Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

E. Sonstige Kosten

Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches

Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, den 13. April 2010

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten


mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag zu beschließen.
Ich bitte, den Gesetzentwurf gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 7. Mai 2010 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.


Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Rüttgers

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

Artikel 2
Inkrafttreten

Begründung

A. Allgemeines

Es gehört zu den grundlegenden Aufgaben des Rechtsstaats, den Vollzug von gerichtlichen und behördlichen Anordnungen sicherzustellen, auf deren Grundlage Personen in Haft oder andere Formen amtlichen Gewahrsams zu nehmen oder unterzubringen sind oder in einer Anstalt verwahrt werden müssen.

Allein die äußeren Rahmenbedingungen für Freiheitsentziehungen zu schaffen, wird dieser Aufgabe nicht gerecht. Vor allem müssen auch Sicherheit und Ordnung in den Anstalten und Einrichtungen, in denen die Freiheitsentziehungen vollzogen werden, gewährleistet sein, um die mit dem Vollzug angestrebten Ziele erreichen zu können. Für den Strafvollzug leuchtet dies unschwer ein. Aber auch in anderen Einrichtungen als den Justizvollzugsanstalten ergibt sich aus dem Umstand, dass Personen unfreiwillig in einem begrenzten räumlichen Bereich zusammenleben, die Notwendigkeit, den Besitz von Gegenständen dieser Personen (im Folgenden "Gefangene") einzuschränken.

Solche Einschränkungen dienen nicht nur der Durchführung und Aufrechterhaltung des amtlichen Gewahrsams selbst. Sie bezwecken auch den Schutz desjenigen, der mit den Gefangenen in Kontakt kommt und sich darauf verlassen können muss, dass die Gefangenen nur solche Gegenstände besitzen, die keine Gefahr für ihn darstellen. In den Schutzbereich von Normen, die dies gewährleisten sollen, fallen daher nicht nur Bedienstete und Mitarbeiter der Anstalten und Einrichtungen, sondern auch Mitgefangene.

Die sich aus dem unbefugten Besitz von Gegenständen ergebenden Gefahren können dabei vielfältig sein:

An erster Stelle sind insoweit Waffen im technischen Sinn zu erwähnen. In jeder Form des Freiheitsentzugs birgt der Waffenbesitz von Gefangenen eine hohe Gefahr für Leib oder Leben anderer. Die Annahme, solcher Waffenbesitz könne anderen Zwecken dienen als die Waffe - zumindest zur Drohung - gegen einen Menschen zu verwenden, wäre lebensfremd.

Für bestimmte gefährliche Gegenstände, die nicht als Waffen im technischen Sinn anzusehen sind, denen jedoch bereits aufgrund ihrer Beschaffenheit eine abstrakte Gefährlichkeit anhaftet, kann nichts anderes gelten.

Gegenstände jenseits dieser Fallgruppen entziehen sich unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit des Vollzugs einer pauschalisierenden Bewertung.

Aus der Vielfalt der in Betracht kommenden Gegenstände kann beispielhaft auf solche verwiesen werden, deren Besitz an sich - ungeachtet einer Gefährlichkeit für andere - rechtlich missbilligt wird. Zu denken ist dabei an erster Stelle an Betäubungsmittel. Unter den Bedingungen des Vollzugs können darüber hinaus Alltagsgegenstände zu einer Gefahr werden, wenn sie unbefugt in den Besitz von Gefangenen gelangt sind: Die Gefahr kann sich dabei aus der Beschaffenheit des Gegenstandes selbst ergeben: Mobiltelefone eignen sich zur Fluchtvorbereitung ebenso wie umfunktionierte Gegenstände, die bei ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung unbedenklich wären.

