Empfehlungen der Ausschüsse
Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1313/2013/EU über ein Katastrophenschutzverfahren der Union - COM (2020) 220 final

992. Sitzung des Bundesrates am 3. Juli 2020

A

Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:

Zu den Kernelementen des Beschlussvorschlags merkt der Bundesrat Folgendes an:

8. Zu Artikel 7: Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen

Gemäß Artikel 7 des derzeit gültigen Beschlusses Nr. 1313/2013/EU ist das Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen (Emergency Response Coordination Centre, ERCC) eingerichtet worden, welches rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche einsatzbereit ist und den Mitgliedstaaten und der Kommission für die Verfolgung der Ziele des Unionsverfahrens zur Verfügung steht.

Dieser koordinierende Charakter des ERCC soll mit der vorgeschlagenen Neufassung erheblich ausgeweitet werden. Das Zentrum soll die Notfallmaßnahmen auf Unionsebene nicht nur koordinieren, sondern auch überwachen und Zugang zu operativen Kapazitäten sowie Analyse-, Überwachungs-, Informationsmanagement- und Kommunikationskapazitäten erhalten. Nach Ansicht des Bundesrates geht die beabsichtigte Änderung deutlich über den von der EU zu setzenden Rahmen hinaus. Eine operative Ausrichtung ist unverkennbar und tangiert damit Kernkompetenzen der Länder. Außerdem ist mangels Evaluierung des aktuellen Unionsverfahrens nicht belegt, dass Verbesserungen durch eine zentralisierte Steuerung notwendig seien oder erreicht werden könnten. Daher erweist sich dieser Eingriff der EU in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten als eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips.

9. Zu Artikel 10 und Artikel 6 Absatz 5: Katastrophenresilienzplanung (vormals "Planung der Maßnahmen") und Risikomanagement

Artikel 10 des Beschlusses 1313/ 2013/EU wurde weitestgehend umgestellt und verändert. In der bisher gültigen Fassung ist geregelt, dass die Planung der Maßnahmen zur Katastrophenbewältigung im Rahmen des Unionsverfahrens verbessert werden soll, unter anderem durch die Erstellung von Szenarien zur Katastrophenbewältigung auf der Grundlage von nationalen Risikobewertungen und einer Übersicht über bestimmte Risiken sowie durch die Kartierung von Einsatzmitteln und die Entwicklung von Plänen für die Entsendung von Bewältigungskapazitäten.

Die Neuformulierung aufgrund des Kommissionsvorschlags entfernt sich von der Planung der Maßnahmen, die im Fall einer Katastrophe zur konkreten Bewältigung ergriffen werden sollen, und will stattdessen ein System etablieren, das den Rahmen für sektorspezifische Vorsorgemaßnahmen über Gebühr in den Aufgabenbereich des Katastrophenschutzes verschiebt. Eine beabsichtigte "sektorübergreifende Resilienzplanung" soll sogenannte "Unionsziele für Katastrophenresilienz" gemäß Artikel 6 Absatz 5 des Beschlussvorschlags berücksichtigen, die von der Kommission festgelegt werden sollen, um "eine gemeinsame Ausgangsbasis für die Aufrechterhaltung systemrelevanter Funktionsbereiche der Gesellschaft angesichts der Kaskadeneffekte einer Katastrophe mit schwerwiegenden Auswirkungen und für die Gewährleistung des Funktionierens des Binnenmarkts" zu gewährleisten. Dazu soll der Kommission die Befugnis übertragen werden, erforderlichenfalls delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die Unionsziele für Katastrophenresilienz festzulegen.

Hierzu ist der Bundesrat der Ansicht, dass eine solchermaßen vorgesehene "Resilienzplanung" weitestgehend nicht mehr zu den Aufgaben des Katastrophenschutzes zählt, sondern in die Zuständigkeit anderer Fachbereiche fällt, insbesondere in die Ressorts Umwelt, Gesundheit, Wirtschaft und Energie. National wäre eine Umsetzung einer solchen Planung mithin über die entsprechenden Ressorts der Bundesregierung zu koordinieren.

