Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsener europäischer Einzelhandel COM (2018) 219 final

Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet.

Hinweis: vgl.
Drucksache 060/13 (PDF) = AE-Nr. 130071

Europäische Kommission
Brüssel, den 19.4.2018 COM (2018) 219 final

Mitteilung der Kommission an Das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen
Ein den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsener europäischer Einzelhandel {SWD(2018) 236 final} - {SWD(2018) 237 final}

1. Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Einzelhandelsbranche in Europa

Ein dynamischer und wettbewerbsfähiger Einzelhandelssektor ist nicht nur für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für Unternehmen, sondern für die gesamte EU-Wirtschaft von Bedeutung. Allein die Vielzahl der Unternehmen und damit verbundenen Arbeitsplätze sowie der Beitrag zum Mehrwert für die Europäische Union sorgen dafür, dass der Einzelhandel ein zentrales Element für die Ankurbelung langfristigen Wirtschaftswachstums1 bildet.

Der veränderte Bedarf der Verbraucher und der technische Fortschritt haben dazu geführt, dass sich die Branche rasch gewandelt hat und zu einem Katalysator für Innovation und Produktivität geworden ist.

Bis zu einem Drittel der Ausgaben europäischer Haushalte entfallen auf Waren, die im Einzelhandel verkauft werden. Über Preise, Auswahl und Qualität der angebotenen Produkte beeinflusst die Einzelhandelsbranche die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger der EU.

Die 3,6 Millionen Einzelhandelsunternehmen (hauptsächlich KMU) interagieren zudem mit anderen Branchen der Wirtschaft, beispielsweise mit dem Großhandel und mit Produktherstellern sowie mit Verkehrs-, Logistik- und sonstigen Unternehmensdienstleistern. Eine leistungsfähigere Einzelhandelsbranche wird positive Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft haben.

Der Binnenmarkt eröffnet Einzelhändlern Zugang zu rund 500 Millionen potenziellen Verbrauchern. Hierfür sind jedoch vorteilhafte wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen erforderlich, die sowohl die Anforderungen des Online-Handels als auch jene des Offline-Handels berücksichtigen und zur Bewältigung der weltweiten Herausforderungen für den Einzelhandel beitragen.2

Der rasante Aufschwung des elektronischen Handels verändert die Branche. Der elektronische Handel ist für die meisten europäischen Bürgerinnen und Bürger inzwischen selbstverständlich. Dies bringt sowohl neue Möglichkeiten als auch Herausforderungen für die Branche mit sich. Die Entwicklung des Multi-Channel-Einzelhandels und das Verschwimmen der Grenzen zwischen Offline-Handel (Geschäftsräume) und Online-Handel (elektronischer Handel) sind sowohl für den Wettbewerb als auch die Innovationen innerhalb der Branche förderlich. Beim grenzüberschreitenden elektronischen Handel innerhalb der EU besteht jedoch noch viel Verbesserungspotenzial. Zudem ist es nicht für alle Unternehmen leicht, mit der rasanten Entstehung neuer Geschäftsmodelle Schritt zu halten - 80 % aller Einzelhändler verkaufen noch nicht online. Insbesondere vielen kleinen Einzelhändler bereitet die Anpassung Schwierigkeiten.

Damit der Binnenmarkt sein Potenzial voll entfalten kann, müssen geeignete Maßnahmen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene ergriffen werden. Im Rahmen des Europäischen Semesters haben mehrere Mitgliedstaaten bereits Reformen zur Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Einzelhändler durchgeführt.3

Dennoch hinkt der Einzelhandelsbranche in der EU bei der Produktivität hinter anderen Branchen hinterher und ist weniger dynamisch als in vergleichbaren Volkswirtschaften.4 Auch die Rentabilität des Einzelhandels ist geringer als die anderer Branchen. Die Häufung verschiedenster Vorschriften wirkt sich nachteilig auf seine Leistung aus. Einzelhändler sind häufig an eine Vielzahl unterschiedlicher und zumeist sehr komplexer Regelungsrahmen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene gebunden. Unter solchen restriktiven Vorschriften leidet die Dynamik der Einzelhandelsmärkte: Es gibt weniger Neugründungen und kommt zu Schließungen von Einzelhandelsunternehmen sowie zu einer Verschlechterung der Beschäftigungsaussichten.5

Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage von Informationen aus Mitgliedstaaten, von Eurostat und gezielten Studien6

Für eine moderne Einzelhandelsbranche sind mehr Investitionen und ein günstiges Geschäftsumfeld erforderlich. Mit der Investitionsoffensive für Europa wird eine weitere Vertiefung des Binnenmarktes unterstützt, die unter anderem durch die Beseitigung von Investitionshindernissen, die Verbesserung der Berechenbarkeit der regulatorischen Rahmenbedingungen und die Verringerung übermäßiger Regulierung erreicht werden soll.

Mit der Umsetzung der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt7 hat die Kommission Schritte zur Vorbereitung des Binnenmarkts auf das digitale Zeitalter eingeleitet. Eines der wichtigsten Ziele war dabei die Stärkung des grenzüberschreitenden elektronischen Handels.35 30

Die Vorschläge der Kommission zu Geoblocking8, grenzüberschreitenden Paketzustelldiensten9, Modernisierung des Mehrwertsteuersystems10, vertragsrechtliche Aspekte digitaler Inhalte11 und die anstehende Initiative zu Online-Plattformen12 werden Einzelhändler bei der reibungslosen Abwicklung ihrer Geschäfte im Internet unterstützen. Die Kommission hat zudem Maßnahmen für eine gerechte und wirksame Besteuerung der digitalen Wirtschaft13 und für die Sicherstellung der Unabhängigkeit von Kartenzahlverfahren und abwickelnden Stellen14 vorgeschlagen.

Für Unternehmensgründer in der Branche eröffnen sich neue Möglichkeiten. Die Start-up- und die Scale-up-Initiative15 sollen Hindernisse für Start-up- und Scale-up-Unternehmen beseitigen, indem bessere Marktchancen geschaffen und der Zugang zu Finanzmitteln erleichtert wird.

In der neuen europäischen Agenda für Kompetenzen wurde eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, die dazu beitragen sollen, den Bürgerinnen und Bürgern der EU die Kompetenzen zu vermitteln, mit denen sie die Herausforderungen der sich rasch verändernden Weltwirtschaft meistern können.16 Der Einzelhandel erfordert Kompetenzen, die den Anforderungen der Digitalisierung gerecht werden. Zusätzlich bietet Erasmus+ neue Möglichkeiten für längere Ausbildungsaufenthalte im Ausland in einer Reihe unterschiedlicher Wirtschaftsbranchen, einschließlich des Einzelhandels.

