Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung

A. Problem und Ziel

Die Richtlinie (EU) Nr. 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren (ABl. L 65 vom 11.3.2016, S. 1, im Folgenden: Richtlinie) war bis zum 1. April 2018 in nationales Recht umzusetzen. Mit dieser Richtlinie werden gemeinsame Mindestvorschriften für bestimmte Aspekte der Unschuldsvermutung und das Recht des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung festgelegt. Das deutsche Recht entspricht den Vorgaben der Richtlinie bereits weitgehend. Mit dem vorliegenden Entwurf sollen daher nur punktuelle Anpassungen der Strafprozessordnung (StPO) im Bereich des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung erfolgen, um die Richtlinienanforderungen vollständig zu erfüllen.

B. Lösung

Nach Artikel 8 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Angeklagte das Recht haben, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein. Verhandlungen in Abwesenheit des Angeklagten sind zulässig, wenn der Angeklagte rechtzeitig über die Verhandlung informiert worden ist und entweder über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde oder durch einen bevollmächtigten Verteidiger vertreten wird. Das deutsche Strafprozessrecht, das von einer Anwesenheitspflicht des Angeklagten in der Verhandlung geprägt ist und deshalb Verhandlungen in Abwesenheit des Angeklagten nur in Ausnahmefällen erlaubt, wird diesen Richtlinienvorgaben im Wesentlichen gerecht. Zur vollständigen Richtlinienumsetzung bedarf es daher nur dreier Anpassungen:

Erstens fehlt es bisher in den Fällen zulässiger Abwesenheitsverhandlung gemäß § 231 Absatz 2 StPO an der gesetzlichen Verankerung einer Pflicht, darauf hinzuweisen, dass die Verhandlung in diesen Fällen in Abwesenheit des Angeklagten zu Ende geführt werden kann. Diese Hinweispflicht hinsichtlich der Folgen des Ausbleibens soll nunmehr eingeführt werden.

Zweitens ist derzeit in Fällen der Abwesenheitsentscheidung keine ausdrückliche Belehrung des Angeklagten über seine Rechte aus § 329 Absatz 7 und § 356a StPO vorgesehen. Um das Recht auf eine neue Verhandlung im Sinne der Richtlinie wirksam durchzusetzen, bedarf es jedoch einer solchen Belehrung des Angeklagten, die durch entsprechende Ergänzungen eingeführt werden soll.

Drittens besteht klarstellender Umsetzungsbedarf insoweit, als der inhaftierte Angeklagte nach dem Wortlaut des § 350 Absatz 2 Satz 2 StPO derzeit kein Recht auf Anwesenheit in der Revisionshauptverhandlung hat. Diese Regelung wird ergänzt durch Artikel 1 Nummer 2 des Gesetzes zu dem Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte vom 15. November 1973 (BGBl. 1973 II S. 1533). Danach ist Artikel 14 Absatz 3 Buchstabe d des Paktes, der dem Angeklagten das Recht auf Anwesenheit in der ihn betreffenden Verhandlung gewährt, derart anzuwenden, dass die persönliche Anwesenheit eines nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten zur Revisionshauptverhandlung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. Der Entwurf schlägt vor diesem Hintergrund eine Anpassung des Wortlauts des § 350 Absatz 2 Satz 2 StPO vor, um auch in der StPO selbst ausdrücklich klarzustellen, dass es im Ermessen des Gerichts liegt, ob der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte zu der Hauptverhandlung vorgeführt wird.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Keiner.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Keiner.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten

Keine.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Keiner.

F. Weitere Kosten

Infolge der vorgesehenen Änderung des § 350 StPO entsteht für die Gerichte in Bund und Ländern kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand. Die Änderung des § 350 StPO stellt lediglich die geltende Rechtslage klar. Inwiefern die Revisionsgerichte der Länder und der Bundesgerichtshof ihr bereits heute bestehendes Ermessen nach dieser Klarstellung anders als bisher ausüben werden, ist nicht absehbar. Angesichts der Tatsache, dass Angeklagte sich in der Revisionshauptverhandlung in aller Regel durch ihren Verteidiger vertreten lassen wollen, wird eine Vorführung inhaftierter Angeklagter auch künftig die Ausnahme bleiben. Sollte es dennoch zu häufigeren Vorführungen des inhaftierten Angeklagten zu seiner Revisionshauptverhandlung kommen, so würde lediglich der bereits auf der Grundlage des geltenden Rechts für die Verschubung, Unterbringung und Vorführung inhaftierter Angeklagter bestehende Erfüllungsaufwand in dem jeweiligen Einzelfall anfallen.

