Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates vom 27. November 2008 über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden

Der Bundesrat hat in seiner 936. Sitzung am 25. September 2015 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

Zu Artikel 4 Nummer 2 (§ 97b Absatz 1 Satz 2 - neu - IRG)

In Artikel 4 Nummer 2 ist dem § 97b Absatz 1 folgender Satz anzufügen:

"Fristen zur Löschung, Sperrung und Aussonderung sowie zu Verwendungsbeschränkungen nach dem nationalen Recht der übermittelnden Behörde, auf die sie hingewiesen hat, sind zu beachten."

Begründung:

Nach den Artikeln 9 und 12 RbDatenschutz ist die empfangende Stelle verpflichtet, innerstaatliche Löschungsfristen und Verarbeitungsbeschränkungen der übermittelnden Stelle zu beachten. Für die Datenverarbeitung durch das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und den Zoll sieht der Gesetzentwurf daher entsprechende Regelungen vor (§ 27a Absatz 1 Satz 3 und § 32 Absatz 10 Satz 1 BKAG-E; § 33a Absatz 2 Satz 2 und § 35 Absatz 10 Satz 1 BPolGE; § 35a Absatz 1 Satz 3 und § 39 Absatz 11 Satz 1 ZFahnDG-E).

Für das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) hat die Bundesregierung auf eine explizite Umsetzung mit der Begründung verzichtet, es entspräche den Grundsätzen der Rechtshilfe, dass auf verfahrensrechtliche Erfordernisse oder sonstige Anliegen ersuchender oder ersuchter Staaten Rücksicht zu nehmen sei.

Allerdings sieht § 72 IRG vor, dass Bedingungen, die der ersuchte Staat an die Rechtshilfe geknüpft hat, zu beachten sind. In dem - wie bislang - weitgehend auf völkerrechtlicher Basis abgewickelten Rechtshilfeverkehr in Strafsachen ist daher die Bindungswirkung von Bedingungen bei ausgehenden Ersuchen offenkundig und entspricht dem Leitbild einer vertraglichen Beziehung zwischen den auf völkerrechtlicher Basis agierenden nationalen Strafverfolgungsorganen.

Dagegen stellen der mit dem EU-Recht eingeführte Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen und der Grundsatz der Verfügbarkeit eine Neukonzeption der strafrechtlichen Zusammenarbeit dar, die den Anspruch hat, die Rechtsbeziehungen zwischen Justizorganen der EU-Mitgliedstaaten unmittelbar zu regeln. Grundlage sind die in nationales Recht transponierten Rechtsakte des EU-Sekundärrechts, die umfassend und ausschließlich Befugnisse und Grenzen der strafrechtlichen Zusammenarbeit bestimmen; aus einer ursprünglich am Vertragsrecht orientierten völkerrechtlichen Beziehung, in der die Gewährleistung von Rechtshilfe im Kern das Ergebnis eines Einigungsprozesses zwischen anbietender und annehmender Vertragspartei war, ist eine durch das EU-Recht gestiftete und gestaltete Rechtsbeziehung geworden, die einen eigenen Entscheidungsspielraum im Sinne autonomer völkerrechtlicher Subjekte nicht mehr vorsieht.

Dies hat zur Folge, dass die Gewährung von Rechtshilfe im Rahmen der gegenseitigen Anerkennung bzw. des Grundsatzes der Verfügbarkeit bedingungsfrei zu erfolgen hat, wenn nicht die im Einzelfall einschlägige EU-Rechtsgrundlage die Stellung einer Bedingung ausdrücklich vorsieht. Tatsächlich finden sich entsprechende Regelungen in einzelnen Rechtsinstrumenten, beispielsweise bei der grenzüberschreitenden Überwachung des Telekommunikationsverkehrs nach den Artikeln 30 Absatz 5 Satz 2 bzw. 31 Absatz 3 Buchstabe b EEG.

Nicht ohne Grund hat sich daher der europäische Gesetzgeber entschieden, die Beachtung von innerstaatlichen Verarbeitungsbeschränkungen oder Löschungsfristen explizit in den RbDatenschutz aufzunehmen. Der Rahmenbeschluss findet auf jeglichen Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten Anwendung, ganz gleich auf welcher Rechtsgrundlage dieser erfolgte, und unterwirft die automatisierte und dateiförmige Verarbeitung der übermittelten Daten - unabhängig davon, in welche Richtung sie übermittelt wurden - einem einheitlichen europäischen Regime. Er schafft damit nicht nur einen Mindeststandard, sondern begrenzt zugleich die sich aus den Rechtsakten zur gegenseitigen Anerkennung und Verfügbarkeit ergebende Kooperationsverpflichtung, soweit sie nicht speziellere datenschutzrechtliche Regelungen enthalten (Artikel 28 RbDatenschutz).

Entgegen der in dem Gesetzentwurf vertretenen Auffassung haben die vorgenannten Artikel 9 und 12 RbDatenschutz daher nicht einen rein deklaratorischen bzw. klarstellenden Charakter, der lediglich einen ohnehin in den rechtshilferechtlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Grundsatz formuliert.

Die Beachtung einer europarechtlichen Regelung aus dem Bereich der ehemaligen Dritten Säule des Maastrichter Vertrags durch den nationalen Rechtsanwender setzt grundsätzlich die Umsetzung in nationales Recht voraus (Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b Satz 2 EUV a. F.). Sofern das IRG keine den Artikeln 9 und 12 RbDatenschutz entsprechende Vorschrift enthält, ist die Beachtung - zumindest bei der Zusammenarbeit auf Grundlage von Rechtsinstrumenten in Umsetzung der Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung bzw. der Verfügbarkeit - nicht zwingend, was jedoch nicht den Vorgaben des Rahmenbeschlusses entspräche und damit europarechtswidrig wäre.

Die Beachtung von entsprechenden Bedingungen ergibt sich auch nicht aus § 72 IRG. Zum einen kommt eine Anwendbarkeit von § 72 IRG im Bereich der gegenseitigen Anerkennung und des Grundsatzes der Verfügbarkeit wegen der grundsätzlichen Bedingungsfeindlichkeit - wie oben ausgeführt - nicht in Betracht. Hinzu kommt, dass sich § 72 IRG nur auf ausgehende Ersuchen bezieht (vgl. die Überschrift zum Sechsten Teil des IRG); die in den Artikeln 9 und 12 RbDatenschutz vorgesehene Verwendungsbindung regelt aber die Zurverfügungstellung jeglicher Daten, unabhängig davon, ob das Datum im Rahmen der Erledigung oder bei Stellung eines Ersuchens übermittelt wird.

Schließlich, worauf von Seiten der Praxis hingewiesen worden ist, legen Gründe der Gesetzessystematik eine einheitliche Fassung der Gesetze zur Umsetzung des RbDatenschutz nahe, da identische Datenschutzaspekte betroffen sind und sich die Gründe für die unterschiedliche Umsetzungslage in den für die präventive Datenübermittlung geltenden Polizeigesetzen des Bundes und dem für Strafverfolgungszwecke geltenden IRG der rechtanwendenden Person nicht erschließen.