Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung - Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren bei der Anhörung von Verurteilten nach §§ 453 Absatz 1 Satz 4 und 454 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 3 StPO

A. Problem und Ziel

In der gerichtlichen Praxis hat sich der Einsatz von Videokonferenztechnik bisher nur zum Teil durchgesetzt. Dies beruht zum einen auf der vereinzelt noch fehlenden technischen Ausstattung der Gerichte, Justizbehörden und Anwaltskanzleien, überwiegend aber auch an der Anknüpfung der Verfahrensordnungen an das Einverständnis der Beteiligten zum Einsatz von Videokonferenztechnik.

Die Vorteile der verstärkten Nutzung des Einsatzes von Videokonferenztechnik im gerichtlichen Verfahren liegen jedoch auf der Hand: Durch die Bereitstellung und Nutzbarmachung dieser Technik durch die Justizverwaltung wird den Verfahrensbeteiligten in geeigneten Fällen die Gelegenheit geboten im gerichtlichen Verfahren ohne Reisetätigkeit durch die seitens der Justizverwaltung bereitgestellten Videokonferenzanlagen an gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungen teilzunehmen. Der geringere zeitliche Aufwand für alle Beteiligten erleichtert die Terminierung von Anhörungen und trägt damit zu einer Verfahrensbeschleunigung und einer Erhöhung der Wirtschaftlichkeit bei.

Insbesondere fiele für die Justizverwaltung der Transport der in den Vollzugsanstalten inhaftierten Verurteilten zum gerichtlichen Anhörungstermin weg. Dies führt nicht nur dazu, dass Justizvollzugsbeamte und Gerichtswachtmeister weniger belastet werden, sondern führt zudem zu einem Wegfall des Sicherheitsrisikos, welches mit jedem Transport von Inhaftierten verbunden ist.

B. Lösung

Der Gesetzentwurf erweitert konsequent die Möglichkeiten der Nutzung von Videokonferenztechnik im Rahmen der gerichtlichen Anhörung von Verurteilten innerhalb der Strafvollstreckung.

In der Strafvollstreckung bestimmen § 453 Absatz 1 Satz 3 und § 454 Absatz 1 Satz 4 StPO, dass die Anhörung des Verurteilten und nach § 454 Absatz 2 Satz 4 StPO auch die Anhörung des Sachverständigen unter Verzicht auf die persönliche Anhörung erfolgen können.

Nach geltendem Recht ist ein Verurteilter vor einer gerichtlichen Entscheidung, die sich auf den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung oder auf eine Aussetzung des Restes der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe zur Bewährung bezieht, durch das Gericht grundsätzlich mündlich anzuhören (§ 453 Absatz 1 Satz 4 und § 454 Absatz 1 Satz 3 StPO). Der Einsatz von Videokonferenztechnik ist im Gesetz für diesen Fall nicht geregelt und daher bislang allenfalls mit Zustimmung des Verurteilten möglich.

Bei diesen Anhörungen spielt der Aspekt der zeitlichen Verfügbarkeit für die zügige Abwicklung des Verfahrens und des wirtschaftlichen Einsatzes prozessualer Beteiligter eine erhebliche Rolle. Durch eingesparte Reisekosten und reduzierte Zeitaufwände werden die Verfahren insgesamt kostengünstiger werden.

Dem steht jedoch derzeit insbesondere entgegen, dass nur die wenigsten betroffenen Verurteilten einer Anhörung im Wege der Videokonferenz zustimmen. Dies resultiert insbesondere daraus, dass im Falle einer Abfrage keine Rückmeldung seitens der Verurteilten erfolgt. Das bloße Schweigen eines Verurteilten kann indes nicht als Einverständnis gewertet werden. Um den Einsatz der Videokonferenztechnik umfangreicher zu nutzen, besteht daher gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

Der Gesetzentwurf richtet die Strafprozessordnung daher umfassend auf die qualitativ hochwertigen technischen Möglichkeiten der Gegenwart aus und stellt zugleich normativ die Weichen für die Zukunft. Der verstärkte Einsatz von Videokonferenztechnik stellt ein Serviceangebot im Sinne einer zukunftsorientierten Justiz dar. Der Wirkungsgrad des Gesetzes, das auf die Gestaltung der Zukunft gerichtet ist, hängt dabei direktproportional vom Steigen des Ausstattungsgrades und der Akzeptanz der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung in der forensischen Praxis ab.