Der Binnenmarkt für Waren ist für den Einzelhandel von besonderer Bedeutung. Im Dezember 2017 legte die Kommission zwei Legislativvorschläge vor, um Unternehmen, insbesondere KMU, den Verkauf ihrer Produkte in der EU zu erleichtern17 und um Kontrollen zu verstärken, mit denen verhindert werden soll, dass unsichere Produkte an europäische Verbraucher verkauft werden18. Außerdem unterbreitete die Kommission einen Vorschlag zur Beseitigung zentraler Hindernisse im Bereich des Vertragsrechts, die den grenzüberschreitenden Handel behindern.19 Überdies bringt die Kommission weitere Initiativen zur Verbesserung des Rechtsrahmens für Verbraucher und Unternehmen auf den Weg.20

Die Dienstleistungsrichtlinie erleichtert Einzelhändlern die Niederlassung in allen Mitgliedstaaten. In seinem Urteil in der Rechtssache Visser21 hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bestätigt, dass Einzelhandel eine Dienstleistung ist und damit in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie22 fällt. Dank der Dienstleistungsrichtlinie sind einige sehr restriktive Markzugangsanforderungen untersagt und andere dürfen nur dann gelten, wenn sie nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. In dieser Hinsicht sollen durch die Richtlinie zudem effiziente, objektive und nicht diskriminierende Verfahren für den Marktzugang innerhalb angemessener Fristen gewährleistet werden. Ähnliche Anforderungen sind im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union für Fälle vorgesehen, in denen die Dienstleistungsrichtlinie keine Anwendung findet, beispielsweise bei Beschränkungen für den Betrieb.

Der Europäische Rat betonte, dass die Durchsetzung der geltenden Rechtsvorschriften für das Funktionieren des Binnenmarkts von entscheidender Bedeutung ist.23 Bei der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie haben die Mitgliedstaaten eine Reihe von Anpassungen der Regelungsrahmen für Dienstleistungen vorgenommen. Eine vollständige Übereinstimmung mit den Vorschriften der EU würde das Regelungsumfeld für den Einzelhandel verbessern und es Unternehmen - und damit auch Verbrauchern - erlauben, von den Vorteilen des Binnenmarkts zu profitieren.

In der Binnenmarktstrategie werden Einschränkungen für die Niederlassung sowie für den täglichen Geschäftsbetrieb als wichtigste Hindernisse für einen leistungsfähigeren Einzelhandel hervorgehoben. Die Kommission verpflichtet sich darin, "bewährte Verfahren zur Erleichterung der Gründung von Einzelhandelsunternehmen und zum Abbau von Beschränkungen für deren Betrieb im Binnenmarkt fest[zu]legen ..., Ansatzpunkte für Reformen in den Mitgliedstaaten [zu] bieten und über die Festlegung der Prioritäten für Durchsetzungsmaßnahmen im Einzelhandel Aufschluss [zu] geben".24

Diese Mitteilung soll einen Beitrag zur Entfaltung des Potenzials der Einzelhandelsbranche für die EU-Wirtschaft leisten, indem bewährte Verfahren ermittelt werden. Die bewährten Verfahren werden die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelhandels fördern, ohne die von den Mitgliedstaaten verfolgten Gemeinwohlziele zu beeinträchtigen. Wie bereits durch den Europäischen Rat hervorgehoben, muss die EU weiterhin auf einen zukunftsfähigen Binnenmarkt hinarbeiten, der an das digitale Zeitalter angepasst ist.25 Der Einzelhandel wendet sich zunehmend dem Multi-Channel-Vertrieb zu, und dieser Trend wird sich weiter fortsetzen. Mehrere Initiativen des digitalen Binnenmarkts sollen Online-Einzelhändler dabei unterstützen, wirksam grenzüberschreitend zu verkaufen. In dieser Mitteilung wird auf Beschränkungen eingegangen, die vor allem den Offline-Einzelhandel betreffen.

Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Binnenmarkts26 gilt es, seine Erfolge zu feiern, aber auch nach vorne zu schauen. Die Einzelhandelsbranche verdient eine aufmerksame Analyse. Die Organe der EU und die Mitgliedstaaten müssen Anstrengungen unternehmen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Branche in einer Zeit, in der sie durch das rasante Wachstum des elektronischen Handels einen tief greifenden Wandel erlebt, zu fördern.

2. Beschränkungen des Einzelhandels, die die Marktleistung beeinträchtigen

Einzelhändler sind mit einer Vielzahl unterschiedlich starker Beschränkungen für Geschäftsniederlassungen (z.B. Größe und Lage der Verkaufsfläche oder Verfahren für bestimmte Genehmigungen) und den Betrieb (z.B. Öffnungszeiten, Verkaufsförderung und Vertriebskanäle, Besteuerung und Beschaffung) konfrontiert. Viele dieser Beschränkungen sind durch berechtigte Gemeinwohlziele gerechtfertigt, jedoch stellen sie in ihrer Gesamtheit ein unverhältnismäßig großes Hindernis für neue Marktteilnehmer dar und beeinträchtigen auf diese Weise die Produktivität der Branche. Einzelhändler betonen, dass die Regelungsrahmen zukunftsfähig und flexibel sein sollten, um Unternehmen so eine schnelle Anpassung an sich wandelnde Umstände zu ermöglichen.27

Der Abbau der Beschränkungen wirkt sich positiv auf das Funktionieren des Marktes aus.28 Ein weniger restriktives Regelungsumfeld bietet mehr Firmen einen Anreiz für den Einstieg in den Markt, um die sich dort bietenden Chancen zu ergreifen und sich erfolgreich zu etablieren. Einzelhändler werden flexibler, um am richtigen Standort und in das geeignete Konzept für ihre Verkaufsstelle zu investieren und besser auf den Bedarf der Kunden vor Ort einzugehen. All diese Faktoren fördern in Verbindung mit der erfolgreichen Entwicklung des elektronischen Handels den Wettbewerb und führen immer effizientere und innovativere Unternehmen zum Erfolg.

Dadurch erhöht sich die Produktivität der Branche, was ebenfalls den Verbraucherinnen und Verbrauchern zugutekommt. Diese profitieren von einem vielfältigeren, innovativeren und qualitativ hochwertigeren Produkt- und Dienstleistungsangebot und dürften zudem niedrigere Preise zahlen.29 Außerdem kann eine stärkere Einzelhandelsbranche zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Nicht nur im Einzelhandel entstünden mehr und bessere Arbeitsplätze, auch verwandte Dienstleistungen, wie beispielsweise die Bereiche Verkehr, Lagerei und Logistik, würden davon profitieren.

