Gesetzesantrag des Freistaates Bayern
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Strafzumessung bei kulturellen und religiösen Prägungen

A. Problem und Ziel

Immer häufiger müssen sich deutsche Strafgerichte mit (fremden) kulturellen oder religiösen Prägungen der Beschuldigten auseinandersetzen. Namentlich sogenannte "Ehrenmorde", Zwangsheirat, Genitalverstümmelung und andere körperliche bzw. sexuelle Übergriffe konfrontieren die Justiz mit Rechts- und Wertvorstellungen, die den hiesigen diametral zuwiderlaufen.

Derartige Taten stellen die Strafrechtspflege in Fragen von Schuld und Strafzumessung vor besondere Herausforderungen. Gerade angesichts der in jüngerer Zeit erfolgten massenhaften Migration nach Deutschland und der damit einhergehenden kulturellen und religiösen Diversifizierung der Gesellschaft erscheint ein differenzierter, konsistenter und an der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland orientierter Umgang mit kulturell oder religiös geprägten Straftaten für unseren freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat wichtiger denn je. Hierzu bedarf es hinreichend klarer gesetzlicher Vorgaben für die Strafzumessung. Die geltende Regelung in § 46 des Strafgesetzbuchs (StGB) lässt insoweit jedoch Lücken. Insbesondere verhält sie sich nicht dazu, ob und inwieweit tatrelevante kulturelle oder religiöse Prägungen des Täters berücksichtigt werden können oder sogar müssen. Dieser Umstand dürfte ein Grund dafür sein, dass eine klare, einheitliche und prinzipiengeleitete Linie der Rechtsprechung bei der Würdigung derart motivierter Taten nicht festzustellen ist. Namentlich in der tatrichterlichen Praxis finden sich nicht selten unspezifische Verweise auf die - strafmildernd gewertete - Herkunft von Tätern aus "völlig fremden Kulturkreisen" sowie undifferenzierte Aussagen zu anderen Kulturen und Religionen, namentlich zu traditionellen Rollenbildern und kulturell geprägten Persönlichkeitsmerkmalen, deren Relevanz für die Strafbemessung beim Täter häufig nicht näher dargelegt wird.

B. Lösung

Der Entwurf sieht eine Ergänzung der Regelung zur Strafzumessung in Absatz 2 von § 46 StGB in zweifacher Hinsicht vor:

Zum einen wird die Vorschrift um eine allgemeine Regelung ergänzt, die klarstellend und zugleich wertsetzend auf den Ausgangspunkt der strafzumessungsrechtlichen Beurteilung hinweist: die Würdigung der Tatumstände auf der Basis der Wertmaßstäbe der hiesigen Rechtsgemeinschaft - und das meint in erster Linie: der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Die anschließende Regelung begrenzt die strafmildernde Relevanz hiermit nicht zu vereinbarender kultureller oder religiöser Wertvorstellungen des Täters für die Schuldbetrachtung auf Fälle eingeschränkter Unrechtseinsicht oder Steuerungsfähigkeit. Zugleich wird für diese Fälle auch eine äußere Grenze gezogen, indem klargestellt wird, dass derartige Prägungen nicht zu einer Strafmilderung führen können, wenn der Widerspruch zu der hiesigen verfassungsmäßigen Ordnung fundamental ist. Auf diese Weise wird eine Rückbindung der strafrechtlichen Beurteilungsmaßstäbe an die Schuld des Täters erreicht und - unter Einbeziehung normativer Gesichtspunkte - die Möglichkeit einer strafmildernden Berücksichtigung von kulturellen oder religiösen Wertvorstellungen in der Strafzumessung durch eine regelgeleitete Rechtsanwendung auf Ausnahmefälle beschränkt.

C. Alternativen

Beibehaltung des bisherigen, unbefriedigenden Zustands.

D. Haushaltsaufgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Keiner.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Keiner.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten.

Keine.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Keiner.

F. Weitere Kosten

Mehrkosten im justiziellen Kernbereich sind nicht in nennenswertem Umfang zu erwarten. Die vorgeschlagenen Neuregelungen enthalten teilweise Klarstellungen, teilweise Maßgaben für eine regelgeleitete Rechtsanwendung bei der Berücksichtigung kultureller oder religiöser Prägungen, ohne den Bereich des ohnehin bereits Strafbaren auszudehnen.

