Empfehlungen der Ausschüsse
Erste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung

948. Sitzung des Bundesrates am 23. September 2016

A

Der federführende Verkehrsausschuss (Vk) und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) empfehlen dem Bunderat, der Verordnung gemäß Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes nach Maßgabe folgender Änderungen zuzustimmen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b (§ 2 Absatz 5 Satz 1

In Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b ist in § 2 Absatz 5 nach Satz 1 folgender Satz 1a einzufügen:

"Ist ein baulich von der Fahrbahn getrennter Radweg vorhanden, so dürfen abweichend von Satz 1 Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr auch diesen Radweg benutzen."

Begründung:

Durch die Änderungen soll das gelebte und dauerhaft verkehrssichere Verhalten auch rechtlich abgesichert werden. Kinder nutzen auch in jungen Jahren Radwege. Die Benutzung von Radwegen ist auch für Kinder verkehrssicher. Es ist den Fußgängern nicht vermittelbar, wenn Kinder und gegebenenfalls auch deren Aufsichtspersonen neben dem Radweg auf dem Gehweg fahren. So ist es außerdem möglich, bei Gruppen mit unterschiedlich alten Kindern oder mehreren Erwachsenen gemeinsam den Radweg zu benutzen und sich nicht zwischen Radweg und Gehweg aufteilen zu müssen. Beeinträchtigungen von Fußgängern, Kindern und deren Aufsichtspersonen werden hierdurch auf ein Mindestmaß beschränkt. 2.

Zu Artikel 1 Nummer 2a - neu - und 2b - neu - (§ 25 Absatz 3, § 26 Absatz 1 StVO)

In Artikel 1 sind nach Nummer 2 folgende Nummern 2a und 2b einzufügen:

'2a. § 25 Absatz 3 wird wie folgt gefasst:

(3) Zu Fuß Gehende haben Fahrbahnen, wenn es die Verkehrslage erfordert, unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zügig auf dem kürzesten Weg zu überschreiten. Wird die Fahrbahn an Kreuzungen oder Einmündungen überschritten oder in unmittelbarer Nähe von Querungsanlagen (insbesondere Lichtzeichenanlagen, Fußgängerüberwege, Mittelinseln, vorgezogene Seitenräume), so sind diese zu benutzen. An Kreuzungen und Einmündungen haben zu Fuß Gehende beim Queren der Fahrbahn Vorrang gegenüber Fahrzeugen, die in eine wartepflichtige Straße abbiegen, gegenüber Fahrzeugen, die wartepflichtig sind (Zeichen 205 und Zeichen 206) oder wenn die Vorfahrt nicht durch Verkehrszeichen geregelt ist (rechts vor links). In diesen Fällen hat der Fahrverkehr besondere Rücksicht auf zu Fuß Gehende zu nehmen; wenn nötig, muss er warten."

2b. § 26 Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

(1) An Fußgängerüberwegen (Zeichen 293) haben zu Fuß Gehende gegenüber Fahrzeugen, ausgenommen Schienenfahrzeugen, Vorrang. Wollen zu Fuß Gehende den Überweg benutzen, dürfen sich Fahrzeuge den Fußgängerüberwegen nur mit mäßiger Geschwindigkeit nähern, wenn nötig, müssen sie warten. Nutzende von Rollern, Fahrrädern, Inline-Skates, Rollschuhen und Krankenfahrstühlen, welche den Fußgängerüberweg benutzen wollen, haben sich zur Erkennbarkeit dem Fußgängerüberweg in Schrittgeschwindigkeit zu nähern und am Fahrbahnrand zu halten, wenn die Verkehrslage dies erfordert." '

Begründung:

Zu Nummer 2a:

Durch die kommunalen Anordnungen von verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen und Tempo-30-Zonen ist das Erfordernis einer Fahrbahnquerung an Überwegen nicht mehr alltagsgerecht und entspricht nicht den Bemühungen, den Fußverkehr zu stärken. Darüber hinaus wird in Satz 3 klargestellt, welche Verkehrsteilnehmende wartepflichtig sind. Diese Regelung dient der Verkehrssicherheit der schwächeren Verkehrsteilnehmenden und der Erhöhung der Leichtigkeit des Fußverkehrs. Die Stärkung des Fußverkehrs ist Teil des "Aktionsprogramms Klimaschutz 2020" der Bundesregierung.

Zu Nummer 2b:

Hiermit wird klargestellt, welche Verkehrsteilnehmenden Vorrang haben und wie sich Verkehrsteilnehmende, die nach § 24 den zu Fuß Gehenden gleich gestellt sind, sich aber gegebenenfalls deutlich schneller fortbewegen, zur Erhöhung der Verkehrssicherheit fortzubewegen haben. Die Stärkung des Fußverkehrs ist Teil des "Aktionsprogramms Klimaschutz 2020" der Bundesregierung.