Die Kommission hat einen Indikator für Beschränkungen im Einzelhandel (Retail Restrictiveness Indicator - RRI) erarbeitet, der die vielfältigen Beschränkungen für Niederlassung und Betrieb von Einzelhandelsunternehmen veranschaulicht.30 Er spiegelt die Komplexität und Vielfalt der Regelungsrahmen der einzelnen Mitgliedstaaten wider. Als Ganzes genommen bildet der Indikator eine Momentaufnahme, die ein höchst uneinheitliches Bild der Beschränkungen in der EU aufzeigt. In allen Mitgliedstaaten gibt es Beschränkungen sowohl für die Niederlassung als auch den Betrieb. In Bezug auf die Art der Beschränkungen und ihren Grad gibt es jedoch große Unterschiede. Letzterer kann in einem Mitgliedstaat bis zu fünfmal höher als in anderen ausfallen. Während die großzügigsten Regelungsrahmen nur wenige Arten von Beschränkungen enthalten, können in den strengsten Rahmen bis zu 12 verschiedenen Arten von Beschränkungen gelten.31 Das beeinflusst die Betriebsumgebung von Einzelhändlern.

Die Regulierung des Einzelhandels ist vorrangig eine Aufgabe der Mitgliedstaaten. Bei der Festlegung von Vorschriften müssen die Mitgliedstaaten jedoch das Unionsrecht einhalten und dürfen weder die Niederlassungsfreiheit noch den freien Dienstleistungsverkehr ungebührlich beschränken. Infolgedessen sind einige Beschränkungen unzulässig, während in anderen Fällen Beschränkungen beibehalten oder eingeführt werden dürfen, sofern sie nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. Ein weniger restriktives Regelungsumfeld würde die Wettbewerbsfähigkeit der Branche fördern. In diesem Zusammenhang sollte besonders beachtet werden, dass die Regelungen zur Niederlassung und zum Betrieb auf Grund der Art der Geschäftsausübung hauptsächlich Offline-Einzelhändler betreffen. Zudem kommt es zu einer Häufung von Beschränkungen, weshalb die Mitgliedstaaten deren kumulative Effekte berücksichtigen sollten.

3. Erleichterung der Niederlassung im Einzelhandel

Durch die Eröffnung von Verkaufsstellen erhalten Einzelhändler Zugang zu neuen Märkten. Mit dem Aufschwung des Multi-Channel-Einzelhandels müssen Einzelhändler in der Lage sein, eine kohärente Marktzugangsstrategie zu verfolgen, die Online- und Offline-Präsenz verbindet. Darüber hinaus sollte der Marktzugang innerhalb einer angemessenen Frist und ohne ungerechtfertigte und unverhältnismäßige Belastungen möglich sein. Ein zeitnaher und zügiger Marktzugang ist für Einzelhändler von entscheidender Bedeutung. Beschränkungen für Standorte neuer Verkaufsstellen, produktbezogene Bedingungen oder aber ein grundsätzlicher Mangel an Rechtssicherheit stellen die Einzelhändler gleichermaßen vor Probleme. Einzelhändler beklagen Länge und Komplexität der Niederlassungsverfahren und die damit verbundenen Unsicherheiten.32

Niederlassungsbeschränkungen führen zu erheblichen Hindernissen für den Marktzugang, was im Rahmen des Europäischen Semesters wiederholt thematisiert wurde.33

Niederlassungsbedingungen

Alle Mitgliedstaaten regulieren die Niederlassung von Einzelhandelsgeschäften. Häufig ist die Niederlassung zusätzlich in regionalen und/oder lokalen Vorschriften geregelt, die zusätzlich zur Vielfalt der von Einzelhändlern zu beachtenden Regeln beitragen.

Bestimmte Anforderungen, wie beispielsweise wirtschaftliche Bedarfsprüfungen34, sind gemäß der Dienstleistungsrichtlinie, mit der die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit kodifiziert wurde, untersagt. Auskunftsersuchen zur Beurteilung des Angebots (z.B. Anzahl, Art und Konzept bestehender Verkaufsstellen) und zur Messung der Marktnachfrage (z.B. Kaufkraft oder Verbrauch pro Haushalt innerhalb des jeweiligen Einzugsgebiets) fallen in diese Kategorie. Derartige Anforderungen wurden durch den EU-Gesetzgeber untersagt, da sie entweder rein wirtschaftlichen Interessen dienen oder aber durch weniger beschränkende Vorschriften ersetzt werden können. Viele Mitgliedstaaten haben im Rahmen der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie ihre Niederlassungsbedingungen geprüft und die Anforderung einer wirtschaftlichen Bewertung abgeschafft.35 Wirtschaftliche Auskünfte sind jedoch in einigen Mitgliedstaaten weiterhin gesetzlich vorgeschrieben oder werden in der Praxis verlangt oder genutzt.

Die Niederlassungsvorschriften für Einzelhandelsgeschäfte werden durch Überlegungen im Rahmen der Stadt- und Raumplanung beeinflusst, mit denen oftmals die Lebensqualität in Innenstädten erhalten oder die Umwelt geschützt werden soll. Zum Beispiel kann durch solche Vorschriften die Niederlassung in städtischen Randgebieten untersagt werden. Die Kommission trägt diese Ziele grundsätzlich mit; sie arbeitet im Rahmen der Städteagenda für die EU36 mit den Mitgliedstaaten sowie mit Städten und anderen Interessenträgern zusammen, um eine städtefreundlichere, wirksamere und effizientere Politik zu fördern und zum territorialen Zusammenhalt beizutragen.37 Gleichzeitig müssen die Mitgliedstaaten diese Ziele jedoch in angemessener Weise verfolgen.

Der EuGH bestätigte38, dass die Dienstleistungsrichtlinie ungeachtet einzelstaatlicher Niederlassungsvorschriften auf Niederlassungen anzuwenden ist, was gleichermaßen für Genehmigungsregelungen oder die Stadt- und Raumplanung gilt. Der EuGH bestätigte zudem, dass die Dienstleistungsrichtlinie die angemessene Berücksichtigung von Gemeinwohlzielen zulässt und dass die Mitgliedstaaten über einen Ermessensspielraum bei der Erfüllung der berechtigten Gemeinwohlziele verfügen. Damit sie der Dienstleistungsrichtlinie in dieser Beziehung entsprechen, müssen die Mitgliedstaaten jedoch sicherstellen, dass rechtliche Anforderungen für die Niederlassung von Einzelhändlern nicht nur durch das übergeordnete öffentliche Interesse gerechtfertigt, sondern auch verhältnismäßig sind.