Gesetzesantrag des Freistaates Bayern
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Strafzumessung bei kulturellen und religiösen Prägungen

Der Bayerische Ministerpräsident München, 7. März 2017

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Malu Dreyer

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung übermittle ich den als Anlage mit Vorblatt und Begründung beigefügten Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Strafzumessung bei kulturellen und religiösen Prägungen mit dem Antrag, dass der Bundesrat diesen gemäß Artikel 76 Absatz 1 GG im Bundestag einbringen möge.

Ich bitte, den Gesetzentwurf gemäß § 36 Absatz 2 GO BR auf die Tagesordnung der 954. Sitzung am 10. März 2017 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Horst Seehofer

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Strafzumessung bei kulturellen und religiösen Prägungen

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuchs

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch ... vom ... (BGBl. I S. ...), wird wie folgt geändert:

§ 46 Absatz 2 werden folgende Sätze angefügt:

"Ausgangspunkt für die Beurteilung der Umstände ist die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Dieser widersprechende kulturelle oder religiöse Prägungen oder Wertvorstellungen des Täters dürfen im Rahmen der Schuld strafmildernd nur berücksichtigt werden, wenn sie sich auf dessen Fähigkeit ausgewirkt haben, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, und sie nicht in fundamentalem Widerspruch zu der verfassungsmäßigen Ordnung stehen."

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung des Entwurfs und Notwendigkeit der Regelungen

Immer häufiger müssen sich deutsche Strafgerichte mit (fremden) kulturellen oder religiösen Prägungen der Beschuldigten auseinandersetzen. Namentlich sogenannte "Ehrenmorde", Zwangsheirat, Genitalverstümmelung und andere körperliche bzw. sexuelle Übergriffe konfrontieren die Justiz mit Rechts- und Wertvorstellungen, die den hiesigen diametral zuwiderlaufen.

Derartige Taten stellen die Strafrechtspflege in Fragen von Schuld und Strafzumessung vor besondere Herausforderungen. Gerade angesichts der in jüngerer Zeit erfolgten massenhaften Migration nach Deutschland und der damit einhergehenden kulturellen und religiösen Diversifizierung der Gesellschaft erscheint ein differenzierter, konsistenter und an der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland orientierter Umgang mit kulturell oder religiös geprägten Straftaten für unseren freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat wichtiger denn je. Hierzu bedarf es hinreichend klarer gesetzlicher Vorgaben für die Strafzumessung. Die geltende Regelung in § 46 StGB lässt insoweit jedoch Lücken. Insbesondere verhält sie sich nicht dazu, ob und inwieweit tatrelevante kulturelle oder religiöse Prägungen des Täters berücksichtigt werden können oder sogar müssen. Dieser Umstand dürfte ein Grund dafür sein, dass eine klare, einheitliche und prinzipiengeleitete Linie der Rechtsprechung bei der Würdigung derart motivierter Taten nicht festzustellen ist. Die Lücken sollen mit dem hiesigen Entwurf geschlossen werden. Im Einzelnen:

II. Gesetzgebungskompetenz; Vereinbarkeit mit EU-Recht

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Art. 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes (Strafrecht).

Der Entwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar.

III. Auswirkungen

Auswirkungen auf den Bundeshaushalt sind durch den Entwurf nicht zu erwarten. Mehrkosten im justiziellen Kernbereich sind nicht in nennenswertem Umfang zu erwarten. Für Bürgerinnen und Bürger entsteht kein Erfüllungsaufwand.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuchs)

Die Regelung zur Strafzumessung in § 46 wird in Absatz 2 durch Einfügung von zwei neuen Sätzen ergänzt.