Dem Beschlussvorschlag der Kommission fehlen Instrumente, die die Arbeiten und Erkenntnisse aus anderen Politikbereichen ihres eigenen Aufgabenfelds in die Resilienzplanung einbeziehen und eine Harmonisierung herstellen, um unnötige Bürokratie zu vermeiden. Denn in vielen Fachbereichen, wie zum Beispiel Umwelt, gibt es bereits sektorspezifische Berichts- und Vorsorgepflichten, die sich aus anderen europarechtlichen Regelungen ergeben, so zum Beispiel die Seveso-III-Richtlinie 2012/18/EU vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen. Das nationale Umsetzungsgesetz umfasste Änderungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sowie des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes. Die Störfall-Verordnung (12. Verordnung zum BImSchG) und die 9. BImSchV (Verordnung über das Genehmigungsverfahren) wurden ebenfalls neu gefasst. Daran lässt sich erkennen, wie wichtig es ist, dass eine genaue Zuordnung von Fachkompetenzen erfolgt und durch die beabsichtigte Neufassung des Unionsverfahrens nicht neue Berichtspflichten für Fachbehörden entstehen, die mit denen anderer Regelungswerke nicht abgestimmt sind. Eine Zentralisierung von Planungsmaßnahmen im Vorsorgebereich durch die Generaldirektion ECHO der Kommission liefe den an sich zuständigen Fachsträngen zuwider.

10. Zu Artikel 12: rescEU

Bereits im November 2017, als die Kommission den letzten Beschlussvorschlag zur Verabschiedung des derzeit gültigen Katastrophenschutzverfahrens der EU vorgelegt hatte, war die Schließung vermeintlicher Kapazitätslücken durch den Aufbau von rescEU vorgesehen: Durch den damaligen Beschlussvorschlag wäre die Kommission befähigt worden, selbst in den Bereichen der Waldbrandbekämpfung aus der Luft, der Bewältigung chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer Vorfälle und der medizinischen Notfallbewältigung Kapazitäten anzuschaffen und damit eigene Katastrophenschutzeinheiten aufzustellen, die im Fall der Überlastung nationaler Einheiten von der Kommission hätten entsandt werden können. Diese Planungen konnten sich seinerzeit in den Ratsverhandlungen allerdings nicht durchsetzen. Der Bundesrat hatte mit Stellungnahme vom 2. März 2018 frühzeitig darauf hingewiesen, dass die Errichtung eigener Ressourcen der Union die Grundlage eines Einstiegs in operative Kompetenzen darstelle und keinesfalls akzeptabel sei (vergleiche BR-Drucksache 757/17(B) HTML PDF ). Stattdessen wurde ein Kompromiss gefunden, demzufolge die rescEU-Kapazitäten durch die Mitgliedstaaten erworben, gemietet oder geleast werden (Löschflugzeuge zur Waldbrandbekämpfung, Hochleistungspumpen, städtische Suche und Rettung, Feldlazarett und notfallmedizinische Teams).

Zu diesem Zweck kann die Kommission derzeit den Mitgliedstaaten direkte Finanzhilfen gewähren (Ko-Finanzierungsquoten zwischen 80 Prozent bis 90 Prozent, maximal 100 Prozent für die Kapazitäten für die Bewältigung von Szenarien von geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber mit hoher Schadenswirkung). Erwirbt die Kommission rescEU-Kapazitäten im Namen der Mitgliedstaaten, so kommt das gemeinsame Beschaffungsverfahren zur Anwendung.

Mit Artikel 12 des Beschlussvorschlags wird nun erneut angestrebt, dass auch die Kommission selbst rescEU-Kapazitäten erwerben, mieten, leasen und/oder anderweitig beschaffen könnte. Zudem soll die Förderquote von 80 Prozent bis 90 Prozent abgeschafft, stattdessen soll die Anschaffung der rescEU-Kapazitäten durch die Mitgliedstaaten voll zu 100 Prozent von der EU finanziert werden. Gerade diese Finanzierung zu in den meisten Fällen maximal 90 Prozent war im letzten Verhandlungsverfahren im Rat von außerordentlicher Wichtigkeit zum Finden eines Kompromisses.

