Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen (2008/2196(INI))

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 104306 - vom 30. März 2009.

Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 10. März 2009 angenommen.

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass die Gesellschaften gemäß dem EG-Vertrag und der Auslegung des Gerichtshofs innerhalb des Binnenmarkts Niederlassungsfreiheit genießen sollten,

B. in der Erwägung, dass die Verlagerung von Gesellschaften über Grenzen hinweg einer der Kernbestandteile der Vollendung des Binnenmarktes ist,

C. in der Erwägung, dass eine grenzüberschreitende Verlegung des eingetragenen Sitzes einer Gesellschaft nicht ihre Auflösung oder irgendeine sonstige Unterbrechung oder den Verlust ihrer Rechtspersönlichkeit nach sich ziehen sollte,

D. in der Erwägung, dass eine grenzüberschreitende Verlegung des eingetragenen Sitzes nicht zur Umgehung rechtlicher, sozialer und steuerlicher Bedingungen führen sollte,

E. in der Erwägung, dass die Rechte von anderen Akteuren, die von der Verlegung betroffen sind, beispielsweise Minderheitsaktionäre, Arbeitnehmer, Gläubiger usw., geschützt werden sollten,

F. in der Erwägung, dass der einschlägige gemeinschaftliche Besitzstand, der grenzüberschreitende Unterrichtungs-, Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer vorsieht und der bestehende Arbeitnehmermitbestimmungsrechte gewährleistet (Richtlinien 094/45/EG1 und 2005/56/EG2), vollständig beibehalten werden sollte, und in der Erwägung, dass folglich die Verlegung eines eingetragenen Gesellschaftssitzes nicht zum Verlust dieser bestehenden Rechte führen sollte,

G. in der Erwägung, dass eine Regel, wonach eine Gesellschaft ihre Hauptniederlassung und ihren eingetragenen Sitz in demselben Mitgliedstaat haben muss, der Rechtsprechung des Gerichtshofs über die Niederlassungsfreiheit zuwiderlaufen und damit gegen EG-Recht verstoßen würde,

Anlage zur Entschliessung
Ausführliche Empfehlungen zum Inhalt des verlangten Vorschlags

Das Europäische Parlament ersucht die Kommission, einen Vorschlag für eine Richtlinie zu unterbreiten, der Folgendes beinhalten sollte:

Empfehlung 1 (Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Verlegung des eingetragenen Sitzes)

Grenzüberschreitende Verlegungen von eingetragenen Gesellschaftssitzen ziehen weder die Auflösung der betreffenden Gesellschaft noch irgendeine Unterbrechung bzw. den Verlust ihrer Rechtspersönlichkeit nach sich; folglich behält die Gesellschaft ihre Rechtspersönlichkeit, und alle ihre Vermögenswerte, Verbindlichkeiten und Vertragsverhältnisse bleiben unberührt. Ferner führt die Verlegung nicht zur Umgehung rechtlicher, sozialer und steuerlicher Bedingungen. Die Verlegung wird zum Zeitpunkt der Registrierung im Aufnahmemitgliedstaat wirksam. Ab dem Tag der Registrierung im Aufnahmemitgliedstaat gilt für die Gesellschaft das Recht dieses Staates.

Empfehlung 2 (unternehmensinternes Verlegungsverfahren)

Die Leitung bzw. das Leitungs- oder Verwaltungsorgan einer Gesellschaft, die eine Verlegung plant, ist verpflichtet, einen Verlegungsvorschlag zu formulieren. In diesem Vorschlag wird mindestens Folgendes behandelt:

Der Verlegungsvorschlag wird den Mitgliedern und Arbeitnehmervertretern der Gesellschaft innerhalb eines angemessenen Zeitraums vor dem Tag der Aktionärsversammlung der Gesellschaft zur Prüfung unterbreitet.

Eine Gesellschaft, die eine Verlegung plant, ist verpflichtet, gemäß dem geltenden innerstaatlichen Recht und im Einklang mit der Richtlinie 068/151/EWG1 zumindest folgende Angaben zu veröffentlichen:

Die Leitung bzw. das Leitungs- oder Verwaltungsorgan der Gesellschaft, die eine Verlegung plant, formuliert ferner einen Bericht, in dem die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte des Vorschlags erläutert und begründet und die Folgen für die Mitglieder, Gläubiger und Arbeitnehmer der Gesellschaft genannt werden, es sei denn, dies wurde anders vereinbart.

Empfehlung 3 (Verlegungsbeschluss der Aktionärsversammlung)

Die Aktionärsversammlung billigt den Verlegungsvorschlag gemäß den festgelegten Regelungen und mit der Mehrheit, die nach dem für die Gesellschaft in ihrem Herkunftsmitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften für eine Änderung der Satzung erforderlich ist.

Unterliegt die Gesellschaft der Arbeitnehmermitbestimmung, so kann die Aktionärsversammlung den Abschluss der Verlegung davon abhängig machen, dass sie die beschlossenen Regelungen für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ausdrücklich billigt.

Empfehlung 4 (administratives Verlegungsverfahren und Prüfung)

Der Herkunftsmitgliedstaat prüft gemäß seinen Rechtsvorschriften die Rechtmäßigkeit des Verlegungsverfahrens. Die vom Herkunftsmitgliedstaat benannte zuständige Behörde stellt eine Bescheinigung aus, in der abschließend festgestellt wird, dass sämtliche erforderlichen Rechtshandlungen und Förmlichkeiten vollzogen worden sind.

Die Bescheinigung, ein Exemplar der für die Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat vorgesehenen Satzung und ein Exemplar des Verlegungsvorschlags werden innerhalb eines angemessenen Zeitraums der für die Registrierung im Aufnahmemitgliedstaat zuständigen Stelle vorgelegt. Diese Dokumente reichen aus, um eine Registrierung der Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat zu ermöglichen. Die für die Registrierung im Aufnahmemitgliedstaat zuständige Behörde prüft, ob die inhaltlichen und formalen Bedingungen für die Verlegung des Sitzes erfüllt sind.

Die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaats meldet die Registrierung unverzüglich der entsprechenden Behörde im Herkunftsmitgliedstaat. Danach löscht der Herkunftsmitgliedstaat die Gesellschaft aus dem Register.

Die Eintragung im Aufnahmemitgliedstaat und die Streichung aus dem Register des Herkunftsmitgliedstaats sind bekannt zu machen. Mindestens folgende Angaben müssen bekannt gegeben werden:

Empfehlung 5 (Mitbestimmung der Arbeitnehmer)

Für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer gilt das Recht des Aufnahmemitgliedstaats.

Allerdings gilt das Recht des Aufnahmemitgliedstaats nicht:

In diesen Fällen sollten die Vorschriften von Artikel 16 der Richtlinie 2005/56/EG entsprechend Anwendung finden.

Empfehlung 6 (von der Verlegung betroffene Dritte)

Eine Gesellschaft, gegen die Verfahren zur Auflösung, Liquidation, Insolvenz oder Zahlungseinstellung oder sonstige ähnliche Verfahren anhängig sind, darf ihren eingetragenen Sitz innerhalb der Gemeinschaft nicht grenzüberschreitend verlegen.

Für die Zwecke laufender Gerichts- oder Verwaltungsverfahren, die vor der Verlegung des eingetragenen Sitzes eingeleitet wurden, wird die Gesellschaft so behandelt, als habe sie ihren eingetragenen Sitz im Herkunftsmitgliedstaat.