Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren - COM (2017) 85 final

Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet.

Hinweis: vgl.
Drucksache 140/10 (PDF) = AE-Nr. 100164 und AE-Nr. 160166

Straßburg, den 14.2.2017
COM (2017) 85 final
2017/0035 (COD)

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren

Begründung

1. Kontext des Vorschlags

- Gründe und Ziele des Vorschlags

Diese Initiative geht auf eine Erklärung des Präsidenten der Kommission in seiner Rede zur Lage der Union vor dem Europäischen Parlament vom September 2016 zurück, in der er sagte:

"Es geht nicht an, dass die Kommission von Parlament und Rat zu einer Entscheidung gezwungen wird, wenn sich die EU-Länder untereinander nicht einigen können, ob sie die Verwendung von Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln verbieten wollen oder nicht. Daher werden wir diese Regeln ändern - denn das ist keine Demokratie."1

In Bezug auf die Annahme von Rechtsakten nach dem Ausschussverfahren ist es in den vergangenen Jahren wiederholt vorgekommen, dass es den Mitgliedstaaten nicht gelang, im Ausschuss eine qualifizierte Mehrheit für oder gegen eine Vorlage zu erzielen, und die Kommission dann rechtlich verpflichtet war, einen Beschluss zu fassen. Diese Situation ist nach Auffassung der Kommission insbesondere dann problematisch, wenn es um politisch sensible Fragen geht, die unmittelbare Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen haben, beispielsweise wenn die Gesundheit oder die Sicherheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen betroffen ist.

Die meisten Rechtsakte der Union werden jedes Jahr von der Kommission auf der Grundlage der Befugnisse erlassen, die ihr das Europäische Parlament und der Rat als Gesetzgeber übertragen haben, und zwar entweder in Form von delegierten Rechtsakten nach Artikel 290 AEUV oder in Form von Durchführungsrechtsakten nach Artikel 291 AEUV.2 Anders als bei delegierten Rechtsakten nach Artikel 290 AEUV werden die allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission nach Artikel 291 Absatz 3 AEUV kontrollieren, im Voraus durch gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassene Verordnungen festgelegt. Derartige Regeln und Grundsätze finden sich in der Verordnung (EU) Nr. 182/20113 ("Verordnung über das Ausschussverfahren").

Der vorliegende Vorschlag sieht gezielte und begrenzte Änderungen der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 vor und betrifft somit ausschließlich Durchführungsrechtsakte.

Die Kommission hat dem Europäischen Parlament und dem Rat im Februar 2016 einen Bericht über die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 vorgelegt4. In diesem Bericht wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass die Verordnung es der Kommission ermöglicht hat, von ihren Durchführungsbefugnissen unter der Kontrolle der Mitgliedstaaten wirksam Gebrauch zu machen. Der vorliegende Vorschlag zielt nicht auf eine Änderung des Ausschussverfahrens als solchem ab. In dem Bericht wird jedoch auch eine gewisse Zahl von problematischen Fällen angeführt, insbesondere in Bezug auf die Entscheidungsfindung hinsichtlich genetisch veränderter Organismen (GVO). In diesen Fällen haben die Mitgliedstaaten nie eine qualifizierte Mehrheit für oder gegen einen Beschlussentwurf der Kommission zur Zulassung von genetisch veränderten Organismen (GVO) und genetisch veränderten (GV) Lebens- und Futtermitteln erzielen können. Da im Ausschuss keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen den Rechtsaktentwurf zustande kam, konnte der Ausschuss infolge der Abstimmung jeweils keine Stellungnahme abgeben. Dieses Ergebnis "keine Stellungnahme" wiederholte sich dann stets im Berufungsausschuss, der eigentlich die Entscheidungsfindung bei sensiblen und problematischen Fällen erleichtern soll. Infolgedessen mussten die Beschlüsse in diesem Bereich systematisch ohne die Unterstützung einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedstaaten im Ausschuss erlassen werden.5

Die Kommission hat bereits Maßnahmen eingeleitet, um der besonderen Situation in Bezug auf GVO

Rechnung zu tragen. Ergänzend zu der seit 2015 geltenden Richtlinie zum Anbau von GVO6 hat die Kommission im April 2015 einen ähnlich ausgerichteten Vorschlag zur Änderung des Rechtsrahmens in Bezug auf die Lebens- und Futtermittelsicherheit7 vorgelegt. Darin schlägt sie vor, das zentralisierte Zulassungsverfahren beizubehalten, den Mitgliedstaaten jedoch Abweichungen zuzugestehen (Opt-out-Regelung). Dieser Vorschlag befindet sich noch im Gesetzgebungsverfahren.