Sicherheit und Ordnung sind aber auch dort bedroht, wo unerlaubter Besitz von Gegenständen einen besonderen Vermögenswert darstellt und verbotene Gegenstände in dem abgeschlossenen Lebensbereich einer Vollzugsanstalt zu begehrten und damit teuren Handelsobjekten werden. Erfahrungen belegen, dass hiervon vor allem der Strafvollzug und dort insbesondere die Vollstreckung von langjährigen Freiheitsstrafen betroffen sind. Gerade dort droht die Entstehung einer Schattenwirtschaft, in der anstelle der im Vollzug naturgemäß beschränkten finanziellen Mittel Waren - angefangenen bei Lebensmitteln, Tabakwaren und Unterhaltungselektronik - und Gefälligkeiten gegeneinander getauscht werden. Aus solchen "Wirtschaftskreisläufen" können schnell und nachhaltig Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse hervorgehen. Bekanntgewordene Fälle, in denen sogar Vollzugsbedienstete in Handelsketten mit Gefangenen eingebunden waren und sich dadurch erpressbar machten, sind beredte Beispiele für die Intensität des Problems. Ihm muss daher mit allen Mitteln, zu denen auch das Strafrecht zählt, wirksam entgegengetreten werden.

Die geltende Gesetzeslage wird der geschilderten Problematik nicht gerecht. Sie weist im Strafrecht eine Lücke auf, die durch § 115 OWiG (Verkehr mit Gefangenen) nicht annähernd geschlossen wird. Nach dieser Vorschrift ist das Übermitteln oder Übermittelnlassen von Sachen oder Nachrichten an Gefangene bzw. von Gefangenen sowie die Verständigung mit Gefangenen mit einer Geldbuße von fünf bis eintausend Euro bedroht (§ 17 Absatz 1 OWiG). Der Gesetzgeber hat in § 115 OWiG Sachverhalte zusammengefasst, die sich in ihrem Unrechtsgehalt deutlich unterscheiden und deren Sanktionierung durch die angedrohte Geldbuße in den im Raum stehenden Beispielen kaum angemessen möglich ist.

Der Gesetzentwurf soll diese Lücke schließen. Er sieht hierzu eine neue Strafvorschrift vor. Das Strafbedürfnis ergibt sich dabei aus den genannten Gefahren im Vollzug und für die davon betroffenen Bediensteten, Mitarbeiter und Mitgefangenen. Der Vergleich mit bereits bestehenden Strafvorschriften, insbesondere mit § 120 (Gefangenenbefreiung), § 145a (Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht) und § 323b (Gefährdung einer Entziehungskur), unterstreicht den Unrechtsgehalt der hier zu regelnden Fälle und die Notwendigkeit, sie unter Strafe zu stellen.

Der Gesetzentwurf sieht eine Regelung im Sechsten Abschnitt des StGB (Widerstand gegen die Staatsgewalt) vor. Wegen des sachlichen Zusammenhangs mit § 120 und § 121 (Gefangenenmeuterei) soll die Vorschrift als neuer § 122 an die Stelle des weggefallenen § 122 a. F. treten. Es sollen nur die Fälle des § 115 OWiG mit Strafe bedroht werden, die ein besonderes Gefährdungspotenzial für den Vollzug und die Sicherheit und Ordnung in der Vollzugseinrichtung aufweisen. Der persönliche Anwendungsbereich richtet sich jedoch, um Friktionen mit dem in seiner Zielrichtung vergleichbaren Tatbestand der Gefangenenbefreiung zu vermeiden, nach dessen Vorgaben. Demgemäß stellt § 115 OWiG einen Auffangtatbestand hinsichtlich § 122 für solche Fälle dar, in denen einem Gefangenen im Sinne beider Vorschriften ein Gegenstand verschafft worden ist, der nicht unter § 122 Absatz 1 Nummern 1 und 2 fällt.

Durch den Schutzzweck der Vollzugsgefährdung und ihre Stellung im Sechsten Abschnitt ist zugleich klargestellt, dass § 122 neben anderen Tatbeständen anwendbar ist, die - wie etwa das Betäubungsmittelgesetz oder das Waffengesetz - ebenfalls den Besitz bestimmter Gegenstände pönalisieren, jedoch eine andere Schutzrichtung aufweisen.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)

Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)

Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung, mit der die Angabe zu § 122 der neuen Norm angepasst wird.

Zu Nummer 2 (§ 122)

§ 122 wird neu gefasst und regelt in Absatz 1 Fälle, in denen Gefangenen und Verwahrten Gegenstände verschafft werden, durch die der Vollzug der Freiheitsentziehung oder die Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder Einrichtung, in der der Vollzug stattfindet, gefährdet werden. Zur Veranschaulichung dieses Normzwecks ist als Überschrift der Begriff "Vollzugsgefährdung" gewählt worden.

