Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zur Qualität der Strafjustiz und zur Harmonisierung des Strafrechts in den Mitgliedstaaten (2005/2003(INI))

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass die Artikel II-107 bis II-110 des Vertrags über eine Verfassung für Europa und die Artikel 6 bis 13 der EMRK den Umfang des Rechts auf Zugang zu den Gerichten festlegen, das die Union und ihre Mitgliedstaaten nach ihren jeweiligen Zuständigkeiten den europäischen Bürgern gewährleisten müssen,

B. in der Erwägung, dass dieses Recht auf Zugang zu den Gerichten insbesondere das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das Recht auf ein unparteiisches Gericht, das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf eine Verhandlung innerhalb angemessener Frist und das Recht auf Prozesskostenhilfe umfasst, und dass dieses Recht ebenfalls die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte der verdächtigen Personen vor Beginn eines Strafverfahrens sowie das Recht auf eine würdige und humane Behandlung der verurteilten Personen unter Berücksichtigung der internationalen Normen der Vereinten Nationen und des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe nach einem solchen Verfahren umfasst,

C. in der Erwägung, dass der Schutz dieser Rechte bei Strafverfahren, in denen es um die Grundfreiheiten geht, umso wichtiger ist,

D. in der Erwägung, dass dieser Schutz vorrangig in die Zuständigkeit jedes Mitgliedstaats fällt, der ihn gemäß seiner eigenen Verfassungsordnung und seinen Rechtstraditionen gewährleistet; in der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten sich mit den in ihrem Rechtssystem vorhandenen Problemen befassen müssen, und insbesondere mit denen, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ermittelt wurden; in der Erwägung, dass ein echter europäischer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aber voraussetzt, zum einen den europäischen Bürgern überall in der Union eine vergleichbare Behandlung zu garantieren und zum anderen das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander zu stärken, um die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zu ermöglichen, ja sogar die Auslieferung ihrer eigenen Staatsangehörigen an die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats zuzulassen,

E. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg sowie die Tatsache, dass die Rechtsprechung beider Gerichte kohärent sein muss,

F. in der Erwägung, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen seit der Annahme des Programms von Tampere (Punkt 33) der Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in der Union geworden ist,

G. unter Hinweis darauf, dass in dem Vertrag für eine Verfassung für Europa (Artikel III-260) und im Haager Programm (insbesondere Punkt 3.2) anerkannt wird, wie wichtig die gegenseitige Bewertung durch die Mitgliedstaaten ist, um das gegenseitige Vertrauen zu stärken, das wiederum eine notwendige Voraussetzung für die gegenseitige Anerkennung ist, sowie die Annahme von materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Mindestvorschriften und die Festlegung von angemessenen Fristen,

H. in der Erwägung, dass die Bewertung der Qualität der Justiz in der Europäischen Union auch die Arbeitsmethoden der Richter und der einzelnen Justizverwaltungen in den Mitgliedstaaten betreffen muss, was nicht im Widerspruch zur uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Unabhängigkeit der Justiz steht,

I. in der Erwägung, dass diese Bewertung auf einem gemeinsamen Bezugsrahmen beruhen muss, der ihre Kohärenz und Objektivität gewährleistet,

J. unter Hinweis darauf, dass die Hilfsmittel und Verfahren festgelegt werden müssen, die für eine solche Bewertung und zur Stärkung des Informationsaustauschs und der Fortbildungsmöglichkeiten zugunsten der Qualität der Strafjustiz in Europa am besten geeignet sind,

K. in der Erwägung, dass die Schaffung von europäischen Netzen in den letzten Jahren in der Europäischen Union, wie beispielsweise die Vereinigung der Staatsräte und der Obersten Verwaltungsgerichte, das Netz der Präsidenten der Obersten Gerichtshöfe, das Netz der Obersten Gerichtshöfe und das europäische Netz der Räte für das Justizwesen, davon zeugt, dass man sich der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zur Verbesserung der Qualität der Justiz im Dienste der Bürger der Union immer mehr bewusst wird,

L. in Anbetracht der Schlüsselrolle der Fortbildung bei der Entwicklung einer gemeinsamen Rechtskultur sowie einer Kultur der Grundrechte innerhalb der Union, namentlich durch die Tätigkeit des europäischen Netzes für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten,

M. in der Erwägung, dass die Verbesserung der Qualitätsstandards der Justiz und ihre Effizienz auf der Grundlage der Bewertung zu einer Verbesserung sowohl der Qualität der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Strafrechtsnormen als auch der Qualität ihrer Anwendung führen müssen, was nicht im Widerspruch zur Achtung des Grundsatzes der Unabhängigkeit der Justiz steht,

N. in der Erwägung, dass die gegenseitige Bewertung eine spezifische Methodik erfordert, die der Komplexität des Verfahrens Rechnung trägt,

0. in der Erwägung, dass im Haager Programm anerkannt wird, dass es notwendig ist, den Vertrag über eine Verfassung für Europa als Bezugsrahmen anzunehmen und mit den Vorbereitungsarbeiten zu beginnen, damit die im Verfassungsvertrag vorgesehenen

P. unter Hinweis auf das am 18. Januar 2005 vom Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres organisierte öffentliche Seminar zum Thema "Förderung einer besseren Qualität der Strafjustiz in Europa",

Q. unter Billigung der im Haager Programm enthaltenen Leitlinien zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens (Punkt 3.2), namentlich durch die Verbesserung der Qualität der Justiz, durch den Ausbau der Bewertung und durch den unerlässlichen Beitrag der Netze justizieller Einrichtungen und Organisationen,

R. unter Hinweis auf Punkt 3.2 des Haager Programms, in dem die Notwendigkeit hervorgehoben wird, die Vielfalt der diversen Strukturen und traditionellen Merkmale der einzelstaatlichen Rechtssysteme und die Unabhängigkeit der Justiz in den Mitgliedstaaten zu achten und gleichzeitig eine verbesserte Qualität der Justiz in Europa durch gegenseitiges Vertrauen zu fördern,

1. richtet folgende Empfehlungen an den Europäischen Rat und den Rat:

2. beauftragt seinen Präsidenten, diese Empfehlung dem Rat und zur Information der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und dem Europarat zu übermitteln.

1 Rechtsakt des Rates vom 29. Mai 2000 über die Erstellung des Übereinkommens - gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union - über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABI. C 197 vom 12.7.2000, S. 1).
2 ABI. L 190 vom 18.7.2002, S. 1.
3 ABl. L 196 vom 2.8.2003, S. 45.
4 Angenommene Texte, P6_TA(2004)0022.