Bei den Beratungen im Berufungsausschuss über die Verlängerung der Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat im Sommer 2016 hat sich gezeigt, dass das Problem fehlender Mehrheiten nicht nur in Bezug auf GVO auftritt. Auch in diesem Fall gab es unter den Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss weder für noch gegen den Genehmigungsbeschluss eine Mehrheit, sodass die Kommission ohne Unterstützung der Mitgliedstaaten einen Beschluss fassen musste8. Dies ist, wie bereits erwähnt, insbesondere deshalb problematisch, weil es in diesen Beschlüssen oftmals um politisch sensible Fragen geht, die unmittelbare Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen haben, weil sie beispielsweise die Gesundheit oder die Sicherheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen betreffen. Die Kommission ist zwar befugt, in solchen Fällen einen Beschluss zu fassen, sie vertritt jedoch die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten in Anbetracht der hohen Sensibilität der jeweiligen Angelegenheiten auch in diesen besonderen Situationen ihre Verantwortung im Entscheidungsprozess umfassender wahrnehmen sollten. Dies ist jedoch nicht in ausreichendem Maße gewährleistet, wenn die Mitgliedstaaten keine qualifizierte Mehrheit erzielen können, weil einige von ihnen sich bei der Abstimmung enthalten oder nicht an den Sitzungen des Ausschusses bzw. des Berufungsausschusses teilnehmen.

Die Kommission ist daher der Auffassung, dass diesem Problem durch einige ganz gezielte Änderungen der Bestimmungen zu den Ausschussverfahren begegnet werden sollte. Deshalb hat sie in ihrem Arbeitsprogramm für 2017 eine Überarbeitung des Ausschussverfahrens angekündigt9.

Der vorliegende Vorschlag sieht nur vier gezielte Änderungen vor, denn das durch die Verordnung (EU) Nr. 182/2011 eingeführte System hat sich nach Ansicht der Kommission in der Praxis insgesamt bewährt und gewährleistet ein angemessenes institutionelles Gleichgewicht mit Blick auf die Rolle der Kommission und der anderen beteiligten Akteure. Nach Auffassung der Kommission sollte dieses System daher abgesehen von den hier vorgeschlagenen gezielten Änderungen unverändert beibehalten werden. Alleiniges Ziel dieser Änderungen ist es, das Funktionieren der Verfahren auf Ebene des Berufungsausschusses zu verbessern, um die politische Rechenschaftspflicht und die Eigenverantwortung im Bereich der politisch sensiblen Durchführungsrechtsakte zu erhöhen, ohne jedoch die in der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 geregelten rechtlichen und institutionellen Zuständigkeiten in Bezug auf Durchführungsrechtsakte zu ändern.

Die Kommission darf Durchführungsrechtsakte grundsätzlich erlassen, sofern es keine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten gegen die Maßnahme gibt, damit die effektive Durchführung der Rechtsvorschriften gewährleistet ist. Nur wenn eine qualifizierte Mehrheit von Mitgliedstaaten einen Durchführungsrechtsakt ablehnt, ist dessen Erlass durch die Kommission ausgeschlossen. Das diesbezügliche Regelwerk gleicht also den für delegierte Rechtsakte geltenden Bestimmungen, da es zur Verhinderung von deren Inkrafttreten ebenfalls einer (qualifizierten) Mehrheit bedarf, wenn auch nicht in einem Ausschuss, sondern im Europäischen Parlament oder im Rat.

In bestimmten Fällen, die in der Verordnung über das Ausschussverfahren genannt sind11, ist es der Kommission allerdings rechtlich untersagt, einen Durchführungsrechtsakt zu erlassen, wenn der Prüfausschuss keine Stellungnahme abgegeben hat. Dies gilt in drei Fällen:

In diesen Fällen befasst die Kommission den Berufungsausschuss mit dem Durchführungsrechtsakt, der sich ebenfalls aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt, jedoch auf höherer Ebene. Gibt auch der Berufungsausschuss keine Stellungnahme ab, so kann die Kommission den im Entwurf vorgesehenen Durchführungsrechtsakt erlassen. Wenn der Kommission am Ende des Prüfverfahrens keine Stellungnahme des Prüfausschusses vorliegt, liegt es also in ihrem Ermessen, ob sie den im Entwurf vorliegenden Durchführungsrechtsakt erlässt.

