Antrag der Länder Hamburg, Berlin, Bremen, Schleswig-Holstein
Entschließung des Bundesrates zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung

Der Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg Berlin, 28. Februar 2019

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Hamburg, Berlin, Bremen und Schleswig-Holstein haben beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage mit Begründung beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 975. Sitzung des Bundesrates am 15. März 2019 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Tschentscher
Erster Bürgermeister

Entschließung des Bundesrates zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung

Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Leistungssystematik der Pflegeversicherung grundlegend verändert sowie eine Verbesserung der solidarischen Finanzierungsbasis erreicht wird.

Ziel der gesetzlichen Neuregelung ist insbesondere, dass notwendige qualitative Verbesserungen für die Pflegebedürftigen und die Pflegekräfte umgesetzt werden, ohne dass die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen die Finanzierungslast alleine zu tragen haben.

Eckpunkte der Reform sind aus Sicht der Länder:

Begründung:

Die mit den Pflegestärkungsgesetzen II und III umgesetzte Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und entsprechenden Leistungen in fünf Pflegegraden haben insbesondere für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen die Unterstützung durch Leistungen der Pflegeversicherung deutlich verbessert. Vorrangig ist der Personenkreis größer geworden, der auf Leistungen der Pflegeversicherung vertrauen kann.

Die gewünschte Entwicklung aus besseren Leistungen und mehr Pflegepersonal mit besserer Bezahlung wird jedoch dazu führen, dass die Kosten der Pflegedienste und Pflegeheime und in der Folge die Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen im heutigen Leistungssystem der Pflegeversicherung rapide steigen werden. Denn die Pflegeversicherung ist bisher noch nicht einmal eine Teilkaskoversicherung. Die Pflegeversicherung sichert nicht das Risiko des Einzelnen umfassend ab, sondern gewährt im Falle der Pflegebedürftigkeit nur einen nach Pflegegraden gestaffelten Zuschuss mit festen gesetzlichen Höchstbeträgen. Darüber hinausgehende Kosten der Pflege müssen die Pflegebedürftigen selbst tragen oder bei nicht ausreichendem Einkommen und Vermögen die Hilfe zur Pflege als Sozialhilfeleistung in Anspruch nehmen. Der Eigenanteil steigt bei jeder Vergütungserhöhung, die zwischen den Pflegekassen und den Trägern der Einrichtungen vereinbart wird.

Durch aktuelle Reformgesetze wie das Pflegepersonalstärkungsgesetz ist es den Pflegeeinrichtungen ermöglicht worden, mehr Pflegefachkräfte einzustellen und die Bezahlung der Pflegekräfte und die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern. Dies ist neben der Reform der Ausbildung in den Pflegeberufen ein wichtiger Beitrag dazu, auch in Zukunft genügend Fachkräfte für die berufliche Arbeit in der Pflege zu gewinnen, sie im Beruf zu halten und dadurch die pflegerische Versorgung in Deutschland sicher zu stellen. Im Einzelnen sind hier folgende Entwicklungen zu nennen:

Für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen ist diese Entwicklung der Eigenanteile nicht beeinflussbar und nicht kalkulierbar. Sie gibt Anlass zur Sorge vor einem mit dem Pflegerisiko immer noch verbundenen Armutsrisiko bzw. der Notwendigkeit, am Ende des Lebens Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Schon jetzt beziehen in Deutschland rd. 300.0002 Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen (37 %) und rd. 77.0003 Pflegebedürftige (3 %), die zu Hause versorgt werden, Hilfe zur Pflege als Leistung der Sozialhilfe.

Dass die Pflegebedürftigen im Pflegeheim die Kosten für Wohnen und allgemeinen Lebensunterhalt (Investitionskosten im Sinne von Kaltmiete und Vergütung für Unterkunft und Verpflegung) selbst tragen, ist breit akzeptiert. Es stellt auch einen Aspekt der Gleichbehandlung von häuslicher und vollstationärer Pflege dar.

Der deutschlandweite durchschnittliche Eigenanteil zu den eigentlichen Pflegekosten im Pflegeheim liegt aktuell bei 618 Euro monatlich. Die durchschnittlichen einrichtungseinheitlichen Eigenanteile in den 16 Bundesländern unterscheiden sich zum Teil deutlich.

Politisches Ziel sollte es zumindest sein, diesen Eigenanteil angesichts der absehbaren und notwendigen Mehrkosten für Pflegepersonal und Ausbildung nicht weiter wachsen zu lassen und damit für die Versicherten verlässlich berechenbar zu machen.

Zu diesem Zweck ist es erforderlich, in einer nächsten Stufe der Pflegeversicherungsreform das Leistungssystem so zu ändern, dass der Eigenanteil der Pflegebedürftigen gesetzlich festgelegt wird und die Pflegeversicherung künftig alle darüber hinausgehenden und erforderlichen Pflegekosten trägt. Es soll also nunmehr eine echte Teilkaskoversicherung eingeführt werden.

