Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit
Erste Verordnung zur Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung

A. Problem und Ziel

Derzeit beschränkt § 3 Absatz 4 der Medizinprodukte-Abgabeverordnung die Abgabe von Invitro-Diagnostika, die für den direkten oder indirekten Nachweis eines Krankheitserregers für die Feststellung einer in § 24 Satz 1 oder Satz 2 des Infekti-onsschutzgesetzes (IfSG) genannten Krankheit oder einer Infektion mit einem in § 24 Satz 1 oder Satz 2 IfSG genannten Krankheitserreger bestimmt sind, auf Fachkreise wie Ärzte, ambulante und stationäre Einrichtungen des Gesundheitswesen, Blutspendedienste und Beratungseinrichtungen. Das Abgabeverbot soll dem Schutz der Allgemeinheit und des Einzelnen dienen, indem es vor Risiken der Laienanwendung und möglichen Lücken in der Krankheitsüberwachung schützt.

In den letzten Jahren hat sich die Qualität und Handhabbarkeit von Invitro-Diagnostika zur Eigenanwendung (Schnelltests für den Laiengebrauch, sog. Selbsttests) weiterentwickelt. Insbesondere für den Nachweis des Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) liegen mittlerweile leistungsstarke und für Laien gut handhabbare Selbsttests vor. Indem Selbsttests von Menschen angewendet werden, die einen autonomen Weg der Testung wünschen und sich bislang gar nicht oder nicht regelmäßig testen lassen, erhöht sich durch die Abgabe der Selbsttests die Wahrscheinlichkeit, dass Infektionen zu einem früheren Zeitpunkt erkannt und behandelt werden und dadurch die Weitergabe von Infektionen verhindert wird. Das Bundesministerium für Gesundheit hat außerdem vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse im Juli 2017 einen Fachaustausch zu Selbst- und Einsendetests für HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen mit Vertreterinnen und Vertretern relevanter medizinischer Fachgesellschaften und der Bundesärztekammer, der Länder, des öffentlichen Gesundheitsdienstes, der AIDS-Hilfen, der Selbsthilfe und der Fachbehörden durchgeführt. Es bestand breiter Konsens unter den Expertinnen und Experten, dass Selbsttests für sexuell übertragbare Infektionen eine sinnvolle und notwendige Ergänzung der bisherigen Testmöglichkeiten darstellen und der Zugang für Laien deshalb eröffnet werden sollte. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte kann daher die Beschränkung der Abgabe an Laien für bestimmte Tests aufgehoben werden.

B. Lösung

Erlass der vorliegenden Änderungsverordnung.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Für Bund, Länder und Kommunen fallen keine Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand an.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Bürgerinnen und Bürgern entsteht durch die Regelungen kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Der Wirtschaft entsteht durch die Regelungen kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten

Es entstehen auch keine Bürokratiekosten aus Informationspflichten.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Für Bund, Länder und die Kommunen entsteht kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand.

F. Weitere Kosten

Auswirkungen auf Einzelpreise und das allgemeine Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.

Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit
Erste Verordnung zur Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung

Der Chef des Bundeskanzleramtes Berlin, 1. August 2018

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller

Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich die vom Bundesministerium für Gesundheit zu erlassende Erste Verordnung zur Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung mit Begründung und Vorblatt.

Ich bitte, die Zustimmung des Bundesrates aufgrund des Artikels 80 Absatz 2 des Grundgesetzes herbeizuführen.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Helge Braun

Erste Verordnung zur Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung

Vom ...

Auf Grund des § 37 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 11 des Medizinproduktegesetzes, dessen Absatz 2 zuletzt durch Artikel 145 Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407) und dessen Absatz 11 zuletzt durch Artikel 278 Nummer 2 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S.1474) geändert worden ist, verordnet das Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie:

Artikel 1

Die Medizinprodukte-Abgabeverordnung vom 25. Juli 2014 (BGBl. I S. 1227), die zuletzt durch Artikel 11 Absatz 36 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Dem § 3 Absatz 4 wird folgender Satz angefügt:

"Davon ausgenommen sind die in Anlage 3 aufgeführten Invitro-Diagnostika."

