Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union durch strafrechtliche Vorschriften und verwaltungsrechtliche Untersuchungen - Gesamtkonzept zum Schutz von Steuergeldern KOM (2011) 293 endg.

Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet

Hinweis: vgl.
Drucksache 657/01 = AE-Nr. 012536,
Drucksache 051/02 = AE-Nr. 020246,
Drucksache 773/04 (PDF) = AE-Nr. 043071,
Drucksache 906/09 (PDF) = AE-Nr. 091106,
Drucksache 459/10 (PDF) = AE-Nr. 100592,
Drucksache 693/10 (PDF) = AE-Nr. 100868, AE-Nr. . 044077, 080012, 080202, 100570, 110057

Brüssel, den 26.5.2011

KOM (2011) 293 endgültig
{ SEK(2011) 621 endgültig}

Der Schutz der finanziellen Interessen der EU ist ein wichtiger Punkt der politischen Agenda der Kommission, denn es gilt, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu festigen und zu stärken und sicherzustellen, dass die Steuergelder ordnungsgemäß verwendet werden. Durch den Vertrag von Lissabon sind die Möglichkeiten für einen solchen Schutz erheblich verbessert worden (Artikel 85, 86 und 325 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV). Nach Artikel 310 Absatz 6 und Artikel 325 AEUV sind die EU und ihre Mitgliedstaaten verpflichtet, gegen sämtliche Formen widerrechtlicher Handlungen vorzugehen, die sich gegen die finanziellen Interessen der EU richten. Die EU verfügt über eine umfassende Reihe von Werkzeugen für die Verhütung und Aufdeckung des Mißbrauchs von EU-Mitteln.

Diese Mitteilung ist Teil eines Gesamtpakets der Kommission mit neuen Strategien für die Betrugs- und die Korruptionsbekämpfung. Sie befasst sich mit dem festzulegenden Konzept der Kommission für den Schutz von EU-Mitteln gegen sämtliche Formen widerrechtlicher Handlungen einschließlich Betrug. Der Schutz von EU-Mitteln durch wirksame und gleichwertige rechtliche Maßnahmen in der gesamten EU muss ein vorrangiges Ziel der einzelstaatlichen Behörden werden.

Ein Gesamtkonzept zum Schutz der finanziellen Interessen der EU durch strafrechtliche Vorschriften und verwaltungsrechtliche Untersuchungen muss sowohl allgemeine Maßnahmen zur Festlegung gemeinsamer strafrechtlicher Mindestvorschriften vorsehen als auch in sich stimmig, glaubwürdig und wirksam sein. Nur so ist es möglich, die Täter (auch aus der organisierten Kriminalität) zu verfolgen, vor Gericht zu bringen und potenzielle weitere Täter abzuschrecken. Beim Schutz dieser Steuergelder gilt es zudem zu berücksichtigen, dass es sich hierbei häufig um grenzüberschreitende Fälle handelt, die die Gerichtsbarkeit mehrerer Länder berühren, so dass eine aktive Zusammenarbeit unterschiedlicher Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden erforderlich ist.

1. Gründe für den Handlungsbedarf

Die Vielzahl unterschiedlicher nationaler Rechtsordnungen und Traditionen in der EU machen den Schutz der finanziellen Interessen der EU vor Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen zu einer besonderen Herausforderung. Obschon die Finanzierungsvorschriften der EU bereits aus gutem Grund vereinfacht wurden1, gilt es noch schärfer gegen jedwede mißbräuchliche Verwendung von EU-Geldern vorzugehen. Dies gilt auch für Länder, die der EU beitreten möchten.

Bei den Haushaltsmitteln der EU handelt es sich um Steuergelder, die ausschließlich zur Umsetzung der vom EU-Gesetzgeber genehmigten Politik verwendet werden dürfen. Das Schadensvolumen der im Jahr 2009 gemeldeten Fälle von vermutetem Betrug im Zusammenhang mit den in den einzelnen Mitgliedstaaten verwalteten EU-Mitteln belief sich auf insgesamt 279,8 Mio. EUR2. Diese Zahl verdeutlicht zwar nur ansatzweise das finanzielle Ausmaß dieses Problems, zeigt aber, dass es die Vorsorgemaßnahmen durch wirksame und gleichwertige strafrechtliche Maßnahmen zu ergänzen gilt.