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung

Bundesrepublik Deutschland
Berlin, 10. August 2018 Die Bundeskanzlerin

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller

Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung mit Begründung und Vorblatt.

Federführend ist das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

Mit freundlichen Grüßen
Der Stellvertreter der Bundeskanzlerin
Olaf Scholz
Fristablauf: 21.09.18

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung1)

Vom ...

1) Artikel 1 dieses Gesetzes dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) Nr. 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren vom 9. März 2016 (ABl. L 65 vom 11.3.2016, S. 1).

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In § 32a Absatz 4 Nummer 3 werden nach dem Wort "Poststelle" die Wörter "der Behörde oder" eingefügt.

2. § 35a Satz 2 wird wie folgt gefasst:

"Bei der Bekanntmachung eines Urteils ist der Angeklagte auch über die Rechtsfolgen des § 40 Absatz 3 und des § 350 Absatz 2 sowie, wenn gegen das Urteil Berufung zulässig ist, über die Rechtsfolgen der §§ 329 und 330 zu belehren."

3. In § 40 Absatz 3 werden nach dem Wort "Berufung" die Wörter "oder Revision" eingefügt.

4. In § 231 Absatz 2 wird das Wort "und" durch ein Komma ersetzt und werden nach dem Wort "erachtet" die Wörter "und er in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass die Verhandlung in diesen Fällen in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden kann" eingefügt.

5. Dem § 329 Absatz 7 wird folgender Satz angefügt:

"Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren."

6. § 350 wird wie folgt geändert:

7. Nach § 356a Satz 3 wird folgender Satz eingefügt:

"Hierüber ist der Angeklagte bei der Bekanntmachung eines Urteils, das ergangen ist, obwohl weder er selbst noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, zu belehren."

Artikel 2
Änderung des Strafvollzugsgesetzes

In § 110a Absatz 3 Satz 1 des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 1976 (BGBl. 1 S. 581, 2088, 1977 1 S. 436), das zuletzt durch Artikel 10 Absatz 7 des Gesetzes vom 30. Oktober 2017 (BGBl. 1 S. 3618) geändert worden ist, werden die Wörter "sowie die für die Einsicht in elektronische Akten" gestrichen.

Artikel 3
Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten

In § 110a Absatz 3 Satz 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. 1 S. 602), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 27. August 2017 (BGBl. 1 S. 3295) geändert worden ist, werden die Wörter "sowie die für die Einsicht in elektronische Akten" gestrichen.

Artikel 4
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

Der Entwurf dient im Wesentlichen der Umsetzung der Richtlinie EU (Nr. ) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren (ABl. L 65 vom 11.3.2016, S. 1, im Folgenden: Richtlinie), die bis zum 1. April 2018 in nationales Recht umzusetzen war. Es handelt sich bei der Richtlinie um eine weitere Maßnahme zur Verwirklichung des Fahrplans zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren, den der Rat der Europäischen Union am 30. November 2009 angenommen hat. Mit dieser Richtlinie soll das Recht auf ein faires Strafverfahren gestärkt werden, indem gemeinsame Mindestvorschriften für bestimmte Aspekte der Unschuldsvermutung und das Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung festgelegt werden. Da das deutsche Recht den Vorgaben der Richtlinie weitgehend bereits entspricht, sind zu ihrer Umsetzung nur punktuelle Änderungen erforderlich.

Daneben enthält der Entwurf Folgeänderungen zum Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 (BGBl. 1 S. 2208).

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Die Richtlinie enthält europarechtliche Vorgaben zu zwei unterschiedlichen Bereichen: erstens zum Rechtsgrundsatz der Unschuldsvermutung - einschließlich Beweislast, Zweifelssatz sowie Aussage- und Selbstbelastungsfreiheit - und zweitens zum Recht des Angeklagten auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung. Zur Umsetzung der Richtlinie schlägt der Entwurf Änderungen mit Bezug zum Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung vor. Darüber hinaus besteht kein Änderungsbedarf im deutschen Recht.