Verhältnismäßigkeit ist ein wichtiger Aspekt der Freiheiten des Binnenmarkts. Verhältnismäßigkeit ist für den Einzelhandel von großer Bedeutung. Gemäß der Dienstleistungsrichtlinie sind unverhältnismäßige Beschränkungen für Einzelhändler untersagt. Dies ist bei einigen ausdrücklich in der Richtlinie genannten Anforderungen der Fall, unter anderem territorialen Beschränkungen.39 Ein Beispiel hierfür sind äußerst detaillierte Raumpläne, in denen festgelegt wurde, welche Arten von Waren verkauft werden.40 Im Urteil in der Rechtssache Visser erinnerte der EuGH an die Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach der Dienstleistungsrichtlinie41, ihre Vorschriften und Praktiken auf die Verhältnismäßigkeit territorialer Beschränkungen für Einzelhandelsgeschäfte hin zu prüfen.42

Im breiteren Kontext des Dienstleistungssektors hat die Kommission eine Richtlinie über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich reglementierter Berufe vorgelegt.43 Auch im Vorschlag der Kommission über das Notifizierungsverfahren für bestimmte Beschränkungen gemäß der Dienstleistungsrichtlinie44 wird ein strukturierter und einheitlicher Ansatz in Bezug auf Verhältnismäßigkeit angestrebt.

Die Mitgliedstaaten wenden durch individuelle Schwellenwerte in Bezug auf die Größe häufig - je nach Größe der jeweiligen geplanten Einzelhandelsgeschäfte - unterschiedliche Regelungen für Projekte für Einzelhandelsniederlassungen an.45 Das kann dazu führen, dass die Einzelhandelslandschaft durch Einflussnahme auf Konzept und Größe von Verkaufsstellen46 oftmals künstlich gestaltet wird, was sich letztendlich auch auf die Produktivität auswirkt.

Wirtschaftliche Bedarfsprüfungen

Nach der Dienstleistungsrichtlinie müssen Behörden ihre Vorschriften und Praktiken überprüfen, um sicherzustellen, dass für die Zwecke der Niederlassung Wirtschaftsdaten weder gefordert noch verwendet werden.

Beispiel: In den meisten Mitgliedstaaten werden Wirtschaftsdaten nicht in Niederlassungsverfahren für den Einzelhandel verwendet, in anderen Mitgliedstaaten wiederum sind wirtschaftliche Bedarfsprüfungen gesetzlich vorgeschrieben oder werden in der Praxis gefordert.

Standortspezifische Vorschriften

Bei der Anwendung standortspezifischer Vorschriften, einschließlich solcher mit dem Ziel der Erhaltung einer lebendigen Innenstadt, müssen Behörden gemäß der Dienstleistungsrichtlinie die Verhältnismäßigkeit dieser Vorschriften prüfen, insbesondere, ob alternativ weniger strenge Vorschriften angewendet werden könnten.

Beispiel: In Frankreich erlauben die Niederlassungsvorschriften den Einzelhändlern die Auswahl des geeignetsten Standorts für ihre Verkaufsstelle, unabhängig von Konzept und Warensortiment.

Lokale Raumplanung

Beim Entwurf der lokalen Raumplanung sind Behörden angehalten, eine Vielzahl unterschiedlicher wirtschaftlicher Aktivitäten innerhalb der Gewerbegebiete zuzulassen. Des Weiteren haben Behörden gemäß der Dienstleistungsrichtlinie und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überreglementierende Vorschriften zu vermeiden.

Beispiel: Durch die Ausweisung von Gewerbegebieten für eine Vielzahl unterschiedlicher Geschäfte in seiner Raumplanung ("gewerbliche Zwecke") bietet Rumänien mehr Flexibilität bei der Flächennutzung.

Schwellenwerte in Bezug auf die Größe

Bei der Festlegung von Schwellenwerten für die Größe von Einzelhandelsgeschäften müssen Behörden gemäß der Dienstleistungsrichtlinie nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prüfen, ob die Höhe der Schwellenwerte mit den verfolgten Gemeinwohlzielen vereinbar ist. Des Weiteren sind die Behörden angehalten, deren Auswirkungen auf die Marktstruktur zu berücksichtigen.

Beispiel: In Lettland gibt es keine diesbezüglichen Schwellenwerte und in zur "gewerblichen Nutzung" ausgewiesenen Gebieten dürfen Verkaufsstellen jeglicher Größe geplant werden. Auch in Dänemark und Finnland wurden im Rahmen von Reformen der Niederlassungsvorschriften für den Einzelhandel höhere Schwellenwerte in Bezug auf die Größe eingeführt und bestimmte Flächenbegrenzungen abgeschafft. Mit den Reformen sollte die Funktionsweise der Branche verbessert, die Produktivität gesteigert und den Verbrauchern eine größere Auswahl und niedrigere Preise geboten werden.

Der Erhalt lebendiger Innenstädte ist ein berechtigtes Anliegen der nationalen, regionalen und lokalen Behörden, und die Anzahl leerstehender Gewerbeflächen nimmt stetig zu. Um Abhilfe zu schaffen, haben einige Behörden Niederlassungsbeschränkungen für Einzelhändler außerhalb der Innenstädte eingeführt. Diese Beschränkungen dürfen nur angewendet werden, wenn sie gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. In diesem Zusammenhang sollten die betreffenden nationalen Behörden allgemeingültigere Vorschriften in Betracht ziehen, die nicht nur für den Einzelhandel gelten. Sie sollten auch die Dimension des elektronischen Handels und die sich ändernden Einkaufsvorlieben der Verbraucher berücksichtigen, die sich ebenfalls auf die Präsenz des Einzelhandels in den Innenstädten auswirken.

Neue Ansätze zur Förderung lebendiger Innenstädte

Die Behörden sind angehalten, eine Vielzahl unterschiedlicher Aktionen und Maßnahmen in Betracht zu ziehen, um Verbraucherinnen und Verbraucher in die Innenstädte zu locken, und sich nicht ausschließlich auf Beschränkungen für die Niederlassung von Einzelhändlern zu konzentrieren.

Beispiel: In einem als die "Neun Straßen" bekannten Teil von Amsterdam (Niederlande) haben sich die Einzelhändler zu einer florierenden Gemeinschaft zusammengeschlossen, die sich auf die Identität und das kulturelle Erbe des Stadtviertels gründet. Über einen Gemeinschaftsmanager werden die Einzelhändler dazu animiert, gemeinsame Verkaufs- und Werbeaktionen rund um dieses Erbe zu koordinieren, mit denen Touristen und andere Verbraucher angelockt werden können; diese werden über eine Website beworben. In Verbindung mit anderen Initiativen der zuständigen Behörde, beispielsweise der Einführung einer autofreien Zone, werden die Einzelhandelsaktivitäten und die Nachfrage nach Gewerbeflächen in den "Neun Straßen" angekurbelt.