Trotz aller Fortschritte in den vergangenen 15 Jahren bestehen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat nach wie vor große Unterschiede in Bezug auf den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EU. Strafrechtliche Untersuchungen im Zusammenhang mit Betrugsdelikten und sonstigen Straftaten, die sich gegen die finanziellen Interessen der EU richten finden in einem löchrigen verfahrensrechtlichen Rahmen statt: In jedem Mitgliedstaat entscheiden die Polizei, die Staatsanwälte und die Richter nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts, ob bzw. wie sie tätig werden, um den EU-Haushalt zu schützen. Trotz aller Bemühungen um Mindeststandards für diesen Bereich hat sich diese Situation kaum verändert: Das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften von 1995 und die damit verbundenen Rechtsakte3, die (wenn auch unvollständige) Bestimmungen über strafrechtliche Sanktionen enthalten, sind bisher lediglich von fünf Mitgliedstaaten voll umgesetzt worden4.

Jede Schädigung der finanziellen Interessen der EU geht zu Lasten ihrer Bürger bzw. Steuerzahler und gefährdet die Umsetzung der EU-Politik. Der Schutz der finanziellen Interessen der EU vor Betrug und Korruption ist daher ein vorrangiges Anliegen der Kommission. Auch das Europäische Parlament hat wiederholt moniert, dass dieser Schutz wirksamer und glaubwürdiger sein müsste5, und es hat insbesondere die Annahme aller erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft gefordert. Ebenso hat sich der Rat für eine verstärkte Bekämpfung von Betrug ausgesprochen6.

Die Kommission möchte dieses gemeinsame Anliegen proaktiv voranbringen und wird sich dabei auf den Vertrag von Lissabon stützen, durch den ein klarer Rahmen für ein schärferes Vorgehen der EU auf strafrechtlichem Gebiet vorgegeben worden ist. Die Kommission hat diesbezüglich bereits mehrere Initiativen7 auf den Weg gebracht. Dabei sollen vor allem die Kommunikationsaspekte künftiger Legislativmaßnahmen hervorgehoben werden, um die Rechtskreise sowie gegebenenfalls die Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren. Die Kommission wird zudem weiterhin dafür Sorge tragen, dass bei der Ausarbeitung künftiger politischer Strategien der EU von Beginn an auf den notwendigen Schutz der finanziellen Interessen der EU geachtet wird.

2. Strafrechtliche Herausforderungen

Um die Wirksamkeit und die Effizienz der Verwaltungsuntersuchungen zu verbessern, hat die Kommission im März 2011 einen Vorschlag zur Reform des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) vorgelegt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie die bestehenden Schwierigkeiten beim Erhalt genauer Daten über den Umfang von Betrugsdelikten und Strafverfolgungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten beseitigt werden können, wie die Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Fällen verbessert werden kann und wie sich ein wirksames strafgerichtliches Vorgehen erreichen läßt.

2.1. Unzureichender Schutz gegen den Mißbrauch von EU-Geldern

Seit der Annahme des Weißbuches über die Reform der Kommission10 im Jahr 2000 hat die Kommission besondere Aufmerksamkeit auf die Wirtschaftlichkeit ihrer Haushaltsführung11 gelegt und ihre internen Kontrollen zur Betrugsbekämpfung verstärkt. Beispielsweise wurde 2004 das Beamtenstatut (u.a. durch Aufnahme von Bestimmungen über Interessenkonflikte und die Pflicht, dem Vorgesetzten oder dem OLAF mögliche widerrechtliche Handlungen einschließlich Fälle von Betrug und Korruption zu melden 12) reformiert; 2007 wurden die internen Kontrollstandards und der diesen zugrunde liegende Kontrollrahmen dahingehend angepaßt 13, dass sie nicht nur auf die Sicherstellung der Rechtmäßigkeit und der Ordnungsgemäßheit der Transaktionen, sondern auch auf die Minderung des Risikos möglicher Betrugsdelikte und sonstiger Unregelmäßigkeiten abstellen.

Es gibt auch auch eine umfassende Sammlung von Instrumenten zur Verhütung und Aufdeckung von zu Lasten des EU-Haushalts gehenden Unregelmäßigkeiten, die insbesondere die Finanzkontrolle, die Rechnungsprüfung, die Berichterstattung, die Frühwarnung und die betrugssichere Auslegung von Rechtsvorschriften regeln14. Um aber gegen kriminelle Handlungen vorgehen zu können, die sich gegen den EU-Haushalt richten, bedarf es wirksamerer Mittel.