Der Gesetzentwurf ist auch direkt gegenwartsorientiert, da sich gerade durch die COVID-19-Pandemie im Justizalltag die Notwendigkeit verstärkt hat, in geeigneten Fällen zur Eindämmung der Pandemie von direkten persönlichen Kontakten Abstand zu nehmen. Die in Pilotprojekten und Einzelfällen in diesem Feld bereits erprobte Nutzung von Videokonferenztechnik wäre auch in diesem Fall ein probates Mittel, um infektionsträchtige persönliche Kontakte zu vermeiden.

Letztlich wird auch in anderen Bereichen der Strafvollstreckung, namentlich nach § 115 Absatz 1a des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) die Anhörung unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit des Gefangenen ermöglicht.

C. Alternativen

Beibehaltung des gegenwärtigen Rechtszustandes unter Verzicht auf die zu erzielenden Optimierungspotentiale.

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Der Kostenaufwand für die Umsetzung der geplanten Gesetzesänderung dürfte entweder bei null liegen oder lediglich einen geringen Umfang einnehmen. In nahezu allen Landgerichten, den auswärtigen Strafvollstreckungskammern bei den Amtsgerichten und Justizvollzugsanstalten sollte bereits Videokonferenztechnik vorhanden sein, da dies in der Vergangenheit, insbesondere im gerichtlichen Bereich, schon Voraussetzung für die Vernehmungen nach den §§ 58b und 233 Absatz 2 sowie § 247a Absatz 1 StPO und für die Übertragungen aus dem oder in das Ausland nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) gewesen sein dürfte.

Soweit die Technik in den Justizvollzugsanstalten zumindest teilweise noch nicht vorhanden sein sollte, handelt es sich bei der Beschaffung lediglich um einen notwendigen Nachsteuerungsbedarf. Die dadurch entstehenden, eher geringen Kosten würden bereits mittelfristig dadurch wieder ausgeglichen, dass Kosten für Transporte eingespart würden.

E. Sonstige Kosten

Keine

F. Bürokratiekosten

Keine

Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung - Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren bei der Anhörung von Verurteilten nach §§ 453 Absatz 1 Satz 4 und 454 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 3 StPO

Niedersächsischer Ministerpräsident Hannover, 20. Mai 2020

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Niedersächsische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung (StPO) - Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren bei der Anhörung von Verurteilten nach §§ 453 Absatz 1 Satz 4 und 454 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 3 StPO zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 990. Sitzung des Bundesrates am 5. Juni 2020 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Stephan Weil

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung - Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren bei der Anhörung von Verurteilten nach §§ 453 Absatz 1 Satz 4 und 454 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 3 StPO

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung der Strafprozessordnung

1. § 453 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

2. § 454 wird wie folgt geändert:

Artikel 2

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

Der Einsatz von Videokonferenztechnik in gerichtlichen Verfahren findet seinen Ausgangspunkt im strafprozessualen Zeugenschutz.

§ 247a StPO wurde im Jahr 1998 eingeführt (Gesetz vom 30. April 1998, BGBl. I S. 820 - Zeugenschutzgesetz). Im Jahr 2004 wurde die Zulässigkeit des Videoeinsatzes im Strafprozess auf den wichtigen Gedanken der Vermeidung des Beweismittelverlustes ausgedehnt: Die zeitgleiche Bild- und Tonübertragung vom Vernehmungsort in das Sitzungszimmer wird auch für den Fall zugelassen,

Auch in anderen Rechtsgebieten fand der Grundgedanke einverständlicher Vereinbarung der Videotechnik für zeitgleiche Bild- und Tonübertragungen Anklang, so zum Beispiel in der durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887, geändert durch das Gesetz vom 22. März 2005, BGBl. I. S. 837) geschaffenen Vorschrift des § 128a Zivilprozessordnung, wonach das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten kann, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird dabei zugleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass das Land Hessen bereits im Jahr 2010 den Entwurf eines Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren (vgl. BR-Drs. 17/1224) in den Bundesrat eingebracht hat. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hatte zwar die Einführung der Videokonferenztechnik für zahlreiche andere in dem Gesetzentwurf genannte Bereiche befürwortet, sie jedoch für die Anhörung inhaftierter Verurteilter nach § 453 Absatz 1 Satz 4, § 454 Absatz 1 Satz 3 StPO abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Anhörung im Wege der Videokonferenz den unmittelbaren persönlichen Eindruck von dem Verurteilten nicht ersetzen könne.

