Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns
(Mindestlohngesetz - MinLohnG)

A. Problem und Ziel

Der Niedriglohnsektor in Deutschland und damit die Zahl der abhängig Beschäftigten, die für einen Niedriglohn arbeiten, ist konstant hoch. Nach aktuellen Auswertungen des Statistischen Bundesamtes erhielten im Jahr 2010 20,6 Prozent der Beschäftigten trotz Vollzeitarbeit einen sogenannten Niedriglohn. Ein sich verstetigender Niedriglohnsektor verstärkt sowohl die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich als auch den schleichenden Ausgrenzungsprozess von einzelnen Beschäftigungsgruppen. Zudem führen Niedriglöhne häufig für die davon betroffenen Menschen dazu, dass eine Existenzsicherung nicht erreicht werden kann und aufstockende Sozialleistungen in vielen Fällen trotz Vollzeitbeschäftigung in Anspruch genommen werden müssen. Dadurch werden die Beschäftigten nicht nur in ihrer Lebensführung massiv eingeschränkt, sondern auch die öffentlichen Kassen belastet. Darüber hinaus führen Niedriglöhne in vielen Fällen dazu, dass die Betroffenen von den erworbenen Rentenansprüchen nicht leben können und im Alter auf zusätzliche Hilfen angewiesen sind. Auch damit gehen erhebliche Auswirkungen für staatliche Leistungen und Sozialversicherungssysteme einher.

Ziel des Gesetzes ist es, sicherzustellen, dass für alle in Deutschland vollzeitbeschäftigten Menschen ein existenzsicherndes und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen und soziokulturellen Leben ermöglichendes Einkommen erreichbar wird. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn kann der Entwicklung, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten und von ihrer Arbeit nicht menschenwürdig leben können, ein wirksames und transparentes Instrument entgegengesetzt werden.

B. Lösung

Durch das Gesetz werden die unabdingbare Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestlohns festgelegt sowie Regelungen zur Festsetzung des Mindestlohns geschaffen.

C. Alternativen

Keine.

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Das Gesetz selbst führt nicht zu unmittelbaren Belastungen der öffentlichen Haushalte.

Zusätzliche Kosten werden durch den Vollzug des Gesetzes durch den Verwaltungsaufwand bei der Überprüfung der Einhaltung des Mindestlohngesetzes entstehen. Dem steht eine Entlastung der öffentlichen Haushalte unter anderem durch Einsparungen bei ergänzendem Arbeitslosengeld II entgegen. Es ist mit einem Rückgang der Sozialtransfers an bedürftige Haushalte zu rechnen. Überdies sind Mehreinnahmen an Steuern und Sozialversicherungsabgaben durch die Umsetzung des Mindestlohns zu erwarten.

E. Sonstige Kosten

Durch die mit dem Gesetz verbundene Steigerung der Arbeitskosten für Niedriglohnbeschäftigte werden sich voraussichtlich in Wirtschaftszweigen mit überdurchschnittlich hohen Niedriglohnanteilen die Kosten erhöhen.

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MinLohnG)

Der Bundesrat hat in seiner 907. Sitzung am 1. März 2013 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.

Der Gesetzentwurf ist gemäß Artikel 76 Absatz 3 Satz 4 des Grundgesetzes besonders eilbedürftig.

Anlage
Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MinLohnG)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1 Ziel des Mindestlohngesetzes

Ziel des Gesetzes ist es, den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch die Festsetzung eines Mindestlohns als unterste Grenze des Arbeitsentgelts ein ihre Existenz sicherndes Einkommen zu gewährleisten und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen und soziokulturellen Leben zu ermöglichen.

§ 2 Wirkung des Mindestlohns

§ 3 Mindestlohnkommission

§ 4 Festsetzung des Mindestlohns

§ 5 Kontrollen und Nachweise

§ 6 Ordnungswidrigkeiten

§ 7 Durchführungsbestimmungen

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erlässt durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen insbesondere über die Errichtung und die Arbeit der Mindestlohnkommission und das Verfahren bei der Festsetzung des Mindestlohns.

§ 8 Inkrafttreten

Die §§ 3, 4 und 7 treten am Tag nach der Verkündung in Kraft. Im Übrigen tritt dieses Gesetz am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden 13. Kalendermonats in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Mindestarbeitsbedingungengesetz - MiArbG) vom 11. Januar 1952 (BGBl. I S. 17), zuletzt geändert durch Artikel 1 Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung der Mindestarbeitsbedingungen vom 22. April 2009 (BGBl. I S. 818) außer Kraft.

