Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

883. Sitzung des Bundesrates am 27. Mai 2011

Der federführende Ausschuss für Familie und Senioren (FS), der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS), der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ), der Finanzausschuss (Fz) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zum Gesetzentwurf insgesamt

Begründung:

Die Defizite des Gesetzentwurfs hinsichtlich der zur Förderung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf notwendigen Schritte und Maßnahmen überwiegen die darin enthaltenen wenigen positiven Ansätze bei weitem. Er ist daher einer punktuellen Verbesserung nicht zugänglich und in Gänze abzulehnen.

[So erstrebenswert es ist, dass Pflegebedürftige soweit wie möglich selbständig und im eigenen häuslichen Bereich leben können, ist es gleichstellungspolitisch äußerst bedenklich, dass sich die Reformbemühungen der letzten Jahre primär darauf ausrichten, Arrangements für die häusliche Pflege durch die Angehörigen zu finden.

In der Begründung des Gesetzentwurfs wird zutreffend dargestellt, dass Frauen und Männer von dem Gesetz in unterschiedlicher Weise betroffen sind, weil die Pflege von Angehörigen überwiegend von Frauen geleistet wird. Diese Rollenzuschreibung wird das Gesetz nicht ändern, sondern sogar verschärfen: in einer Partnerschaft wird in der Regel der Schlechterverdienende, d.h. meist die Frau, die Pflege übernehmen unter Verzicht auf Einkommen in voller Höhe, zu erwartenden geringeren Leistungen aus den Sozialversicherungen und mit dem Risiko, die Erwerbstätigkeit letztlich doch aufgeben zu müssen.

Ungeklärt bleibt in dem Gesetz, was nach Ablauf der Pflegephase passiert, wenn der Pflegebedarf anhält. Anders als bei der Erziehungszeit ist die Pflege von kranken, alten oder behinderten Angehörigen nicht planbar und zeitlich nicht präzise einzugrenzen. Durchschnittlich dauert ein Pflegefall acht Jahre mit zunehmendem Zeitaufwand. Das Gesetz trägt dazu bei, dass sich Erwartungshaltungen der Gesellschaft und der zu Pflegenden an private Pflege erhöhen werden und es werden die Frauen sein, die sich rechtfertigen müssen, wenn sie diese Möglichkeit nicht in Anspruch nehmen wollen.]

Die vorgesehene Kodifizierung der Familienpflegezeit in einem gesonderten Gesetz, welches neben dem bestehenden Pflegezeitgesetz Anwendung finden soll und teilweise auch auf dieses Gesetz verweist, ist nicht gelungen. In diesem Zusammenhang ist zudem unklar, in welchem Verhältnis die Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz und die Familienpflegezeit nach dem vorliegenden Entwurf stehen.

Geboten wäre insofern eine Zusammenfassung der Pflegezeitregelungen in einem einheitlichen Gesetz im Wege der Ergänzung des bestehenden Pflegezeitgesetzes gewesen, zumal beide Gesetze dieselbe Zielrichtung haben.

Inhaltlich hält es der Bundesrat für unerlässlich, einen ausdrücklichen Rechtsanspruch auf eine Familienpflegezeit - ggf. parallel zu § 3 Absatz 1 Satz 2 PflegeZG mit einer Herausnahme der Betriebe mit in der Regel nicht mehr als 15 Beschäftigten - festzuschreiben, wie es im Pflegezeitgesetz vom geschehen ist. Zumindest hätte ein anderweitiges verbindliches Verfahren, etwa entsprechend § 8 TzBfG, normiert werden müssen.

Laut Gesetzentwurf setzt das Modell einer zeitweiligen Verringerung der Arbeitszeit bei Aufstockung des Arbeitsentgelts eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Beschäftigten voraus, so dass die Realisierung der Familienpflegezeit allein vom guten Willen des Arbeitgebers abhängig ist. Eine effektive Förderung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ist auf diese Weise nicht gewährleistet.

Die Familienpflegezeit führt in erster Linie zu einer wirtschaftlichen Belastung der Beschäftigten, und zwar einerseits durch die Beiträge zur Familienpflegezeitversicherung und andererseits durch finanzielle Einbußen beim aktuellen Entgelt und bei der Altersversorgung, die sich durch die Reduzierung der Arbeitszeit und der Vergütung ergeben.

Im Ergebnis erfüllen die Beschäftigten mit der häuslichen Pflege (auch) eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und entlasten nicht unerheblich die Pflegekassen, ohne jedoch einen finanziellen Ausgleich - etwa durch zusätzliche Leistungen der Pflegekassen - zu erhalten. Demgegenüber tragen die Arbeitgeber durch die Familienpflegezeit kaum eine finanzielle Last bzw. kein nennenswertes Risiko, obgleich sie insbesondere bei Fachkräften ein Interesse haben dürften, das Beschäftigungsverhältnis auch bei bestehendem Pflegebedarf des Mitarbeiters längerfristig beizubehalten. Dies erscheint nicht sachgerecht.

Aus Sicht des Bundesrates hätte das Verfahren in denjenigen Fällen klargestellt werden müssen, in denen Beschäftigte bereits vor Beginn der Pflegezeit wegen einer Teilzeittätigkeit oder einer geringen Vergütung als sogenannte "Aufstocker" zusätzliche Leistungen nach dem SGB II erhalten. Ebenso ist unklar, ob Beschäftigte ihre Arbeitszeit auf einen Umfang reduzieren können, der dann - auch unter Berücksichtigung der Aufstockung durch den Arbeitgeber - zu Leistungen nach dem SGB II führen würde. Entsprechendes gilt auch für das Einkommen während der Nachpflegephase.