Parallel zu dieser Mitteilung veröffentlicht die Kommission einen Leitfaden zur Förderung der Neubelebung und Modernisierung des kleinflächigen Einzelhandels. Dieser Leitfaden beinhaltet Erfolgsgeschichten von Städten, die ihre Innenstädte wiederbelebt haben, und er sollte den Behörden helfen, kleinen Einzelhändlern bei der Anpassung an die neuen Realitäten des digitalen Zeitalters zu unterstützen.

Niederlassungsverfahren

Durch einfache, transparente und effiziente Niederlassungsverfahren (Bürokratieabbau) kann die Einzelhandelsbranche ihre Produktivität steigern. Während der öffentlichen Konsultationen betonten die Auskunftgebenden, dass die Straffung der Niederlassungsverfahren, transparentere Verfahren und eine bessere und systematischere Verwendung von Online-Verfahren erforderlich seien. Zur Erleichterung des Zugangs sollten digitale Technologien eingesetzt werden.47 Der eGovernment-Aktionsplan der EU48 soll die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung beschleunigen, um so die Interaktion zwischen Unternehmen und Behörden effizienter, transparenter, schneller und kostengünstiger zu gestalten.

Das Auffinden korrekter und präziser Informationen über rechtliche Anforderungen und Verfahren in einem leicht verständlichen Format ist für all jene, die die Vorteile des Binnenmarkts nutzen wollen, insbesondere für KMU, ebenso wichtig wie die Möglichkeit, sämtliche Verwaltungsverfahren über das Internet abrufen und durchführen zu können. Um diesen Anforderungen besser gerecht werden zu können, hat die Kommission einen Legislativvorschlag für ein zentrales digitales Zugangstor vorgelegt.49

In der Praxis sehen sich Einzelhändler mit physischen Verkaufsstätten noch immer vielfältigen Verzögerungen aufgrund von verfahrensbedingten Hindernissen konfrontiert.50 Derartige Verzögerungen wirken sich nachteilig auf den Start und die Durchführbarkeit von Projekten aus - die gegebenenfalls auf ein bestimmtes Marktumfeld zugeschnitten wurden - und verursachen erhebliche Kosten.

Die vollständige Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie allein würde bereits ein anspruchsvolles Programm zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren und -zusammenarbeit ermöglichen.51 Angesichts des Urteils in der Rechtssache Visser sollten die Mitgliedstaaten prüfen, ob die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren in der Einzelhandelsbranche bereits ausreichend ist oder weitere Anstrengungen erforderlich sind. Gemäß der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, einheitliche Ansprechpartner zu benennen und dafür zu sorgen, dass Verfahren aus der Ferne und elektronisch abgewickelt werden können und Informationen über nationale Anforderungen und Verfahren leicht zugänglich sind. Antrage müssen so schnell wie möglich bearbeitet werden. Effizientere, transparentere und kürzere Niederlassungsverfahren kämen der Branche und den Behörden zugute.

Vereinfachte Verfahren

Vereinfachte Verfahren sparen sowohl Zeit als auch Ressourcen. Gemäß der Dienstleistungsrichtlinie sind Behörden verpflichtet, Einzelhändlern mit physischen Verkaufsstätten den Marktzugang durch vereinfachte Niederlassungsverfahren zu erleichtern, indem weniger Genehmigungen gefordert werden, die über einen einheitlichen Ansprechpartner beantragt werden können.

Beispiel: In Belgien haben die Regionen integrierte Verfahren und einheitliche Ansprechpartner für die Niederlassung des Einzelhandels eingeführt, um die Verwaltungsverfahren zu vereinfachen. Diese Änderungen ermöglichen den Einzelhändlern die Beantragung einer einzigen integrierten Genehmigung an zentraler Stelle.

Transparenz

Transparenz in allen Phasen des Niederlassungsverfahrens kommt den Einzelhändlern zugute. Gemäß der Dienstleistungsrichtlinie müssen die Behörden sicherstellen, dass sich Einzelhändler auf einer eigenen Website im Voraus ausreichend über Niederlassungsverfahren informieren können. Außerdem sind die Behörden angehalten, sämtliche - positiven und negativen - Entscheidungen über Niederlassungen öffentlich zugänglich zu machen.

Beispiel: In Litauen werden sowohl positive als auch negative Niederlassungsbeschlüsse elektronisch veröffentlicht.

Dauer der Verfahren

Durch kürzere Niederlassungsverfahren können Einzelhandelsvorhaben schnell auf den Weg gebracht werden. Mit dem Aufschwung des elektronischen Handels ist es wichtig, die Fristen des Marktzugangs für Einzelhändler mit physischen Verkaufsstätten zu verkürzen. Hiervon würde auch die Entwicklung des Multi-Channel-Umfelds profitieren. Gemäß der Dienstleistungsrichtlinie sind Behörden zur schnellstmöglichen Bearbeitung von Anträgen verpflichtet.52 Zudem sind sie angehalten, sämtliche Möglichkeiten der Verkürzung der für die Aufnahme einer Einzelhandelstätigkeit erforderlichen Zeit zu betrachten, unter anderem Maßnahmen zur Vermeidung opportunistischer Einsprüche.

Beispiel: Mit einer in Finnland jüngst durchgeführten Reform sollten die Niederlassungsverfahren vereinfacht und verkürzt werden.

4. Abbau von Beschränkungen für den Betrieb

Zusätzlich zur Regulierung ihrer Niederlassung sehen sich die Einzelhändler auch mit einer Vielzahl von Vorschriften für ihren alltäglichen Betrieb konfrontiert (z.B. Öffnungszeiten, Verkaufsförderung, Vertriebskanäle und Beschaffung).

Beschränkungen für den Betrieb wurden oftmals eingeführt, um Gemeinwohlziele - beispielsweise Arbeitnehmer-, Verbraucher- und Umweltschutz - zu erfüllen. Der elektronische Handel verändert das Verbraucherverhalten (Verbraucher sind es nunmehr gewohnt, jederzeit, an jedem Ort und auch grenzüberschreitend einkaufen zu können).53 Daher müssen die Mitgliedstaaten ihre Regelungsrahmen prüfen und gegebenenfalls modernisieren; dabei sollten sie sich von bewährten und weniger beeinträchtigenden Lösungen anderer Mitgliedstaaten inspirieren lassen.