Der neue Satz 3 sieht vor, dass der Ausgangspunkt für die Beurteilung der nach Satz 1 und 2 strafzumessungsrelevanten Umstände die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ist. Die Regelung dient in erster Linie der Klarstellung der bereits bestehenden und auch allgemein anerkannten Rechtslage, nach der sich die Beurteilung anhand des in der Bundesrepublik Deutschlands geltenden Rechts auszurichten hat (vgl. BGH, NStZ 1996, 80; BGH, NJW 2004, 1466 u. 3051, 3054; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 46 Rn. 13). Die gewählte Formulierung soll dabei die Betrachtung noch weitergehend auf die - auch und gerade - für die Strafzumessung bedeutsamen Wertentscheidungen fokussieren, wie sie in den grundlegenden Regelungen der hiesigen Rechtsordnung angelegt sind. Hierzu wird der Begriff der "verfassungsmäßigen Ordnung" verwendet, der bereits an zahlreichen Stellen Eingang in das Strafgesetzbuch gefunden hat (siehe §§ 81, 82, 85, 86, 89, 90a, 92 StGB). Er umfasst in dem hiesigen Kontext die Grundlagen des Zusammenlebens im Staat, wie sie aus den diese Grundlagen konstituierenden Verfassungsnormen sowie ihrer Ausprägung in der Verfassungswirklichkeit hervorgehen (vgl. auch BGHSt 7, 222, 227). Es geht damit um die sich aus den Grundrechten ergebenden bzw. auf diesen beruhenden Grundlagen und Grundregeln einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie, namentlich um die Regelungen zum Schutz der Menschenwürde und zum Gleichheitsrecht in Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 3 des Grundgesetzes. Damit unvereinbar sind insbesondere

Prägungen und Vorstellungen, die hinsichtlich anderer Personen von einem Besitzdenken getragen sind, die das Lebensrecht anderer negieren oder abwerten oder die Raum lassen für ein übersteigertes Ehrempfinden, das zu Verletzungen oder Gefährdungen strafrechtlich geschützter Güter oder Interessen führt.

Die Regelung in Satz 3 steht nach ihrem Wortlaut ("Ausgangspunkt") der sachgerechten Behandlung von den ausnahmsweise vorkommenden Fällen einer sogenannten Fremdrechtsanwendung im Strafrecht nicht entgegen. Allerdings dürften sich aus jenem Umstand nicht sehr häufig strafzumessungsrelevante Wertungsgesichtspunkte ergeben (vgl. aber BGH, Beschl. v. 03.05.2016 - 3 StR 449/15, Rn. 26 ff. m.w. N.).

Der neue Satz 4 enthält Maßgaben für die strafmildernde Würdigung von kulturellen und religiösen Prägungen oder Wertvorstellungen des Täters, die der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zuwiderlaufen. Eine Strafmilderung kommt danach im Rahmen der Schuld nur in Betracht, wenn sich derartige Prägungen oder Wertvorstellungen des Täters auf dessen Fähigkeit ausgewirkt haben, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Von vornherein außer Betracht bleiben dabei solche tatrelevanten Prägungen und Wertvorstellungen, bei denen der Widerspruch zu der hiesigen verfassungsmäßigen Ordnung fundamental ist.

Für die strafzumessungsrechtliche Prüfung sind zunächst die kulturellen oder religiösen Prägungen oder Wertvorstellungen des Täters an den Wertungen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu messen. Bei den kulturellen Prägungen oder Wertvorstellungen geht es um die grundlegenden und zentralen Orientierungsleitlinien (Werte, Normen, Lebens- und Denkweisen), die der Einzelne im Rahmen seiner Sozialisation als für das Zusammenleben eines Kollektivs als sozial bedeutsam und möglicherweise auch handlungs(mit)bestimmend erfährt (vgl. Valerius, Kultur und Strafrecht, 2011, S. 32 mit 37; Werner, Zum Status fremdkultureller Wertvorstellungen bei der Strafzumessung, 2016, S. 41, 56 f.). Ein hierbei besonders wichtiger Aspekt, der die Kultur ausmacht und definiert und der daher auch im Gesetzestext eigens Erwähnung findet, ist die Religion (vgl. Werner a.a. O. S. 56 f.). Satz 4 statuiert Regeln wie auch Grenzen für eine strafmildernde Berücksichtigung, soweit derartige Prägungen oder Wertvorstellungen in Widerspruch zu der verfassungsgemäßen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland stehen, was vor allem (aber nicht notwendig) bei Tätern der Fall sein wird, die in fremden Kulturkreisen aufgewachsen sind.

