Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Gegen unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette - COM (2014) 472 final

Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet.

Hinweis: vgl.
Drucksache 824/09 (PDF) = AE-Nr. 090918 und
Drucksache 059/13 (PDF) = AE-Nr. 130070

Straßburg, den 15.7.2014
COM (2014) 472 final

1. Einleitung

Die Lebensmittelversorgungskette gewährleistet die Versorgung der Allgemeinbevölkerung mit Lebensmitteln und Getränken für den persönlichen oder häuslichen Gebrauch. Alle Verbraucher in der EU sind täglich auf sie angewiesen und ein erheblicher Teil des durchschnittlichen Haushaltsbudgets entfällt auf diese Produkte.1 Bevor ein Produkt zum Verbraucher gelangt, tragen zahlreiche Marktteilnehmer (Produzenten, Verarbeiter, Einzelhändler etc.) zu seiner Wertschöpfung bei und nehmen Einfluss auf den vom Endverbraucher zu zahlenden Preis. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Binnenmarkt den Akteuren entlang der Lebensmittelversorgungskette enorme Vorteile gebracht. Sowohl große als auch kleine Lieferanten und Einzelhändler verfügen heute über mehr Marktchancen und einen größeren Kundenstamm. Rund 20 % der gesamten Lebensmittel- und Getränkeproduktion in der EU sind inzwischen für den grenzüberschreitenden Handel zwischen EU-Mitgliedstaaten bestimmt und mindestens 70 % aller Agrar- und Lebensmittelexporte aus den EU-Mitgliedstaaten gehen an andere Mitgliedstaaten.2 Daher kann eine im gesamten EU-Raum gut funktionierende und leistungsstarke Lebensmittelversorgungskette entscheidend zum Binnenmarkt beitragen.

In den vergangenen Jahrzehnten haben jedoch bestimmte Entwicklungen, wie die verstärkte Konzentration und vertikale Integration von Marktteilnehmern in der gesamten EU, zu strukturellen Veränderungen in der Lebensmittelversorgungskette geführt. Diese Entwicklungen haben zu sehr unterschiedlichen Verhandlungspositionen und zu wirtschaftlichen Ungleichgewichten in einzelnen Handelsbeziehungen zwischen den Akteuren entlang der Kette beigetragen. Obwohl asymmetrische Verhandlungspositionen in Wirtschaftsbeziehungen üblich und legitim sind, kann der Missbrauch solcher Ungleichgewichte mitunter zu unlauteren Handelspraktiken führen.3

Unlautere Handelspraktiken können allgemein als Praktiken definiert werden, die gröblich von der guten Handelspraxis abweichen, gegen das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs verstoßen und einem Handelspartner einseitig von einem anderen aufgezwungen werden.

Diese Mitteilung sieht weder Regulierungsmaßnahmen auf EU-Ebene noch eine einheitliche

Vorgehensweise gegen unlautere Handelspraktiken vor. Vielmehr sollen Interessenvertreter und Mitgliedstaaten ermutigt werden, solche Praktiken auf angemessene und verhältnismäßige Weise und unter Berücksichtigung nationaler Gegebenheiten und bewährter Verfahren einzudämmen. Ferner sollen die Akteure entlang der europäischen Lebensmittelversorgungskette ermutigt werden, sich freiwilligen Regelungen anzuschließen, die darauf abzielen, bewährte Verfahren zu fördern und das Auftreten unlauterer Handelspraktiken zu verringern. Darüber hinaus hebt diese Mitteilung die Wichtigkeit effektiver Abhilfemaßnahmen hervor. Die Kommission wird dabei weiter eng mit den Mitgliedstaaten und relevanten Interessengruppen zusammenarbeiten; alle Beteiligten werden ihren Beitrag zur Beseitigung unlauterer Praktiken leisten müssen.