Beschränkungen für den Betrieb wirken sich besonders stark auf Einzelhändler mit physischen Verkaufsstätten aus.54 So sind Online-Einzelhändler beispielsweise von Beschränkungen der Ladenöffnungszeichen oder spezifischen Steuern für Einzelhändler, die von der Größe der Verkaufsfläche abhängig sind, nicht betroffen. Behörden sollten sowohl die Verhältnismäßigkeit als auch die Effizienz ihrer Beschränkungen für den Betrieb, die Einzelhändler mit physischen Verkaufsstätten betreffen, prüfen, damit diese gegenüber den Online-Händlern nicht benachteiligt werden.

Beschränkungen für den Betrieb könnten zu einer erheblichen Belastung für Unternehmen werden und deren Produktivität beeinträchtigen, was bereits mehrfach im Rahmen des Europäischen Semesters zur Sprache gebracht wurde.55

Sicherstellung gleicher Ausgangsbedingungen im Einzelhandel

Einzelhändler mit physischen Verkaufsstätten müssen neue Verbrauchsgewohnheiten berücksichtigen und ihre Geschäftsstrategie entsprechend angleichen.56 Kleine Einzelhandelsbetriebe haben gegebenenfalls Schwierigkeiten, mit der digitalen Entwicklung des Marktes Schritt zu halten. Sie haben häufig Probleme bei der Anpassung an neue Technologien und verfügen generell über weniger Ressourcen, Fachwissen und Kapazitäten für die Planung und Durchführung struktureller Änderungen.

Unterstützung kleiner Einzelhandelsbetriebe bei der Umstellung

Behörden sind angehalten, kleinen Einzelhandelsbetrieben die Umstellung auf digitale Technologien zu erleichtern.

Beispiel: In Belgien hat die wallonische Digitalbehörde ein Instrument zur Selbsteinschätzung entwickelt, das es kleinen Einzelhandelsbetrieben ermöglicht, die Anwendung digitaler Technologien zu erlernen und festzustellen, welche der digitalen Technologien ihren Mitteln und Erfahrungen entsprechen, und welche Lösungen sie kurzfristig für eine Erleichterung der Digitalisierung benötigen.

Mit dem Leitfaden zur Förderung der Neubelebung und Modernisierung des kleinflächigen Einzelhandels sollen die zuständigen Behörden dabei unterstützt werden, kleinen Einzelhandelsbetrieben bei der Anpassung an die neue digitale Wirklichkeit zu helfen.

In Mitgliedstaaten, die Werbung und Preisnachlässe reglementieren, profitieren die Verbraucher zumeist von Sonderangeboten und Rabattaktionen von Online-Händlern, deren Sitz sich in einem anderen Mitgliedstaat mit flexibleren Vorschriften befindet (beispielsweise in einem Land ohne vorgeschriebene Zeiträume für Saisonausverkäufe oder in dem der Verkauf unter dem Selbstkostenpreis zulässig ist).57

Durch den elektronischen Handel können Verbraucherinnen und Verbraucher Produkte online kaufen, für die manche Mitgliedstaaten für den Offline-Handel spezifische Vertriebskanäle vorschreiben.58 Das kann zu unterschiedlichen Bedingungen für Offline- und Online-Händler führen.

Vorrangig für den Offline-Handel gestaltete Vorschriften behindern Einzelhändler bei der Anpassung und Reaktion auf Änderungen, die der elektronische Handel mit sich bringt. Dies ist beispielsweise bei Beschränkungen der Ladenöffnungszeiten der Fall. Derartige Beschränkungen wurden zumeist zum Schutz der Arbeitnehmer und von KMU eingeführt, die nicht immer ausreichend Mitarbeiter für lange Öffnungszeiten beschäftigen können. Es gilt, diese Überlegungen zu berücksichtigen und Offline-Händler dabei zu unterstützen, auf neue Verbrauchergewohnheiten zu reagieren.

Bestehende spezifische Steuern für den Einzelhandel sowie Gebühren, die von der Größe der Verkaufsfläche abhängen, gelten ausschließlich für Einzelhändler mit physischen Verkaufsstätten (d.h. sofern diese auf der Größe der Verkaufsräume beruhen), was diese gegenüber Online-Händlern und anderen Unternehmen benachteiligt.

Verkaufsförderung und Preisnachlässe

Verkaufsförderung und Preisnachlässe sind oftmals Teil der Strategien von Einzelhändlern in einer Multi-Channel-Umgebung oder für den Eintritt in einen neuen Markt. Behörden sind bei der Regulierung der Verkaufsförderung von Preisnachlässen unter anderem an die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Begründetheit und der Verhältnismäßigkeit gebunden; das würde auch zur Sicherstellung gleicher Ausgangsbedingungen im Vergleich zum elektronischen Handel führen.

Beispiel: Eine in Luxemburg durchgeführte Reform zielte unlängst darauf ab, das Genehmigungsverfahren für Ausverkäufe zu vereinfachen und den Verkauf unter dem Selbstkostenpreis zu gestatten. Griechenland verlängerte 2014 den Zeitraum für Saisonausverkäufe.

Spezifische Vertriebskanäle

Die Behörden werden aufgefordert, für gleiche Ausgangsbedingungen mit dem elektronischen Handel zu sorgen.

Beispiel: Im Anschluss an entsprechende Reformen dürfen in Portugal, Italien, Schweden und Dänemark bestimmte nicht verschreibungspflichtige Medikamente nun auch außerhalb von Apotheken zum Verkauf angeboten werden.

Öffnungszeiten

Ladenöffnungszeiten haben einen entscheidenden Einfluss auf den Zugang der Verbraucher zu Einzelhandelsgeschäften. Der elektronische Handel beeinflusst hierbei maßgeblich das Verbraucherverhalten, und für Einzelhändler mit physischen Verkaufsstätten kann es schwer werden, der Konkurrenz der Online-Händler Stand zu halten. Die Behörden sind aufgefordert, flexible Regelungen vorzusehen, um den veränderten Vorlieben der Verbraucher Rechnung zu tragen und für gleiche Ausgangsbedingungen mit dem elektronischen Handel zu sorgen.

Beispiel: In Finnland wurden vor Kurzem die Öffnungszeiten vollständig liberalisiert, was sich äußerst positiv auf den Wettbewerb und die Beschäftigung ausgewirkt hat.

Spezifische Steuern für den Einzelhandel

Die Behörden werden aufgefordert, gleiche Ausgangsbedingungen für den elektronischen Handel und alle Geschäftsbereiche zu schaffen, um so sicherzustellen, dass spezifische Steuern gerechtfertigt sind und Einzelhändler mit physischen Verkaufsstätten nicht ungerechtfertigterweise benachteiligen.

Beispiel: In den meisten Mitgliedstaaten werden keine besonderen Steuern für den Einzelhandel erhoben, sodass diese Branche nicht gegenüber anderen benachteiligt wird.