Zu den einzelnen Absätzen:

Absatz 1 umschreibt den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift mit "einem Gefangenen oder einem diesem nach § 120 Absatz 4 gleichstehenden Verwahrten" und entspricht damit dem der Gefangenenbefreiung. Je nach Auslegung von § 115 OWiG ist dessen persönlicher Anwendungsbereich nicht deckungsgleich. Soweit hierdurch - im Einzelfall abweichend zu § 115 OWiG - auch Gefangene erfasst werden, die Vollzugslockerungen oder freie Vollzugsformen genießen, ist dies gewollt. Auch für diese Gefangene besteht das Bedürfnis, sie nicht in den Besitz von Gegenständen gelangen zu lassen, mit denen sie den Vollzug gefährden könnten. Dies gilt auch dann, wenn die Tat außerhalb der Anstalt oder Einrichtung begangen wird.

Durch den Begriff "unbefugt" soll verdeutlicht werden, dass die Besitzverschaffung von in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Gegenständen nicht ausnahmslos verboten ist, sondern im Einzelfall - etwa im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen oder in Werkstätten - durchaus zulässig sein kann und damit schon kein Unrecht darstellt.

Die Tathandlung besteht in einem "Verschaffen". Dieser Begriff lehnt sich an das entsprechende Tatbestandsmerkmal in § 259 (Hehlerei) an und umschreibt die Herstellung einer tatsächlichen Herrschaftsgewalt im Einvernehmen mit dem Täter. Abweichend von § 259 ist jedoch ein "Sich-Verschaffen" nicht tatbestandsmäßig. Die Straflosigkeit des Gefangenen oder Verwahrten, dem der Täter eine Waffe usw. verschafft, ist mit Blick auf die Parallelproblematik in § 120 - um Wertungswidersprüche zu vermeiden - hinzunehmen. Dessen unbeschadet kann sich auch ein Gefangener strafbar machen, wenn er einem Mitgefangenen Gegenstände im Sinne von § 122 verschafft.

Der Wortlaut von Absatz 1 Nummer 1 orientiert sich an der Fassung der entsprechenden Tatbestandsmerkmale in §§ 177, 244 und 250. Schon bei diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, bestimmte an sich gefährliche Gegenstände zu umschreiben. Auf die sich Auslegung hierzu soll auch bei § 122 zurückgegriffen werden können. Dabei wird nicht verkannt, dass das Merkmal "gefährliches Werkzeug" im Zusammenhang mit den vorerwähnten Straftatbeständen, insbesondere hinsichtlich § 244, auf teilweise erhebliche Kritik gestoßen ist. Diese richtet sich jedoch weniger gegen Unsicherheiten bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals und mehr dagegen, dass als Bagatellen empfundene Fälle gleichwohl erfasst werden. Betrachtet man die insoweit herangezogenen Beispiele - etwa die Einstufung eines Taschenmessers als gefährliches Werkzeug - spricht dies nicht gegen den vorgeschlagenen Entwurf. Unter den Bedingungen des behördlichen Gewahrsams erscheint es durchaus strafwürdig, wenn der Täter einem Gefangenen ein Taschenmesser verschafft. Dies erklärt sich nicht nur vor dem Hintergrund, dass eine solche Tat keinen Bagatellcharakter mehr hat, sondern auch im Hinblick darauf, dass hier bereits der Besitz an einem gefährlichen Werkzeug strafbegründend wirkt.

