Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. März 2007 zur Achtung der Grundrechte-Charta in den Legislativvorschlägen der Kommission: Vorgehensweise für eine systematische und rigorose Überwachung

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 107099 - vom 10. April 2007. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 15. März 2007 angenommen.

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass die Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit beruht und dass diese Grundsätze allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind (Artikel 6 des EU-Vertrags),

B. in der Erwägung, dass dem Parlament als der direkt gewählten Vertretung der Bürgerinnen und Bürger der Union bei der Verwirklichung dieser Grundsätze eine herausgehobene Verantwortung zukommt,

C. in der Erwägung, dass diese Verantwortung umso größer ist, als beim gegenwärtigen Stand der Verträge

D. in der Erwägung, dass ein Verfahren zur Prüfung der Vereinbarkeit aller Rechtsetzungsvorschläge mit der Charta der Grundrechte eine der Konsequenzen darstellt, die sich zwingend aus der Anerkennung der Charta durch Parlament, Rat und Kommission und durch alle Mitgliedstaaten sowie aus ihrer feierlichen Proklamierung vor den Bürgerinnen und Bürgern der Union am 7. Dezember 2000 in Nizza ergeben,

E. in Erinnerung rufend, dass die wirkliche Tragweite der Grundrechte, wie sie sich aus der Anwendung von Artikel 6 Absatz 2 des EU-Vertrags ergibt, noch heute vor allem das Ergebnis gerichtlicher Auslegung ist, dass der europäische Gesetzgeber jedoch auch deutlich machen sollte, wie diese Rechte ausgelegt werden sollten,

F. in Erinnerung rufend, dass das Parlament, der Rat und die Kommission bei der Proklamierung der Charta der Grundrechte Definitionen dieser Rechte vereinbart haben und dass sie aus offensichtlichen Gründen der Kohärenz und des guten Glaubens künftig bei der Ausarbeitung der Rechtsvorschriften der Union auf diese Bezug nehmen müssen (siehe die oben genannte Mitteilung der Kommission (KOM (2005) 0172)),

G. zur Kenntnis nehmend, dass die in der Charta verankerten Rechte, sobald sie in die Rechtsvorschriften der Union aufgenommen werden, über die europäischen Rechtsvorschriften, die von ihnen geprägt sind, einen verbindlichen Charakter annehmen,

H. in der Erwägung, dass der Systematik, der Gründlichkeit, der Objektivität, der Offenheit und Transparenz des Verfahrens zur Achtung der Grundrechte in Rechtsetzungsvorschlägen eine umso größere Bedeutung zukommt, als der Charta der Grundrechte bedauerlicherweise bis heute keine Rechtsverbindlichkeit zukommt; jedoch unter Hinweis darauf, dass die Charta der Grundrechte im Laufe der Jahre für die europäischen Gerichte, wie das Gericht erster Instanz, den Gerichtshof7, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sowie für viele Verfassungsgerichte zu einem Referenzdokument geworden ist,

I. in der Erwägung, dass der europäische Gesetzgeber bei der vorherigen Abschätzung der Auswirkungen neuer europäischer Rechtsvorschriften auf die Grundrechte in seine Überlegungen sowohl den nationalen Gesetzgeber als auch die Bürgergesellschaft, akademische Kreise und den Sachverstand anderer internationaler Organisationen wie den des Europarates und der Vereinten Nationen einbeziehen muss; unter Hinweis darauf, dass der europäische Gesetzgeber auf diese Weise die Herausbildung einer sich immer mehr verbreitenden Kultur der Grundrechte begünstigen würde, wie dies bereits bei der Ausarbeitung einiger Rechtsakte im Bereich des Schutzes der Privatsphäre, des Familienrechts und des Rechts auf Transparenz der Fall gewesen ist,

J. in der Erwägung, dass der Vorschlag der Kommission zur Vertiefung und besseren öffentlichen Wahrnehmung des Verfahrens zur Achtung der Grundrechte in ihren Rechtsetzungsvorschlägen, das seit 2001 zur Anwendung kommt, einen deutlichen Fortschritt in ihrem Vorhaben darstellt, in der Union eine echte "Grundrechte-Kultur" zu entfalten,

K. in der Erwägung, dass dieses Verfahren allerdings einen zu internen Charakter aufweist, die Kriterien zu restriktiv sind und die Rolle des Europäischen Parlaments ungenügend ist und dass Vorschläge zur Einbindung der Parlamente der Mitgliedstaaten, wie die des Britischen Oberhauses8, ebenso unberücksichtigt blieben wie der notwendige ständige Dialog zwischen den europäischen Institutionen und die Heranziehung unabhängiger Organisationen zur Stärkung der Objektivität,

L. in der Erwägung, dass eine echte "Grundrechte-Kultur" der Union es erforderlich macht, ein Gesamtsystem von Grundrechtskontrollen zu entwickeln, das den Rat und die Beschlüsse im Bereich der Regierungszusammenarbeit einbezieht,

M. in der Erwägung, dass eine echte "Grundrechte-Kultur" nicht nur in der passiven Einhaltung der Regelungen besteht, sondern auch in der aktiven Förderung der Grundrechte und der Intervention in Fällen von Verstößen oder des nicht zufrieden stellenden Schutzes der Grundrechte durch die Mitgliedstaaten,

N. in der Erwägung, dass das Gesamtsystem von Grundrechtskontrollen eine jährliche Debatte vorsehen muss, die die drei Organe und die nationalen Parlamente einbezieht, insbesondere wenn das Europäische Parlament eine Bilanz der Fortschritte und der Probleme bei der Entwicklung der Europäischen Union als ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zieht,

O. in der Erwägung, dass es anlässlich dieser Debatte möglich wäre, Folgendes gleichzeitig zu prüfen:

P. in Erinnerung rufend, dass die Organe bei diesen jährlichen Debatten die Zweckmäßigkeit prüfen sollten, die Rechtsvorschriften zu überarbeiten, die die Ausübung der Freiheiten aus Gründen der öffentlichen Sicherheit möglicherweise eingeschränkt haben,

Q. in der Erwägung, dass die Existenz von geheimen Gefängnissen und die von der CIA im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus durchgeführten Entführungen, die schleppende Aufklärung und die mangelnde Kooperation mehrerer Regierungen oder auch die Weitergabe von Fluggastdaten und von Bankkontodaten durch SWIFT ohne gesetzliche Grundlage geeignet sind, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Fähigkeit und den Willen der europäischen Institutionen, die Grundrechte zu schützen und Verstöße zu ahnden, zu erschüttern,