In Ungarn wurde eine 2010 eingeführte spezifische Steuer für den Einzelhandel im Jahr 2014 abgeschafft, was für eine Angleichung der Ausgangsbedingungen nicht nur zwischen verschiedenen Branchen, sondern auch zwischen inländischen und ausländischen Wirtschaftsbeteiligten sorgte.

Gerechte und effiziente Lieferketten sicherstellen

Der Einzelhandel ist das Bindeglied zwischen Binnenmarkt und Verbraucher. Der Binnenmarkt ermöglicht Einzelhändlern den Kauf von Waren aus der gesamten EU. Auf diese Weise wird nicht nur die Effizienz verbessert, auch die Produktivität wird gesteigert und letztendlich profitieren die Verbraucher von niedrigeren Kosten. Durch den Binnenmarkt ist nunmehr eine größere Produktauswahl verfügbar. Rechtliche Beschränkungen der grenzüberschreitenden Produktbeschaffung gefährden die Integrität des Binnenmarktes und stehen dem im EU-Vertrag verankerten Grundsatz des freien Warenverkehrs entgegen.

Auf europäischer und nationaler Ebene werden zudem Anstrengungen unternommen, um ausgewogene Lieferketten zu fördern und damit die Auswirkungen auf die Umwelt zu verringern und einen nachhaltigen Verbrauch anzuregen. Die EU hat bereits Schritte eingeleitet, um dem Problem der Kunststoffabfälle zu begegnen.59 In ihrer im Januar 2018 veröffentlichten Strategie für Kunststoff in der Kreislaufwirtschaft plant die Kommission weitere Schritte in dieser Richtung.60 Die Kommission schlägt außerdem Maßnahmen zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung vor.61 Viele Mitgliedstaaten haben ebenfalls Vorschriften zur Förderung fairer Handelsbedingungen eingeführt, insbesondere für die Lebensmittelversorgungskette. Die Kommission unterstützt diese Maßnahmen, u.a. durch einen Vorschlag für eine Richtlinie über unfaire Handelspraktiken in Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen der Lebensmittelversorgungskette.62 Dadurch darf jedoch eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit zwischen Zulieferern und Einzelhändlern nicht verhindert werden.

Die Kommission ist sich auch des Problems regionaler Angebotsbeschränkungen durch private Marktteilnehmer bewusst, die Einzelhändler bei der Auswahl der Lieferanten und der Herkunft ihrer Waren einschränken können, was sich wiederum nachteilig auf den Binnenmarkt auswirkt.63 Offenbar schreiben einige multinationale Lieferanten ihren Einzelhändlern, die ihren Sitz lediglich in einem einzigen Mitgliedstaat haben, vor, von welcher nationalen Tochtergesellschaft sie ihre Produkte zu beziehen haben, anstatt ihnen die Wahl zu lassen, an welche nationale Tochtergesellschaft sie sich wenden. Mit demselben Hindernis sehen sich Einzelhändler konfrontiert, wenn der Lieferant grenzüberschreitende Lieferungen seines Großhandelsnetzwerks untersagt, was wiederum zur Marktabschottung und Marktaufteilung führt. Befindet sich ein Lieferant, der regionale Angebotsbeschränkungen anwendet, in einer vorherrschenden Position oder wendet er diese im Rahmen einer Vereinbarung zwischen ihm und einem unabhängigen Großhändler an, so können diese Beschränkungen nach dem geltenden Wettbewerbsrecht unter gewissen Umständen als wettbewerbsschädigendes Verhalten sanktioniert werden. Fälle, in denen vertikal integrierte Lieferanten ihren nationalen Tochtergesellschaften entsprechende Anweisungen geben, sind jedoch nicht durch das Wettbewerbsrecht gedeckt. Gegenwärtig nutzen einige Lieferanten die Tatsache aus, dass die Wettbewerbsvorschriften für solche Fälle nicht gelten.64

Regionale Angebotsbeschränkungen fördern die Segmentierung des Marktes, schränken den Wettbewerb ein und führen zu erheblichen Unterschieden zwischen Großhandels- und Verbraucherpreisen oder zu Unterschieden im Warenangebot für die Verbraucher in der EU.65

Solche Verhaltensweisen sollten unterbunden werden, um es Einzelhändlern zu ermöglichen, Parallelimporte sämtlicher Produkte durchzuführen und damit den Binnenmarkt den Verbrauchern näher zu bringen. Die Kommission plant, weitere Fakten über die Auswirkungen derartiger Praktiken auf den Binnenmarkt zu ermitteln. Weitere Maßnahmen dürften erforderlich sein, wenn sich an der Lage auch nach der freiwilligen Umstellung des Ansatzes von Lieferanten nichts ändert.

Regulatorische Herkunftsbeschränkungen

Gemäß den Grundsätzen des Binnenmarkts für Waren muss es Einzelhändlern frei stehen, selbstständig ihre Versorgungsketten - auch grenzüberschreitend -aufzubauen, um so dem Verbraucher ein vielfältiges Sortiment zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten zu können.

Beispiel: Die Tschechische Republik und die Slowakei haben regulatorische Anforderungen abgeschafft, durch die bestimmte Einzelhändler verpflichtet waren, den Anteil oder Prozentsatz ihres Umsatzes zu melden, den sie mit dem Verkauf im Inland beschaffter oder hergestellter Lebensmittel machten.

Vertragliche Praktiken des modernen Einzelhandels

Wenn Behörden bestimmte Praktiken zum Schutz gefährdeter Marktteilnehmer regulieren, sollten sie im Einklang mit der Niederlassungsfreiheit jene vertraglichen Praktiken nicht unterbinden, die sowohl für Einzelhändler als auch für ihre Zulieferer von Nutzen sind.

Beispiel: Verpflichtet sich in Irland ein Lieferant vertraglich ausdrücklich zu einem Beitrag zu Vermarktungskosten, ist dies zulässig, sofern bestimmte Auflagen, beispielsweise ein objektiv und angemessen veranschlagter Beitrag, vorgesehen s i.d.R. gionale Angebotsbeschränkungen

Private Marktteilnehmer sollten Einzelhändler nicht daran hindern, sämtliche Möglichkeiten voll auszuschöpfen, die der Binnenmarkt bei der grenzüberschreitenden Beschaffung von Produkten bietet. Einzelhändler sollten in der Lage sein, Verbrauchern ein vielfältiges Sortiment, unter anderem verschiedene Varianten desselben Produkts, möglicherweise auch zu niedrigeren Preisen, anzubieten.

Beispiel: Einzelhändler sollten frei entscheiden können, von welcher nationalen Niederlassung des Anbieters die Produkte vorzugsweise bezogen werden sollen.

