Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. Februar 2010 zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Europäischen Union - 2009 (2009/2101(INI))

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 102739 - vom 2. März 2010.

Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 10. Februar 2010 angenommen.

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern ein Grundprinzip der Europäischen Union ist, das im Vertrag über die Europäische Union und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wird, und ferner in der Erwägung, dass trotz der bedeutenden Fortschritte, die auf diesem Gebiet erreicht wurden, zahlreiche Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen fortbestehen,

B. in der Erwägung, dass die Europäische Union gegenwärtig eine Wirtschafts-, Finanz- und soziale Krise von großem Ausmaß durchlebt, was ganz besondere Auswirkungen auf die Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt mit sich bringt,

C. in der Erwägung, dass Mutterschaft und Vaterschaft als für das soziale Gleichgewicht wesentliche Grundrechte betrachtet werden müssen und dass es auf der Ebene der Europäischen Union eine Richtlinie über den Mutterschaftsurlaub1 und eine Richtlinie über den Elternurlaub2 gibt, aber bisher noch keinerlei Rechtsvorschriften über den Vaterschaftsurlaub ausgearbeitet wurden,

D. in der Erwägung, dass aufgrund der Aufteilung des Arbeitsmarktes nach Berufen und Sektoren und gemäß den vorliegenden Daten Männer zu Beginn der Krise im Allgemeinen starker betroffen waren als Frauen, dass die Lage jedoch in einigen Ländern und einigen Sektoren unterschiedlich ist, insbesondere in den traditionellen Industrien mit einer hohen Frauenerwerbstätigkeit, bei denen es viele Unternehmensschließungen und Verlagerungen multinationaler Unternehmen gibt; in der Erwägung, dass 31,1 % der weiblichen Beschäftigten auf Teilzeitbasis arbeiten, jedoch nur 7,9 % der männlichen Beschäftigten; in der Erwägung, dass Frauen in bestimmten Bereichen des öffentlichen Dienstes die Mehrheit und in einigen Mitgliedstaaten sogar bis zu zwei Drittel der Beschäftigten in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Sozialfürsorge stellen; folglich in der Erwägung, dass die Krise im Falle von Haushaltseinsparungen in diesen Bereichen vor allem Frauen treffen wird,

E. in der Erwägung, dass Frauen, insbesondere alleinerziehende Mutter und Frauen über 65, traditionell starker armutsgefährdet sind bzw. häufiger Gefahr laufen, später in ihrem Leben nur sehr niedrige Ruhegehälter zu beziehen; in der Erwägung, dass diese Frauen oft lediglich Ruhegehälter erhalten, die knapp am Existenzminimum liegen, und dies aus diversen Gründen, so z.B. wenn sie, um familiäre Verpflichtungen wahrzunehmen, ihre Berufstätigkeit unterbrochen oder im Betrieb ihres Ehemannes gearbeitet haben - ohne Entgelt und ohne Sozialversicherung - , was insbesondere im Handel und in der Landwirtschaft vorkommt; ferner in der Erwägung, dass die meisten politischen Maßnahmen in erster Linie darauf ausgerichtet sind, Familien mit Kindern zu unterstützen, obwohl bis zu 35 % aller Haushalte aus nur einer Person bestehen, die in den meisten Fällen eine Frau ist,

F. in der Erwägung, dass sich die Beschäftigungsquote von Frauen mit erheblich unterschiedlichen Niveaus zwischen 37,4% und 74,3% auf durchschnittlich 59,1 % beläuft, dass aber auch ein konstanter Anstieg dieses Prozentsatzes seit 2000 keine Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen von Frauen nach sich gezogen hat, sondern Frauen nach wie vor durch die Aufteilung des Arbeitsmarkts nach Berufen und Sektoren stark benachteiligt sind,

G. in der Erwägung, dass die Unternehmen der Sozialwirtschaft beispielhaft für den Erfolg der Beschäftigungsfähigkeit von Frauen sind, da sie die soziale Stellung von Frauen verbessern, ihre finanzielle Unabhängigkeit fordern und zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben beitragen, insbesondere durch ihre Einrichtungen für die Betreuung von Kindern, alten Menschen und Menschen mit Behinderungen,