Dieser Ermessensspielraum bei Nichtabgabe einer Stellungnahme wurde der Kommission durch die Verordnung (EU) Nr. 182/2011 eingeräumt. Bis 2011 hatte die Kommission, wenn der Ausschuss keine Stellungnahme abgab oder der Rat nicht reagierte, keine andere Wahl, als den Entwurf des Durchführungsrechtsakts zu erlassen. Der Kommission wurde sodann größere Flexibilität eingeräumt, indem es ihr ermöglicht wurde, erneut zu prüfen, ob sie einen im Entwurf vorliegenden Durchführungsrechtsakt erlassen oder stattdessen dem Ausschuss einen geänderten Entwurf vorlegen will, der unter anderem den von den Mitgliedstaaten im Ausschuss geäußerten Standpunkten Rechnung trägt. Dies geht auch aus Erwägungsgrund 14 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 hervor:

"Erwägt die Kommission die Annahme von Entwürfen von anderen Durchführungsrechtsakten in besonders sensiblen Bereichen, insbesondere Besteuerung, Gesundheit der Verbraucher, Nahrungsmittelsicherheit und Umweltschutz, wird sie es im Bemühen um eine ausgewogene Lösung so weit wie möglich vermeiden, sich einem gegebenenfalls im Berufungsausschuss vorherrschenden Standpunkt ... entgegenzustellen."

Diese Flexibilität befreit die Kommission jedoch nicht von ihrer Verpflichtung, etwa in Fällen, die Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Produkten oder Stoffen betreffen, einen Beschluss zu fassen. Da der antragstellende Hersteller Anspruch darauf hat, dass über seinen Antrag befunden wird, muss die Kommission innerhalb einer angemessenen Frist einen Beschluss erlassen. In einem Fall, über den nach dem zuvor geltenden Regelwerk für das Ausschussverfahren beraten worden war, vertrat das Gericht die Ansicht, dass die Kommission es versäumt habe, tätig zu werden, als sie das Genehmigungsverfahren nicht fortsetzte, nachdem die Abstimmung im Ausschuss "keine Stellungnahme" ergeben hatte.12

Im Jahr 2015 haben die Ausschüsse insgesamt 1726 Stellungnahmen abgegeben; davon waren zwei ablehnende Stellungnahmen; in 36 Fällen, d.h. bei rund 2 % aller Vorlagen, war das Ergebnis "keine Stellungnahme". Bei 10 dieser Fälle wurde der Berufungsausschuss befasst, der daraufhin jedoch ebenfalls keine Stellungnahme abgab. Von den insgesamt 40 Fällen, mit denen der Berufungsausschuss im Zeitraum 2011-2015 befasst wurde, ergab die Abstimmung in 36 Fällen ebenfalls "keine Stellungnahme". Die Zahl solcher Fälle ist zwar insgesamt gering, doch diese Situationen treten in überaus sensiblen Gebieten auf. Folglich hat der Berufungsausschuss nicht dazu beigetragen, einen klaren Standpunkt der Mitgliedstaaten zu ermitteln, sodass er bislang kaum Mehrwert bietet. Vor diesem Hintergrund ist die Kommission der Auffassung, dass die Bestimmungen zum Berufungsausschuss geändert werden sollten, damit dieser seine Aufgabe uneingeschränkt wahrnahmen kann.

- Kohärenz mit den bestehenden Vorschriften in diesem Bereich

Die vorgeschlagenen Änderungen an der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 sind zielgerichtet und auf beim Berufungsausschuss auftretende Ausnahmefälle begrenzt. Da sich das durch die Verordnung eingeführte System insgesamt bewährt hat, sollte dieses nach Auffassung der Kommission ansonsten unverändert beibehalten werden.

- Kohärenz mit der Politik der Union in anderen Bereichen

Der Vorschlag steht mit dem Kommissionsvorschlag in Bezug auf genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel13 im Einklang. Wenngleich jener Kommissionsvorschlag auch teilweise auf die Nichtabgabe von Stellungnahmen in diesem Bereich zurückzuführen ist, soll er es den Mitgliedstaaten in erster Linie ermöglichen, die Verwendung genetisch veränderter Lebens- und Futtermittel in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen. Damit wird die besondere Situation in diesem Bereich angegangen und nicht auf den Entscheidungsprozess an sich abgestellt. Die mit dem vorliegenden Vorschlag angestrebten Änderungen beziehen sich auf die Verfahrensvorschriften als solche, unabhängig von dem jeweiligen Wirtschaftszweig. Folglich ergänzen die beiden Vorschläge einander.