Die Mitgliedstaaten sind nach Artikel 325 AEUV und nach dem Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften verpflichtet, zu Lasten des EU-Haushalts gehende widerrechtliche Handlungen zu bekämpfen und den Betrug gegen den EU-Haushalt zu einem eigenständigen Straftatbestand zu erheben. Derzeit reichen die für Betrugsdelikte verhängten Sanktionen allerdings von niedrigen Geldstrafen bis hin zu langen Freiheitsstrafen. Außerdem sind in den Mitgliedstaaten keine einheitlichen Strafen für in ein Amt gewählte Personen, zu Amtsträgern ernannte Personen und Beamte, die sich der Bestechlichkeit schuldig machen, vorgesehen.15

Dieser Umstand verhindert einen gleichwertigen strafrechtlichen Schutz in der gesamten EU und führt je nach geltendem nationalem Strafrecht mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem unterschiedlichen Strafmaß in ähnlich gelagerten Einzelfällen. Kriminellen kann sich so die Möglichkeit bieten, sich auszusuchen, wo sie ihre kriminelle Handlung begehen bzw. nach Begehung einer nur einen einzigen Mitgliedstaat betreffenden Straftat in einen anderen Mitgliedstaat auszuweichen.

2.2. Unzureichende rechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Straftaten

Angesichts der hohen Schadensbeträge, um die es hier geht, bedarf es im Hinblick auf den Schutz des EU-Haushalts häufigerer und gründlicherer Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen der zuständigen Justizbehörden. Dies ist keine einfache Aufgabe, da gegen den EU-Haushalt gerichtete Straftaten häufig grenzübergreifende Ermittlungen und Gerichtsverfahren mehrerer Mitgliedstaaten erforderlich machen.

Nach dem geltenden Rechtsrahmen werden derartige strafrechtliche Untersuchungen von den zuständigen einzelstaatlichen Strafverfolgungsbehörden nach Maßgabe des betreffenden innerstaatlichen Strafrechts durchgeführt. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten haben jedoch nicht immer hinreichende rechtliche Möglichkeiten oder geeignete Strukturen für eine angemessene Verfolgung von gegen die EU-Interessen gerichteten Delikten. Dies gilt auch für Beitrittsländer.

Die bestehenden Unterschiede im Rechtsrahmen der Mitgliedstaaten und die sich daraus ergebenden operativen und organisatorischen Hindernisse, die grenzübergreifenden Untersuchungen in der EU im Wege stehen, führen dazu, dass die finanziellen Interessen der EU strafrechtlich nicht in allen EU-Ländern gleichwertig geschützt sind.

Die Verurteilungsquote in Fällen, in denen es um gegen den EU-Haushalt gerichtete Straftaten geht, hängt natürlich davon ab, wie schwer das betreffende Delikt, wie solide der an die betreffende nationale Justizbehörde weitergeleitete Fall und wie gut und geeignet das übermittelte Beweismaterial ist; dennoch sei erwähnt, dass sie von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat zwischen 14 und 80 % schwanken kann (Durchschnitt: 41 %)16.

Die nationalen Justizbehörden der Mitgliedstaaten folgen nicht systematisch den Empfehlungen des OLAF zur Einleitung strafrechtlicher Untersuchungen. Bisweilen ist nur schwer nachzuvollziehen, aus welchem konkreten Grund eine Untersuchungseinleitung unterbleibt. Zudem erfolgt in sehr vielen Fällen von Betrug gegen den EU-Haushalt lediglich eine summarische Prüfung ohne jegliche weitere Maßnahmen. 17 Dies trägt ebenfalls dazu bei, dass in der EU kein gleichwertiger strafrechtlicher Schutz besteht.

In einer bestimmten Zahl von Fällen von Betrug gegen den EU-Haushalt sehen die zuständigen nationalen Justizbehörden (unter Verweis auf in ihrem Ermessen liegende Gründe wie fehlendes öffentliches Interesse oder geringe Priorität) von einer Untersuchungseinleitung ab. Strafrechtliche Untersuchungen, an denen mehrere Mitgliedstaaten beteiligt sind, sind zumeist langwierig18, und die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung wird zudem durch die unterschiedlichen Anforderungen, die in Bezug auf die Beweiserheblichkeit gelten, gemindert.