Begründung

A. Allgemeines

Ziel des Gesetzes ist es, sicherzustellen, dass für alle in Deutschland vollzeitbeschäftigten Menschen ein existenzsicherndes und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen und soziokulturellen Leben ermöglichendes Einkommen erreichbar wird. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn kann der Entwicklung, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten und von ihrer Arbeit nicht menschenwürdig leben können, ein wirksames und transparentes Instrument entgegengesetzt werden.

Dies ist vor dem Hintergrund, dass der Niedriglohnsektor in Deutschland und damit die Zahl der abhängig Beschäftigten, die für einen Niedriglohn arbeiten, konstant hoch ist, erforderlich. Nach aktuellen Auswertungen des Statistischen Bundesamtes1 erhielten im Jahr 2010 20,6 Prozent der Beschäftigten trotz Vollzeitarbeit eine geringe Bezahlung. Im Jahr 2006 waren es noch 18,7 Prozent. Der Anstieg des Anteils der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten, die weniger als zwei Drittel des Medianbruttolohns erhielten, ist damit zwar weniger stark als in den Jahren zuvor gestiegen, aber dennoch setzt sich der ansteigende Trend fort und es ist ein insgesamt hoher Stand zu konstatieren. Dabei betrugen die durchschnittlichen Stundenlöhne nach den Ergebnissen des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Düsseldorf und Essen2 unter Einbeziehung von Beschäftigungsverhältnissen in Teilzeit in Westdeutschland 6,68 Euro und in Ostdeutschland 6,52 Euro. Rund 2,5 Millionen Beschäftigte verdienten weniger als 6,00 Euro pro Stunde und knapp 1,4 Millionen Menschen sogar weniger als 5,00 Euro pro Stunde. Betroffen von Niedriglöhnen sind dabei keineswegs nur gering Qualifizierte. Naturgemäß haben insbesondere Beschäftigte ohne abgeschlossene Berufsausbildung ein erhöhtes Niedriglohnrisiko. Ihr Anteil lag nach den Erkenntnissen des IAQ3 2010 bei 18,4 Prozent, wobei 71 Prozent derjenigen, die einen Niedriglohn bezogen, eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen konnten.

Besonders betroffen von Stundenlöhnen unter 10,00 Euro sind in Deutschland Frauen. Ihr Anteil liegt nach einem Bericht der Prognos AG4 doppelt so hoch wie bei den Männern. Zudem werden vor allem junge Menschen mit geringen Stundensätzen entlohnt. So erhalten 14 Prozent der unter 20-Jährigen Stundenlöhne von bis zu 5,00 Euro, wobei Auszubildende nicht eingeschlossen sind. Auffallend ist auch, dass der Anteil der Alleinerziehenden und Paarhaushalte mit Kindern überproportional hoch ist. Bei den Alleinerziehenden liegt der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die weniger als 7,50 Euro brutto pro Stunde verdienen, bei 18 Prozent. In Paarhaushalten mit Kindern sind es 13 Prozent.

Ein sich verstetigender Niedriglohnsektor begünstigt eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und einen schleichenden Ausgrenzungsprozess von einzelnen Beschäftigungsgruppen. Zudem führen Niedriglöhne für die davon betroffenen Menschen häufig dazu, dass eine Existenzsicherung nicht erreicht werden kann und aufstockende Sozialleistungen in vielen Fällen trotz Vollzeitbeschäftigung in Anspruch genommen werden müssen. Dadurch werden die Beschäftigten nicht nur in ihrer Lebensführung massiv eingeschränkt, sondern auch die öffentlichen Kassen belastet. Darüber hinaus führen Niedriglöhne in vielen Fällen dazu, dass die Betroffenen von den erworbenen Rentenansprüchen nicht leben können und im Alter auf zusätzliche Hilfen angewiesen sind. Auch damit gehen erhebliche Auswirkungen für staatliche Leistungen und Sozialversicherungssysteme einher.

Zur Sicherung von Stabilität und Qualität der Arbeit, der Wiederherstellung der Ordnung am Arbeitsmarkt und des Vertrauens in die soziale Marktwirtschaft ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns eine wesentliche ordnungspolitische Maßnahme.

Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des Strukturwandels am Arbeitsmarkt vor allem durch Globalisierung, demografische Entwicklung und zunehmende internationale Konkurrenz notwendig. Zugleich geraten die herkömmlichen Tarifstrukturen und -regelungen zunehmend unter Druck und die Tarifbindung in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. So ist ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Erhalt eines Niedriglohns und der Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin beziehungsweise des Arbeitgebers festzustellen. Nach Auswertung des Statistischen Bundesamtes5 erhielt fast ein Drittel aller Beschäftigten nicht tarifgebundener Arbeitgeber einen Niedriglohn. Bei tarifgebundenen Arbeitgebern waren es im Vergleich nur 11,9 Prozent. Die Schutzwirkung tariflicher Vereinbarungen wird dadurch geschwächt und Löhne immer mehr in den Wettbewerb hineingezogen. Fairer Wettbewerb wird schwierig bis unmöglich. Wird dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten, so ist neben gespaltenen Arbeitsmärkten und den daraus resultierenden sozialen Spannungen auch eine weitere drastische Verschlechterung der Situation gerade der Klein- und Mittelbetriebe, die angemessene Löhne zahlen, zu befürchten. Damit werden mittelbar auch die in diesen Unternehmen bestehenden Arbeitsplätze gefährdet. Zudem wird die Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie untergraben.

Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns hat neben den zuvor aufgezeigten Schutzfunktionen aber auch fiskalische Effekte. Nach dem Bericht der Prognos AG6 könnte sich unter der Annahme, dass von der Einführung eines Mindestlohns keine Beschäftigungseffekte ausgehen, ein fiskalischer Effekt von knapp 7,1 Milliarden Euro ergeben. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Erwerbseinkommen der privaten Haushalte um circa 14,5 Milliarden Euro steigen könnten. Damit könnte sich auf der einen Seite das Konsumverhalten zugunsten einer Wirtschaftsbelebung ändern, auf der anderen Seite Mehreinnahmen für den Staatshaushalt bei reduzierten staatlichen Transferleistungen ergeben.

Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns warnen vor negativen Beschäftigungswirkungen. Dem kann vor allem die neuere empirische Forschung entgegen gehalten werden. Denn entgegen vieler Prognosen hat unter anderem die Evaluation der acht Branchenmindestlöhne in Deutschland7, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2010 in Auftrag gegeben hatte, gezeigt, dass in keiner der acht Branchen statistisch signifikante negative Wirkungen auf die Beschäftigung festgestellt werden konnten. Damit ist auch die zuvor bei den fiskalischen Effekten gemachte Annahme, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns keine Beschäftigungseffekte beziehungsweise keine negativen Beschäftigungseffekte habe, als zumindest nicht unberechtigt einzustufen.

Zudem handelt es sich bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns mit Blick auf die Tatsache, dass in 20 von 27 Staaten in der Europäischen Union Mindestlöhne bestehen, nicht um ein politisches Experiment, sondern vielmehr um die Übernahme einer in vielen anderen Staaten erprobten und erfolgreichen Gesetzgebung.

Insgesamt spricht sich auch eine breite Mehrheit der Bevölkerung für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns aus.

B. Einzelbegründung

Zur Eingangsformel

Im Hinblick auf die Übertragung von Aufgaben auf die Zollverwaltung besteht der Vorbehalt eines formell doppelt qualifizierten Bundesgesetzes gemäß Artikel 87 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes.

Zu § 1 (Ziel des Mindestlohngesetzes)

§ 1 beschreibt das Ziel des Gesetzes. Die Vorschrift regelt die Funktion des Mindestlohns als unterste Grenze des Arbeitsentgelts und greift dabei die Vorgaben der Artikel 1 und 20 Absatz 1 des Grundgesetzes auf und legt die Menschenwürdegarantie und das Sozialstaatsprinzip als die für die Bestimmung der Höhe des Mindestlohns erforderlichen Zielvorgaben fest. Die Vorschrift stellt auch klar, dass es um die Existenzsicherung der einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht.

Zu § 2 (Wirkung des Mindestlohns)

Absatz 1 Satz 1 formuliert in Verbindung mit der Rechtsverordnung nach § 4 die Anspruchsgrundlage für die Zahlung des Mindestlohns. Absatz 1 Satz 2 modifiziert § 614 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und legt für den Mindestlohn einen eindeutigen spätesten Fälligkeitszeitpunkt fest. Die angeordnete mindestens monatliche Zahlung stellt sicher, dass die Zielsetzung des Gesetzes (§ 1) kontinuierlich erreicht wird und erleichtert den Behörden der Zollverwaltung die Kontrolle der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns.

