Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg
Entwurf eines Gesetzes zur flexiblen Aufgabenübertragung in der Justiz

A. Problem und Ziel

In den Ländern bestehen Unterschiede hinsichtlich der Personalausstattung der Justiz, der Gerichtsstruktur und des Ausbildungsstands des Justizpersonals. Im Zuge der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs in der Justiz steigt das Bedürfnis, auf die jeweilige Ausbildungs- und Personalausstattungssituation angemessen reagieren zu können. Deshalb soll den Ländern - soweit verfassungsrechtlich möglich - eine flexible Verteilung von richterlichen Aufgaben, Rechtspflegeraufgaben und Aufgaben des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ermöglicht werden. Hierdurch soll zudem die Attraktivität der Justiz für einzelne Berufsgruppen langfristig gesichert und erhöht werden.

B. Lösung

Für mehrere Aufgabenbereiche sind bereits heute Öffnungsklauseln vorgesehen, die es den Ländern erlauben, durch Rechtsverordnung Richtervorbehalte zugunsten des Rechtspflegers ganz oder teilweise aufzuheben ( § 19 des Rechtspflegergesetzes - RPflG) oder vom Rechtspfleger wahrzunehmende Geschäfte ganz oder teilweise auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu übertragen (§ 36b RPflG). Solche Länderöffnungsklauseln sollen für zwei weitere Aufgabenbereiche eingeführt werden: Für bislang noch dem Richter vorbehaltene Nachlasssachen sowie für bislang dem Rechtspfleger vorbehaltene Geschäfte der Kosten- und Vergütungsfestsetzung. Die Länder können hierdurch weitere richterliche Aufgaben auf den Rechtspfleger und Rechtspflegeraufgaben auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übertragen. Mit den Aufgaben des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle können nach § 153 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG)

sowohl Beamte des mittleren als auch des gehobenen Dienstes, aber auch qualifizierte Justizfach- und Justizangestellte betraut werden. Es sollen jeweils eigenverantwortliche Entscheidungskompetenzen übertragen werden und damit die jeweiligen Laufbahnen aufgewertet und gestärkt werden.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Die geplanten Regelungen haben unmittelbar weder Auswirkungen auf den Bundeshaushalt noch auf die Haushalte der Länder oder Kommunen.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Auswirkungen auf außerhalb der öffentlichen Haushalte entstehende Kosten oder das allgemeine Preisniveau, insbesondere der Verbraucher, sind nicht zu erwarten.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Auch für die Wirtschaft entsteht kein neuer Erfüllungsaufwand.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten

Informationspflichten werden weder eingeführt noch geändert oder abgeschafft. E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Für den Bund entstehen durch den Entwurf keine Kosten. Für die Länder sind im Fall einer Umsetzung der Öffnungsklauseln einmalige Kosten im organisatorischen Bereich sowie im Bereich der Aus- und Fortbildung, insbesondere im mittleren Dienst sowie bei den Justizfach- und Justizangestellten, zu erwarten. Diese Kosten lassen sich derzeit im Einzelnen nicht beziffern. Im Übrigen ist mit einem Erfüllungsaufwand der Verwaltung nicht zu rechnen. Durch die Übertragung von bisher dem Richter bzw. dem Rechtspfleger vorbehaltenen Aufgaben entstehen Kapazitäten im höheren Dienst bzw. im Rechtspflegerbereich, denen jedoch ein höherer Personalbedarf, jedenfalls im mittleren Dienst oder im Bereich der Justizfach- und Justizangestellten, eventuell auch im Rechtspflegerbereich, gegenübersteht. Hierdurch können in Einzelfällen Einsparungen in Höhe der Besoldungs- bzw. Vergütungsdifferenzen realisiert werden.

F. Weitere Kosten

Keine.

Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg
Entwurf eines Gesetzes zur flexiblen Aufgabenübertragung in der Justiz

Staatsministerium Baden-Württemberg Stuttgart, 24. Februar 2016

Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stanislaw Tillich

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung von Baden-Württemberg hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur flexiblen Aufgabenübertragung in der Justiz mit dem Ziel zuzuleiten, die Einbringung gemäß Artikel 76 Absatz 1 Grundgesetz beim Deutschen Bundestag zu beschließen.