Seit dem Jahr 2000 sind 93 der insgesamt 647 OLAF-Fälle von den nationalen Strafverfolgungsbehörden ohne Angabe konkreter Gründe zurückgewiesen worden. Außerdem wurden 178 Fälle aus Ermessensgründen zurückgewiesen. Dafür mögen zwar in einzelnen Fällen gute Gründe bestanden haben, aber insgesamt ist diese Einstellungsquote doch ziemlich hoch.

Langwierige strafrechtliche Untersuchungen können - insbesondere dann, wenn sie letztlich sogar eingestellt werden - auch disziplinarrechtliche Sanktionen erheblich verzögern, da ja bei Fällen, in die EU-Bedienstete verwickelt sind, erst das Ergebnis der betreffenden strafrechtlichen Untersuchungen abgewartet werden muss 19. In der Regel dauert es nach der Einleitung der OLAF-Untersuchung fünf Jahre, bis ein Gerichtsurteil ergeht. Erschwerend kommt hinzu, dass bei den Verjährungsfristen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat große Unterschiede bestehen.

3. Ursachen bestehender Mängel

Diese Mängel sind zum Teil auf unterschiedliche Rechtstraditionen und -ordnungen und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Rechtspraktiken der Mitgliedstaaten zurückzuführen. Daneben bestehen aber auch überaus konkrete justizielle Qualitätsdefizite, die die EU überbrücken kann:

3.1. Ungleiche strafrechtliche Bedingungen

Die oben genannten Herausforderungen sind auf Mängel der einzelstaatlichen Rechtsrahmen für den Schutz der öffentlichen Finanzen zurückzuführen. Die einschlägigen EU-Vorschriften haben nur geringe Wirkung, da sie durch die unvollständige und unzureichende Umsetzung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften behindert werden. Folglich greifen die Justizbehörden der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von gegen den EU-Haushalt gerichteten Straften auf ihre eigenen traditionellen strafrechtlichen Instrumente zurück, so dass für die Bekämpfung ein- und desselben Straftatbestands unterschiedliche Verfahren und Instrumente verwendet werden. Bei komplexen Fällen, die schon aufgrund ihrer Art über den nationalen Kontext hinausgehen und mithin ein über den nationalen Rahmen hinausgehendes Vorgehen erfordern, ist dies kaum als angemessen zu bezeichnen.

Die Analyse der Verfahrensweise der Justizbehörden eines bestimmten Mitgliedstaats bei der Behandlung der vom OLAF übermittelten Fälle hat gezeigt, dass kein gleichwertiger strafrechtlicher Schutz der finanziellen Interessen der EU gegeben ist: In dem betreffenden Mitgliedstaat ergriffen die Behörden bei 73 % aller externen Untersuchungen keine weiteren Maßnahmen, und zu 62 % der OLAF-Fälle wurde niemals eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet.

Trotz aller bisherigen Maßnahmen zur Angleichung der EU-Vorschriften 20 gibt es noch immer beträchtliche Unterschiede zwischen den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaten:

Das OLAF sieht sich häufig dem wiederkehrenden Problem der Definition des Begriffs "Interessenkonflikt" gegenüber 21. Nachforschungen haben ergeben, dass in einigen Mitgliedstaaten Begünstigte einer öffentlichen Ausschreibung bei deren Ausarbeitung mitwirken dürfen, ohne dass dies als solches einen Straftatbestand erfüllen würde: Die Bestrafung einer solchen Handlung ist davon abhängig, ob eine Straftat wie Korruption vorliegt.

Es sind zwar schon Versuche unternommen worden, diese Fragmentierung zu beseitigen, aber die Grenzen des früheren Rechtsrahmens der EU, der den strafrechtlichen Bereich ja nur teilweise abdeckte, machten es der EU schwer, hinreichend glaubwürdige rechtliche Optionen zu entwickeln.

Fünfzehn Jahre nach der Unterzeichnung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften stehen die bestehenden Inkonsistenzen und Lücken im geltenden Straf- und Verfahrensrecht, die eine Folge einer unvollständigen Umsetzung des Übereinkommens in den Mitgliedstaaten sind, einem wirksamen Vorgehen zum Schutz der finanziellen Interessen im Wege und machen es möglich, dass bestimmte Straftaten in einigen Mitgliedstaaten nicht geahndet werden.