Danach wird die Möglichkeit strafmildernder Bewertung daran angeknüpft, dass der Täter in seinem strafbaren Handeln aufgrund entsprechender Prägungen in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit eingeschränkt war (grundlegend Hörnle, Gutachten C zum 70 Deutschen Juristentag 2014, C 84; im Ansatz ähnlich Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl. 2005, Art. 4 Abs. 1, 2 Rn. 98). In Betracht kommen insoweit - vergleichbar der Regelung in § 21 StGB - nur erhebliche Beeinträchtigungen. Nur in diesen Fällen kann der Vorwurf, gegen ein Strafgesetz verstoßen zu haben, und die darin liegende Auflehnung gegen die Rechtsordnung wegen der eingeschränkten Möglichkeit zur Normbefolgung weniger schwer wiegen. Auf diese Weise erfolgt in derartigen Fällen eine Rückkoppelung der Strafzumessung an die Schuld des Täters; zugleich wird durch den Rekurs auf eingeführte Rechtsbegriffe eine regelgeleitete Rechtsanwendung ermöglicht. So kann für die Frage, ob sich die Prägungen oder Wertvorstellungen des Täters auf dessen Fähigkeit ausgewirkt haben, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, an die zu §§ 17, 20 StGB anerkannten Grundsätze zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit angeknüpft werden.

Hinsichtlich der Unrechtseinsicht ist daher zu fragen, ob und inwieweit der Täter infolge seiner kulturellen oder religiösen Prägung in der Fähigkeit zum Erkennen der äußeren Umstände seines Tuns oder des deren Strafwürdigkeit begründenden Bedeutungsgehalts signifikant eingeschränkt war. Dies wird nicht sehr häufig vorkommen, ist aber Tatfrage. Die Literatur nennt insoweit Fälle, in denen sich der Täter über die rechtliche Bewertung des Unrechtsausmaßes grundlegend geirrt hat (vgl. Hörnle a.a.O. C 84 f.; Werner a.a.O. S. 294 f.; ferner Valerius a.a. O. S. 292 f.). Hinsichtlich der Steuerungsfähigkeit ist vor allem zu fragen, ob der Täter eine konkrete kulturell oder religiös fundierte Verhaltensvorgabe bei der Tat für sich als tatsächlich bindend empfunden hat und ihm hierdurch die selbstbestimmte Befolgung des dieser zuwiderlaufenden Rechtsgebots individuell erheblich erschwert war. Auch dies ist bezogen auf den konkreten Einzelfall zu prüfen. Allein in diesem Zusammenhang, d.h. bei der Prüfung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit, kann es indiziell auch von Bedeutung sein, welche (konkreten) Verhaltensregeln der Täter im Rahmen seiner Sozialisation in einer fremden Rechtsordnung erfahren hat und wie lange er sich bereits in dem hiesigen Rechtskreis aufhält (vgl. zu diesen Kriterien die o.g. Rechtsprechung). Die Feststellung einer "inneren Verhaftung" des Täters in einem fremden Kulturkreis (vgl. BGH, StV 2002, 20; NJW 2004, 1466; NStZ-RR 2007, 86) oder dessen "Zerrissenheit zwischen zwei Kulturkreisen" (vgl. BGH, NStZ-RR 1997, 1) können eine Strafmilderung für sich besehen ebenso wenig begründen wie das Vorhandensein bestimmter kultureller oder religiöser Prägungen beim Täter.

Für die danach anzustellende Prüfung kann es nicht allein auf eine psychologische Betrachtung ankommen. Vielmehr bedarf es ergänzend einer normativen Würdigung (vgl. auch BVerfGE 50, 5, 12 u. 14 zur notwendigen Gesamtwürdigung im Rahmen der Bewertung des Maßes der Schuld). Denn andernfalls bestünde die Gefahr, dass Strafmilderungen auf das Bekunden von Verständnis für Handlungen hinauslaufen, die in eklatanter Weise Verfassungswerten widersprechen (Hörnle, Gutachten C zum 70. Deutschen Juristentag 2014, C 35; dieser folgend Werner a.a. O. S. 292 f.). Dieser Aspekt soll auch in dem zweiten Halbsatz klarstellend zum Ausdruck kommen. Danach dürfen die täterseitigen Prägungen nicht in fundamentalen Widerspruch zu der verfassungsmäßigen Ordnung stehen. Die Regelung bedeutet damit eine weitere Eingrenzung der Möglichkeit einer Strafmilderung. Es geht hier um ein kulturell oder religiös motiviertes Handeln, bei dem der Täter die Ordnung des Staates und die Autorität des gesetzten Rechts in besonders offenkundigem Maße, insbesondere in ihrer menschenrechtlichen Dimension, in Frage stellt, beispielsweise durch die Vornahme fremdkulturell motivierter Genitalverstümmelungen (§ 226a StGB) oder körperentstellender Säureattentate. Eine Strafmilderung ist in diesen Fällen - angesichts überlagernder normativer Erwägungen - gänzlich zu versagen (dahingehend bereits BGH, NStZ 2009, 689: Verletzung der elementarsten Prinzipien des deutschen und europäischen Wertesystems; vgl. ferner LK-Vogel, StGB, 12. Aufl. 2006, § 17 Rn. 92).