1. Änderungsbedarf beim Recht auf Anwesenheit in der Verhandlung

Nach Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Angeklagte das Recht haben, in der sie betreffenden Verhandlung anwesend zu sein. In Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie wird festgelegt, dass Verhandlungen in Abwesenheit des Angeklagten zulässig sind, wenn der Angeklagte nach Buchstabe a entweder rechtzeitig über die Verhandlung und über die Folgen des Nichterscheinens unterrichtet wurde oder nach Buchstabe b nach Unterrichtung über die Verhandlung durch einen Verteidiger vertreten wird. Das deutsche Strafprozessrecht, das von einer Anwesenheitspflicht des Angeklagten in der Verhandlung geprägt ist und deshalb Verhandlungen in Abwesenheit des Angeklagten nur in Ausnahmefällen erlaubt, wird diesen Richtlinienvorgaben im Wesentlichen gerecht. Umsetzungs- bzw. Klarstellungsbedarf ergibt sich nur in folgenden Punkten:

a) Hinweis auf die Folgen des Nichterscheinens in den Fällen des § 231 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO)

§ 231 Absatz 2 StPO normiert eine Ausnahme von der Anwesenheitspflicht für den Angeklagten, der sich eigenmächtig entfernt oder der bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt, wenn er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Nach geltendem Recht fehlt es hier an einer vorherigen Unterrichtung des Angeklagten über die Folgen des Nichterscheinens. Diese nach Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie erforderliche Belehrungspflicht hinsichtlich der Folgen des Nichterscheinens soll nunmehr normiert werden.

b) Anwesenheitsrecht des (inhaftierten) Angeklagten in der Revisionsverhandlung

Der Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst gemäß Artikel 2 das gesamte Strafverfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss. Damit sind grundsätzlich auch zweit- oder drittinstanzliche Hauptverhandlungen umfasst, wobei sich aus einer Zusammenschau aus Artikel 8 Absatz 1 und Absatz 2 der Richtlinie ergibt, dass ein Anwesenheitsrecht des Angeklagten nur dann gewährleistet sein muss, wenn in der Verhandlung eine Entscheidung über Schuld oder Unschuld ergehen kann. Um klarzustellen, dass mit Bezug auf die Revisionshauptverhandlung das geltende deutsche Recht diesen Richtlinienvorgaben bereits entspricht, soll § 350 Absatz 2 Satz 2 StPO geändert werden. Ergänzend sollen Anpassungen in § 35a, § 40 Absatz 3, § 350 Absatz 1 und § 356a StPO erfolgen.

Derzeit regelt § 350 Absatz 2 Satz 2 StPO, dass der Angeklagte, der nicht auf freiem Fuß ist, keinen Anspruch auf Anwesenheit in der Revisionshauptverhandlung hat. Diese Regelung wird allerdings ergänzt durch Artikel 1 Nummer 2 des Gesetzes zu dem Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte vom 15. November 1973 (BGBl. II S. 1533). Danach ist Artikel 14 Absatz 3 Buchstabe d des Paktes, der dem Angeklagten das Recht auf Anwesenheit in der ihn betreffenden Verhandlung gewährt, derart anzuwenden, dass die persönliche Anwesenheit eines nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten zur Revisionshauptverhandlung in das (pflichtgemäß auszuübende) Ermessen des Gerichts gestellt wird. Der Entwurf schlägt vor diesem Hintergrund eine Anpassung des Wortlauts des § 350 Absatz 2 Satz 2 StPO vor, um in der StPO ausdrücklich klarzustellen, dass es im Ermessen des Gerichts liegt, ob der Angeklagte, der nicht auf freiem Fuß ist, zu der Hauptverhandlung vorgeführt wird. Zugleich soll die derzeitige Sonderregelung zur notwendigen Verteidigung des inhaftierten Angeklagten in der Revisionshauptverhandlung aufgehoben und damit klargestellt werden, dass auch in der Revision durchweg die allgemeinen Vorschriften über die notwendige Verteidigung zur Anwendung gelangen.