Außerdem steht der Vorschlag mit den beiden vorgeschlagenen Verordnungen im Einklang, mit denen Rechtsakte, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, gemäß den Vorgaben aus der interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung an die Artikel 290 und 291 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union angepasst werden sollen14. Diese beiden vorgeschlagenen Verordnungen sehen keine Änderungen der Beschlussfassungsverfahren als solcher vor, sondern zielen auf eine Anpassung bestehender Befugnisse an die in delegierten Rechtsakten sowie in einigen Fällen in Durchführungsrechtsakten vorgesehenen Befugnisse ab.

2. Rechtsgrundlage, Subsidiarität und Verhältnismässigkeit

- Rechtsgrundlage

Dieser Vorschlag stützt sich ebenso wie die Verordnung (EU) Nr. 182/2011 , die mit dem vorliegenden Vorschlag geändert werden soll, auf Artikel 291 Absatz 3 AEUV.

- Subsidiarität

Nach Artikel 291 Absatz 3 AEUV ist ausschließlich die Union dafür zuständig, die allgemeinen Regeln und Grundsätze festzulegen, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren.

- Verhältnismäßigkeit

Die vorgeschlagenen Änderungen sind auf das für die Behebung des Problems unbedingt erforderliche Minimum beschränkt und gehen nicht über das hinaus, was für die Erreichung der angestrebten Ziele notwendig ist. So sind lediglich Änderungen auf Ebene des Berufungsausschusses vorgesehen.

3. Ergebnisse der EX-POST-BEWERTUNG, der Konsultation der Interessenträger und der Folgenabschätzung

Der Vorschlag sieht geringfügige Änderungen der Verfahren für den Erlass von Durchführungsrechtsakten auf Ebene des Berufungsausschusses vor. Die Änderungen sind rein institutioneller und prozeduraler Natur und ändern beispielsweise nichts an den Vorschriften über die Faktoren, die bei der Prüfung der Genehmigung eines Stoffes zu berücksichtigen sind. Folglich haben die Änderungen als solche keine wesentlichen wirtschaftlichen, ökologischen oder sozialen Auswirkungen. Daher ist keine Folgenabschätzung erforderlich.

4. Rechtliche Aspekte des Vorschlags

Der Berufungsausschuss wurde mit der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 eingeführt, um insbesondere in den Fällen, in denen der Prüfausschuss keine Stellungnahme abgegeben hat, dafür zu sorgen, dass die Beratungen auf einer stärker politisch geprägten Ebene stattfinden. Bislang hat dies jedoch weder die Nichtabgabe von Stellungnahmen verhindert noch zur Klärung der Standpunkte der Mitgliedstaaten beigetragen, sodass der Mehrwert begrenzt ist. Die vorgeschlagenen Änderungen zielen darauf ab, das Risiko zu verringern, dass der Berufungsausschuss keine Stellungnahme abgibt, die Entscheidungsfindung zu erleichtern und die politische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für bestimmte sensible Entscheidungen zu erhöhen. Nach ihrer Annahme müssen die vorgeschlagenen Änderungen in die Geschäftsordnung des Berufungsausschusses übertragen werden, die somit gemäß Artikel 3 Absatz 7 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 angepasst werden muss.

- Änderungen der Abstimmungsregeln für den Berufungsausschuss

Im Rahmen des Prüfverfahrens geben die Ausschüsse, einschließlich des Berufungsausschusses, ihre Stellungnahmen gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 mit der Mehrheit nach Artikel 16 Absätze 4 und 5 EUV sowie ggf. nach Artikel 238 Absatz 3 AEUV ab.

Artikel 16 Absatz 4 EUV und Artikel 238 Absatz 3 AEUV sehen eine doppelte Mehrheit vor. Demnach liegt eine qualifizierte Mehrheit vor, wenn die Mehrheit:

Für Fälle, in denen nicht alle Mitgliedstaaten an der Abstimmung beteiligt sind, ist in Artikel 238 Absatz 3 Buchstabe a AEUV die qualifizierte Mehrheit definiert als mindestens 55 % der beteiligten Mitgliedstaaten, sofern diese zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung der beteiligten Mitgliedstaaten ausmachen. In solchen Fällen bedarf es für eine Sperrminorität mindestens der Mindestzahl der Mitgliedstaaten, die zusammen mehr als 35 % der Bevölkerung der beteiligten Mitgliedstaaten vertreten, zuzüglich eines Mitgliedstaats; andernfalls gilt die qualifizierte Mehrheit als erreicht.