2. Hintergrund

Auch wenn sich ihr volles Ausmaß und ihr Umfang nur schwer erfassen lassen, wird das Problem unlauterer Handelspraktiken von allen Interessenvertretern entlang der Lebensmittelversorgungskette anerkannt. Eine Reihe von Umfragen zeigen, dass unlautere Praktiken zumindest in einigen Bereichen der Versorgungskette relativ häufig auftreten. So gaben bei einer EU-weiten Umfrage unter Lieferanten in der Lebensmittelversorgungskette gaben 96 % der Befragten an, dass sie schon mindestens einer Form von unlauteren Handelspraktiken ausgesetzt waren.4 Auch auf nationaler Ebene wurden Umfragen durchgeführt. Laut eines Berichts der spanischen Wettbewerbsbehörde über die Handelsbeziehungen zwischen Erzeugern und Einzelhändlern im Lebensmittelsektor gaben 56 % der befragten Lieferanten an, dass nachträgliche Änderungen von Vertragsklauseln häufig oder gelegentlich vorkommen.5 Eine Umfrage der italienischen Wettbewerbsbehörde zeigt, dass 57 % der Produzenten einseitige nachträgliche Änderungen häufig oder immer akzeptieren, da sie im Fall einer Ablehnung kommerzielle Vergeltungsmaßnahmen fürchten.6

Unlautere Handelspraktiken können vor allem KMU in der Lebensmittelversorgungskette schädigen.7 Sie können deren Fähigkeit beeinträchtigen, sich am Markt zu behaupten, neue Finanzinvestitionen in Produkte und Technologien zu tätigen und ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten im Binnenmarkt auszuweiten. Auch wenn sich die Gesamtauswirkungen unlauterer Handelspraktiken auf den Markt quantitativ nur schwer vollständig erfassen lassen, stehen die negativen Folgen solcher Praktiken für diese Markteilnehmer doch außer Frage. In der oben genannten EU-weiten Umfrage bestätigten 83 % der Befragten, die unlauteren Handelspraktiken ausgesetzt waren, dass diese Praktiken zu höheren Kosten führen, und 77 % gaben an, dass sie Einnahmeeinbußen bedeuten. Darüber hinaus könnten auch indirekte Auswirkungen entlang der Versorgungskette eine Rolle spielen, und zwar insbesondere, wenn KMU von vornherein vom Aufbau von Handelsbeziehungen absehen, da das Risiko besteht, dass ihnen unlautere Handelspraktiken aufgezwungen werden.

Die neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)8 und die neue Gemeinsame Fischereipolitik (GFP)9 stärken die Position der Erzeuger in der Versorgungskette gegenüber nachgelagerten Akteuren, da sie insbesondere die Gründung und Stärkung von Erzeugerorganisationen fördert. Auch die neue einheitliche gemeinsame Marktorganisation enthält Elemente, die in einigen ausgewählten Sektoren (Milch, Olivenöl, Rind- und Kalbfleisch, Feldkulturen) die ungleichen Verhandlungspositionen zwischen Landwirten und anderen Parteien in der Lebensmittelversorgungskette beseitigen sollen. Im Rahmen der neuen Bestimmungen haben die Mitgliedstaaten außerdem die Möglichkeit, in anderen Agrarsektoren verbindliche schriftliche Verträge vorzuschreiben, die Schutzmaßnahmen unterliegen, sodass die ordnungsgemäße Funktionsweise des Binnenmarktes nicht durch die Vertragsklauseln beeinträchtigt wird. Die GAP-Reform soll insbesondere durch die neue einheitliche gemeinsame Marktorganisation dazu beitragen, ungleiche Verhandlungspositionen zwischen Landwirten und anderen Parteien in der Lebensmittelversorgungskette zu beseitigen.

Eine Reihe von Mitgliedstaaten haben auf nationaler Ebene Maßnahmen gegen diese Praktiken ergriffen und dabei sehr unterschiedliche Ansätze gewählt; einige basieren auf rechtlichen Bestimmungen, andere auf Selbstregulierungsplattformen für Marktteilnehmer. Wenn Regelungen bestehen, unterscheiden sie sich in Art, Umfang und rechtlicher Ausgestaltung des Schutzes vor unlauteren Handelspraktiken.

Auch die Interessengruppen im Hochrangigen Forum für die Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette, das 2010 von der Kommission gegründet wurde10, haben anerkannt, dass schädliche Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette bestehen. Da die Notwendigkeit erkannt wurde, das Problem auf europäischer Ebene anzugehen, wurde von den Interessengruppen ein Selbstregulierungsrahmen (die "Supply Chain Initiative") geschaffen, der von der Kommission begrüßt wurde und der nach neun Monaten von Unternehmen im Einzelhandel, Großhandel und in der Produktion sowie von einigen KMU gut angenommen wird. Bestimmte Interessengruppen - nämlich Landwirte und die fleischverarbeitende Industrie - sind dem Rahmen auf EU-Ebene jedoch nicht beigetreten. Während Landwirte in einigen Mitgliedstaaten11 in nationalen Plattformen vertreten sind, sind bislang nur vier landwirtschaftliche Betriebe dem Rahmen auf EU-Ebene beigetreten. Darüber hinaus ist der Rahmen nur für jene Unternehmen bindend, die sich ihm freiwillig angeschlossen haben.