Gleichzeitig soll das Recht des Angeklagten auf Anwesenheit in der Revisionshauptverhandlung generell gestärkt werden. Die bereits im geltenden Recht vorgesehene Mitteilung an den Angeklagten entspricht dabei den Vorgaben der Richtlinie, da sie künftig nicht mehr als bloße Ordnungsvorschrift ausgestaltet sein soll. Dies wird unter anderem dadurch sichergestellt, dass für die Mitteilung, entsprechend den Regelungen zum Berufungsverfahren, künftig die erleichterten Voraussetzungen bei der öffentlichen Zustellung gelten sollen. Soweit die Mitwirkung des Verteidigers notwendig ist, ist dieser förmlich zu laden. Bei Gelegenheit dieser Änderungen sollen in § 350 Absatz 1 StPO Mitteilungspflichten auch zugunsten der übrigen zur Anwesenheit in der Revisionshauptverhandlung berechtigten Beteiligten ausdrücklich geregelt werden. Diese Ergänzung entspricht der derzeitigen Praxis und hat daher lediglich klarstellenden Charakter.

Flankierend zu diesen Neuregelungen sollen die entsprechenden Belehrungspflichten den Vorgaben der Richtlinie angepasst werden. Neben Folgeänderungen in § 35a StPO soll deshalb insbesondere eine Belehrung über die im Fall der Verletzung der Anwesenheitsrechte gegebenen Rechtsbehelfe in § 329 Absatz 7 und § 356a StPO vorgesehen werden.

c) Kein Anpassungsbedarf hinsichtlich weiterer Ausnahmen von der Anwesenheit

Soweit das deutsche Recht in den §§ 231a, 231b, 231c, 232, 233, 247, 329, 349, 387, 411 und 412 StPO weitere Ausnahmen von der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung vorsieht, sind diese nach Artikel 8 der Richtlinie gerechtfertigt. Änderungsbedarf besteht daher hinsichtlich dieser Vorschriften insgesamt nicht:

§ 231a Absatz 1 StPO regelt, dass die Hauptverhandlung, wenn sich der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat und er dadurch wissentlich die ordnungsmäßige Durchführung oder Fortsetzung der Hauptverhandlung in seiner Gegenwart verhindert, in seiner Abwesenheit durchgeführt oder fortgesetzt wird, wenn er noch nicht über die Anklage vernommen war, soweit das Gericht seine Anwesenheit nicht für unerlässlich hält. Nach § 231a Absatz 4 StPO ist dem Angeklagten, der keinen Verteidiger hat, ein Verteidiger zu bestellen, sobald eine Verhandlung ohne den Angeklagten nach Absatz 1 in Betracht kommt. Insoweit greift hier die Ausnahme nach Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie, der vorsieht, dass in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt werden kann, wenn er, nachdem er über die Verhandlung unterrichtet wurde, von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten wird. Zudem orientiert sich diese Ausnahme ihrem Sinn und Zweck nach auch an Artikel 8 Absatz 5 der Richtlinie, der die Möglichkeit vorsieht, dass der Richter oder das zuständige Gericht eine beschuldigte Person zeitweise von der Verhandlung ausschließen kann, wenn dies für die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Strafverfahrens erforderlich ist, vorausgesetzt, dass die Verteidigungsrechte gewahrt werden. Im Falle des § 231a Absatz 1 StPO handelt es sich um einen Ausnahmefall, in dem der Angeklagte seine eigene Verhandlungsunfähigkeit aktiv herbeiführt und wissentlich den Fortgang des Strafverfahrens behindert. Der Beschluss, der die Abwesenheitsverhandlung anordnet, ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, § 231a Absatz 3 Satz 3 Halbsatz 1 StPO. Es ist daher auch den Anforderungen des Artikels 9 der Richtlinie Genüge getan, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass Angeklagte, wenn sie bei der sie betreffenden Verhandlung nicht anwesend waren und die in Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie genannten Voraussetzungen nicht erfüllt wurden, das Recht auf eine neue Verhandlung oder auf Einlegung eines sonstigen Rechtsbehelfs haben.

Nach § 231b StPO kann, wenn der Angeklagte wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer entfernt oder zur Haft abgeführt wird (§ 177 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG), in seiner Abwesenheit verhandelt werden, wenn das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für unerlässlich hält und solange zu befürchten ist, dass die Anwesenheit des Angeklagten den Ablauf der Hauptverhandlung in schwerwiegender Weise beeinträchtigen würde. Dem Angeklagten ist in jedem Fall Gelegenheit zu geben, sich zur Anklage zu äußern.