Ich bitte Sie, gemäß § 36 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates die Beratung des Gesetzentwurfs in den Ausschüssen zu veranlassen. Ziel ist die Befassung des Bundesrates in dessen Sitzung am 22. April 2016.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Peter Murawski

Entwurf eines Gesetzes zur flexiblen Aufgabenübertragung in der Justiz

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Rechtspflegergesetzes

Das Rechtspflegergesetz in der Fassung vom 14. April 2013 (BGBl. I S. 778; 2014 I S. 46), das zuletzt durch Artikel 134 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 19 wird wie folgt geändert:

2. § 36b wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am ... [einsetzen: Datum des ersten Tages des sechsten auf die Verkündung folgenden Kalendermonats] in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

Der technische Fortschritt im EDV-Bereich kann mittel- und langfristig zu einer sinkenden Auslastung der Beamten des mittleren Dienstes und der Justizfach- oder Justizangestellten führen. Vor allem die automatisierten Fachverfahren sowie die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte befördern diese Entwicklung. Dagegen besteht beim Richter- und Rechtspflegerpersonal in einzelnen Ländern teilweise seit Jahren eine Unterdeckung.

Bereits heute unterscheiden sich die Länder hinsichtlich der Personalausstattung der Justiz, der Gerichtsstruktur und des Ausbildungsstands des in der Justiz eingesetzten Personals. Mit Blick auf die Entwicklungen, die mit dem technischen Fortschritt im EDV-Bereich einhergehen, werden die Landesjustizverwaltungen deshalb in noch größerem Ausmaß darauf angewiesen sein, auf personalwirtschaftliche Gegebenheiten möglichst flexibel reagieren zu können. Diesen Bedürfnissen soll mit dem Entwurf Rechnung getragen werden. Er soll den Ländern im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen qualitätsorientiert eine flexible Verteilung von richterlichen Aufgaben, Rechtspflegeraufgaben und Aufgaben des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ermöglichen. Die aus ablauforganisatorischer und personalwirtschaftlicher Sicht optimale qualitätsorientierte Verteilung dieser Aufgaben zwischen den verschiedenen zur Aufgabenwahrnehmung berufenen Personen ist zur Optimierung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege erforderlich. Zugleich kann die Übertragung von anspruchsvollen Tätigkeiten zu einer Aufwertung und Stärkung der Laufbahnen der Rechtspfleger, der Beamten des mittleren Dienstes sowie der Justizfach- und Justizangestellten führen.

Für mehrere Aufgabenbereiche sind bereits heute Öffnungsklauseln vorgesehen, die es den Ländern ermöglichen, durch Rechtsverordnung Richtervorbehalte zugunsten des Rechtspflegers ganz oder teilweise aufzuheben ( § 19 des Rechtspflegergesetzes - RPflG) oder vom Rechtspfleger wahrzunehmende Geschäfte ganz oder teilweise dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu übertragen (§ 36b RPflG). Im Hinblick auf die oben geschilderten, künftigen Veränderungen der Personalstruktur und -ausbildung sind weitere Bereiche in den Blick zu nehmen und - soweit verfassungsrechtlich möglich - für Aufgabenübertragungen zu öffnen.

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Der Gesetzentwurf eröffnet den Ländern weitere Möglichkeiten zur Übertragung von richterlichen Aufgaben auf den Rechtspfleger und von Rechtspflegeraufgaben auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Dabei geht es jeweils um die Übertragung eigenverantwortlicher Entscheidungskompetenzen. Konkret sollen die in den §§ 19, 36b RPflG bereits vorhandenen Länderöffnungsklauseln durch weitere Öffnungsklauseln in zwei Bereichen ergänzt werden: Für bislang noch dem Richter vorbehaltene Nachlasssachen sowie für bislang dem Rechtspfleger vorbehaltene Geschäfte der Kosten- und Vergütungsfestsetzung.