Um den Eigenanteil sozial verträglich zu gestalten, soll, wie bereits von der 95. Arbeits- und Sozialministerkonferenz4 gefordert, die Finanzierung der medizinischen Behandlungspflege in Heimen systemgerecht von der Krankenversicherung übernommen werden. Im Gegenzug könnte die Finanzierungsverantwortung für die geriatrische Rehabilitation der Pflegeversicherung (SGB XI) übertragen werden, da erfolgreiche Rehabilitation Pflegebedürftigkeit verhindert, verringert oder hinauszögert. Der Aufwand für die medizinische Behandlungspflege in stationären Einrichtungen beläuft sich derzeit schätzungsweise auf ca. 3 Mrd. Euro pro Jahr. Wenn die medizinische Behandlungspflege nicht mehr Teil der Pflegesätze nach SGB XI sind, reduziert sich die Höhe des Eigenanteils für Pflegebedürftige erheblich.

Auf dieser neuen, abgesenkten Basis soll der bundesdurchschnittliche Eigenanteil der Pflegebedürftigen an den Pflegekosten im Heim gesetzlich "eingefroren" werden. Trotz der regionalen Unterschiede in der Höhe der Eigenanteile würden alle Pflegebedürftigen ausreichend von dieser Neuregelung profitieren.

Ohne die systemgerechte Neufinanzierung der Behandlungspflege sollten bei der gesetzlichen Festlegung auf einen von den Pflegebedürftigen zu tragenden

Eigenanteil zunächst die unterschiedlichen bundesländerbezogenen durchschnittlichen Eigenanteile zum Maßstab genommen werden. Nach Einführung eines bundesweiten Personalbemessungssystems ist zu prüfen, ob die Höchstbeträge der Eigenanteile bundesweit angeglichen werden können und ggf. in welchem Zeitraum.

Auch in der ambulanten Pflege ist eine Begrenzung des zu tragenden Eigenanteils notwendig. Allerdings unterscheidet sich die Ausgangssituation erheblich: Ein großer Teil der Pflegebedürftigen (ca. 68 % 5 ) nimmt gar keine Sachleistungen der Pflegeversicherung in Anspruch, stellt die Pflege selbst (in der Regel durch pflegende Angehörige) sicher und bezieht Pflegegeld. Die übrigen nehmen Pflege von Pflegediensten in Anspruch. Sie organisieren insbesondere außerhalb der großen Städte die Pflege oft so, dass die Sachleistungsbeträge der Pflegeversicherung z.T. oder vollständig genutzt werden und restliche Bedarfe familiär oder informell gedeckt werden. Im Vergleich zum stationären Bereich entstehen nur bei einem relativ kleinen Teil privat zu tragende finanzielle Eigenanteile. Bei lang andauernder steigender Pflegebedürftigkeit müssen aber oft immer mehr Pflegedienstleistungen eingekauft werden und die Eigenanteile steigen erheblich. Im Sinne einer Gleichbehandlung mit dem stationären Bereich und der Stärkung des Grundsatzes "ambulant vor stationär" soll in der ambulanten Pflege deshalb ebenfalls eine Begrenzung der Eigenanteile eingeführt werden. Andernfalls gäbe es einen finanziellen Anreiz für einen fachlich im Einzelfall nicht erforderlichen Umzug in ein Pflegeheim.

Eckpunkte der vorgeschlagenen Lösung sind:

Die Pflegeversicherung wird künftig nicht nur die Feststellung des Pflegegrades vornehmen, sondern den realen Hilfebedarf detailliert ermitteln; sie leistet damit auch einen fachlichen Beitrag zur Hilfeplanung für Pflegebedürftige und Pflegedienste.

Eine begründete Grenze für den Höchstbetrag läge zunächst bei dem jeweiligen durchschnittlichen länderbezogenen Eigenanteil, der derzeit in der stationären Pflege zu leisten ist.

Nach Einführung der neuen Leistungssystematik wird der zu leistende Eigenanteil der Versicherten durch seine gesetzliche Fixierung kalkulierbar und ggf. auch zusätzlich versicherbar. Wer ihn nicht leisten kann, erhält ihn aus der Sozialhilfe. Im Ergebnis sind Leistungsbezieher, die schon bis zur Obergrenze des Eigenanteils zur Finanzierung beitragen, vor weiteren Kostensteigerungen geschützt.

Die oben geschilderten Kostenentwicklungen, die sich aus der Notwendigkeit der Fachkräftesicherung und der Qualitätsentwicklung ergeben, treffen danach das solidarische beitragsfinanzierte System der Pflegeversicherung.

Wie in anderen Zweigen der Sozialversicherung wird die Solidarität durch einen dynamisierten Zuschuss aus dem Bundeshaushalt auf eine noch breitere Basis gestellt. Die Auswirkungen auf die beitragszahlenden Versicherten und Arbeitgeber und damit auf die Arbeitskosten werden wirksam gedämpft. Es wird an bereits bestehende Mechanismen in der Kranken- und Rentenversicherung angeknüpft.

In einem ersten Schritt bieten die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der derzeitigen Pflegeversicherung einen Anhaltspunkt für die Höhe des Bundeszuschusses. Die soziale Pflegeversicherung bietet in Anlehnung an die Regelung in der gesetzlichen Krankenversicherung ( § 10 SGB V) Ehegatten, Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern sowie Kindern, unter bestimmten Voraussetzungen die beitragsfreie Familienversicherung. Zudem erbringt die soziale Pflegeversicherung für Pflegepersonen in einem erheblichen Rahmen Beitragsleistungen zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 1,5, Mrd. € jährlich.

Der steuerfinanzierte Zuschuss ist zu dynamisieren, damit er auf Dauer einen Beitrag zur Deckung der erforderlichen Kostensteigerungen leistet.