2. Folgende Anlage 3 wird angefügt:

"Anlage 3 (zu § 3 Absatz 4)
- Invitro-Diagnostika für die Eigenanwendung, die für den Nachweis einer HIV-Infektion bestimmt sind".

Artikel 2

Diese Verordnung tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Der Bundesrat hat zugestimmt.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

Zurzeit verbietet § 3 Absatz 4 der Medizinprodukte-Abgabeverordnung (MPAV) die Abgabe von Invitro-Diagnostika (IVD) an Laien, die für den direkten oder indirekten Nachweis eines Krankheitserregers für die Feststellung einer in § 24 Satz 1 oder Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) genannten Krankheit oder einer Infektion mit einem in § 24 Satz 1 oder Satz 2 IfSG genannten Krankheitserreger bestimmt sind. Dieses Verbot erfasst auch Tests zum Nachweis des Humanen Immundefizienz-Virus (HIV). Die amtliche Begründung für die Einschränkung der Abgabe von IVD verweist auf den Schutz der Allgemeinheit und des Einzelnen und bezieht sich dabei unter anderem auf die Risiken der Laienanwendung, und mögliche Lücken in der Krankheitsüberwachung.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt seit 2016 den Einsatz von sog. HIV-Selbsttests, um die Diagnoseraten weltweit zu steigern und die international vereinbarten1) 90-90-90 Ziele bis 2020 zu erreichen (90 Prozent der Betroffenen kennen ihren Status, 90 Prozent der Menschen mit HIV-positivem Testergebnis sind in Behandlung und 90 Prozent der Behandelten haben eine Viruslast unter der Nachweisgrenze). In den USA, Frankreich, Großbritannien und anderen Ländern kommen HIV-Selbsttests bereits zur Anwendung.

Vor dem Hintergrund neuer Forschungsentwicklungen hat das Bundesministerium für Gesundheit im Juli 2017 einen Fachaustausch zu Selbst- und Einsendetests für HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen mit Vertreterinnen und Vertretern relevanter medizinischer Fachgesellschaften und der Bundesärztekammer, der Länder, des öffentlichen Gesundheitsdienstes, der AIDS-Hilfen, der Selbsthilfe und der Fachbehörden durchgeführt. Es bestand breiter Konsens unter den Expertinnen und Experten, dass Selbsttests für sexuell übertragbare Infektionen eine sinnvolle und notwendige Ergänzung der bisherigen Testmöglichkeiten darstellen und der Zugang für Laien deshalb eröffnet werden sollte.

IVD zur Eigenanwendung (Schnelltests für den Laiengebrauch, sog. Selbsttests) bieten Personen die Möglichkeit der selbstständigen Durchführung von Tests zum Nachweis von Krankheitserregern und unterstützen somit das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Selbsttests dienen dem frühzeitigen Erkennen und Behandeln von Infektionskrankheiten (eigene Gesunderhaltung) und können so zur Vermeidung der Weitergabe von Krankheitserregern (Schutz von anderen Personen) beitragen. Durch die Aufhebung der Abgabebeschränkung einzelner IVD zur Eigenanwendung können Personen erreicht werden, die bisherige Testangebote nicht oder nicht ausreichend genutzt haben.

Bei der Freigabe einzelner IVD (Tests) zur Eigenanwendung ist jeweils zu prüfen, dass IVD für den Nachweis eines Krankheitserregers für die Feststellung einer in § 24 Satz 1 oder Satz 2 IfSG genannten Krankheit oder einer Infektion mit einem in § 24 IfSG genannten Krankheitserregers die Ziele der Krankheitsüberwachung und Interessen der öffentlichen Gesundheit sowie der Patientensicherheit nicht beeinträchtigen.