Die Ermächtigung der Länder durch Öffnungsklauseln ist aufgrund von Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) möglich und sinnvoll, um den Ländern die nötige flexible Handhabung zu ermöglichen. Nicht alle Länder haben gleichermaßen ein Interesse an und ein Bedürfnis für neue Übertragungsmöglichkeiten. Es bleibt daher den Ländern überlassen, ob und in welchem Umfang sie von den Ermächtigungen Gebrauch machen wollen. Hierdurch wird dem unterschiedlichen Ausbildungsstand der Rechtspflegeranwärter, der Beamten des mittleren Dienstes und der Justizfach- und Justizangestellten in den Ländern Rechnung getragen. Zudem können spezielle Gegebenheiten in den einzelnen Ländern, im Fall der neuen Bundesländer insbesondere die begrenzte Einsetzbarkeit der Bereichsrechtspfleger, berücksichtigt werden. Darüber hinaus wird die Möglichkeit einer schrittweisen Aufhebung der bestehenden Vorbehalte - und deren Erprobung - eröffnet. Langfristig ist damit die Möglichkeit verbunden, veränderte einheitliche Zuständigkeiten in ganz Deutschland zu schaffen. Länder, die von den Möglichkeiten der Aufgabenübertragung Gebrauch machen, haben in der Regel Pilotfunktion für andere Länder. Ihre positiven Erfahrungen und Berichte können auf lange Sicht dazu beitragen, die Standards und die Sichtweise zu verändern.

Ein etwaiger - vorübergehender - Verlust an Einheitlichkeit ist dagegen hinnehmbar, da für Rechtsuchende und Verfahrensbeteiligte die funktionelle Zuständigkeit des Sachbearbeiters innerhalb des Gerichts von untergeordneter Bedeutung ist. Anträge und Sachstandsanfragen werden an "das Gericht" als solches gerichtet. Die funktionelle Zuordnung der Aufgabenbearbeitung geschieht intern von Amts wegen. Verfahrensverzögerungen treten dadurch nicht ein (vgl. insoweit schon die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Übertragung von Rechtspflegeraufgaben auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, BT-Drs. 014/6457, S. 6 f.; ebenso die Begründung zum Entwurf des Justizmodernisierungsgesetzes, BT-Drs. 015/1508, S. 14). Dies gilt umso mehr, als bereits jetzt zahlreiche Länderöffnungsklauseln vorhanden sind, welche die Verfahrensabläufe nicht beeinträchtigen.

Die Aufgabenübertragung vom Rechtspfleger auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle geht auch für sich betrachtet mit erheblichem Flexibilisierungspotenzial einher. Die den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zugewiesenen Aufgaben gemäß § 153 Absatz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) werden von Beamten des mittleren Dienstes wahrgenommen. Sie können aber auch nach § 153 Absatz 5 GVG unter den dort genannten Voraussetzungen von Justizfach- und Justizangestellten wahrgenommen werden. Angestellte sind auf dieser Basis schon heute ganz überwiegend in Serviceeinheiten als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tätig. Weiter ermöglicht es § 153 Absatz 3 Nummer 1 GVG, auch Beamte des gehobenen Justizdienstes mit den Aufgaben des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu betrauen.

Soweit der Richtervorbehalt aufgehoben wird, ist der Rechtspfleger nach Maßgabe des § 4 RPflG mit den dort vorgesehenen Einschränkungen für alle zur Erledigung des Geschäfts erforderlichen Maßnahmen zuständig.

III. Alternativen

Keine.

IV. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Artikel 72 GG.

V. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen

Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und mit völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland geschlossen hat, vereinbar.

VI. Gesetzesfolgen

Keine.

1. Rechts- und Verwaltungsvereinfachung

Keine.

2. Nachhaltigkeitsaspekte

Der Gesetzentwurf berührt keine Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie.

3. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

4. Erfüllungsaufwand

a) Erfüllungsaufwand für die Bürgerinnen und Bürger

Mehrbelastungen für die Bürger sind nicht zu erwarten.

b) Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Auch für die Wirtschaft entsteht kein neuer Erfüllungsaufwand.

c) Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Für den Bund entstehen durch den Entwurf keine Kosten. Für die Länder sind im Fall einer Umsetzung der Öffnungsklauseln einmalige Kosten im organisatorischen Bereich sowie im Bereich der Aus- und Fortbildung, insbesondere im mittleren Dienst sowie bei den Justizfach- und Justizangestellten, zu erwarten. Diese Kosten lassen sich derzeit im Einzelnen nicht beziffern. Im Übrigen ist mit einem Erfüllungsaufwand der Verwaltung nicht zu rechnen. Durch die Übertragung von bisher dem Richter bzw. dem Rechtspfleger vorbehaltenen Aufgaben entstehen Kapazitäten im höheren Dienst bzw. im Rechtspflegerbereich, denen jedoch ein höherer Personalbedarf, jedenfalls im mittleren Dienst oder im Bereich der Justizfach- und Justizangestellten, eventuell auch im Rechtspflegerbereich, gegenübersteht. Hierdurch können in Einzelfällen Einsparungen in Höhe der Besoldungsbzw. Vergütungsdifferenzen realisiert werden.

5. Weitere Kosten

Keine.

6. Weitere Gesetzesfolgen

Keine.

VII. Befristung; Evaluation

Eine Befristung und eine Evaluation sind nicht vorgesehen. Die in dem Entwurf vorgesehenen Länderöffnungsklauseln erlauben es jedem Land, selbstständig zu entscheiden, ob und inwieweit es von den ihm eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch machen will.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Rechtspflegergesetzes)

Zu Nummer 1

Zu Buchstabe a

Durch das erste Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 298) wurden die Länder in § 19 RPflG ermächtigt, durch Rechtsverordnung Richtervorbehalte, insbesondere im Bereich der Nachlasssachen, ganz oder teilweise aufzuheben. Die Aufhebungsermächtigung umfasst bisher nahezu alle in § 16 RPflG abschließend aufgezählten, dem Richter vorbehaltenen Einzelaufgaben des Nachlassgerichts. Ausgenommen sind jedoch bislang die folgenden vier Entscheidungen:

Diese vier Geschäfte wurden mit der Begründung ausgenommen, sie seien "als typische Streitentscheidungen" dem Richter vorzubehalten bzw. bei ihnen werde "der ausdrückliche Wille des Erblassers tangiert" und könne für unbeachtlich erklärt werden. Das wiege gegebenenfalls außerordentlich schwer (vgl. BT-Drs. 015/1508, S. 14, 30). Zusätzlich wurde § 19 Absatz 2 RPflG eingefügt, der die nach § 19 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 bis 5 RPflG möglichen Zuständigkeiten des Rechtspflegers in Nachlasssachen auf nichtstreitige Fälle beschränkte. Auch diese Vorschrift wurde mit dem Rechtsprechungsvorbehalt für den Richter nach Artikel 92 GG begründet.

Diese Begründung ist nicht zwingend. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Übertragung auf den Rechtspfleger bestehen jedenfalls dann nicht, wenn sichergestellt ist, dass die Entscheidungen des Rechtspflegers durch einen Richter überprüft werden können.

Wesentliches Kennzeichen rechtsprechender Tätigkeit ist typischerweise die letztverbindliche Klärung der Rechtslage im Rahmen besonders geregelter Verfahren (BVerfGE 103, 111, 137 f.; BVerfG NJW 2004, 2725; NJW-RR 2010, 1063 f.). Ist jedoch über § 11 RPflG sichergestellt, dass die Entscheidungen des Rechtspflegers durch einen Richter überprüft werden können, entscheidet der Rechtspfleger nicht letztverbindlich. Der in Artikel 19 Absatz 4 GG geregelten Rechtsschutzgarantie ist damit aus verfassungsrechtlicher Sicht hinreichend Rechnung getragen.

Soweit es um die Entscheidung über Meinungsverschiedenheiten zwischen mehreren Nachlasspflegern, Nachlassverwaltern oder Testamentsvollstreckern geht, handelt es sich zudem um eine "verfahrensinterne" Entscheidung ohne unmittelbare Grundrechtsrelevanz. Die Entscheidungen nach § 16 Absatz 1 Nummer 3 und 5 RPflG, die den ausdrücklichen Willen des Erblassers betreffen, setzen voraus, dass der Nachlass erheblich gefährdet würde bzw. der Testamentsvollstrecker eine grobe Pflichtverletzung begangen hat oder zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung unfähig ist. In beiden Fällen soll dem mutmaßlichen Willen des Erblassers im Hinblick auf kaum vorhersehbare Entwicklungen Rechnung getragen werden. Die Zielrichtung dieser Entscheidungen ist somit nicht ein Grundrechtseingriff, sondern die Wahrnehmung der Interessen des Erblassers.

