Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht

Der Bundesrat hat in seiner 822. Sitzung am 19. Mai 2006 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nr. 9 (§ 68a Abs. 7 Satz 3 StGB)

In Artikel 1 Nr. 9 § 68a Abs. 7 Satz 3 sind nach den Wörtern "der Aufsichtsstelle," die Wörter "der Staatsanwaltschaft," einzufügen.

Begründung

Der Gesetzentwurf sieht in § 68a Abs. 7 Satz 3 StGB-E vor, dass im Falle einer dem Verurteilten erteilten psychiatrischen, psycho- oder sozialtherapeutischen Nachsorgeweisung nach § 68b Abs. 2 Satz 2 StGB-E die in § 203 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StGB genannten Personen sich gegenüber dem Gericht, der Aufsichtsstelle, der Bewährungshelferin oder dem Bewährungshelfer zu offenbaren haben soweit dies für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Die Staatsanwaltschaft als zuständige Vollstreckungsbehörde ist insoweit jedoch nicht genannt.

Insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Staatsanwaltschaft im Falle des § 67g StGB gemäß § 463 Abs. 5, § 462 Abs. 2 Satz 1 StPO ein Anhörungs- und damit auch ein Antragsrecht im Hinblick auf einen etwaigen Widerruf der Aussetzung der Maßregel der Unterbringung zusteht, erscheint eine umfassende Schweigepflicht der Ärzte, Therapeuten bzw. Sozialarbeiter einer forensischen Ambulanz gegenüber der Vollstreckungsbehörde nicht sachgerecht.

2. Zu Artikel 1 Nr. 9 (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 StGB)

In Artikel 1 Nr. 9 § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 sind die Wörter "des Wohnorts" durch die Wörter "der Wohnung" zu ersetzen.

Begründung

Die im Gesetzentwurf für § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 StGB-E vorgesehene Fassung entspricht der geltenden Rechtslage. Sie weist im Vergleich zu § 56c Abs. 2 Nr. 1 StGB eine engere Fassung auf, um in Bezug auf § 145a Satz 1 StGB dem Bestimmtheitsgrundsatz zu genügen. Dadurch, dass § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 StGB-E auf den Wohnort abstellt, muss die verurteilte Person einen Umzug innerhalb desselben Wohnorts der Aufsichtsstelle nicht melden, was völlig an dem Bedürfnis der Praxis vorbeigeht und mit dem Ziel, die Führungsaufsicht konsequenter und effizienter zu gestalten, nicht vereinbar ist. Die vorgeschlagene Fassung schafft insoweit Abhilfe.

3. Zu Artikel 1 Nr. 9 (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB)

In Artikel 1 Nr. 9 § 68b Abs. 1 Satz 1 ist Nummer 11 wie folgt zu fassen:

Begründung

Soweit der Gesetzentwurf in § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB-E lediglich die (strafbewehrte) Weisung an den Verurteilten vorsieht, sich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen bei einer Ärztin oder einem Arzt, einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz vorzustellen erscheint diese bloße "Vorstellungspflicht" nicht ausreichend.

Bereits der vom Bundesrat am 27. Mai 2005 beschlossene Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Rückfalltaten gefährlicher junger Gewalttäter - BR-Drs. 276/05(B) HTML PDF - sah eine Änderung von § 68b StGB dahin gehend vor dass der Verurteilte angewiesen werden kann, sich einer ambulanten Heilbehandlung zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. An diesem Vorschlag sollte weiterhin festgehalten werden.

Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) wurde für das Gericht erstmals die Möglichkeit geschaffen, auch ohne Einwilligung des Betroffenen anzuordnen dass sich der Verurteilte einer Heilbehandlung unterzieht, wenn diese nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist (§ 68b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 56c Abs. 3 Nr. 1 StGB). Insoweit kommt insbesondere die psychotherapeutische Behandlung in Betracht. Bei Verurteilten, die einer solchen Weisung nicht nachkommen oder in eine vom Gericht für erforderlich gehaltene Weisung im Sinne von § 56c Abs. 3 Nr. 1 StGB (mit körperlichem Eingriff) nicht einwilligen und die auf Grund der Nichtaufnahme einer Behandlung für die Allgemeinheit weiterhin gefährlich sind, wurde es beim damaligen Gesetzesvorhaben noch für ausreichend gehalten, über die damals befristete Höchstdauer der Führungsaufsicht von fünf Jahren hinaus in diesen Fällen die unbefristete Führungsaufsicht anzuordnen (§ 68c Abs. 2 StGB) und die Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 1 StGB erst dann enden zu lassen, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Es hat sich allerdings gezeigt, dass das Druckmittel der unbefristeten Führungsaufsicht nicht genügt, um die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern wirksam zu schützen. Es erscheint daher notwendig, die Weisung, sich einer Heilbehandlung ohne körperlichen Eingriff zu unterziehen, in den Katalog der strafbewehrten Weisungen aufzunehmen.

Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird insoweit Genüge getan, als bei einem Verstoß gegen die nicht zustimmungsbedürftige Behandlungsweisung sowohl die Möglichkeit der Anordnung der unbefristeten Führungsaufsicht nach § 68c Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB-E als auch die strafrechtliche Sanktionsmöglichkeit gemäß § 145a StGB zur Verfügung stehen. Durch das Strafantragserfordernis in § 145a Satz 2 StGB wird außerdem gewährleistet, dass der Führungsaufsichtsstelle am Einzelfall orientiert verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Durch die Aufnahme der Therapieweisung in den Katalog der strafbewehrten Weisungen wird auch legitimer Initialzwang beim Verurteilten erzeugt. Insbesondere Erfahrungen im Justizvollzug zeigen, dass zunächst Behandlungsunwillige mit geeigneten Möglichkeiten der Auseinandersetzung an eine Therapie herangeführt werden können. Es ist daher notwendig, mit allen Mitteln zu versuchen, bei behandlungsbedürftigen, aber behandlungsunwilligen Probanden die Bereitschaft für eine Therapiemaßnahme zu wecken.

4. Zu Artikel 1 Nr. 9 (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens eine Regelung aufzunehmen, die es unter Wahrung des informationellen Selbstbestimmungsrechts ermöglicht die verurteilte Person anzuweisen, die die ambulante Heilbehandlung vornehmende Person von der Schweigepflicht zu entbinden.

Begründung

Eine im Rahmen der Führungsaufsicht erteilte Weisung, die die ambulante Heilbehandlung im Sinne des § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB-E vornehmende Person von der Schweigepflicht zu entbinden, kann gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht verstoßen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auflage, § 53c Rnr. 2 mit Bezugnahme auf den Beschluss des OLG Nürnberg vom 8. Dezember 1998 - Ws 1496/98 -, NStZ-RR 1998, 175; vgl. auch die noch nicht entschiedene Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1349/05). Die Entbindung von der Schweigepflicht ist zur Wahrung der notwendigen Kontrolldichte im Rahmen der Weisung gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB-E von zentraler Bedeutung. Der mit der Weisung verbundene Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der verurteilten Person würde mit einer entsprechenden Rechtsgrundlage, die einen Teil der verfassungsmäßigen Ordnung darstellt, gerechtfertigt.

5. Zu Artikel 2 Nr. 3 Buchstabe b ( § 463a Abs. 3 StPO)

In Artikel 2 Nr. 3 Buchstabe b ist § 463a Abs. 3 wie folgt zu ändern:

Begründung

Dass der Leiter der Aufsichtsstelle einen Vorführungsbefehl erlassen können soll (§ 463a Abs. 3 StPO-E), ist abzulehnen. Vorzugswürdig ist die noch im Referentenentwurf vorgesehene Regelung, nach der das Gericht auf Antrag der Aufsichtsstelle einen Vorführungsbefehl erlassen kann (vgl. dort Artikel 2 Nr. 3 Buchstabe a (§ 463a Abs. 3 StPO-E)).

Dem Leiter der Aufsichtsstelle die Kompetenz zum Erlass eines Vorführungsbefehls einzuräumen ist - anders als bei der in § 463a Abs. 1 StPO-E vorgesehenen Kompetenz des Leiters der Aufsichtsstelle zur Anordnung der Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung - erheblichen Bedenken ausgesetzt.