Absatz 1 Nummer 2 regelt den Fall, dass dem Gefangenen oder Verwahrten die tatsächliche Herrschaft über einen Gegenstand eingeräumt worden ist, der geeignet ist, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder Einrichtung erheblich zu beeinträchtigen oder zu stören. Abweichend etwa zu § 244 und trotz der Erwähnung eines "Werkzeugs" in Nummer 1 ist der Begriff "Gegenstand" gewählt worden, um sprachlich zu verdeutlichen, dass nicht nur Werkzeuge oder Gerätschaften gemeint sind, die zu ihrer Verwendung eine gewisse Kraftentfaltung verlangen. Erfasst sein sollen insbesondere Geld, aber auch Mobiltelefone und andere körperliche Gegenstände, die im Vollzug als Handelsgut dienen können. Soweit der Kreis der tatbestandsmäßigen Gegenstände durch das Erfordernis der "Eignung" zu einer "erheblichen" Beeinträchtigung oder Störung der Sicherheit oder Ordnung begrenzt ist, entzieht sich die Vielfalt der möglichen Fälle einer allgemein gehaltenen, näheren Umschreibung. Bei der Anwendung von Nummer 2 wird jedoch einschränkend zu beachten sein, dass eine der Nummer 1 vergleichbar schwerwiegende - zumindest abstrakte - Gefahrenlage gegeben sein muss. Darüber hinaus bestimmt sich der Maßstab, der an die "Sicherheit oder Ordnung" sowie an den Begriff der "Eignung" anzulegen ist, nach den für die jeweilige Art der Freiheitsentziehung heranzuziehenden Kriterien. Auch insoweit verbieten sich Pauschalisierungen. Es dürfte kaum zweifelhaft sein, dass für den Bereich des geschlossenen Vollzugs bei hochgefährlichen Straftätern andere Grundsätze gelten müssen als beispielsweise im offenen Vollzug. Im Übrigen wird der Rechtsanwender mit den in Nummer 2 verwendeten Rechtsbegriffen unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit - ebenso wie in zahlreichen anderen Straftatbeständen, die ebenfalls Begriffe wie "geeignet", "erheblich", "beeinträchtigen" oder "stören" beinhalten - nicht vor unlösbare Probleme gestellt. Die erforderliche wertende Betrachtung wird sich am Schutzzweck der Norm ausrichten müssen und kann zur Abgrenzung unter anderem den Anwendungsbereich von § 115 OWiG heranziehen.

Der Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe orientiert sich an dem des § 120 und berücksichtigt, dass das mit einer Gefangenenbefreiung verwirklichte Unrecht regelmäßig schwerer wiegt als das einer (bloßen) Gefährdung des Vollzugs.

Absatz 2 bestimmt die Strafbarkeit des Versuchs. Dies erscheint mit Blick auf § 115 Absatz 3 OWiG notwendig und konsequent.

Absatz 3 sieht schließlich für besonders schwere Fälle einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vor.

Als benanntes Regelbeispiel verwendet Nummer 1 die entsprechende Formulierung des § 203 Absatz 5 (Verletzung von Privatgeheimnissen). Die Merkmale Entgeltlichkeit und Bereicherungsabsicht finden sich darüber hinaus in zahlreichen anderen Strafvorschriften. Darauf ist zu verweisen. Das Regelbeispiel soll den besonderen Gefahren von Schattenwirtschaftskreisläufen im Vollzug (siehe oben A. Allgemeines) Rechnung tragen, wobei sich sein Anwendungsbereich nicht auf Gegenstände im Sinne von Absatz 1 Nummer 2 beschränkt, sondern auch solche der Nummer 1 umfasst. Die praktischen Erfahrungen des Vollzugsbereichs lassen erwarten, dass ein Großteil der nach Absatz 1 tatbestandsmäßigen Fälle zugleich dieses Regelbeispiel verwirklichen wird.

Absatz 3 Nummer 2 erfasst als weiteres benanntes Regelbeispiel die Tatbegehung durch einen Amtsträger oder einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten. Die Annahme eines besonders schweren Falles rechtfertigt sich durch den in der Tat liegenden besonderen Vertrauensbruch. Von einer Beschränkung, wie sie § 120 Absatz 2 enthält, wurde bewusst abgesehen. Zum einen hätte die Umschreibung einer erhöhten Pflichtigkeit in Bezug auf bestimmte verbotene Gegenstände zu einer Überfrachtung des Wortlauts geführt. Zum anderen sollte betont werden, dass die tatbestandsmäßige (vorsätzliche) Gefährdung behördlichen Gewahrsams durch einen Amtsträger oder öffentlich Verpflichteten einen besonderen Unrechtsgehalt aufweist, der im Vergleich zur Tatbegehung durch Dritte regelmäßig eine Strafschärfung zur Folge haben muss.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.