Antrag der Länder Bremen, Thüringen
Entschließung des Bundesrates für eine Möglichkeit wissenschaftlich begleiteter Versuchsprojekte mit kontrollierter Abgabe von Cannabis


Präsident des Senats Bremen, 27. Mai 2020 der Freien Hansestadt Bremen

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke

Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat der Freien Hansestadt Bremen hat am 26.05.2020 den Entwurf eines Entschließungsantrags des Bundesrates für eine Möglichkeit wissenschaftlich begleiteter Versuchsprojekte mit kontrollierter Abgabe von Cannabis beschlossen.

Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der Sitzung des Bunderates am 05.06.2020 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas Bovenschulte

Entschließung des Bundesrates für eine Möglichkeit wissenschaftlich begleiteter Versuchsprojekte mit kontrollierter Abgabe von Cannabis

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vorzunehmen. Es ist die Rechtsgrundlage, für die Abgabe ärztlich nicht verschriebener Gebrauchsmengen von Cannabis an Erwachsene im Rahmen wissenschaftlich begleiteter und kontrollierter Versuchsprojekte zu schaffen.

Begründung:

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht das Betäubungsmittelgesetz in seinem Beschluss vom 09.03.1994 insbesondere hinsichtlich des umfassenden Cannabis-Verbotes für verfassungsgemäß erklärt (BVerfG 90, 145ff.). Es hat dem Gesetzgeber aber auch das Vorrecht der Einschätzung hinsichtlich der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Proportionalität zugebilligt bzw. ihn nicht verpflichtet, den Umgang mit Cannabis auf alle Zeiten strikt und repressiv mit dem Ziel der Eliminierung von Angebot und Nachfrage zu sanktionieren. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber damit auch anheimgestellt, das Betäubungsmittelgesetz insgesamt oder hinsichtlich einzelner in der Anlage aufgezählter Substanzen zu ändern oder zu relativieren. So wurde durch das 3. BtM-Änderungsgesetz vom 28.03.2000 (BGBl. I S. 301; BR-Drs. 455/99 , S. 1, 6ff.) den Landesbehörden die Möglichkeit eingeräumt, Drogenkonsumräume einzurichten. Weiter wurde durch das Gesetz zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung vom 15.07.2009 (BGBl. I S. 1801) unter bestimmten Bedingungen die Verabreichung von Diamorphin (Heroin) erlaubt (Änderung von §§ 13, 19, 29 Abs. 1 S. 1 BtMG). Schließlich hat der Bundestag am 19. Januar 2017 das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften beschlossen, wodurch der medizinisch indizierte Gebrauch von Cannabis straffrei gestellt wurde.

Eine Reihe von Vereinigungen und Verbänden befürwortet und unterstützt diese Entwicklung, etwa die Neue Richtervereinigung e.V., die Strafverteidigervereinigung, der Bund Deutscher Kriminalbeamter, die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin e.V. und die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen. Eine Legalisierung und Regulierung des Cannabisumgangs unter Gewährleistung des Jugendschutzes wird von diesen Organisationen als Voraussetzung für eine adäquate Behandlung und Beratung bei Abhängigkeitsproblemen sowie für eine Reduzierung des unverhältnismäßigen Ermittlungsaufwands und der Ungleichheit der Verfolgungspraxis in den Bundesländern angesehen.

Zwar ist der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich Cannabis in den letzten 20 Jahren exponentiell gewachsen. Insbesondere sollen diverse Quasi-Feldexperimente mit der liberalisierten Zugänglichkeit oder Vergabe von Cannabis (z.B. Niederlande, Schweiz, Spanien, Portugal) zeigen, dass dort die befürchtete Ausweitung des Drogenkonsums ausgeblieben ist. Ähnliches soll sich bei den Cannabis-Regulierungsmodellen in einzelnen Bundesstaaten der USA gezeigt haben. Nach einem anfänglichen Anstieg hat sich die Nachfrage normalisiert. In der Schweiz werden Gesetzesänderungen im Betäubungsmittelrecht für zeitlich befristete Pilotprojekte in verschiedenen Städten wie z.B. Zürich für eine kontrollierte Cannabisabgabe angestoßen.

Entsprechende empirische Belege fehlen aber für Deutschland. Die Erfahrungen und Erkenntnisse, welche durch Modellprojekte in Deutschland erarbeitet werden könnten, würden eine wesentliche empirische Säule einer erstmals wissenschaftlich fundierten Überarbeitung des Betäubungsmittelgesetzes darstellen und insoweit die Arbeit einer zukünftig einzurichtenden Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags sinnvoll ergänzen. Es besteht daher der Anlass, die Cannabis-Gesetzgebung zu überdenken und den vielfältigen Initiativen auf Landes- und kommunaler Ebene Rechnung zu tragen.