H. in der Erwägung, dass das mittlere Lohngefälle zwischen Frauen und Männern seit dem Jahr 2000 auf hohem Niveau stagniert (zwischen 14 % und 17,4 %), und zwar trotz der zahlreichen von der Kommission in Kraft gesetzten Maßnahmen und der von den Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen,

I. in der Erwägung, dass Artikel 157 AEUV festschreibt, dass .jeder Mitgliedstaat [...] die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit" sicherstellen muss, und dass dieser Grundsatz von der ständigen Rechtssprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bekräftigt worden ist,

J. in der Erwägung, dass es in seiner oben genannten Entschließung vom 18. November 2008 die Kommission aufgefordert hat, bis zum 31. Dezember 2009 einen Legislativvorschlag über die Revision der bestehenden Rechtsvorschriften zur Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit vorzulegen,

K. in der Erwägung, dass Männer ebenfalls - wenngleich auch weniger stark - unter der Aufteilung des Arbeitsmarktes nach Berufen und Sektoren und unter Rollenklischees zu leiden haben,

L. in der Erwägung, dass die Aufteilung von Verpflichtungen in Familie und Haushalt zwischen Frauen und Männern, insbesondere durch die verstärkte Nutzung von Eltern- und Vaterschaftsurlaub, eine unabdingbare Voraussetzung für Forderung und Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter darstellt und dass das Rahmenabkommen der Sozialpartner zum Elternurlaub (Juli 2009) die Frage des bezahlten Urlaubs bedauerlicherweise nicht regelt, was einen entscheidenden Einfluss auf die Inanspruchnahmerate unter Männern und auf eine gerechte Aufteilung der beruflichen und familiären Verpflichtungen unter Männern und Frauen gehabt hatte,

M. in der Erwägung, dass der Zugang zu Dienstleistungen für die Betreuung von Kindern, älteren Menschen und anderen betreuungsbedürftigen Familienmitgliedern wesentlich für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt, an der Bildung und an der Weiterbildung ist,

N. in der Erwägung, dass der Europäische Rat von Barcelona vom 15. und 16. März 2002 die Mitgliedstaaten aufgefordert hat, bis 2010 für mindestens 90 % der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter und für mindestens 33 % der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen, dass aber mehr als die Hälfte von ihnen noch weit davon entfernt ist, diese Ziele zu erreichen,

O. in der Erwägung, dass 58,9 % der Diplome an den Universitäten der Union im Jahre 2008 von Frauen erworben wurden, dass sie in den Studiengängen Wirtschaft, Management und Jura die Mehrheit darstellen, aber in Führungspositionen in Unternehmen, Verwaltungen und politischen Gremien weiterhin unterrepräsentiert bleiben; in Erwägung der geringen Anzahl von Frauen mit Hochschulabschlüssen in Informatik, Ingenieurwesen oder Physik, was eine Unterrepräsentation von Frauen im Privatsektor zur Folge hat - der von ausschlaggebender Bedeutung für den wirtschaftlichen Aufschwung ist; in der Erwägung, dass das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen im IT-Sektor mit der Zeit tendenziell eher noch großer anstatt kleiner geworden sind,

P. in der Erwägung, dass der Anteil von weiblichen Abgeordneten im Europäischen Parlament von 32,1 % in der Wahlperiode 2004-2009 auf 35 % seit den Europawahlen am 7. Juni 2009 angestiegen ist und der Anteil von weiblichen Ausschussvorsitzenden von 25 % auf 41 % und der Anteil von weiblichen Vizepräsidenten des Parlaments von 28,5 % auf 42,8 % gestiegen ist, wohingegen die Anzahl der weiblichen Quastoren von 3 auf 2 zurückgegangen ist;

Q. in Erwägung der Verschlechterung der Lage bestimmter Gruppen von Frauen, die sich oft einer Gleichzeitigkeit von Schwierigkeiten und Risiken sowie doppelter Diskriminierung ausgesetzt sehen, insbesondere behinderte Frauen, Frauen mit betreuungsbedürftigen Familienmitgliedern, ältere Frauen sowie Frauen aus Minderheits- und Einwanderergruppen,

R. in der Erwägung, dass Frauen mit Migrationshintergrund unter doppelter Diskriminierung zu leiden haben, nämlich aufgrund ihres Geschlechts und aufgrund ihres Einwandererstatus; in Erwägung der Tatsache, dass eine von fünf hochqualifizierten Migrantinnen einen wenig qualifizierten Arbeitsplatz innehat, und in Erwägung der besonderen Prekärität bei Migrantinnen, die als Hausangestellte, im Hotel- und Gastronomiegewerbe oder in der Landwirtschaft tätig sind,