Im Bericht des Strafrechtsausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur "Neufassung der Vorschriften über die Führungsaufsicht:

Länderauswertung und Empfehlung" (Seite 22) wird - abweichend von der vorliegenden Einzelbegründung zu § 463a Abs. 3 StPO-E (vgl. Seite 51) zutreffend ausgeführt:

Der Antrag trägt diesen Bedenken Rechnung.

Die vorgeschlagene Formulierung des § 463a Abs. 3 StPO-E ist darüber hinaus auch im Interesse der Polizei, die für die Durchführung des Vorführungsbefehls regelmäßig ersucht werden wird. Die Vorschrift in der Fassung des Gesetzentwurfs sieht einen richterlichen Vorführungsbefehl nicht vor, "da es sich bei der Vorführung nicht um Freiheitsentziehung nach Artikel 104 Abs. 2 Satz 1 GG (...) handelt, sondern um eine lediglich freiheitsbeschränkende Maßnahme des unmittelbaren Zwangs, die der Durchsetzung eines bestimmten Verhaltens (...) dient" (vgl. Einzelbegründung zu § 463a Abs. 3 StPO-E, S. 51).

Folgt man dieser Auffassung, wäre beispielsweise eine polizeiliche Wohnungsdurchsuchung zur Ergreifung des Probanden, um ihn zur Aufsichtsstelle, zur Bewährungshilfe, zur Therapie oder zur forensischen Ambulanz zu verbringen, nicht möglich. Dazu bedarf es eines gesonderten gerichtlichen Beschlusses.

Darauf müsste die Polizei dann jedes Mal bei entsprechenden Vorführungsersuchen der Aufsichtsstelle hinweisen.

6. Zu den finanziellen Auswirkungen

Die Regelungen zur befristeten Wiederinvollzugsetzung bzw. Krisenintervention sind fachlich grundsätzlich zu begrüßen. Damit wird nach Aussetzung einer freiheitsentziehenden Maßregel zur Bewährung und anschließender kritischer Entwicklung eine sinnvolle Einwirkmöglichkeit auf gefährdete Probandinnen und Probanden geschaffen, insbesondere, wenn bei ungehindertem weiteren Verlauf die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten begründet werden könnte. Auf diese Weise kann gegebenenfalls auch ein Widerruf der Bewährung verhindert werden.

Die hieraus entstehende Verpflichtung zur Bereithaltung entsprechender "Krisenbetten" verursacht allerdings erhebliche Kosten. Die Aussage im Gesetzentwurf, dass diesen erhebliche Ersparnisse durch die Vermeidung von Widerrufen der Aussetzung der Maßregel gegenüberstehen, wird nicht überzeugend dargelegt.

Auch lässt der in § 67h Abs. 1 StGB-E genannte unbestimmte Rechtsbegriff der "akuten Verschlechterung des Zustands" keinen Schluss auf die zu erwartenden Fallzahlen zu.

Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, im weiteren Gesetzgebungsverfahren darzulegen welche Kosten im Einzelnen hierdurch zu erwarten sind.

Auch die Regelungen zur Möglichkeit der Einrichtung forensischer Ambulanzen stellen ein vielversprechendes Instrumentarium dar und sind daher begrüßenswert.

Allerdings ist auch hier die im Gesetzentwurf aufgeführte Kostenneutralität nicht nachvollziehbar. Insbesondere der dort gezogene Schluss, die Kosten der forensischen Ambulanzen würden durch eine Verminderung der Vollzugsdauer kompensiert werden, lässt sich derzeit zahlenmäßig nicht belegen. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass Patienten aus dem stationären Maßregelvollzug in die Betreuung forensischer Ambulanzen entlassen werden, die ohne die Existenz dieses Instituts entlassen worden wären.

Auch hier wird die Bundesregierung aufgefordert, die durch Einrichtung und Betrieb forensischer Ambulanzen tatsächlich entstehenden Kosten hinreichend präzise darzulegen.