Davon abgesehen berichten zahlreiche Länder, die von der Aufhebung der Richtervorbehalte bereits Gebrauch gemacht haben (Bayern [eingeschränkt], Bremen, Hamburg, Hessen [eingeschränkt], Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz [eingeschränkt], Sachsen, vgl. im Einzelnen dazu: Rellermeyer, Rechtspflegerblatt 2015, S. 26), über positive Erfahrungen. Im Fall einer landesrechtlich vollumfänglich vollzogenen Aufhebung der Richtervorbehalte wird die Sachbearbeitung im Nachlassbereich einheitlich in der Hand des Rechtspflegers liegen. Hierdurch werden Sachkompetenzen gebündelt und die Aufgaben des Rechtspflegers (und seine Stellung) insgesamt aufgewertet.

Mit den zu Buchstabe a vorgesehenen Änderungen werden die oben angeführten vier Geschäfte des Nachlassgerichts, die bislang noch dem Richter vorbehalten sind, in den Anwendungsbereich der Länderöffnungsklausel in § 19 Absatz 1 Satz 1 RPflG mit aufgenommen. Die Neufassung des § 19 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 RPflG nimmt somit sämtliche in § 16 Absatz 1 Nummer 1 bis 7 RPflG und § 16 Absatz 2 RPflG genannten Geschäfte in Bezug. Die Regelung des bisherigen § 19 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 RPflG wird unverändert in § 19 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 RPflG überführt.

Zu Buchstabe b

Mit den Änderungen unter Buchstabe a werden die bisherigen Nummern 3 bis 5 in § 19 Absatz 1 Satz 1 RPflG überflüssig. Da die Regelung der bisherigen Nummer 6 in § 19 Absatz 1 Satz 1 RPflG unverändert in die neue Nummer 3 übernommen wird, sind in der Folge die Nummern 4 bis 6 in § 19 Absatz 1 Satz 1 RPflG aufzuheben.

Zu Buchstabe c

§ 19 Absatz 2 RPflG wird insgesamt neu gefasst. Die Neufassung soll den Grundsatz unterstreichen, dass sämtliche in § 16 Absatz 1 Nummer 1 bis 7 RPflG und § 16 Absatz 2 RPflG genannten Geschäfte dem Rechtspfleger durch die Verordnung nach § 19 Absatz 1 Satz 1 RPflG zur eigenverantwortlichen Erledigung übertragen werden können. Ist eine solche Übertragung erfolgt, scheint es mit Blick auf die eigenverantwortliche Aufgabenerledigung nicht sachgerecht, eine Vorlagepflicht an den Richter bereits dann vorzusehen, wenn Einwände gegen die beantragte Entscheidung erhoben werden. Mit der Neufassung, die sich an § 66 Absatz 6 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) anlehnt, wird einerseits die Schwelle für die Vorlagepflicht des Rechtspflegers angehoben, andererseits aber auch gewährleistet, dass schwierige Verfahren schon erstinstanzlich vom Richter entschieden werden.

Zu Nummer 2

Zu Buchstabe a

Bislang ist durch § 21 RPflG die Vergütungs- und Kostenfestsetzung dem Rechtspfleger zugewiesen. Es geht um folgende Geschäfte:

Im Gegensatz dazu ist in der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit für die Kostenfestsetzung bereits "der Urkundsbeamte" zuständig (§ 164 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO, § 149 Absatz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO, § 197 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). In der Praxis werden dort bislang regelmäßig Personen mit Rechtspflegerausbildung eingesetzt.