Dies hat dazu geführt, dass heute in der EU eine Vielzahl divergierender Ansätze verfolgt wird, um gegen unlautere Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette vorzugehen.

Die potenziellen Vorteile einer Eindämmung dieser Praktiken könnten insbesondere für KMU und Kleinstunternehmen erheblich sein, da diese eher unlauteren Praktiken und deren Folgen ausgesetzt sind als Großunternehmen. Darüber hinaus könnten sich in der EU angewandte unlautere Praktiken auch direkt oder indirekt auf Produzenten und Unternehmen außerhalb der EU, auch in Entwicklungsländern, auswirken.

In diesem Zusammenhang soll die vorliegende Mitteilung zu fairen und nachhaltigen Handelsbeziehungen und gleichen Bedingungen für alle Marktteilnehmer in der Lebensmittelversorgungskette beitragen und helfen, die schädlichen Auswirkungen und möglichen grenzüberschreitenden Hürden, die durch unlautere Handelspraktiken verursacht werden, insbesondere für KMU abzubauen.

3. Probleme INFOLGE unlauterer Handelspraktiken

Die möglichen Folgen unlauterer Handelspraktiken auf Ebene der EU geben nicht nur der Kommission, sondern auch dem Europäischen Parlament Anlass zur Sorge. Im Januar 2012 hat das Parlament eine Entschließung12 angenommen, in der die Europäische Dimension der Ungleichgewichte in der Lebensmittelversorgungskette, die sich in unlauteren Praktiken niederschlagen können, hervorgehoben wird. Die Entschließung enthält eine Liste bestimmter Praktiken, die dem Parlament zufolge speziellen Regeln, Aufsichtsmaßnahmen und Sanktionen unterworfen werden sollen.

Für ein besseres Verständnis des Problems hat die Kommission im Januar 2013 ein Grünbuch über unlautere Handelspraktiken13 veröffentlicht, um zu erkunden, wie die Interessengruppen unlautere Praktiken in der Lebensmittel- und Nicht-Lebensmittelversorgungskette beurteilen, und Möglichkeiten zu ihrer Eindämmung aufzuzeigen. In der anschließenden öffentlichen Konsultation konnten folgende wichtige Erkenntnisse gewonnen werden:

4. die VIELFALT der Massnahmen gegen unlautere PRAKTIKEN in der EU

4.1. Uneinheitliches Vorgehen gegen unlautere Praktiken

Der aktuelle Regulierungsrahmen auf EU-Ebene enthält einige Bestimmungen, um bis zu einem gewissen Grad gegen unlautere Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette

Bei der Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken verfolgen die einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Ansätze. Einige Länder haben Regulierungsmaßnahmen verabschiedet, doch viele andere haben sich für Selbstregulierungsrahmen entschieden oder gehen nicht speziell gegen unlautere Praktiken in Versorgungsketten vor, sondern berufen sich stattdessen auf allgemeine Prinzipien. Die Mitgliedstaaten, die diese Praktiken mit Regulierungsmaßnahmen zu unterbinden versuchen, haben spezielle Regelungen für Geschäfte zwischen Unternehmen eingeführt, ihr nationales Wettbewerbsrecht ergänzt, oder den Anwendungsbereich der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken 19 auf B2BGeschäftsbeziehungen ausgeweitet. Einige Mitgliedstaaten, die ursprünglich mithilfe von freiwilligen Maßnahmen gegen unlautere Praktiken vorgehen wollten, haben sich schließlich für den Erlass entsprechender Rechtsvorschriften entschieden.