Auch im Übrigen bleibt auf normativer Ebene für eine strafmildernde Berücksichtigung einschränkend zu berücksichtigen, ob und inwieweit die mit kulturellen Prägungen oder Wertvorstellungen im Zusammenhang stehende Tat aus einer Situation hervorgeht, die für die Rechtsgemeinschaft nachvollziehbar ist oder auf eine Ausnahmesituation zurückgeht. So kann etwas, das ubiquitär möglich ist, wie etwa Integrationsprobleme einer Vielzahl fremd sozialisierter Personen, kaum jemals zu einer Strafmilderung führen (vgl. Jakobs, ZStW 118 [2006], 831, 847 f.). Für die strafmildernde Berücksichtigung von kulturell bedingten Defiziten bei der Unrechtseinsicht kommt es insbesondere auf die Vermeidbarkeit derartiger Fehlvorstellungen an (vgl. Hörnle a.a.O. C 85; dieser folgend Werner a.a. O. S. 295).

Nach diesen Maßgaben wird eine Strafmilderung vor allem nur dann in Betracht kommen, wenn der Widerspruch zwischen kulturellen oder religiösen Geboten und dem rechtlichen Verbot für den Täter einen gravierenden Konflikt begründet und wenn zugleich die kulturelle oder religiöse Verhaltensnorm nicht in fundamentalem Widerspruch zur hiesigen Verfassungs- und Rechtsordnung steht (dahingehend auch der Beschluss des 70. Deutschen Juristentages 2014, Abteilung Strafrecht, unter Ziffer 4 lit. b in "Verhandlungen des Deutschen 70. Deutschen Juristentages", Bd. II/1, 2015, L 56; ähnlich Hörnle a.a.O. C 89; Werner a.a. O. S. 289 ff.). Eine großzügigere Bewertung kann freilich dann angezeigt sein, wenn dem Tatgeschehen ein im Ausland spielender oder u.U. auch grenzüberschreitender (aber vor inländischen Gerichten abzuurteilender) Sachverhalt zugrunde liegt und Tat und Täter hierdurch geprägt sind (vgl. etwa LG Hamburg, Urt. v. 19.10.2012 - 603 KLs 17/ 10, Rn. 845 bis 847 [juris] zur Seepiraterie vor Somalias Küste).

Die Frage einer Strafmilderung bezieht sich nur auf Aspekte, die "im Rahmen der Schuld" zu berücksichtigen sind. Spezialpräventive Erwägungen, die die Wirkungen der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft betreffen (vgl. § 46 Absatz 1 Satz 1), z.B. auf ausländerrechtliche Konsequenzen abheben, bleiben unberührt.

Zur Zulässigkeit von Strafschärfungen wegen tatrelevanter kultureller oder religiöser Prägungen oder Wertvorstellungen des Täters trifft Satz 4 keine Regelung. Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze. Deren Anwendung wird freilich häufig dazu führen, dass ein gesteigerter Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht anzunehmen ist (vgl. dazu etwa BGH, NStZ 1993, 337; BGH, NStZ-RR 1996, 71; BGH, Beschl. v. 25.10.2016 - 2 StR 386/16, Rn. 3; Valerius, Kultur und Strafrecht, 2011, S. 288 ff.; Hörnle, Gutachten C zum 70. DJT 2014, C 91 ff.; Werner, Zum Status fremdkultureller Wertvorstellungen bei der Strafzumessung, 2016, S. 157, 249 ff.).

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.