Indem Selbsttests zum Nachweis einer HIV-Infektion von Menschen angewendet werden, die einen autonomen Weg der Testung wünschen und sich bislang gar nicht oder nicht regelmäßig testen lassen, erhöht sich durch die Abgabe der Selbsttests die Wahrscheinlichkeit, dass Infektionen zu einem früheren Zeitpunkt erkannt und behandelt werden und dadurch die Weitergabe von Infektionen verhindert wird (Public Health Interesse). Es ist davon auszugehen, dass Anwender von Selbsttests bei positiven Testergebnissen die Verbesserung der eigenen Gesundheit anstreben, und daher entsprechende Versorgungsangebote aufsuchen werden.

Aus den oben aufgeführten Gründen ist es daher nicht mehr erforderlich, an der bestehenden umfassenden Abgabebeschränkung festzuhalten. Mit der Aufhebung des Abgabeverbots für in der Anlage 3 näher bestimmten IVD zur Eigenanwendung an Laien soll diesem Umstand Rechnung getragen werden.

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Die Änderungen betreffen die MPAV. Neben der Änderung des § 3 Absatz 4 MPAV wird eine neue Anlage 3 angefügt, in der die freigebenden Tests gelistet werden.

III. Alternativen

Keine. Das angestrebte Ziel kann nur durch eine Verordnungsänderung erreicht werden. IV. Verordnungskompetenz

§ 37 Absatz 2 Satz 2 des Medizinproduktegesetzes (MPG) ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ( § 37 Absatz 11 MPG) und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Abgabebeschränkungen für bestimmte in § 37 Absatz 2 Satz 1 MPG genannte Medizinprodukte zum Schutz der Allgemeinheit und des Einzelnen zu erlassen.

V. Vereinbarkeit mit EU-Recht

Die Regelungen stehen mit dem Recht der Europäischen Union im Einklang.

VI. Rechtsfolgen

1. Rechts- und Verwaltungsvereinfachung

Mit den Regelungen soll das Abgabeverbot von Selbsttests an Laien geändert werden. Eine Rechts- und Verwaltungsvereinfachung ist damit nicht verbunden.

2. Nachhaltigkeitsaspekte

Der Verordnungsentwurf steht im Einklang mit dem Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie.

3. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Für den Bund, die Länder und die Kommunen fallen keine Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand an.

4. Erfüllungsaufwand

Durch die Verordnung entsteht kein Erfüllungsaufwand.

5. Weitere Rechtsfolgen

Aus gleichstellungspolitischer Sicht sind die Regelungen des Verordnungsentwurfs neutral. VII. Befristung; Evaluierung

Eine Befristung der Verordnung kommt nicht in Betracht. Die Regelungen sollen dauerhaft Bestand haben. Eine regelhafte Evaluierung ist nicht vorgesehen, da die Möglichkeit der Erweiterung der Anlage 3 von den Behörden ohnehin regelmäßig überprüft wird.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1

Es hat sich gezeigt, dass die bestehende umfangreiche Beschränkung der Abgabemöglichkeiten für bestimmte IVD zum Schutz der Allgemeinheit und des Einzelnen nicht mehr erforderlich ist. Die Änderung des § 3 Absatz 4 schafft die Möglichkeit, bestimmte IVD durch Aufnahme in Anlage 3 von dem Abgabeverbot von IVD an Laien auszunehmen. Die Formulierung soll ermöglichen, auch zukünftig weitere Tests von der Abgabebeschränkung auszunehmen.

Zu Nummer 2

Es wird eine neue Anlage 3 angefügt, in der die von dem Abgabeverbot an Laien ausgenommenen IVD gelistet sind. Derzeit sollen IVD für die Eigenanwendung, die für den Nachweis einer HIV-Infektion bestimmt sind, von der Beschränkung ausgenommen werden. Für diese sog. Selbsttests besteht eine ausreichende Datenlage.