Diese unterschiedlichen Ansätze führen dazu, dass Umfang und Art des Schutzes vor unlauteren Handelspraktiken sowie möglicherweise vorhandene Durchsetzungsmechanismen davon abhängen, wo das Unternehmen mit der starken Verhandlungsposition, das die unlauteren Praktiken anwendet, ansässig ist. Dies könnte zu Problemen führen, da immer häufiger länderübergreifende Einkäufe getätigt werden. In den Rückmeldungen öffentlicher Stellen im Rahmen der Konsultationen zum Grünbuch wurde auch von vereinzelten Fällen von "Forum Shopping" berichtet. Dabei legt die stärkere Verhandlungspartei einseitig fest, in welchem Mitgliedstaat und damit nach welchem Recht der Vertrag Anwendung findet, um strengere nationale Bestimmungen gegen unlautere Handelspraktiken zu umgehen. Auf dieses Problem haben fünf Mitgliedstaaten ausdrücklich im Rahmen der öffentlichen Konsultation und während Gesprächen in verschiedenen von der Kommission organisierten Foren für Interessengruppen hingewiesen.

4.2. Durchsetzung

Jede Partei, die unlauteren Handelspraktiken ausgesetzt ist, kann prinzipiell im Rahmen des Zivilrechts gerichtlich gegen missbräuchliche Vertragsklauseln vorgehen. Einige Interessengruppen, und vor allem KMU, sind sich jedoch einig, dass ein Gerichtsverfahren in der Praxis oft kein geeignetes Mittel zur Abwendung unlauterer Praktiken darstellt. Zum Einen sind Gerichtsverfahren im Allgemeinen kosten- und zeitaufwändig. Zum Anderen - und das ist vermutlich noch wichtiger - befürchtet der schwächere Geschäftspartner in der Lebensmittelversorgungskette (zumeist ein KMU) in vielen Fällen, dass die stärkere Partei die Geschäftsbeziehungen beendet, wenn ein Verfahren angestrengt wird (der "Faktor Angst"). Dies kann die Partei, der unlautere Praktiken aufgezwungen werden, von rechtlichen Schritten abhalten, was wiederum zu keine wirksame Abschreckung für den Handelspartner bedeutet, der diese Praktiken anwendet.

Vor diesem Hintergrund haben manche Mitgliedstaaten andere Rechtsdurchsetzungsmechanismen eingerichtet, um gegen unlautere Praktiken in vertikalen Versorgungsketten vorzugehen. Einige Mitgliedstaaten haben eine zuständige Behörde ernannt, die von den betroffenen Marktteilnehmern unabhängig ist, und andere Länder beraten derzeit über mögliche Reformen in diese Richtung.

In manchen Fällen wurde der nationalen Wettbewerbsbehörde die Aufgabe übertragen, die Bestimmungen gegen missbräuchliches Verhalten gegenüber wirtschaftlich abhängigen Unternehmen und/oder Missbrauch einer stärkeren Verhandlungsposition durchzusetzen. Es gibt jedoch auch Beispiele von Mitgliedstaaten, die andere vorhandene Behörden (z.B. Behörden, die für Lebensmittelfragen oder Verbraucherschutz verantwortlich sind) mit dieser Befugnis ausgestattet oder neue Verwaltungsbehörden zur Durchsetzung der Bestimmungen gegen unlautere Praktiken eingerichtet haben. Zahlreiche diese Behörden können Untersuchungen durchführen und sie nehmen Beschwerden in aller Regel vertraulich entgegen.

In manchen Mitgliedstaaten haben Interessenvertreter freiwillige Streitbeilegungsmechanismen geschaffen, um Streitfälle möglichst außergerichtlich zu schlichten. In anderen Fälle wurde ein "gemischter Ansatz", bestehend aus freiwilligen Vereinbarungen ergänzt durch behördliche Durchsetzungsmechanismen, beibehalten.

Landwirte und kleine und mittlere Lieferanten weisen darauf hin, dass eine unabhängige Verwaltungsbehörde erforderlich wäre, die befugt ist, Ermittlungen einzuleiten und vertrauliche Beschwerden über mutmaßliche unlautere Handelspraktiken entgegenzunehmen, um dem Faktor Angst zu begegnen. Die meisten dieser Interessenvertreter fordern die Schaffung einer unabhängigen Durchsetzungsbehörde auf nationaler Ebene, da eine wirksame Durchsetzung entscheidend zur Verringerung unlauterer Handelspraktiken beitragen würde.

