Richtlinie hinausgehen und könnte einen erheblichen Nachteil für die deutschen Versicherer im internationalen Wettbewerb bedeuten. Eine "Aufsichtsrechtarbitrage" sollte vermieden werden.

15. Zu Artikel 1 Nummer 141 (§ 292 Absatz 3 VAG-E (§ 81 Absatz 3 VAG geltende Fassung))

Nach § 292 Absatz 3 VAG-E wird das Bundesministerium für Finanzen ermächtigt, durch Verordnung Regelungen zu schaffen, die untersagen, Sondervergütungen zu gewähren oder Begünstigungsverträge abzuschließen. Die Regelung sollte nicht als Verordnungsermächtigung, sondern direkt in das VAG aufgenommen werden.

Begründung:

Das Urteil des VG Frankfurt a.M. vom Oktober 2011 hierzu stellt die Wirksamkeit der bestehenden Verordnungsermächtigung in Frage. Eine entsprechende Regelung im VAG stellt die erforderliche Rechtssicherheit her.

16. Zu Artikel 1 Nummer 144 (§ 326 VAG)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob die bislang in den §§ 134, 137, 138 und 143 VAG normierten Straftatbestände beizubehalten und in § 326 VAG-E zu übernehmen sind.

Begründung:

Das VAG enthält bislang in den §§ 134 bis 143 eine Reihe nebenstrafrechtlicher Tatbestände. Der Gesetzentwurf scheint diese in einem einzigen Paragrafen, nämlich in § 326 VAG-E, zusammenführen zu wollen. Ausweislich der Begründung soll in diese Vorschrift der Regelungsgehalt der Tatbestände der bisherigen §§ 139 bis 141 VAG übernommen werden. Stillschweigend nicht berücksichtigt wurden die in den §§ 134, 137, 138 und 143 VAG normierten Straftatbestände, die nach dem Gesetzentwurf somit wegfallen werden. Dass für diese Tatbestände kein Bedarf mehr bestünde, ist jedoch nicht ersichtlich und im Gesetzentwurf zumindest nicht dargetan. In der Einzelbegründung zu Artikel1 Nummer 148 wird vielmehr darauf hingewiesen, dass die Straf- und Bußgeldvorschriften im Kern unverändert bleiben und lediglich aus Gründen der Rechtsförmlichkeit inhaltlich und formal gestrafft werden sollen. Die dem Gesetzentwurf angefügte Entsprechungstabelle geht offensichtlich sogar davon aus, dass die bisherigen §§ 134 bis 143 VAG ohne Änderung der Paragrafengliederung vollständig in die §§ 326 bis 332 VAG-E übernommen werden sollen.

Die unterbleibende Übernahme der genannten Tatbestände geht über eine bloße Straffung jedenfalls deutlich hinaus: So soll mit § 134 VAG ein Tatbestand wegfallen, der die Wirksamkeit der staatlichen Aufsicht über das Versicherungswesen schützt, indem er falsche Angaben gegenüber den Aufsichtsbehörden zur Erlangung einer Erlaubnis oder Genehmigung pönalisiert. § 137 VAG sichert hingegen Interessen der Versicherungsunternehmen und ihrer Vertragspartner, indem sichergestellt wird, dass alle für ein Versicherungsunternehmen zum Beispiel als Abschluss- oder Sonderprüfer bestellten Personen unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens derselben Strafdrohung unterliegen. Die Norm erweitert damit den für Aktiengesellschaften durch § 403 AktG bewirkten Schutz. Gleiches gilt für § 138 VAG, der in Ausdehnung der § 404 AktG und § 333 HGB Betriebs-und Geschäftsgeheimnisse der Versicherungsunternehmen unabhängig von deren Rechtsform schützt. § 143 VAG erstreckt schließlich den Straftatbestand des § 400 Absatz 1 Nummer 1 und 2 AktG auf die Organe eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit und sichert damit die Interessen von Vereinsmitgliedern und Geschäftspartnern, welche auf die Richtigkeit bestimmter Erklärungen dieser Organe vertrauen.