Nach den geltenden Vorschriften werden Enthaltungen bzw. Mitgliedstaaten, die weder anwesend sind noch vertreten werden, für das Erreichen einer qualifizierten Mehrheit für oder gegen eine Vorlage nicht gezählt, sie werden aber auch nicht von den Gesamtzahlen abgezogen, auf deren Grundlage die Erfüllung der Voraussetzungen "55 % der Mitgliedstaaten" und "65 % der Gesamtbevölkerung der Union" geprüft wird. Das bedeutet in der Praxis, dass Enthaltungen sowie die Abwesenheit von Mitgliedstaaten, die weder anwesend sind noch vertreten werden, die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Ausschuss keine Stellungnahme abgeben kann, sodass die Entscheidung der Kommission zufällt. Außerdem bieten die geltenden Vorschriften den Mitgliedstaaten keinen Anreiz, für oder gegen den Entwurf eines Durchführungsrechtsakts zu stimmen. Vor diesem Hintergrund konnte der Berufungsausschuss seine Aufgabe bislang nicht erfüllen.

Deshalb wird vorgeschlagen, die Abstimmungsregeln für den Berufungsausschuss dahin gehend zu ändern, dass Mitgliedstaaten, die entweder abwesend sind oder sich der Stimme enthalten, für die Bestimmung der qualifizierten Mehrheit als "nicht beteiligte Mitgliedstaaten" angesehen werden, um so das Risiko der Nichtabgabe einer Stellungnahme zu verringern und die Standpunkte der Mitgliedstaaten zu ermitteln. Folglich wird die doppelte Mehrheit (55 % der Mitgliedstaaten, die 65 % der Bevölkerung ausmachen) gemäß Artikel 238 Absatz 3 Buchstabe a des AEUV künftig nur noch auf der Grundlage derjenigen Mitgliedstaaten ermittelt, die an der Abstimmung teilnehmen, indem sie entweder für oder gegen eine Vorlage stimmen. Auch die Sperrminorität wird gemäß dieser Bestimmung des AEUV bestimmt.

Um zu gewährleisten, dass die Abstimmungen repräsentativ sind, muss ein Quorum für die Beschlussfähigkeit in die Verordnung über das Ausschussverfahren eingeführt werden16, sodass eine Abstimmung nur dann als gültig angesehen wird, wenn bei der Abstimmung eine einfache Mehrheit der Mitgliedstaaten beteiligte Mitglieder sind. Die entsprechenden Änderungen werden in Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 eingeführt. Um zu verhindern, dass das Verfahren blockiert wird, weil keine Beschlussfähigkeit erreicht werden kann, wird, wie dies bereits jetzt der Fall ist, nach Ablauf der Frist für die Abgabe einer Stellungnahme davon ausgegangen, dass der Berufungsausschuss keine Stellungnahme abgegeben hat.

- Erneute Befassung des Berufungsausschusses auf Ministerebene

Der Berufungsausschuss hat, wie oben dargelegt, weder die Nichtabgabe von Stellungnahmen verhindert noch zur Klärung der Standpunkte der Mitgliedstaaten beigetragen. In der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 wird auf eine Vertretung auf angemessener Ebene17 verwiesen, und die von den Mitgliedstaaten vereinbarte Geschäftsordnung des Berufungsausschusses besagt, dass die Vertretung im Allgemeinen nicht unterhalb der Ebene der Ständigen Vertreter angesiedelt sein sollte18. Bislang wurden die Mitgliedstaaten in den meisten Fällen durch ihre Ständigen Vertretungen vertreten.

Um die Rolle des Berufungsausschusses in besonders sensiblen Fällen zu stärken, wird vorgeschlagen, die Möglichkeit vorzusehen, dass der Berufungsausschuss bei Nichtabgabe einer Stellungnahme erneut befasst werden kann. So kann gewährleistet werden, dass sensible Fragen erneut auf der angemessenen politischen Ebene erörtert werden.

Zu diesem Zweck wird vorgeschlagen, dass der Vorsitz beschließen kann, eine weitere Sitzung des Berufungsausschusses abzuhalten, wobei festgeschrieben werden sollte, dass die angemessene Ebene der Vertretung für diese Sitzung die Ministerebene ist. Um die Abhaltung einer weiteren Sitzung des Berufungsausschusses zu ermöglichen, sollte die Frist für die Abgabe seiner Stellungnahme um einen Monat auf insgesamt drei Monate ab der ursprünglichen Befassung verlängert werden. Die entsprechenden Änderungen werden in Artikel 3 Absatz 7 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 eingeführt.