Absatz 2 sichert die in § 1 formulierte Zielsetzung des Mindestlohns. Der Zweck des gesetzlichen Mindestlohns, eine für alle verbindliche Entgeltuntergrenze festzusetzen, lässt die Vereinbarung oder Festsetzung geringerer Entgelte, unabhängig auf welcher Rechtsgrundlage dies erfolgt, nicht zu.

Die vorgesehene Regelung steht im Einklang mit dem Verfassungsrecht. Die gesetzliche Regelung des Mindestlohns verletzt nicht die in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes enthaltene Bestands- und Betätigungsgarantie der Koalitionen. Der Schutz erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen und umfasst insbesondere auch die Tarifautonomie, die im Zentrum der den Koalitionen eingeräumten Möglichkeiten zur Verfolgung ihrer Zwecke steht (BVerfGE 88, 103, 114; 94, 268, 283; 103, 293, 304). Das Aushandeln von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Zweck der Koalitionen (BVerfGE 94, 268, 283).

Zu den der Regelungsbefugnis der Koalitionen überlassenen Materien gehören insbesondere das Arbeitsentgelt und die anderen materiellen Arbeitsbedingungen (BVerfGE 94, 268,283;100,271,282;103,293,304).

In diesen Schutzbereich greift die Regelung des Absatzes 2 ein, da sie den Gestaltungsfreiraum der Koalitionen, niedrigere Entgelte als den Mindestlohn zu vereinbaren, beschränkt. Dieser Eingriff ist jedoch durch verfassungsrechtlich legitimierte, überwiegende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes garantierte Koalitionsfreiheit kann, obwohl sie ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet ist, jedenfalls zum Schutz von Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, denen gleichermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt (BVerfGE 84, 212, 228, ständige Rechtsprechung). Dem Gesetzgeber ist es, wenn solche Gründe vorliegen, grundsätzlich nicht verwehrt, Fragen zu regeln, die Gegenstand von Tarifverträgen sein können (BVerfGE 94, 268, 284).

Die Festsetzung des Mindestlohns dient dazu, die existenzsichernde Funktion des Arbeitsentgelts und die elementare Würde und ökonomische Funktion von Arbeit zu sichern. Sie soll in den Bereichen, in denen die Gefahr besteht, dass elementare Gerechtigkeitsmaßstäbe verletzt werden, Lohngerechtigkeit absichern. Dieses Ziel hat auf Grund des Sozialstaatsprinzips Verfassungsrang. Die gerechte und angemessene Entlohnung ermöglicht es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erst, das Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes zu verwirklichen, nämlich sich durch Arbeit in ihrer Persönlichkeit zu entfalten und darüber gesellschaftliche Achtung und Selbstachtung zu erfahren. Insofern wird das gesetzliche Ziel auch Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit durch Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes getragen.

Die vorgesehene gesetzliche Regelung verletzt auch nicht die durch Artikel 12 des Grundgesetzes geschützte Vertragsfreiheit bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes schützt vor staatlichen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind. Er gewährleistet den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern das Recht, die Arbeitsbedingungen mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen der Gesetze frei auszuhandeln (BVerfGE 77, 84, 114; 77, 308, 332). Gesetzliche Vorschriften, die die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen betreffen und die sich deshalb für die Arbeitgeberseite als Berufsausübungsregelungen darstellen, sind daher grundsätzlich an Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes zu messen (BVerfG Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvL 4/00 - unter CI12a). In diesen Schutzbereich greift die Regelung des Absatzes 2 ein, da sie den Gestaltungsfreiraum der Arbeitsvertragsparteien insoweit beschränkt, als sie die Vereinbarung niedrigerer Entgelte als den Mindestlohn untersagt. Der Eingriff ist jedoch auch aus den zu Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes dargestellten Gründen gerechtfertigt.

Absatz 3 erweitert den erforderlichen Schutz des Mindestlohns auf entstandene Rechte. Der Zweck des gesetzlichen Mindestlohns würde unterminiert, könnte der entstandene Anspruch durch Verzicht, Verwirkung oder den Ablauf von Ausschlussfristen untergehen. Auch die in § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelte regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren wird dem erforderlichen Schutz des Mindestlohns nicht gerecht. Das fehlende Kräftegleichgewicht im Arbeitsverhältnis erfordert es, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit zu erhalten, ihre gesamten Mindestlohnansprüche durchzusetzen, auch und gerade wenn das Arbeitsverhältnis länger als drei Jahre dauerte. Daher wird eine eigenständige zehnjährige Verjährungsfrist vorgesehen, die mit der Entstehung des Mindestlohnanspruchs beginnt und deren Verkürzung ausdrücklich ausgeschlossen wird.