3.2. Unzureichende behördliche Zusammenarbeit

Der Schutz des EU-Haushalts erfordert oftmals grenzübergreifende Untersuchungen und die Durchsetzung von Gerichtsentscheiden im Ausland. Dabei treten folgende Mängel der Zusammenarbeit deutlich zutage:

3.2.1. Grenzen der Rechtshilfe

Wegen der komplexen Verfahren ist die Zahl der Fälle, in denen überhaupt um Rechtshilfe ersucht wird, von vornherein gering. Dies gilt beispielsweise für die Einziehung von Vermögenswerten einschließlich der Vorschriften für das Einfrieren und die Beschlagnahme von Vermögenswerten, die ein zentraler Bestandteil der Betrugsbekämpfung sind. Die Justizbehörden in den Mitgliedstaaten greifen mitunter nur zögerlich auf derartige Maßnahmen zurück, weil diese so komplex und die Rechtshilfeverfahren langwierig sind - und weil ungewiß ist, ob die Ergebnisse dieser Maßnahmen überhaupt die Anstrengungen wert sind. Dies gilt insbesondere für grenzübergreifende Fälle.

Selbst wenn ein Rechtshilfeersuchen zwischen Verwaltungs- und Justizbehörden der Mitgliedstaaten gestellt wird, wird dieses oftmals nicht mit der gebotenen Eile erledigt.

In einigen Fällen von Korruption und Betrug stehen auch viele Jahre, nachdem das OLAF die zuständigen nationalen Justizbehörden in Kenntnis gesetzt hat, noch immer strafrechtliche Maßnahmen aus. Diese großen Verzögerungen sind vor allem auf die Dauer der Rechtshilfeverfahren und eine fehlende Koordinierung der Strafverfolgung auf EU-Ebene zurückzuführen.

3.2.2. Ungenutztes Beweismaterial

Infolge restriktiver Verfahrensvorschriften, die nur einen begrenzten Rückgriff auf im Ausland zusammengetragenes Beweismaterial zulassen, werden die Ergebnisse der Verwaltungsuntersuchungen der EU von den nationalen Gerichten häufig gar nicht genutzt. Mitunter wird die Verwendung derartiger Beweise auch als für die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen nicht ausreichend erachtet.

3.2.3. Beschränkung der Strafverfolgung auf innerstaatliche Fälle

Es findet keine ausreichende Strafverfolgung statt, wenn einzelstaatliche Behörden nicht befugt sind, in Betrugsfällen zu ermitteln, bei den es um Handlungen, Verdächtige und Opfer im Ausland geht. Gleiches gilt für Fälle, in denen nicht der eigenen Staatskasse, sondern dem EU-Haushalt ein Schaden entstanden ist.

Einige nationale Behörden nehmen auch nur dann eine strafrechtliche Verfolgung vor, wenn die gegen die EU-Interessen gerichteten Handlungen ausschließlich in ihrem eigenen Hoheitsgebiet erfolgt sind.

In einem mehrere Mitgliedstaaten und Drittländer betreffenden Eurojust-Fall (vermutete groß angelegte Steuerumgehung mit einem geschätzten Schadensvolumen von über 1 Mio. EUR) leitete keine der nationalen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten Strafverfolgungsmaßnahmen ein. In einem weiteren Fall aus dem Zollbereich konnte in Bezug auf den von den Justizbehörden eines Mitgliedstaats vertretenen Standpunkt und die Weigerung der Zollbehörden, einen Beitrag zu den Koordinierungsmaßnahmen des OLAF zu leisten, keine praktische Lösung gefunden werden. Grund war die Ablehnung einer Zusammenarbeit aufgrund einer rigiden Auslegung nationaler Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit.