- Abstimmungsverhalten der Vertreter der einzelnen Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss öffentlich zugänglich machen

Das Abstimmungsverhalten der Vertreter der Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss fällt gegenwärtig unter die Vertraulichkeitsregeln der Geschäftsordnung des Berufungsausschusses19; gleiches gilt für den Prüfausschuss und den beratenden Ausschuss20. In Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 sind die Informationen über Ausschussverfahren aufgeführt, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, und hinsichtlich der Abstimmung sind dort die "Abstimmungsergebnisse" genannt, d.h. lediglich das Gesamtergebnis der Abstimmung, nicht aber das Abstimmungsverhalten der einzelnen Mitgliedstaaten. Nach Ansicht der Kommission ist eine größere Transparenz in Bezug auf die Standpunkte der Vertreter der Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss erforderlich. Der Vorschlag, das Abstimmungsverhalten der Vertreter der Mitgliedstaaten öffentlich zugänglich zu machen, soll zu mehr Klarheit über die Standpunkte der Mitgliedstaaten führen. Die entsprechende Bestimmung, wonach das Abstimmungsverhalten der Vertreter der einzelnen Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss öffentlich zugänglich gemacht wird, wird in Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe e und Absatz 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 eingefügt.

- Einführung der Möglichkeit, den Rat um Stellungnahme zu ersuchen

Durch Artikel 291 AEUV wurde der Kommission vom Gesetzgeber die Befugnis übertragen, unter der Kontrolle der Mitgliedstaaten Durchführungsrechtsakte zu erlassen. Somit sind das Europäische Parlament und der Rat in diesen Fällen nicht am eigentlichen Entscheidungsprozess beteiligt, und ihre Rolle beschränkt sich auf das Kontrollrecht nach Artikel 11 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 .

Nach Artikel 291 Absatz 1 AEUV sind die Mitgliedstaaten für die Durchführung der Rechtsakte der Union zuständig, und sie kontrollieren die Kommission, sofern ihr Durchführungsbefugnisse übertragen wurden. Wenn die Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Kontrolle keinen eindeutigen Standpunkt erzielen, sollte die Möglichkeit bestehen, den Rat mit der Angelegenheit zu befassen, weil er das Organ der Union ist, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten auf Ministerebene vertreten sind und einen umfassenden Überblick über alle Politikbereiche der Union haben. Daher wird vorgeschlagen, es der Kommission zu ermöglichen, bei Nichtabgabe einer Stellungnahme durch den Berufungsausschuss in bestimmten Fällen den Rat förmlich um eine unverbindliche Stellungnahme zu ersuchen, um dessen politischen Standpunkt zu den Auswirkungen der Nichtabgabe einer Stellungnahme einzuholen, einschließlich der institutionellen, rechtlichen, politischen und internationalen Auswirkungen. Die Kommission sollte der Stellungnahme des Rates Rechnung tragen, sofern diese innerhalb von drei Monaten nach der Befassung ergeht. In hinreichend begründeten Fällen kann die Kommission bei der Befassung eine kürzere Frist festsetzen.

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union - gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 291 Absatz 3, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, in Erwägung nachstehender Gründe:

Haben folgende Verordnung Erlassen:

Artikel 1

Die Verordnung (EU) Nr. 182/2011 wird wie folgt geändert:

(1) In Artikel 3 Absatz 7 wird folgender Unterabsatz 6 angefügt:

"Gibt der Berufungsausschuss gemäß Artikel 6 Absatz 3 Unterabsatz 2 keine Stellungnahme ab, so kann der Vorsitz beschließen, dass der Berufungsausschuss eine weitere Sitzung abhält, die auf Ministerebene stattfindet. In solchen Fällen gibt der Berufungsausschuss seine Stellungnahme innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt der ursprünglichen Befassung ab."

(2) Artikel 6 wird wie folgt geändert:

(3) Artikel 10 wird wie folgt geändert:

Artikel 2

Diese Verordnung findet keine Anwendung auf laufende Verfahren, in denen der Berufungsausschuss zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits eine Stellungnahme abgegeben hat.

Artikel 3

Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Geschehen zu Straßburg am
Im Namen des Europäischen Parlaments
Der Präsident
Im Namen des Rates
Der Präsident