Andere Marktteilnehmer sind der Meinung, dass zuerst die Anwendung freiwilliger Rahmen und Selbstregulierungsmaßnahmen geprüft werden sollte. Sollten sich solche Modelle zur Eindämmung der Praktiken als unwirksam erweisen, könnte eine unabhängige Behörde in Betracht gezogen werden.

4.3. Die Supply Chain Initiative

Die Supply Chain Initiative ist im Rahmen des von der Kommission gegründeten Hochrangigen Forums für die Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette entstanden, das sich aus nationalen Behörden und wichtigen Interessenvertretern der Lieferanten und Einzelhändler im Lebensmittelsektor auf EU-Ebene zusammensetzt. Im November 2011 einigten sich alle Marktrepräsentanten der Forum-Arbeitsgruppe "unlautere Handelspraktiken" auf gemeinsame Grundsätze für vorbildliche Verfahren in vertikalen Beziehungen in der Lebensmittelversorgungskette.20 Zu diesen Grundsätzen zählen: Vorhersehbarkeit von Änderungen der Vertragsbedingungen, Verantwortung für eigenes unternehmerisches Risiko und Gerechtfertigte Forderungen und Entgelte.

In einem zweiten Schritt wurde im September 2013 ein freiwilliger Rahmen für die Umsetzung dieser Grundsätze für vorbildliche Verfahren21 (die Supply Chain Initiative) geschaffen. Unternehmen können der Supply Chain Initiative beitreten, sobald sie geprüft haben, ob sie deren Grundsätze einhalten. Streitigkeiten können in diesem Rahmen unter bestimmten Voraussetzungen mithilfe von Streitbeilegungsverfahren, Vermittlung und Schlichtung beigelegt werden. Um unlauteren Handelspraktiken vorzubeugen, werden innerhalb dieses Rahmens vor allem organisatorische Anforderungen an die Unternehmen gestellt, wie etwa Mitarbeiterfortbildungen und die Fähigkeit des Unternehmens, in diesem Rahmen an den vorgesehenen Streitschlichtungsmechanismen teilzunehmen. Verstöße gegen diese organisatorischen Anforderungen können zu einem Ausschluss des betroffenen Unternehmens aus der Initiative führen. Im Rahmen der Initiative müssen die Mitglieder gewährleisten, dass schwächere Parteien, die auf Streitschlichtungsmechanismen zurückgreifen, keine kommerziellen Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten haben.

Koordiniert wird die Initiative von einer Governance-Gruppe bestehend aus verschiedenen Interessenverbänden, die die Akteure in der Lebensmittelversorgungskette vertreten. Neun Monate nach dem Start haben sich der Initiative bislang 98 Verbände und Unternehmen aus dem Einzelhandel, dem Großhandel und dem Produktionssektor angeschlossen, die 736 Unternehmen aus allen EU-Mitgliedstaaten vertreten, und die Zahl der KMU, die sich registrieren, nimmt stetig zu. Doch haben sich nicht alle wichtigen Interessenverbände der Initiative angeschlossen. Insbesondere die Vertreter der Primärerzeuger (z.B. Landwirte) und der fleischverarbeitenden Industrie haben sich gegen die Teilnahme an der Gruppe auf EU-Ebene entschieden. Obwohl sie mit den Grundsätzen übereinstimmen, bemängeln diese Interessenverbände das Fehlen unabhängiger und wirksamer Durchsetzungsinstrumente innerhalb der Supply Chain Initiative. Einige dieser Verbände nehmen jedoch auf nationaler Ebene Teil.

Die betroffenen Verbände sind der Meinung, dass die Supply Chain Initiative den zuvor genannten Faktor Angst für wirtschaftlich abhängige Handelspartner nicht ausreichend beseitigen kann, und zwar vor allem, da ein Unternehmen, das unlauteren Praktiken ausgesetzt ist, nicht die Möglichkeit einer vertraulichen Beschwerde hat. Im freiwilligen Rahmen werden nur Sammelbeschwerden vertraulich behandelt, in denen Interessenverbände die Möglichkeit haben, eine Auslegung der Grundsätze durch die Governance-Gruppe einzufordern, und der Zugang zu Streitbeilegungsmechanismen erfordert die Zustimmung beider Vertragsparteien. Die Initiative sieht auch keine Untersuchungen oder Sanktionen für den Fall vor, dass Unternehmen die Grundsätze für vorbildliche Verfahren missachten.