S. in der Erwägung, dass die Beschäftigungsquoten in ländlichen Gebieten sowohl bei Männern als auch bei Frauen niedriger sind und sehr viele Frauen darüber hinaus niemals auf dem offiziellen Arbeitsmarkt tätig werden und daher weder arbeitslos gemeldet sind noch in Arbeitslosenstatistiken erscheinen, was zu besonderen finanziellen und rechtlichen Problemen in Bezug auf das Recht auf Mutterschaftsurlaub und Krankheitszeiten, den Erwerb von Rentenansprüchen und den Zugang zur sozialen Sicherheit sowie zu Problemen im Scheidungsfälle führt; in der Erwägung, dass ländliche Gebiete stark durch den Mangel an qualifizierten Arbeitsplätzen geprägt sind,

T. in der Erwägung, dass Frauen mit Minderheitenhintergrund, insbesondere Roma, in der Regel unter Mehrfachdiskriminierung - aufgrund des Geschlechts und der ethnischen Zugehörigkeit - zu leiden haben; ferner in der Erwägung, dass die nationalen Gleichstellungsbehörden die Phänomene der mehrfachen oder kombinierten Diskriminierung angemessen angehen sollten,

U. in der Erwägung, dass Menschenhandel eine moderne Form der Sklaverei darstellt und die meisten Opfer des Menschenhandels nach wie vor Frauen und Mädchen sind,

V. in der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten in seiner oben genannten Entschließung vom 3. September 2008 aufgefordert wurden, das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels zu ratifizieren, das als effizientestes europäisches Rechtsinstrument zur Bekämpfung dieses Phänomens gilt, da der Menschenhandel darin als Verbrechen und Menschenrechtsverletzung sowie als Verletzung der Wurde und der Unversehrtheit des Menschen definiert ist; in der Erwägung, dass bis heute lediglich 16 Mitgliedstaaten der Union dieses Übereinkommen ratifiziert haben,

W. in der Erwägung, dass jede Form von Gewalt gegen Frauen ein Hindernis für die Gleichstellung von Frauen und Männern und eine der gängigsten Menschenrechtsverletzungen ist, die keine geografischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Grenzen kennt; in der Erwägung, dass diese Gewalt ein kritisches Problem in der Union darstellt, da annähernd 20 - 25 % der Frauen im Erwachsenenalter physischer Gewalt ausgesetzt waren und mehr als 10 % aller Frauen sexuelle Gewalt erlitten haben; in der Erwägung, dass der spanische Ratsvorsitz den Kampf gegen die Gewalt gegenüber Frauen als eine seiner Prioritäten festgeschrieben hat,

X. in der Erwägung, dass unter sexueller und reproduktiver Gesundheit ein allgemeiner Zustand des physischen, psychischen und sozialen Wohlergehens zu verstehen ist und zwar im Zusammenhang mit dem gesamten reproduktiven System, seinen Funktionen und Ablaufen, und nicht nur das Fehlen von Krankheiten und Behinderungen; ferner in der Erwägung, dass die Anerkennung des Rechts der Frau auf volle Selbstbestimmung über ihren Körper und ihre Sexualität eine unabdingbare Voraussetzung für jede das Recht auf Gesundheit betreffende Politik sowie für jedwede Maßnahme zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen darstellt,

Y. in der Erwägung, dass das 2006 offiziell eingerichtete Europäische Institut für Gleichstellungsfragen normalerweise spätestens am 19. Januar 2008 seine Tätigkeit hatte aufnehmen müssen, aber immer noch nicht voll einsatzfähig ist,

Z. in der Erwägung, dass die Lissabon-Strategie auf die Integration von 60 % der erwerbsfähigen Frauen in den Arbeitsmarkt abzielt, während die auf die Bewältigung der demografischen Herausforderung ausgelegten Maßnahmen zum Ziel haben, die Geburtenraten anzuheben, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden; in der Erwägung, dass die Gleichstellung von Mann und Frau und eine ausgewogene Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben weiterhin den Kernpunkt der Debatten über den demografischen Wandel darstellen,