Zu § 3 (Mindestlohnkommission)

§ 3 regelt die Zusammensetzung der Mindestlohnkommission.

Absatz 1 legt fest, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für die Errichtung der Mindestlohnkommission zuständig ist.

Absatz 2 regelt die Zusammensetzung der Mindestlohnkommission. Spitzenorganisationen im Sinne dieses Gesetzes sind diejenigen Zusammenschlüsse von Gewerkschaften oder von Arbeitgebervereinigungen, die für die Vertretung der Arbeitnehmer- oder der Arbeitgeberinteressen im Arbeitsleben in Deutschland wesentliche Bedeutung haben. Durch die Besetzung mit Vertreterinnen und Vertretern aus Kreisen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie der Wissenschaft wird eine ausgewogene Berücksichtigung der für die Entscheidung erforderlichen Aspekte gewährleistet. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, die Mindestlohnfestsetzung zu versachlichen und die Akzeptanz der Mindestlohnfestsetzung zu erhöhen.

Absatz 3 legt die grundsätzlichen Regeln für die Bestellung der Mitglieder und der beziehungsweise des Vorsitzenden der Mindestlohnkommission, sowie die Dauer der Bestellung fest. Für den Fall, dass ein Spitzenverband sein Vorschlagsrecht nicht ausübt oder kein gemeinsamer Vorschlag für den Vorsitz erfolgt, geht das Vorschlagsrecht auf das Bundesministerium für Arbeit und Soziales über. Ein solcher Fall der Nichtausübung liegt auch dann vor, wenn der Verband sein Vorschlagsrecht nicht rechtzeitig ausübt.

Absatz 4 sichert die Weisungsunabhängigkeit aller Kommissionsmitglieder. Zudem wird in Satz 2 festgelegt, dass die Verhandlungen und Beratungen der Kommission nicht öffentlich sind und somit die Pflicht der Mitglieder zum Schweigen über die nichtöffentlichen Beratungen begründet. Satz 3 schafft die Möglichkeit der Einbeziehung externen Sachverstands durch die Kommission.

Absatz 5 enthält die Regelung zur Beschlussfassung, wonach Beschlüsse grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der Mitglieder gefasst werden.

Zu § 4 (Festsetzung des Mindestlohns)

Die Festsetzung des Mindestlohns als Bruttoarbeitsentgelt für eine Zeitstunde in Absatz 1 macht den Mindestlohn einfach und transparent. Er bietet allen am Wirtschaftsleben Beteiligten eine verlässliche Planungsgrundlage. Es wird einerseits klargestellt, dass der Mindestlohn dem reinen Stundenentgelt ohne Zuschläge entspricht. Darüber hinaus gehende Entgeltbestandteile, wie zusätzliches Monatsgehalt oder Urlaubsgeld, sofern vereinbart, sind neben dem Mindestlohn zu zahlen; Aufwendungsersatzleistungen dürfen nicht angerechnet werden. Andererseits wird der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Arbeitsverhältnisse Rechnung getragen.

Zudem legt Absatz 1 die enthaltenen Zielvorgaben der für die Festlegung der Höhe des Mindestlohns maßgeblichen Determinanten fest. Die positiven Erfahrungen bei der Festsetzung des Mindestlohns in Großbritannien haben gezeigt, dass die Berücksichtigung allgemeiner wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge, der Entwicklung der Arbeitseinkommen, des voraussichtlichen Beschäftigungseffekts, der Auswirkungen auf die Unternehmenskosten und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der Folgen für den Staatshaushalt und die Sozialversicherungen eine gute Grundlage darstellt, um im Spannungsfeld zwischen einkommens- und sozialpolitisch wünschenswerten Mindeststandards und eventuell negativen Beschäftigungswirkungen die angemessene Höhe für den Mindestlohn zu finden.

Absatz 2 legt das Recht und die Pflicht der Mindestlohnkommission fest, den Mindestlohn bis zum 31. August eines jeden Jahres vorzuschlagen. Durch die Verpflichtung zur jährlichen Überprüfung wird sichergestellt, dass der Mindestlohn auch zeitlich im Gleichklang mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung fortgeschrieben wird.

Absatz 3 legt fest, dass ein Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro brutto je Zeitstunde festzusetzen ist. Diese untere Grenze hat das Ziel, vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein ihre Existenz sicherndes Einkommen zu gewährleisten und eine angemessene Teilhabe am soziokulturellen Leben zu ermöglichen.