Der Gesetzentwurf enthält insbesondere in § 9 FPfZG-E keine ausdrücklichen Regelungen für den Fall, dass das Beschäftigungsverhältnis während der Nachpflegephase zwar rechtlich besteht, aber etwa wegen längerer Arbeitsunfähigkeit oder Elternzeit keine Arbeit geleistet wird und keine Vergütung zu zahlen ist. Ein Ausgleich in Geld durch Beschäftigte nach § 9 Absatz 2 oder 4 FPfZG-E oder ein möglicher Erlass der Darlehensrückforderung nach § 8 FPfZG-E ist nur bei einem beendeten Beschäftigungsverhältnis bzw. einer Freistellung von der Arbeitsleistung vorgesehen. Eine ergänzende Klarstellung wäre nach Auffassung des Bundesrats auch insofern geboten gewesen.

Schließlich ist der bürokratische Aufwand im Zusammenhang mit der Gewährung und der Abwicklung der Familienpflegezeit zu kritisieren. Dies betrifft sowohl das zinslose Darlehen und dessen Rückzahlung als auch die Verwaltung der Wertguthaben der Beschäftigten.

Eine gute Alternative wäre gewesen, die finanzielle Abwicklung der Familienpflegezeit weitestgehend dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zu übertragen, zumal das Bundesamt ohnehin bereits in verschiedener Hinsicht mit der Durchführung bzw. Abwicklung der Familienpflegezeit befasst ist. Beispielhaft seien hier der Erstattungsanspruch des Bundesamtes gegenüber dem Beschäftigten nach § 7 FPfZG-E, der Erlass der Darlehensrückforderung bzw. die Übernahme der Ratenzahlungen seitens des Bundesamtes und der Forderungsübergang nach § 8 FPfZG-E genannt. Gleiches gilt für die Zulassung einer Kündigung.

2. Zum Gesetzentwurf allgemein

Der Bundesrat ist besorgt über die hohen Bürokratiekosten, die kleinen Unternehmen durch das Gesetz entstehen. Diese verfügen einerseits in der Regel nicht über Erfahrungen mit Wertkonten und werden andererseits auf die Liquiditätshilfen zur Aufstockung der Löhne und Gehälter angewiesen sein. Wie der Normenkontrollrat befürchtet auch der Bundesrat, dass diese Bürokratiekosten abschreckend wirken und dass damit die Gefahr besteht, dass diese Arbeitgeber die geringere finanzielle Absicherung ihrer Beschäftigen bei einem "normalen" Teilzeitmodell in Kauf nehmen und sich nicht an dem Pflegezeitmodell beteiligen werden. Der Bundesrat bittet daher darum, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob für Beschäftigte in kleinen Betrieben optional die Möglichkeit einer direkten Darlehensaufnahme beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben geschaffen werden könnte.

3. Zu Artikel 1 (§ 9 Absatz 2 Satz 3 FPfZG)

In Artikel 1 ist in § 9 Absatz 2 Satz 3 zu streichen. Begründung:

Mit der Änderung wird eine einheitliche Regelung für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses getroffen.

§ 9 Absatz 2 FPfZG-E differenziert bislang:

Diese Differenzierung ist nicht sachgerecht. Es steht zu befürchten, dass der Verlust des Ausgleichsanspruchs bei einer - ausnahmsweise zulässigen - personen- und betriebsbedingten Kündigung die Bereitschaft des Arbeitgebers zur Gewährung von Familienpflegezeiten hemmt und sich negativ auf Verbreitung und Akzeptanz dieses Instruments auswirken wird. Auch bei einer - ausnahmsweise zulässigen - personen- und betriebsbedingten Kündigung ist eine Absicherung des Arbeitgebers notwendig, um finanzielle Einbußen zu vermeiden und mögliche Hemmschwellen für die Inanspruchnahme von Familienpflegezeit abzubauen.

Mit der Änderung wird deshalb - ebenso wie im Fall der verhaltensbedingten Kündigung und der Eigenkündigung des Beschäftigten - auch bei der personen- und betriebsbedingten Kündigung sichergestellt, dass der Anspruch auf Rückzahlung der Entgeltaufstockung bestehen bleibt und der Arbeitgeber bei Zahlungsverzug des Beschäftigten vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben den Erlass der Rückzahlungsforderung aus dem Darlehen bzw. die Übernahme der Ratenzahlungsverpflichtung des Beschäftigten verlangen kann.

Eine unverhältnismäßige Belastung für die Beschäftigten ist mit der Änderung nicht verbunden. Durch das grundsätzliche Kündigungsverbot (vgl. § 9 Absatz 3 FPfZG-E) ist ein umfassender und ausreichender Schutz gewährleistet.

4. Zu Artikel 1 (§ 9 Absatz 3 Satz 3 FPfZG)

Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die finanziellen Auswirkungen auf die Länder darzulegen, die sich aus dem neuen unter öffentlichrechtlichem Zustimmungsvorbehalt stehenden Kündigungsschutz ergeben. Der durch den strengen Kündigungsschutz entstehende Vollzugsaufwand der Länder wird in dem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. Nach § 9 Absatz 3 Satz 3 FPfZG-E soll die Zulässigkeitserklärung durch die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Behörde erfolgen. Der hieraus resultierende Aufwand ist deshalb zu quantifizieren; insbesondere ist darzulegen, mit wie viel Aufwand, das heißt vor allem mit wie vielen Anträgen auf Zulassung der Kündigung, zu rechnen ist.