5. Verringerung der Kosten für die Einhaltung der Vorschriften

Die Einhaltung von Vorschriften hat ihren Preis - die Kosten für die Einhaltung; diese können zwischen 0,4 % und 6 % des Jahresumsatzes eines Einzelhändlers betragen.66 Insbesondere für Kleinstunternehmen stellt dies eine erhebliche Belastung dar.67

Im Rahmen der öffentlichen Konsultation gaben die Befragten an, dass in folgenden Bereichen Verbesserungsbedarf besteht: Meldung von Geschäftsinformationen, Mitteilung von Änderungen, Kontrollen68, verhältnismäßigere Strafen und Sanktionen.

Die Kommission setzt sich seit einigen Jahren nachdrücklich für den Grundsatz der besseren Rechtsetzung auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene ein.69 Des Weiteren müssen die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre nationalen Vorschriften gezielt, auf Fakten gestützt und verständlich gestaltet sind. Weniger komplexe Vorschriften, mehr Verständnis für die Besonderheiten der Branche und politische Unterstützung würden den Einzelhandel dabei unterstützen, flexibel und innovativ zu arbeiten.70

Für die - letztlich dem Verbraucher zugutekommende - Förderung der Entwicklung des Einzelhandels bedarf es eines breit angelegten Ansatzes: Dafür gilt es, die Regelungsrahmen zu vereinfachen und für ein Multi-Channel-Umfeld tauglich zu machen sowie die zu aufwendigen und kostspieligen Maßnahmen und die den Einzelhändlern zur Einhaltung dieser Vorschriften auferlegten Verfahren abzubauen.

Verwaltungsaufwand und Sanktionen

Bei der Ausgestaltung und Anwendung von Vorschriften, insbesondere für den alltäglichen Geschäftsbetrieb, sind die Behörden angehalten, die mit Verwaltungsaufgaben und der erforderlichen Ausstattung verbundenen Kosten zu berücksichtigen. Sowohl für KMU als auch für Behörden ist dies von besonderer Bedeutung.

Beispiel: Internetplattformen und -instrumente zur Vereinfachung des Antrags- und Meldewesens sowie vereinfachte Verwaltungsverfahren und gestraffte Prüfverfahren bringen erhebliche Kosteneinsparungen und ermöglichen insbesondere kleinen Einzelhandelsbetrieben, für Verwaltungsaufgaben gebundene Ressourcen für ihr Kerngeschäft, einschließlich Innovationsmaßnahmen, einzusetzen.

6. Schlussfolgerungen

Ein gut funktionierender Binnenmarkt und ein modernes Regelungsumfeld sind unerlässlich, damit der europäische Einzelhandel den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen ist. Die rechtliche Orientierung und die bewährten Verfahren, die in dieser Mitteilung dargelegt werden, sollen die Mitgliedstaaten bei ihren Reformen unterstützen, die auf einen offeneren, stärker integrierten und wettbewerbsfähigeren Einzelhandelsmarkt abzielen, ohne dass jedoch die Verwirklichung legitimer Gemeinwohlziele untergraben wird.

Von einem Abbau der für den Einzelhandel bestehenden Beschränkungen würden auch andere Branchen, insbesondere vorgelagerte Akteure in der Produktion, profitieren. Eine effizientere Einzelhandelsbranche und niedrigere Verbraucherpreise kurbeln die Nachfrage an und veranlassen die vorgelagerten Akteure in der Produktion dazu, sich innovativeren Produkten zuzuwenden.

Der Aufschwung des elektronischen Handels bietet dem Einzelhandel und den Verbrauchern zwar beispiellose Möglichkeiten, die Einzelhändler mit physischen Verkaufsstätten können sich aufgrund der für sie bestehenden Beschränkungen aber nicht an das sich ändernde Verbraucherverhalten anpassen. Die Kunden des elektronischen Handels sind daran gewöhnt, jederzeit an jedem beliebigen Ort einkaufen zu können. Deswegen kommt es darauf an, dass nationale, regionale und lokale Behörden bei der Ausarbeitung und Durchführung der entsprechenden Vorschriften beachten, dass der Multi-Channel-Einzelhandel in den kommenden Jahren im Einzelhandel trendbestimmend bleiben wird.

Die rechtliche Orientierung und die bewährten Verfahren, die in dieser Mitteilung dargelegt werden, sollten die Behörden bei einer Bewertung ihrer Regelungsrahmen und der Ermittlung weniger restriktiver Maßnahmen unterstützen. Die Mitgliedstaaten müssen die für die Einzelhandelsbranche bestehenden und geplanten Maßnahmen weiterhin prüfen, damit diese nicht diskriminierend, hinreichend begründet und verhältnismäßig sind. Außerdem werden sie aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass diese Maßnahmen mit Blick auf die angestrebten Gemeinwohlziele wirksam sind, den städtebaulichen Anliegen angemessen Rechnung tragen und an die rasante Veränderung des Einzelhandels angepasst sind. Die nationalen Wettbewerbsbehörden sollten an dieser Bewertung beteiligt werden.

Der Indikator für Beschränkungen im Einzelhandel wird als dynamisches Überwachungsinstrument dafür herangezogen werden, die Anstrengungen der Mitgliedstaaten beim Abbau der Beschränkungen für den Einzelhandel zu messen. Dabei werden gerechtfertigte Gemeinwohlziele, etwa Gesundheit, und die Auswirkungen solcher Reformen auf die Markleistung - unter anderem Produktivität, Preise, Innovation sowie die Ausstrahlungseffekte auf andere Branchen - berücksichtigt.

Die Kommission wird die Entwicklung der einschlägigen Regelungsrahmen und die Trends in der Einzelhandelsbranche weiterhin beobachten. Diese Beobachtungsergebnisse werden in die wirtschaftlichen Analysen einfließen, die die Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters durchführt. Zudem liefern sie die Grundlage für die Festlegung von Prioritäten im Zuge der von der Kommission im Einzelhandelssektor betriebenen Durchsetzungspolitik.

Es bedarf einer wirksamen Partnerschaft zwischen den einschlägigen Akteuren der EU und der Mitgliedstaaten auf sämtlichen Ebenen, um den politischen Rahmen für den Einzelhandelssektor insgesamt zu verbessern. Die Kommission setzt den Dialog fort, der zwischen den Organen der EU und den nationalen, regionalen und lokalen Behörden sowie den Vertretern des Einzelhandels über die Zukunft dieser Branche geführt wird.

Europäische Kommission
Brüssel, den 19.4.2018
COM (2018) 219 final

ANNEX
Anhang der Mitteilung der Kommission an Das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen
Ein den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsener europäischer Einzelhandel

{SWD(2018) 236 final} - {SWD(2018) 237 final}