3.3. Unzureichende Untersuchungsbefugnisse

Das OLAF führt verwaltungsrechtliche Untersuchungen durch, und die Europäische Einheit für justizielle Zusammenarbeit (Eurojust) unterstützt die Justizbehörden der Mitgliedstaaten durch Koordinierungsmaßnahmen und Beratung bei der Bekämpfung von schweren Straftaten einschließlich Betrug. Beide EU-Stellen könnten eine noch aktivere Rolle beim Schutz der finanziellen Interessen der EU spielen:

4. Neue, durch den Vertrag von Lissabon eingeführte Instrumente zum Schutz der finanziellen Interessen der EU

Durch den Vertrag von Lissabon ist die Europäische Union mit verstärkten Befugnissen in den Bereichen Schutz der finanziellen Interessen der EU und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen ausgestattet worden. Erste diesbezügliche Schritte der EU wurden mit der Annahme des Stockholmer Programms 22 und im Rahmen des Arbeitsprogramms der Kommission für 2011 ergriffen. 23 Im Rahmen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gibt es vier Möglichkeiten, die finanziellen Interessen der EU zu schützen:

Falls es, um den legitimen Zweck der Bekämpfung von gegen den EU-Haushalt gerichtetem Betrug zu erreichen, für erforderlich gehalten werden sollte, einschlägige strafrechtliche Vorschriften einschließlich weiterentwickelter Definitionen von Straftatbeständen und Mindestbestimmungen über diesbezügliche Sanktionen zu erlassen, ist Folgendes zu beachten:

Erstens müssen die Grundrechte gewahrt werden. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthält, was Strafverfahren anbelangt, einschlägige Bestimmungen über das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht, die Wahrung der Unschuldsvermutung und die Verteidigungsrechte, den Grundsatz der Rechtmäßigkeit, den Schutz personenbezogener Daten und das Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden. Diese Rechte werden durch einschlägige Rechtsvorschriften (beispielsweise zum Datenschutz 24 ) näher geregelt. Künftige Legislativvorschläge der Kommission werden von einer gründlichen Bewertung ihrer Auswirkungen auf die Grundrechte begleitet sein.25

Zweitens wird es wegen der unterschiedlichen strafrechtlichen Konzepte der Mitgliedstaaten erforderlich sein, besonderes Augenmerk auf den zusätzlichen Nutzen zu legen, der sich in Bezug auf den Schutz der finanziellen Interessen der EU durch eine Angleichung der einzelstaatlichen Strafrechtsvorschriften erreichen läßt.

Drittens werden Überlegungen darüber angestellt werden, wie die Rolle gestärkt werden kann, die EU-Stellen wie das OLAF, Eurojust und - alternativ oder ergänzend - eine mögliche Europäische Staatsanwaltschaft spielen können, um eine bessere Untersuchung, Strafverfolgung und Unterstützung von Delikten zu Lasten des EU-Haushalts zu ermöglichen.

Die Europäischen Union steht hier vor wichtigen Entscheidungen. Einschlägige Arbeiten sind auf drei Ebenen erforderlich: bei den Verfahren (4.1), auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts (4.2) und bei den institutionellen Aspekten (4.3).

4.1. Stärkung der straf- und verwaltungsrechtlichen Verfahren

Als erstes muss es Richtern und Staatsanwälten in der gesamten EU leichter gemacht werden, unter Rückgriff auf bestehende Instrumente wie das Europäische justizielle Netz für Strafsachen und das Europäische Netz für die Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten Betrügern - und zwar auch Betrügern im Ausland - das Handwerk zu legen.

Die Einziehung von Vermögenswerten spielt beim Schutz der finanziellen Interessen der EU eine zentrale Rolle. Oftmals ist bei den Tätern die Angst, widerrechtlich angeeignetes Vermögen wieder zu verlieren, größer als die Furcht vor den eigentlichen strafrechtlichen Sanktionen. Außerdem ist es nur gerecht, wenn durch kriminelle Machenschaften ausgefallene öffentliche Gelder wieder für staatliche Maßnahmen verfügbar gemacht werden. Wie im Stockholmer Programm 26 vorgesehen, arbeitet die Kommission zurzeit einen Legislativvorschlag über die Sicherstellung und Einziehung von Vermögenswerten aus. Die Kommission hat bereits im Rahmen der Neufassung der Haushaltsordnung der EU vorgeschlagen, dass finanzielle Forderungen der Europäischen Union in den Mitgliedstaaten, in denen Einziehungsverfahren laufen, nicht ungünstiger behandelt werden sollten als Forderungen ihrer eigenen Behörden27.

Es bestehen zwar bereits Grundlagen für einen Informationsaustausch zwischen Polizei- und Justizbehörden innerhalb der EU, jedoch noch nicht für einen bereichsübergreifenden Informationsaustausch zwischen Polizei-, Zoll-, Steuer-, Justiz- und sonstigen zuständigen Behörden. Um hier Abhilfe zu schaffen, beabsichtigt die Kommission, ihren im Jahr 2004 vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Amtshilfe zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft gegen Betrug und sonstige rechtswidrige Handlungen 28 durch einen neuen Vorschlag zu ersetzen.