Artikel 8 Absatz 5 der Richtlinie ermöglicht die zeitweise Ausschließung des Angeklagten zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Strafverfahrens, wenn die Verteidigungsrechte gewahrt sind. Erwägungsgrund 40 nennt insoweit explizit den Fall, dass ein Angeklagter die Verhandlung stört und deshalb des Saals verwiesen wird. Die Verteidigungsrechte werden im Rahmen des § 231b StPO durch die Pflicht gewahrt, den Angeklagten nach Wiederzulassung über die Verhandlung zu informieren. Auch kann sich der Angeklagte durch einen Verteidiger vertreten lassen, § 234 StPO.

§ 231b StPO ist somit von der Ausnahme des Artikels 8 Absatz 5 der Richtlinie gedeckt.

§ 231c StPO bietet einem Angeklagten lediglich die Möglichkeit einer Beurlaubung, wenn die Hauptverhandlung gegen mehrere Angeklagte stattfindet und die Angeklagten von einzelnen Verhandlungsteilen nicht betroffen sind. Diese Regelung beschneidet das Anwesenheitsrecht des Angeklagten nicht und ist allein der Tatsache geschuldet, dass im deutschen Recht grundsätzlich eine Anwesenheitspflicht des Angeklagten besteht.

Nach § 232 StPO kann die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten durchgeführt werden, wenn er ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann, und wenn nur Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Fahrverbot, Einziehung, Vernichtung oder Unbrauchbarmachung, allein oder nebeneinander, zu erwarten ist. Eine höhere Strafe oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf in diesem Verfahren nicht verhängt werden. Diese Ausnahme ist von Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie erfasst, wonach der Angeklagte rechtzeitig über die Verhandlung und über die Folgen des Nichterscheinens zu unterrichten ist. In den Fällen des § 232 StPO ist der Angeklagte ordnungsgemäß zu laden und in der Ladung darauf hinzuweisen, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann.

Artikel 9 der Richtlinie fordert ein Recht auf eine neue Verhandlung, wenn die Voraussetzungen für eine Abwesenheitsentscheidung nach Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie nicht vorgelegen haben. Dem entspricht die Möglichkeit der Wiedereinsetzung nach § 235 StPO.

Nach § 233 StPO kann der Angeklagte auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden, wenn nur Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Fahrverbot, Einziehung, Vernichtung oder Unbrauchbarmachung, allein oder nebeneinander, zu erwarten ist. Eine höhere Strafe oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf in seiner Abwesenheit nicht verhängt werden. Diese Regelung beschneidet das Anwesenheitsrecht des Angeklagten nicht und ist der Tatsache geschuldet, dass im deutschen Recht grundsätzlich eine Anwesenheitspflicht des Angeklagten besteht. Zudem sind die Voraussetzungen nach Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie gegeben. Der Angeklagte weiß um den Termin und darum, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann.

Nach § 247 Satz 1 und 2 StPO kann das Gericht anordnen, dass sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. Die Ausnahme ist von Artikel 8 Absatz 5 der Richtlinie gedeckt, da es um die Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Strafverfahrens geht. Erwägungsgrund 40 nennt insoweit als Beispiel explizit den Fall, dass die Anwesenheit eines Angeklagten den ordnungsgemäßen Ablauf einer Zeugenvernehmung stört.

Nach § 247 Satz 3 StPO kann die Entfernung des Angeklagten für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine eigene Gesundheit zu befürchten ist. Auch hier ist die Ausnahme nach Artikel 8 Absatz 5 der Richtlinie gerechtfertigt. Erwägungsgrund 42 der Richtlinie weist ausdrücklich darauf hin, dass auf die Belange von schutzbedürftigen Beschuldigten Rücksicht zu nehmen ist. Diesem Umstand wird die Vorschrift gerade gerecht.

Die Wahrung der Verteidigungsrechte erfolgt gemäß § 247 Satz 4 StPO durch die Pflicht des Gerichts, den Angeklagten nach Wiederzulassung über den wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während der Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist. Zudem besteht in allen Fällen des § 247 StPO die Möglichkeit der Anfechtung des Beschlusses über den zeitweiligen Ausschluss des Angeklagten im Rahmen der Revision, so dass auch Artikel 9 der Richtlinie Genüge getan wird.