Im Rahmen einer Selbstregulierungsinitiative können natürlich nur bedingt Streitbeilegungsmechanismen zur Verfügung gestellt werden. Würden die Mitgliedstaaten, die derzeit über keine entsprechenden Vorkehrungen verfügen, die Supply Chain Initiative durch unabhängige Durchsetzungsmaßnahmen ergänzen, könnte die Wirksamkeit der Initiative erhöht und der Hauptgrund für Interessenverbände, sich der Initiative nicht anzuschließen, beseitigt werden.

In diesem Zusammenhang hat das Europäische Parlament im Dezember 2013 einen Initiativbericht über Fragen des Einzelhandels angenommen, der die Grundsätze und den Rahmen der Supply Chain Initiative unterstützt, die Kommission aber gleichzeitig auffordert zu prüfen, ob unabhängige Durchsetzungsmechanismen zur Eindämmung der zuvor genannten Angst kleinerer Akteure in der Versorgungskette notwendig und umsetzbar sind.22

5. eine wirksame Strategie gegen unlautere Handelspraktiken

5.1. Beteiligung aller Marktteilnehmer an der Supply Chain Initiative

Freiwillige Verhaltenskodizes sind ein wichtiger Eckpfeiler bei der Schaffung einer Atmosphäre, in der Unternehmen faire und nachhaltige Geschäftsbeziehungen miteinander pflegen. Sie können wirkungsvoll dazu beitragen, dass Unternehmen ihre Denkweise, Verhandlungsansätze und Schlichtungsmechanismen anpassen, sodass unlautere Handelspraktiken eingedämmt oder idealerweise beseitigt werden. Darüber hinaus können freiwillige Kodizes Streitbeilegungsverfahren zwischen zwei Parteien in einer vertikalen Geschäftsbeziehung vorsehen, die häufig zur Vermeidung langwieriger rechtlicher Schritte beitragen können. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Supply Chain Initiative ein außerordentlich wichtiger Schritt hin zur Beseitigung unlauterer Handelspraktiken. Wenn im Rahmen der Initiative nationale Plattformen eingerichtet werden, können ihre positiven Auswirkungen weiter verstärkt werden.

Vorschlag für weiteres Vorgehen:

5.2. Grundsätze für vorbildliche Verfahren

Die Mitgliedstaaten, die auf nationaler Ebene bereits Maßnahmen gegen unlautere Handelspraktiken ergriffen haben, haben dafür unterschiedliche Ansätze gewählt und selbst unlautere Praktiken unterschiedlich definiert. Die Definitionen reichen dabei von ausgesprochen allgemeinen Beschreibungen bis hin zu detaillierten Listen verbotener Praktiken. Es gibt jedoch auch einige Mitgliedstaaten, die keinerlei Maßnahmen gegen diese Praktiken getroffen haben. Um unlautere Handelspraktiken EU-weit und vor allem grenzübergreifend wirksam zu bekämpfen, wäre ein gemeinsames Verständnis der dazu notwendigen Bestimmungen von Vorteil.

Die Supply Chain Initiative liefert keine genaue Definition unlauterer Handelspraktiken, sondern stellt eine Liste von Grundsätzen für vorbildliche Verfahren und Beispiele fairer und unfairer Praktiken zur Verfügung. Diese Grundsätze wurden im Hochrangigen Forum von allen wichtigen Interessenverbänden der EU in der vertikalen Lebensmittelversorgungskette gemeinsam beschlossen.

Daher stellen sie eine geeignete Grundlage für die Ermittlung der unlauteren Handelspraktiken dar, gegen die mögliche Initiativen vorgehen könnten. Sind die unlauteren Praktiken ermittelt, können im Gegenzug Grundsätze formuliert werden, um gegen diese vorzugehen. Bei der Anwendung solcher Grundsätze müssen die Wirtschaftsbeteiligten auch gewährleisten, dass sie alle relevanten geltenden Bestimmungen, inklusive der Wettbewerbsregeln auf nationaler und/oder EU-Ebene, einhalten.