Nach der Bewertung des Paul Ehrlich-Instituts steht für HIV eine breite Palette von Tests zur Verfügung, die eine gute Sensitivität und Spezifität aufweisen, und die für Laien gut handhabbar sind. In der EU verwendete Schnelltests durchlaufen ein Konformitätsbewertungsverfahren mit Beteiligung Benannter Stellen, die u.a. die Einhaltung der Gemeinsamen Technischen Spezifikationen überwachen. Diese schreiben z.B. für HIV zusätzliche Laienstudien vor, in denen die Sensitivität und Spezifität geprüft wird. Dadurch besteht nur noch ein geringes Risiko psychischer Belastung aufgrund falschpositiver Testergebnisse sowie einer unwissentlichen Weitergabe der Infektion aufgrund falschnegativer Ergebnisse. Daher ist es nicht mehr erforderlich, an der bestehenden umfassenden Abgabebeschränkung festzuhalten.

Über die beim Selbsttest zur Verfügung gestellten Materialien (z.B. Beipackzettel) können Präventionsinformationen und Informationen zur gesundheitlichen Aufklärung bereitgestellt werden bzw. Menschen auf bestehende Beratungsmöglichkeiten hingewiesen werden. Aus Studien, z.B. "Schwule Männer und AIDS 2013"2) ist bekannt, dass die Verknüpfung mit einer Beratung manche Menschen von der Testung abhält. Um diesen Hinderungsgrund zu entschärfen, ist eine Auflockerung des bisherigen Grundsatzes einer verknüpften Beratung und Testung gerechtfertigt. Selbsttests werden von Menschen angewendet, die einen autonomen Weg der Testung wünschen, oder sich bislang z.B. aufgrund räumlicher oder Stigmaassoziierter Barrieren nicht oder nicht regelmäßig genug getestet haben.

IVD zur Eigenanwendung können daher dazu beitragen, dass mehr Infektionen zu einem früheren Zeitpunkt erkannt werden. Denn trotz des bestehenden HIV-Testangebots bei Allgemeinmedizinern, öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, Krankenhäusern sowie niedrigschwelligen Beratungs- und Teststellen, wissen in Deutschland nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts rund 13 000 Menschen nicht von ihrer HIV-Infektion. HIV-Infektionen werden häufig erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Die WHO empfiehlt den Einsatz von sog. HIV-Selbsttests, um die HIV-Diagnoseraten zu steigern und den Anteil der Spätdiagnosen zu senken.

In Studien wurde kein Anstieg von riskantem Verhalten nach negativen Selbsttests festgestellt. Auch zur missbräuchlichen Verwendung von Selbsttests an anderen Personen liegt im Rahmen wissenschaftlicher Studien keine Evidenz vor.

Die bisherige Datenlage aus anderen Ländern zeigt, dass eine Anbindung an das Versorgungssystem erfolgt und Menschen bei Fragen den Weg in die Beratung bzw. Versorgung finden, um eine Bestätigungsdiagnostik und Behandlung durchführen zu lassen. Grundsätzlich ist es denkbar, dass ein (vermutlich geringer) Anteil von Personen keine Bestätigungsdiagnostik durchführen lässt. Dies unterscheidet sich aber nicht von der heutigen Situation, in der sich Personen nach einem ärztlich durchgeführten Ersttest nicht in allen Fällen das Testergebnis abholen.

Auswirkungen auf die epidemiologische Überwachung sind nicht zu erwarten, da nach einem positiven Selbsttestergebnis eine Bestätigungsdiagnostik bzw. die Bestimmung weiterer diagnostischer Marker für die Erstellung einer Diagnose und Meldung an das Robert Koch-Institut bzw. an das Gesundheitsamt notwendig ist.

Zu Artikel 2

Artikel 2 regelt das Inkrafttreten der Verordnung. Die Verordnung tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.