Absatz 4 regelt den Fall, dass zwischen Mindestlohnkommission und Bundesministerium für Arbeit und Soziales Konsens über den festzusetzenden Mindestlohn besteht.

Absatz 5 sichert die Festsetzung eines Mindestlohns in dem Fall, in dem zwischen Mindestlohnkommission und Bundesministerium für Arbeit und Soziales Dissens über den festzusetzenden Mindestlohn besteht. Er sieht zur Auflösung des Dissenses vor, dass die Entscheidung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales der Zustimmung der Bundesregierung bedarf.

Absatz 6 sichert für den Fall, dass die Mindestlohnkommission nicht rechtzeitig einen Vorschlag unterbreitet, die jährlich erforderliche Entscheidung über den Mindestlohn.

Absatz 7 enthält nähere Regelungen zum Erlass der den Mindestlohn festsetzenden Rechtsverordnung. Absatz 7 Satz 1 bestimmt, dass zum Erlass der Rechtsverordnung nach Absatz 4 Satz 2 die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist. Absatz 7 Satz 2 bestimmt hiervon abweichend, dass in Fällen des Dissenses oder wenn die Kommission keinen Vorschlag vorlegt, die Rechtsverordnung der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Durch Absatz 7 Satz 3 wird sichergestellt, dass die Festsetzung von Mindestlöhnen und die durch die Verkündung erfolgende Information der Betroffenen bei Mindestlöhnen einheitlich erfolgt; der für das Inkrafttreten festgelegte Zeitpunkt berücksichtigt die im Arbeitsleben üblichen monatlichen Abrechnungszeiträume.

Zu § 5 (Kontrollen und Nachweise)

Absatz 1 legt fest, dass die Kontrolle der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns durch die Behörden der Zollverwaltung erfolgt, die auch für die Kontrolle der Einhaltung der nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zwingenden Arbeitsbedingungen zuständig sind. Diese übereinstimmende Zuständigkeit ist auch aus Gründen der Verfahrensökonomie geboten. Der gesetzliche Mindestlohn ist ein Mindestentgeltsatz im Sinne des § 2 Nummer 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und findet daher auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen im Ausland ansässigen Arbeitgeberinnen oder Arbeitgebern und deren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zwingend Anwendung.

Absatz 2 regelt die Kontroll- und Zusammenarbeitsbefugnisse der Kontrollbehörden, begründet in diesem Zusammenhang Verpflichtungen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und stellt die Zustellung von Schriftstücken gegenüber Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern mit Sitz im Ausland sicher. Um ein einheitliches Verfahren bei den Kontrollen der Behörden der Zollverwaltung zu ermöglichen, sieht die Regelung die entsprechende Geltung der diesbezüglichen Bestimmungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vor.

Zu § 6 (Ordnungswidrigkeiten)

Die Regelungen in § 6 orientieren sich an der entsprechenden Regelung des § 23 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

Absatz 1 Nummer 1 enthält die erforderliche Bußgeldvorschrift, durch die Verstöße gegen die Verpflichtungen des § 2 Absatz 1 sanktioniert werden können. Absatz 1 Nummer 2 entspricht der Regelung in § 23 Absatz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

Absatz 2 korrespondiert mit der Regelung des § 23 Absatz 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Er ermöglicht es, Verstöße gegen die auf Grund der Bestimmung des § 5 Absatz 2 entsprechend anwendbaren §§ 18 und 19 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zu sanktionieren.

Die Bußgeldregelung in Absatz 3 entspricht der Regelung des § 23 Absatz 3 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

In Absatz 4 werden die Bestimmungen des § 23 Absatz 4 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes übernommen.

Zu § 7 (Durchführungsbestimmungen)

§ 7 enthält die Ermächtigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die zur Umsetzung des Gesetzes erforderlichen Regelungen durch Rechtsverordnung zu erlassen.

Zu § 8 (Inkrafttreten)

Um den Arbeits- und Tarifvertragsparteien Zeit zur Anpassung ihrer Lohnvereinbarungen zu geben, tritt das Gesetz, mit Ausnahme der §§ 3, 4 und 7, erst nach einer Übergangsfrist von einem Jahr in Kraft. Das vorgezogene Inkrafttreten der §§ 3, 4 und 7 ermöglicht es, die zur Festsetzung des Mindestlohns erforderlichen vorbereitenden Maßnahmen umgehend einzuleiten.

Mit Ablauf der Übergangsfrist tritt das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (Mindestarbeitsbedingungengesetz - MiArbG) außer Kraft.