Antrag der Länder Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg
Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Euratom-Vertrages - europaweiten Atomausstieg voranbringen - Antrag der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz -

Punkt 62 der 891. Sitzung des Bundesrates am 16. Dezember 2011

Der Bundesrat möge beschließen, die Entschließung wie folgt zu fassen:

Begründung (nur gegenüber dem Plenum):

Die Energie- und Klimapolitik ist zu einem der beherrschenden Themen auf europäischer und internationaler Ebene geworden. Die EU sieht sich vor die energiepolitischen Herausforderungen gestellt, die Energieversorgung zu sichern, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und den Klimawandel zu bekämpfen. Zusätzlich hat die Katastrophe in den Kernkraftwerken von Fukushima (Japan) zu einer neuen Debatte um die Sicherheit von Kernkraftwerken in der EU und die Möglichkeit eines europäischen Atomausstiegs geführt.

Der Euratom-Vertrag von 1957, einer der drei Gründungsverträge der EU, wurde nie wesentlich verändert. Explizite Aufgaben von Euratom sind u.a. die Forschungsförderung, die Entwicklung von Sicherheitsnormen zum Gesundheitsschutz und die zweckgerichtete Verwendung von spaltbaren Materialien.

Der Euratom-Vertrag steht derzeit in der Kritik: Er regele ohne zeitliches Ende die Nutzung der Atomenergie. Zwar habe der Euratom-Vertrag hierdurch einen positiven Beitrag zur Verhinderung von Proliferation und zum Gesundheitsschutz geleistet. Allerdings könne aufgrund seines Charakters als lex specialis die inzwischen weiterentwickelte EU-Umweltpolitik mit ihren Grundsätzen der "Vorsorge und Vorbeugung" nicht regulierend in die Fragen rund um den Umgang mit der Kernenergie eingreifen. Außerdem behindere der Euratom-Vertrag eine nachhaltige Energiepolitik und verzerre damit gleichzeitig auch den Wettbewerb auf dem ansonsten liberalisierten Energiebinnenmarkt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Haftungsregelungen in den Mitgliedstaaten völlig unterschiedlich ausgestaltet sind. Die Haftungsregelungen in den einzelnen europäischen Ländern müssen dem Schadenspotential der einzelnen Länder entsprechen. Schließlich entsprächen die Entscheidungsstrukturen der Europäischen Atomgemeinschaft, in der alle 27 Mitgliedstaaten Mitglied sind, nicht den in der EU inzwischen erreichten demokratischen Standards. Zwar teile sich die Atomgemeinschaft mit der Union die Institutionen, jedoch sei der Euratom-Vertrag rein intergouvernemental und entziehe sich der Kontrolle des Europäischen Parlaments. Um ein zukunftsfähiges Energiekonzept zu entwickeln, wird daher eine Überarbeitung des Vertrags zur Gründung einer Europäischen Atomgemeinschaft für notwendig erachtet.

Der Aktualisierungsbedarf wurde von Deutschland schon 2007 erkannt, und zusammen mit Irland, der Republik Ungarn, der Republik Österreich und dem Königreich Schweden in einer Erklärung zur Schlussakte von Lissabon festgehalten. Schon damals stellten die Staaten fest [Zitat aus der Erklärung], "dass die zentralen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft seit seinem Inkrafttreten in ihrer Substanz nicht geändert worden sind und aktualisiert werden müssen. Daher unterstützen sie [die erklärenden Mitgliedstaaten] den Gedanken einer Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, die so rasch wie möglich einberufen werden sollte."

Lange Zeit stand im Euratom die Forschungsförderung im Vordergrund. Im Euratom-Forschungsprogramm 2012 - 2013 werden neben der Fusionsenergieforschung auch sicherheitsrelevante Aspekte bei der zukünftigen Kernenergieforschung berücksichtigt.

Auf dem Europäischen Rat vom 24./25. März 2011 befassten sich die Staats- und Regierungschefs im Einzelnen mit den Auswirkungen der Atomunfälle in Fukushima. Als Folge wurde am 24. Mai 2011 dazu von der Kommission und der Hochrangigen Gruppe der europäischen Regulatoren für nukleare Sicherheit und Abfallentsorgung (ENSREG, European Nuclear Safety Regulator Group) ein Rahmen für Stresstests für Kernkraftwerke veröffentlicht.

Dieser beinhaltet Tests für Auswirkungen natürlicher Katastrophen wie Erdbeben und Überflutungen, zivilisatorisch verursachter Katastrophen wie Flugzeugabstürze, Gaswolkenexplosionen oder totaler Stromausfall sowie das Notfallmanagement für alle 143 Kernkraftwerke in der EU. Der Abschlussbericht soll dem Europäischen Rat im Juni 2012 vorgelegt werden.

Die EU will erreichen, dass vergleichbare Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke und Atommüll auch in den Nachbarländern der EU und sogar weltweit eingeführt werden. Allerdings setzt dies voraus, dass überhaupt verbindliche europäische Sicherheitsnormen für Betrieb und Neubau von Kernkraftwerken geschaffen werden. Dies steht bisher noch aus.

2009 wurde erstmalig ein Gemeinschaftsrahmen zur nuklearen Sicherheit geschaffen. Die Mitgliedstaten müssen danach nationale Sicherheitsvorgaben entwickeln und unabhängige Regulierungsbehörden für atomare Sicherheit einrichten. Bei den Verhandlungen zum Gemeinschaftsrahmen wurden die Interessensgegensätze von Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Verwendung der Kernenergie deutlich: Eine Gruppe will die Atomkraft in den kommenden Jahren ausweiten. Eine zweite Gruppe verfügt über keine Kernkraftwerke, plant aber solche für die Zukunft. Die dritte Gruppe, zu der Deutschland gehört, betreibt Kernkraftwerke, will aber mittel- bzw. langfristig aus der Kernenergie aussteigen. Eine vierte Gruppe schließt die Nutzung der Kernenergie auch zukünftig aus. Daher stellt die Richtlinie nur den kleinsten gemeinsame Nenner dar.

Aus Sicht der Antragsteller sind verbindliche Risikoüberprüfungen und einheitliche hohe Sicherheitsstandards erforderlich. In einem Umkreis von 120 Kilometern um die deutsche Außengrenze werden derzeit 22 Kernreaktoren betrieben. Das zeigt das Gefährdungspotential insbesondere in den Grenzregionen auf. Eine Überarbeitung europäischer Regelungen soll deshalb auch dahin führen, dass aus den vereinbarten Stresstests verbindliche Konsequenzen gezogen werden.