Nach § 329 Absatz 1 StPO hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins oder bei Fortführung der Hauptverhandlung weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht anwesend ist und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist oder sich der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat und kein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht anwesend ist. Diese Vorschrift ist durch die Ausnahme des Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie gedeckt, weil eine Verwerfung nur zulässig ist, wenn der Angeklagte ordnungsgemäß geladen wurde, wozu auch die Belehrung über die Folgen des Ausbleibens gehört, § 323 Absatz 1 Satz 2 StPO. Das Gleiche gilt für die Berufungsverwerfung nach § 329 Absatz 4 StPO. Hiernach hat das Gericht in den Fällen, in denen es nach § 329 Absatz 4 Satz 1 StPO das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet hat, und der Angeklagte zu diesem Fortsetzungstermin ohne genügende Entschuldigung dennoch nicht erscheint, die Berufung zu verwerfen. Über die Möglichkeit der Verwerfung ist der Angeklagte mit der Ladung zu belehren. Die Voraussetzungen des Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie sind erfüllt.

Nach § 329 Absatz 2 StPO findet die Hauptverhandlung auch ohne den Angeklagten statt, soweit seine Anwesenheit nicht erforderlich ist und wenn er durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht vertreten wird oder seine Abwesenheit im Fall der Verhandlung auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft nicht genügend entschuldigt ist. In der ersten Alternative ist diese Ausnahme durch Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie gedeckt, da ein bevollmächtigter Rechtsanwalt den Angeklagten vertritt. In der zweiten Alternative gilt die Ausnahme nach Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie, da der Angeklagte gemäß § 323 Absatz 1 Satz 2 StPO ordnungsgemäß zu laden und auf die Folgen des Ausbleibens hinzuweisen ist.

In allen Fällen des § 329 StPO werden über § 329 Absatz 7 StPO in Verbindung mit den Vorschriften zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 ff. StPO) die Voraussetzungen des Artikel 9 der Richtlinie gewahrt. Dabei soll der Angeklagte künftig über diesen Rechtsbehelf, entsprechend einer bereits im geltenden Recht weit verbreiteten Praxis, aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 329 Absatz 7 Satz 2 der Strafprozessordnung in der Entwurfsfassung (StPO-E) belehrt werden.

Gemäß § 349 StPO kann das Revisionsgericht die Revision durch Beschluss als unzulässig verwerfen, wenn es zu dem Schluss kommt, dass die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht beobachtet wurden. Nach § 349 Absatz 2 StPO kann das Revisionsgericht auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluss entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet. Gemäß Artikel 8 Absatz 6 der Richtlinie besteht das Anwesenheitsrecht des Artikels 8 Absatz 1 der Richtlinie nur, wenn nach nationalem Prozessrecht eine mündliche Verhandlung vorgesehen ist (vergleiche Erwägungsgrund 41 der Richtlinie). Dies ist bei einer bloßen Verwerfung der Revision als unzulässig oder offensichtlich unbegründet nicht der Fall.

Gemäß § 387 StPO kann sich der Angeklagte im Rahmen der Privatklage in der Hauptverhandlung auf Grund einer schriftlichen Vollmacht durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Diese Regelung tangiert nicht das Anwesenheitsrecht, da es dem Angeklagten freisteht, zu der Hauptverhandlung zu erscheinen. Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen des Artikels 8 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie vor.

Im Strafbefehlsverfahren wird der Einspruch gemäß § 411 StPO ohne Hauptverhandlung durch Beschluss verworfen, wenn er verspätet eingelegt oder sonst unzulässig ist. Andernfalls wird Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Hat der Angeklagte seinen Einspruch auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkt, kann das Gericht mit Zustimmung des Angeklagten, des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheiden. Da in diesen Fällen keine mündliche Verhandlung vorgesehen ist, besteht nach Artikel 8 Absatz 6 der Richtlinie ein Anwesenheitsrecht nach Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie nicht.

Nach § 411 Absatz 2 StPO kann sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht vertreten lassen. Diese Regelung tangiert nicht das Anwesenheitsrecht und ist zudem jedenfalls von den Voraussetzungen des Artikels 8 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie gedeckt.