Für die Übertragung der genannten Aufgaben vom Rechtspfleger auf Beamte des mittleren Dienstes und Justizfach- oder Justizangestellte spricht, dass die Mehrzahl der Kostenfälle mittlerweile mit Unterstützung von geeigneten EDV-Programmen erledigt werden kann. Zudem kann mit der Aufgabenübertragung eine entsprechende Aus- und Fortbildung der betroffenen Personengruppe verbunden werden. In Baden-Württemberg, wo bereits heute die Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG auf Beamte des mittleren Dienstes sowie Justizfach- und Justizangestellte übertragen wurde, werden entsprechende Aus- und Fortbildungsinhalte gelehrt. Baden-Württemberg hat anlässlich der Übertragung der Zuständigkeit für die Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG die erforderlichen Kenntnisse in den Lehrplan der sechsmonatigen Zusatzqualifizierung für den mittleren Dienst aufgenommen. Für den Bereich des Kosten- und Vergütungsrechts sind 160 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten vorgesehen. Daran kann im Falle umfassenderer Übertragungsmöglichkeiten angeknüpft werden.

Ein unter Umständen verbleibendes Ungleichgewicht zwischen Qualifikation und Aufgabenschwierigkeit wird durch den neuen § 36b Absatz 5 RPflG beseitigt, der dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eine Vorlagepflicht an den Rechtspfleger auferlegt, wenn die Festsetzung mit besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art einhergeht oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Auch der Umstand, dass mit einem Kostenfestsetzungsbeschluss ein Vollstreckungstitel geschaffen wird, steht einer Übertragung nicht entgegen (vgl. insoweit § 36b Absatz 1 Nummer 2 RPflG für das Mahnverfahren).

Rechtstechnisch bietet es sich an, die Ermächtigung der Länder zur Aufgabenübertragung in § 36b RPflG vorzusehen.

Buchstabe b

Der neue § 36b Absatz 5 Satz 1 RPflG verpflichtet den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, das Geschäft dem Rechtspfleger zur weiteren Bearbeitung vorzulegen, wenn die Kosten- oder Vergütungsfestsetzung mit besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art verbunden ist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Regelung, die sich an § 66 Absatz 6 Satz 2 GKG anlehnt, vermeidet ein in Einzelfällen denkbares Ungleichgewicht zwischen Qualifikation und Schwierigkeit der Aufgabe, indem der Urkundsbeamte die Bearbeitung des Geschäfts an den Rechtspfleger abzugeben hat. Die Voraussetzungen, unter denen diese Abgabe zu erfolgen hat, sind durch ihre inhaltliche Nähe zu den Voraussetzungen der Zulassung der Revision gemäß § 543 Absatz 2 ZPO hinreichend genau beschrieben. Legt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle das Geschäft dem Rechtspfleger nicht zur weiteren Bearbeitung vor, entscheidet er über den Festsetzungsantrag durch Beschluss. Für Rechtsbehelfe sieht § 36b Absatz 5 Satz 2 RPflG die entsprechende Anwendung des § 11 Absatz 1, 2 und 4 RPflG vor.

§ 36b Absatz 5 Satz 2 RPflG setzt damit den Übertragungsgedanken konsequent fort. Die Rechtsbehelfe, mit denen bislang bei einer Entscheidung durch den Rechtspfleger eine Überprüfung herbeigeführt werden konnte, sollen auch bei einer Entscheidung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zur Verfügung stehen.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Artikel 6 sieht vor, dass das Gesetz am ersten Tag des sechsten auf den Verkündungsmonat folgenden Kalendermonats in Kraft tritt. Die Vorlaufzeit ist im Hinblick auf eventuell erforderliche Anpassungen bestehender Landesrechtsverordnungen angezeigt. Beispielsweise wurden in § 5a der Sächsischen Justizorganisationsverordnung Kompetenzübertragungen nach § 19 Absatz 1 Satz 1 RPflG in Gestalt von dynamischen Verweisungen ("in der jeweils geltenden Fassung") vorgenommen, die bei einem unmittelbaren Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes Kompetenzverschiebungen nach sich ziehen könnten. Um den hiervon betroffenen Ländern die Möglichkeit der rechtzeitigen Anpassung ihres Landesrechts zu geben, erscheint das vorgesehene verzögerte Inkrafttreten gleichermaßen unproblematisch wie sachgerecht.