Die im Hochrangigen Forum erarbeiteten und von der Supply Chain Initiative übernommenen Grundsätze lauten:

Vorschlag für weiteres Vorgehen:

Zu diesem Zweck sollten die Mitgliedstaaten bewerten, ob sich ihre Regulierungsrahmen auf eine Liste von Praktiken oder eine allgemeine Bestimmung stützen könnten, die eine Bekämpfung möglicher Verstöße gegen die zuvor genannten Grundsätze ermöglicht.

5.3. Gewährleistung einer wirksamen Durchsetzung auf nationaler Ebene

Um Unternehmen wirksam von der Anwendung unlauterer Handelspraktiken abzuschrecken, sind angemessene Durchsetzungsmechanismen erforderlich.

Wenn der schwächere Handelspartner wirtschaftlich von seinem stärkeren Geschäftspartner abhängig ist, wird er eher vor einem Gerichtsverfahren oder der Inanspruchnahme freiwilliger Streitschlichtungsmechanismen, um gegen unlautere Praktiken vorzugehen, zurückschrecken. Zudem gibt es Situationen, in denen Handelspartner wirtschaftlich abhängig sind. Eine Studie der spanischen Wettbewerbskommission 23 zeigt etwa, dass im Jahr 2010 durchschnittlich knapp 40 % der Einnahmen aller Erzeuger in der Lebensmittelversorgungskette auf nur drei Einzelhändler zurückzuführen waren. In extremen Fällen wirtschaftlicher Abhängigkeit hängt die gesamte Überlebensfähigkeit eines Unternehmens im Ein- oder Verkauf von einzelnen Handelsbeziehungen ab. In Fällen, in denen unlautere Praktiken aus Angst, einen Vertragspartner zu verlieren, nicht angezeigt werden, können Rahmenregelungen gegen unlautere Praktiken entscheidend gestärkt werden, indem den schwächeren Parteien die Möglichkeit gegeben wird, sich an unabhängige Behörden oder Stellen mit Durchsetzungsbefugnissen zu wenden, und die Vertraulichkeit ihrer Beschwerde geschützt wird.

Vorschlag für weiteres Vorgehen:

5.4. Mögliche Kosten und Nutzen einer Eindämmung unlauterer Handelspraktiken

Die Beseitigung oder zumindest Eindämmung unlauterer Handelspraktiken könnte mit einem erheblichen Einsparungspotenzial verbunden sein. Bei der Ermittlung der möglichen Kosten und Nutzen zeigt sich, dass diese sich auf mehreren Ebenen auswirken können. Die möglichen Vorteile der Bekämpfung unlauterer Praktiken für einzelne Handelsbeziehungen zwischen zwei Parteien sind weitgehend offensichtlich.

Unlautere Praktiken bedeuten für die Unternehmen, denen sie aufgezwungen werden, oft unmittelbare finanzielle Nachteile. Des Weiteren könnte ein unvorhersehbares Verhalten von Handelspartnern, die ihre überlegene Verhandlungsposition missbrauchen, zum Verlust wirtschaftlicher Effizienz führen. Unvorhersehbarkeit könnte z.B. ein Anlass für geringere Investitionen oder Über-/Unterproduktion sein und das Risiko von einseitigen und unvorhergesehenen Änderungen der Vertragsbedingungen könnte erhöhte Transaktionskosten nach sich ziehen. Daher könnten nachhaltigere Handelsbeziehungen in der Lebensmittelversorgungskette einen erheblichen Nutzen mit sich bringen, der möglicherweise über die direkten Vorteile und finanziellen Erleichterungen für Unternehmen, die solchen Praktiken ausgesetzt waren, hinausgeht. Die in dieser Mitteilung vorgeschlagenen Mechanismen könnten auch dazu dienen, die Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken auf schwächere Parteien in Drittländern und Entwicklungsländern abzumildern.

Für den Markt als Ganzen gestaltet sich die Bewertung der Konsequenzen unlauterer Praktiken und der positiven Auswirkungen ihrer möglichen Eindämmung oder Beseitigung schwieriger. Was die möglichen Auswirkungen auf die Verbraucher betrifft, so gibt es keine Anzeichen für negative Auswirkungen auf die Verbraucherpreise 24 in den Mitgliedstaaten, die unlautere Handelspraktiken regulieren und in denen öffentliche Stellen Maßnahmen gegen missbräuchliches Verhalten in Handelsbeziehungen zwischen Unternehmen treffen. Wo sich unlautere Praktiken negativ auf die Produktauswahl, Verfügbarkeit und Qualität auswirken könnten, wäre ihre Eindämmung oder Beseitigung auch für den Verbraucher von Vorteil.