§ 412 StPO verweist hinsichtlich der Einspruchsverwerfung auf § 329 Absatz 1, 3, 6 und 7 StPO, so dass auf die Ausführungen hierzu verwiesen werden kann.

Soweit § 415 StPO eine Ausnahme von Anwesenheit des Beschuldigten im Sicherungsverfahren vorsieht, löst dies schließlich ebenfalls keinen Umsetzungsbedarf bei den Regelungen zur Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung aus.

§ 415 StPO sieht zwar die Möglichkeit vor, die Hauptverhandlung gegen den schuldunfähigen Beschuldigten ausnahmsweise ohne diesen durchzuführen. Es ist jedoch bereits fraglich, ob es sich bei dem Verfahren nach den §§ 413 ff. StPO um ein Strafverfahren im Sinne der Richtlinie handelt. Insoweit soll nach Erwägungsgrund 11 der Richtlinie diese nur für Strafverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) unbeschadet der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gelten. In der Literatur wird dabei davon ausgegangen, dass das Sicherungsverfahren nach § 413 StPO bereits keine "strafrechtliche Anklage" im Sinne von Artikel 6 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) darstellt (vergleiche Löwe-Rosenberg/Esser, Kommentar zur Strafprozessordnung, 11. Band, 26. Auflage 2012, Artikel 6 EMRK Rn. 79). Dies kann indes dahinstehen, denn jedenfalls greift vorliegend die Ausnahme des Artikels 8 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie. Gemäß § 140 Nummer 7 StPO handelt es sich bei dem Sicherungsverfahren um einen Fall der notwendigen Verteidigung. Die ständige Anwesenheit des Verteidigers bei der Verhandlung ist erforderlich. Unter den Voraussetzungen des § 234 StPO kann der Verteidiger den Beschuldigten zudem gegebenenfalls vertreten. Es besteht daher auch im Hinblick auf diese Regelung kein Umsetzungsbedarf. Da eine Anfechtung im Rahmen der Revision erfolgen kann, wobei der zwingende Revisionsgrund des § 338 Nummer 5 StPO besteht, wenn die Voraussetzungen des § 415 Absatz 1 oder 3 StPO nicht vorlagen, ist den Anforderungen des Artikels 9 der Richtlinie Genüge getan.

Bei allen oben genannten Ausnahmefällen von der Anwesenheit sind die Anforderungen von Artikel 9 der Richtlinie eingehalten, wonach Angeklagte, wenn sie bei der sie betreffenden Verhandlung nicht anwesend waren und die in Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie genannten Voraussetzungen nicht erfüllt wurden, das Recht auf eine neue Verhandlung oder auf Einlegung eines sonstigen Rechtsbehelfs haben, die bzw. der eine neue Prüfung des Sachverhalts, einschließlich neuer Beweismittel, ermöglicht und zur Aufhebung der ursprünglichen Entscheidung führen kann. Die Frage des Rechtsmittels wurde im Rahmen der jeweiligen Ausnahmen abgehandelt, soweit Besonderheiten bestanden. Im Übrigen besteht im deutschen Recht grundsätzlich gegen ergangene Urteile zunächst die Möglichkeit des Instanzenzuges. Dabei handelt es sich bei der Berufung um eine neue Tatsacheninstanz. Im Rahmen des Revisionsverfahrens besteht nach § 338 Nummer 5 StPO ein absoluter Revisionsgrund, wenn das Anwesenheitsrecht des Angeklagten nicht gewahrt wurde oder die Voraussetzungen für eine der Ausnahmen nicht vorlagen. Soweit das Revisionsgericht selbst bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, besteht die Möglichkeit eines Antrags nach § 356a StPO. Soweit ein Beschluss des Gerichts direkt angegriffen werden sollte, besteht für das Berufungsverfahren gegebenenfalls die Anhörungsrüge nach § 311a StPO und subsidiär die Möglichkeit der Gehörsrüge nach § 33a StPO. Nach Rechtskraft des Urteils steht dem Angeklagten zudem noch die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44, 45 StPO) und gegebenenfalls die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den §§ 359 ff. StPO als Rechtsbehelf eigener Art zu.