Die damit ersichtliche, erneut beabsichtigte Übertragung von Entscheidungs-, Durchführungs- und Finanzierungskompetenzen auf die EU-Ebene begegnet durchgreifenden Bedenken, weil die Kompetenzen der EU nach dem Vertrag von Lissabon weit überdehnt werden. Eine ganzheitliche Betrachtung des Beschlussvorschlags der Kommission zu Artikel 12 lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Kommission wieder versucht, eine Rollenverteilung vorzunehmen, die im bereits beschriebenen Regelungsgehalt und Normzweck des Artikels 196 AEUV keine Stütze findet.

Betrachtet man das Vorhaben "eigene Beschaffung durch die Kommission" mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität, ergeben sich aus Sicht des Bundesrates durchgreifende Zweifel daran, dass die EU durch den Einsatz eigener Kapazitäten Katastrophen effizienter bekämpfen könnte als die betroffenen Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung. In jedem Fall hat es die EU versäumt, einen entsprechenden Nachweis zu führen. Ein allgemeiner und pauschaler Verweis auf die aktuelle Pandemielage reicht keinesfalls aus. Es handelt sich dabei um eine Gesundheitslage und nicht um eine Katastrophenschutzlage. Das bedeutet, dass zur Vorbereitung einer besseren Bewältigungskompetenz im gesundheitsbehördlichen Bereich Änderungen durchgeführt werden müssen (Beschaffung, Prüfung und Lagerung von Schutzausrüstung; Aufstockung von Intensivbetten und Beatmungsgeräten; Schulung des Fachpersonals; Transport von medizinischen Gütern und so weiter): Bei einer Pandemievorsorgeplanung handelt es sich nicht um Katastrophenschutzmaßnahmen, sondern um eine fachgebundene Vorsorgepflicht. Dieser Grundsatz wird unter anderem richtigerweise in Erwägungsgrund 9 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. April 2020 aufgegriffen (Kapitel "Europäische Solidarität und Maßnahmen im Gesundheitswesen"), um besser auf jegliche Arten von Gesundheits- oder Sanitärkrisen auf Unionsebene vorbereitet zu sein und diese besser gemeinsam koordinieren zu können.

Die Heranziehung einer einzelnen, wenn auch sehr gravierenden Krisenlage wie der Coronakrise ist trotz des schwerwiegenden Verlaufs nicht geeignet, einseitig das europäische Katastrophenschutzverfahren als Ganzes zu vergemeinschaften. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das System, welches nach intensiven Verhandlungen im März 2019 verabschiedet wurde und sich im Moment noch in der Aufbauphase befindet, für andere Krisenszenarien nicht ausreichend wäre. So wurde die Flotte von rescEU-Löschhubschraubern und Löschflugzeugen in kürzester Zeit sukzessive und nachhaltig aufgebaut: Es gibt mittlerweile 16 kofinanzierte Löschflugzeuge und sechs Löschhubschrauber in der EU als rescEU-Kapazitäten. Einen Beleg für ein Versagen auf der Ebene der Mitgliedstaaten für alle denkbaren Katastrophenfälle hat die Kommission nicht dargelegt. An einer tragfähigen, mit abgesicherten Erkenntnissen angereicherten Bewertungsgrundlage fehlt es. Den Erfordernissen des Subsidiaritätsprinzips als allgemeines Handlungsprinzip der EU - getragen letztlich von der Zielsetzung, Entscheidungen in der EU möglichst bürgernah zu treffen - wird hier nach Überzeugung des Bundesrates durch den vorgelegten Kommissionsvorschlag nicht ausreichend Rechnung getragen.

Auch hat der Bundesrat die Sorge, dass rescEU-Kapazitäten der Kommission oder die Vollfinanzierung durch die EU in den Mitgliedstaaten ein falsches Signal setzen und dazu führen könnten, dass die zwingend erforderlichen eigenen Anstrengungen zum Aufbau notwendiger Ressourcen vernachlässigt oder gar unterlassen werden könnten.

B