Was den Kostenfaktor betrifft, würden sich für Unternehmen, die der Supply Chain Initiative oder ähnlichen nationalen Rahmenregelungen bereits beigetreten sind oder dies planen, keine weiteren Kosten ergeben. Der vorgeschlagene Ansatz würde auch für die Mitgliedstaaten, deren geltender Rahmen die oben genannten Kriterien erfüllt, keine Kosten mit sich bringen. Für die Mitgliedstaaten, die ihren Regulierungsrahmen entsprechend anpassen möchten, hängen die Kosten der Umsetzung davon ab, ob ein vorhandener Mechanismus für diese Zwecke genutzt wird oder neue verfahrenstechnische bzw. organisatorische Vorkehrungen getroffen werden.

6. Schlussfolgerungen

Die zwischen den Marktteilnehmern in der Lebensmittelversorgungskette angewandten Handelspraktiken sind großteils für beide Parteien fair und nachhaltig. Dennoch sind sich Interessengruppen entlang der gesamten Versorgungskette einig, dass durchaus unlautere Handelspraktiken bestehen, und vor allem KMU beklagen, dass solche Praktiken relativ häufig vorkommen und sich nachteilig auf ihre Finanzkraft und ihre Fähigkeit, Geschäfte zu tätigen, auswirken. Die Konsultationen im Rahmen des Grünbuchs, Begleitstudien und einige neuere nationale Initiativen deuten darauf hin, dass ein "gemischter Ansatz", bestehend aus freiwilligen Vereinbarungen ergänzt durch glaubwürdige und effektive Durchsetzungsmechanismen, die auf vergleichbaren Grundsätzen basieren, ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken darstellen könnte. Gäbe es eine wirksame Abschreckung, könnten freiwillige Initiativen wie die Supply Chain Initiative in erster Linie dazu dienen, Streitigkeiten zwischen Handelspartnern beizulegen; öffentliche Durchsetzungsmechanismen und Gerichtsverfahren müssten nur genutzt werden, wenn die effizientere und schnellere Alternative einer Lösung im beidseitigem Einvernehmen nicht umsetzbar ist. Daher würden die Vorschläge dieser Mitteilung die Supply Chain Initiative nicht nur erweitern, sondern auch stärken, da sie für Interessenverbände, die bisher aufgrund der mangelnden Durchsetzungsmechanismen von einer Teilnahme abgesehen haben, attraktiver wäre.

Um die durch unlautere Handelspraktiken verursachten Probleme anzugehen, schlägt die Kommission vor, freiwillige Initiativen und Regulierungsrahmen zu kombinieren, die unlauteren Praktiken zu ermitteln und Grundsätze für ihre Eindämmung zu erarbeiten, wobei die unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten und Ansätze berücksichtigt werden sollten. Während einige Mitgliedstaaten spezielle Bestimmungen verabschiedet haben, vertrauen andere auf allgemeine Rechtsgrundsätze und/oder auf Selbstregulierungsinitiativen. Wenn die Mitgliedstaaten über die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen entscheiden, sollten sie, im Einklang mit dieser Mitteilung und bewährten Verfahren in anderen Mitgliedstaaten, verhältnismäßig vorgehen und mögliche Auswirkungen auf Interessengruppen und Verbraucher berücksichtigen. Auf Ebene der Kommission haben die vorgeschlagenen Maßnahmen keine über die bereits in der offiziellen Planung für die kommenden Jahre vorgesehenen Ausgaben hinausgehenden Auswirkungen auf den Haushalt.

Die Kommission wird die erzielten Fortschritte verfolgen und prüfen, indem sie

(ii) die Durchsetzungsmechanismen der Mitgliedstaaten bewertet, um das Vertrauen aller Beteiligten in das ordnungsgemäße Funktionieren der Lebensmittelversorgungskette zu erhöhen.

Die Kommission wird dem Rat und dem Europäischen Parlament Ende 2015 einen Bericht vorlegen. Auf der Grundlage dieses Berichts wird die Kommission entscheiden, ob weitere Maßnahmen auf Ebene der EU erforderlich sind, um die beschriebenen Herausforderungen anzugehen.