3. Zu Artikel 1 Nummer 4 (§ 45 Absatz 1 Satz 2 Nummer 7 - neu -, 8 - neu -, Absatz 1f Satz 2, Absatz 9 StVO)

Artikel 1 Nummer 4 ist wie folgt zu fassen:

'4. § 45 wird wie folgt geändert:

Begründung:

Zu Buchstabe a:

Kommunale Klimaschutzpläne, sowie kommunale Verkehrspläne sehen zunehmend eine Verkehrssteuerung auch über das Straßenverkehrsrecht vor. Diese Möglichkeit ist zur Stärkung des Klimaschutzes einzuräumen.

Zu Buchstabe b:

Hiermit wird klargestellt, dass nicht nur die Zeichen 270.1 und 270.2, sondern alle Verkehrszeichen nach Maßgabe nicht nur der Luftreinhalte-, sondern auch der Lärmminderungsplanung anzuordnen sind. Damit wird eine Korrelation zwischen § 45 StVO und der Luftreinhalte- und Lärmminderungsplanung hergestellt. Diese sehen vielfach Verkehrsbeschränkungen nach § 45 StVO als verhältnismäßige Maßnahmen zur Minderung der Belastungen vor. Diese Maßnahmen sind - soweit im Rahmen der Planung eine entsprechende Prüfung und Festsetzung von Maßnahmen erfolgt ist - durch die Straßenverkehrsbehörden auf Grund § 47 Absatz 6 BImSchG und § 47d Absatz 6 BImSchG in Verbindung mit § 47 Absatz 6 BImSchG umzusetzen.

Zu Buchstabe c:

§ 45 Absatz 9 StVO hat durch die Benennung einer Vielzahl von Ausnahmen zu Auslegungsproblemen geführt. In der Praxis wird von der Anordnung weiterer Verkehrsbeschränkungen kaum noch Gebrauch gemacht. Die Streichung des § 45 Absatz 9 StVO würde eine Abwägung "auf Augenhöhe" zwischen den Belangen des (motorisierten) fließenden Verkehrs und anderen Verkehrsformen ermöglichen.

4. Zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe a (§ 45 Absatz 9 Satz 4 Nummer 2a - neu - StVO, Satz 5 StVO)

In Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe a ist § 45 Absatz 9 wie folgt zu ändern:

Begründung:

Der Antrag zielt unter Buchstabe a auf eine Ergänzung der abschließenden Aufzählung in § 45 Absatz 9 Satz 4 um die Anordnung der Benutzungspflicht von baulich angelegten Radverkehrsanlagen außerorts und die Anordnung von benutzungspflichtigen Radfahrstreifen innerorts ab. Infolge der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeiten (hier sind Geschwindigkeiten bis zu 100 km/h üblich) besteht außerorts auch ohne Nachweis einer ungefähr 30-prozentigen höheren Gefahrenlage in der Regel per se die Notwendigkeit, infolge der hohen Differenzgeschwindigkeiten Radfahrer vom übrigen weitaus schnelleren Kfz-Verkehr auf der Fahrbahn zur Wahrung eines sicheren flüssigen Verkehrsablaufs zu trennen. Insoweit besteht eine vergleichbare Situation, wie sie im Entwurf bei den sensiblen Einrichtungen "Kindergarten" etc. unterstellt wird. Dies gilt auch für die Radfahrstreifen innerorts. Bei Bedarf reichen dort Schutzstreifen für eine sichere Führung des Radverkehrs nicht aus. Für sie ist keine tatsächliche Mindestbreite vorgegeben, sie dürfen bei Notwendigkeit von anderen Kfz-Teilnehmern überfahren werden und für sie gilt lediglich ein Parkverbot. Zur Eindämmung des Schilderwaldes und zur Gewährleistung einer noch sicheren Führung des Radverkehrs (Radfahrstreifen müssen mindestens 1,50 breit, einschließlich Breite des Zeichens 295 sogar 1,85 m breit sein, und sie dürfen als Sonderwege für den Radverkehr nicht von anderen Verkehrsteilnehmern befahren werden) ist es daher geboten, auch für diese keinen Nachweis einer überhöhten Gefahrenlage zu erbringen. Dies gilt zumindest für Hauptverkehrsstraßen.

Buchstabe b stellt eine redaktionelle Anpassung dar.

5. Hilfsempfehlung zu Ziffer 3

Zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe a (§ 45 Absatz 9 Satz 6 StVO)

In Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe a ist § 45 Absatz 9 Satz 6 wie folgt zu fassen:

"Satz 3 gilt zudem nicht für Anordnungen zur Umsetzung von verkehrlichen Maßnahmen, die in einem Luftreinhalteplan oder einem Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen nach § 47 Absatz 1 oder 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder in einem Lärmaktionsplan nach § 47d des Bundes-Immissionsschutzgesetzes festgesetzt sind."