Das gegenseitige Vertrauen zwischen Justiz- und Verwaltungsbehörden könnte gestärkt werden, wenn gleichwertige Verfahrensvorschriften angewendet würden. Auf diee Weise würde eine bessere Grundlage für die gegenseitige Anerkennung von sich auf den Schutz der finanziellen Interessen der EU beziehenden Beweisen geschaffen. Die Kommission wird Legislativmaßnahmen für Maßnahmen zur Sicherstellung der Beweiskraft der Untersuchungsberichte des OLAF und für sonstige Maßnahmen, die eine grenzübergreifende Beweiserhebung ermöglichen, prüfen.

4.2. Verschärfung des materiellen Strafrechts

Das Strafrecht ist ein Eckstein des Vorgehens der EU zur Verhütung und Bekämpfung jedweder Schädigung ihrer finanziellen Interessen.

Angesichts der bestehenden Lücken im Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und der mangelhaften Umsetzung des Übereinkommens wird eine Initiative zum Schutz der finanziellen Interessen der EU ausgearbeitet werden, die den bestehenden Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft29 ersetzen wird. Jede neue Maßnahme sollte eine konsistente und faire Anwendung strafrechtlicher Sanktionen für Betrugsdelikte sicherstellen, die sich danach richtet, wie das einzelne Delikt begangen wurde. Zudem sollte im Rahmen dieser Maßnahme ins Auge gefasst werden, weitere zentrale Straftatbestände wie Veruntreuung und Machtmißbrauch in einem für den Schutz der finanziellen Interessen der EU relevanten Umfang zu definieren. Ferner wird die Frage einer Angleichung der Bestimmungen über die gerichtliche Zuständigkeit und über die Verjährung näher geprüft werden, um bessere Ergebnisse strafrechtlicher Untersuchungen zu ermöglichen.

Dieser Vorschlag könnte, soweit dies für den Schutz der finanziellen Interessen der EU relevant wäre, systematischere Bestimmungen über die Beihilfe und die Anstiftung zu derartigen Delikten, den Versuch ihrer Begehung sowie über Vorsatz und Fahrlässigkeit einschließen. Auch könnte er präzisere Bestimmungen über die strafrechtliche Verantwortlichkeit von ernannten oder gewählten Amtsträgern und juristischen Personen für den Schutz der finanziellen Interessen der EU beinhalten.

4.3. Verstärkter institutioneller Rahmen

Bevor die EU etwaige auf einen wirksamen und gleichwertigen Schutz in der gesamten EU abstellende Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von gegen ihre finanziellen Interessen gerichteten Betrugsdelikten annimmt, gilt es zu bewerten, ob sie bereits über geeignete Strukturen zur Bewältigung von Angriffen auf ihre finanziellen Interessen verfügt.

Zu diesem Zweck wird nach Maßgabe des Vertrags von Lissabon gründlich analysiert werden, auf welche Weise die Strukturen der EU verstärkt werden müssen, damit sie strafrechtliche Ermittlungen durchführen können:

Unsere Vision für das Jahr 2020: Ergreifung der erforderlichen Maßnahmen auf straf- und verwaltungsrechtlichem Gebiet zur Minimierung von gegen den EU-Haushalt gerichteten widerrechtlichen Handlungen

Eine Politik der "Nulltoleranz" gegenüber zu Lasten des EU-Haushalts gehenden Betrugsdelikten setzt die Einführung geeigneter Maßnahmen für eine einheitliche Verfolgung von Betrugsdelikten in der gesamten EU voraus. Ziel der EU muss sein, durch eine zügige, die abschreckende Wirkung verstärkende Abwicklung von Strafverfahren und Bestrafung in der gesamten EU einen wirksamen, angemessenen und abschreckenden Schutz ihrer finanziellen Interessen zu erreichen.

Zu diesem Zweck müssen Steuergelder unter voller Nutzung der im Vertrag von Lissabon festgeschriebenen Möglichkeiten durch eine verbesserte, nicht an Landesgrenzen Halt machende Strafverfolgung und durch gemeinsame strafrechtliche Mindestvorschriften EU-weit gleichwertig geschützt werden.