Die bereits damals zum Ausdruck gebrachte Argumentation, wonach den Bedenken dadurch Rechnung getragen werden könne, dass die persönliche Anhörung des Verurteilten in das Ermessen des Gerichts gestellt werden könne, überzeugt nach wie vor, zumal nun diese Regelung für andere Verfahrensvorschriften, in denen Videokonferenztechnik zum Einsatz kommt, seither Anwendung findet (§§ 58b und 233 Absatz 2, § 247a Absatz 1 StPO). Hierdurch ist gewährleistet, dass der Einsatz der Videokonferenztechnik nur dann angeordnet werden kann, wenn unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Verurteilten keine sachlichen Gründe entgegenstehen. Auch für den Fall, dass die angestrebte Regelung in Gesetzeskraft erwächst, wäre es dem Gericht dann jederzeit unbenommen, gleichwohl eine persönliche Anhörung des Verurteilten durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält.

Darüber hinaus handelt es sich aufgrund der fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten bei einer Anhörung im Wege der Videokonferenz bereits um eine solche Anhörung, die aufgrund ihrer technischen Möglichkeiten den persönlichen Eindruck im erforderlich erscheinenden Umfang ermöglicht. Es handelt sich bei der Änderung um einen Unterfall der mündlichen Anhörung im Sinne des Gesetzes, wobei der Änderungsvorschlag die Anhörung im Wege der Videokonferenz ausdrücklich regelt und sie der bisherigen mündlichen Anhörung zumindest gleichgestellt. Diese Gleichstellung ist gerade eine der gesetzgeberischen Intentionen des Änderungsentwurfs. In der forensischen Praxis wird die Videokonferenz zudem gerade aktuell aufgrund der COVID-19-Pandemie in nahezu allen justiziellen in Bereichen eingesetzt. Mit Zustimmung der Betroffenen erfolgt dies auch bei gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungen.

Aus heutiger Sicht sprechen jedoch noch weitere tragende Argumente für die vorgeschlagene Regelung:

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1:

Zu Nummer 1 (§ 453 Absatz 1 StPO):

Für nachträgliche Entscheidungen, die sich auf eine Strafaussetzung zur Bewährung oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt beziehen, sieht das Gesetz lediglich rechtliches Gehör, nicht aber die Form vor, in der es gewährt werden kann. Der neue Satz 3 des § 453 Absatz 1 erweitert die Handlungsmöglichkeiten des Gerichts auf die der Anordnung einer Anhörung im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung. Dies gilt auch für die vorgesehenen Soll-Anhörungen für den Fall des drohenden Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung.

Zu Nummer 2 (§ 454 Absatz 1 StPO):

Zu Buchstabe a:

Der neue Satz 4 des Absatzes 1 eröffnet die Möglichkeit der Anordnung der Anhörung im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung unter Verzicht auf eine Vorführung auch in den höchst praxisrelevanten Fällen der Reststrafenaussetzung zur Bewährung. Dies ist vor allen in den Fällen der beabsichtigten Ablehnung einer Reststrafenaussetzung eine erhebliche Verfahrenserleichterung für die Strafvollstreckungskammern und eine wichtige, Sicherheits- und aufwandsrelevante Vereinfachung für die Vollzugsanstalten und die Justizwachtmeister. Die Anordnung steht im Ermessen des Gerichts und ist unabhängig von der Zustimmung des Verurteilten. Letztlich schafft dies nicht nur die volle Anordnungsfähigkeit des Gerichts, sondern eröffnet zugleich den Landesjustizverwaltungen nicht zu unterschätzende Einsparungspotenziale.

Zu Buchstabe b (§ 454 Absatz 2 StPO):

Die Ergänzung des Absatzes 2 ermöglicht es in diesen Verfahren, auch die Einbeziehung eines Sachverständigen im Wege der Bild- und Tonübertragung vorzunehmen.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten):

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Übergangsvorschriften sind nicht erforderlich.