Begründung:

Mit der Neufassung von § 45 Absatz 9 wird die Anordnung von Umweltzonen von der Prüfung nach § 45 Absatz 9 Satz 3 ausgenommen, sofern sie als Maßnahme eines Luftreinhalteplans oder eines Plans für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen nach § 47 Absatz 1 oder 2 BImSchG vorgesehen ist. Das heißt, es entfällt die Prüfung, ob eine besondere Gefahrenlage vorliegt, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der zuvor in § 45 Absatz 1 bis 8 genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Die Beschränkung der Freistellung von dieser Risikoprüfung auf die Maßnahme Umweltzone ist vor dem Hintergrund des § 47 Absatz 4 und 6 BImSchG eine rechtlich nicht zu begründende Einschränkung bei der Umsetzung von verkehrlichen Maßnahmen von Luftreinhalteplänen. Denn zu verkehrsbeschränkenden Maßnahmen im fließenden Verkehr nach § 40 Absatz 1 BImSchG gehören auch andere Maßnahmen, z.B. Lkw-Fahrverbote oder auch Tempo

B

Der federführende Verkehrsausschuss (Vk) und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) empfehlen dem Bunderat ferner, folgende Entschließungen zu fassen:

Begründung:

Die Länder hatten sich bereits ausdrücklich für eine gleichzeitige Änderung der Verwaltungsvorschrift ausgesprochen. Die zeitliche Verzögerung erschwert und gefährdet die zügige Umsetzung der Neuerungen.

Begründung (nur gegenüber dem Plenum):

Soweit die Grenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) überschritten werden, muss die Straßenverkehrsbehörde nach der neueren Rechtsprechung ihr Ermessen ausüben, ob und inwieweit eingeschritten werden soll. Die in den Lärmschutz-Richtlinien-StV aus dem Jahr 2007 noch vorgegebenen Richtwerte liegen deutlich oberhalb dieser und stimmen auch nicht mit den Auslösewerten überein, die für das Lärmsanierungsprogramm an Bundesfernstraßen maßgebend sind. Auch besteht in der Lärmwirkungsforschung Einvernehmen, dass bei Beurteilungspegeln über 65 dB(A) tags und 55 dB(A) nachts der Gesundheitsschutz der Bevölkerung nicht gesichert ist.

Unterschiedliche Lärmindizes und Berechnungsverfahren zwischen der Umgebungslärmrichtlinie und den Lärmschutz-Richtlinien-StV erschweren und verzögern die Lärmaktionsplanung und machen zusätzliche kostenintensive Nachberechnungen erforderlich. Hier muss zukünftig die Möglichkeit geschaffen werden, beide Berechnungsverfahren anzuwenden.

Begründung:

Selbstbalancierende Fahrzeuge, die nicht unter die Mobilitätshilfenverordnung fallen (wie z.B. elektrische Einräder oder Elektroboards), werden - ebenso wie unterschiedliche Modelle von Elektrorollern und -scootern - vom Handel bereits massenhaft angeboten. Obwohl diese nach derzeitiger Rechtslage zum Betrieb im öffentlichen Straßenverkehr in der Regel nicht zugelassen sind, werden sie dort bereits vielfach sowohl von Erwachsenen als auch von Kindern genutzt. Einige Fahrzeugtypen erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 25 bzw. sogar 35 km/h. Grundsätzlich könnten Fahrzeuge wie z.B. die tragbaren elektrisch betriebenen Stehroller eine interessante Ergänzung zum Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs darstellen. Einheitliche verbindliche Regelungen zum Betrieb dieser Kraftfahrzeuge sind daher nicht nur aus Gründen der Verkehrssicherheit, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Elektromobilität und der Nutzung innovativer Mobilitätskonzepte erforderlich.

Stehend gefahrene oder selbstbalancierende Fahrzeuge sind vom Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 168/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2013 über die Genehmigung und Marktüberwachung von zwei- oder dreirädrigen und vierrädrigen Fahrzeugen, die ab Januar 2016 gilt, ausgenommen. Es können daher nationale Regelungen zum Betrieb dieser Fahrzeuge getroffen werden.

Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hatte bereits im vergangenen Jahr die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) beauftragt, einen Marktüberblick über die für eine nationale Regelung in Betracht kommenden sogenannten Elektrokleinstfahrzeuge zu geben und zu prüfen, wie diese Fahrzeuge kategorisiert werden können. Auf der Grundlage der Untersuchungen der BASt, deren Ergebnisse - nach Aussagen des Bundesministeriums - zunächst bis Ende des Jahres 2015 erwartet wurden, sollten dann die technischen und verhaltensrechtlichen Voraussetzungen, unter denen diese Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr bewegt werden dürfen, bundesgesetzlich geregelt werden. Vor diesem Hintergrund wird eine Regelung durch den Verordnungsgeber schnellstmöglich für erforderlich und umsetzbar erachtet, auch um zu verhindern, dass immer mehr nicht zugelassene Kraftfahrzeuge sowohl auf Fuß- und Radwegen als auch auf Straßen unterwegs sind.

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