2. Kein Änderungsbedarf hinsichtlich der übrigen Richtlinieninhalte

Auch hinsichtlich der übrigen Inhalte der Richtlinie besteht kein gesetzlicher Umsetzungsbedarf:

a) Artikel 1 und 2 (Gegenstand und Anwendungsbereich)

Die Artikel 1 und 2 beschreiben den Gegenstand der Richtlinie und deren persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich. Sie bedürfen keiner gesonderten Umsetzung, sondern sind lediglich bei der Umsetzung der einzelnen in der Richtlinie geregelten Rechte zu beachten.

b) Artikel 3 (Unschuldsvermutung)

In Artikel 3 der Richtlinie wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung festgeschrieben. Im deutschen Recht ist dieser fundamentale Rechtsgrundsatz im Rechtsstaatsprinzip nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) verankert und genießt mithin Verfassungsrang. Er ist zusätzlich auf der Ebene einfachen Bundesrechts (BGBl. 1952 II 685, 953; BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011, 2 BvR 2333/08, NJW 2011, 1931 f.) in Artikel 6 Absatz 2 EMRK kodifiziert. Insoweit genügt das deutsche Recht der Richtlinie.

c) Artikel 4 (Öffentliche Bezugnahme auf die Schuld)

Nach Artikel 4 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass, solange die Schuld eines Beschuldigten nicht rechtsförmlich nachgewiesen wurde, in öffentlichen Erklärungen von Behörden und in nicht die Frage der Schuld betreffenden gerichtlichen Entscheidungen nicht so auf die Person Bezug genommen wird, als sei sie schuldig.

Nach Artikel 4 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 10 der Richtlinie müssen bei Verstößen gegen diese Verpflichtung geeignete Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen. Nach Erwägungsgrund 17 der Richtlinie soll jede öffentliche Erklärung erfasst sein, in der auf eine Straftat Bezug genommen wird, und die entweder von einer Justizbehörde stammt oder aber von einer anderen Behörde.

Im deutschen Recht unterliegen öffentliche Erklärungen von Behörden zunächst dem Presserecht der Länder. Die Landespressegesetze kodifizieren die Auskunftsansprüche der Presse gegenüber Behörden, wobei stets eine Ausnahme vorgesehen ist, wonach die Landesbehörden bei widerstreitenden privaten Interessen abwägen müssen, ob und inwieweit eine Auskunft erfolgen soll. Diese Abwägung erfolgt dabei im Lichte der unmittelbaren Grundrechtsbindung der Behörden. Gegenüber Bundesbehörden steht der Presse ebenfalls ein Auskunftsanspruch zu (Landespresserecht analog oder Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG unmittelbar). Auch hier ist in jedem Falle eine Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des jeweils Betroffenen nach Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 GG andererseits, unter Beachtung der Unschuldsvermutung, vorzunehmen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung wird verletzt, wenn eine Äußerung eines Amtsträgers, die eine einer Straftat angeklagte Person betrifft, die Auffassung widerspiegelt, sie sei schuldig, bevor der gesetzliche Nachweis der Schuld erbracht ist (BGH, Urteil vom 7. September 2016, 1 StR 154/16, NJW 2016, 3670, unter Verweis auf EGMR, Urteil vom 10. Februar 1995, Az. 15175/89, Rn. 35 f. - Allenet de Ribemont/France und weitere). Bei öffentlichen Erklärungen ist daher stets klarzustellen, dass es sich vor Verurteilung nur um den Verdacht einer Straftat bzw. Täterschaft handelt. Insoweit besteht im deutschen Recht kein Umsetzungsbedarf.

Auch die deutschen Regelungen zur Öffentlichkeitsfahndung gemäß den §§ 131 ff. StPO werden diesen Anforderungen gerecht. Nach Erwägungsgrund 18 der Richtlinie soll das Verbot, Verdächtige oder beschuldigte Personen als schuldig darzustellen, öffentliche Stellen nicht daran hindern, Informationen über Strafverfahren öffentlich zu verbreiten, wenn dies im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen, oder im öffentlichen Interesse, unbedingt erforderlich ist. Der Rückgriff auf solche Gründe sollte auf Situationen beschränkt bleiben, in denen dies unter Berücksichtigung sämtlicher Interessen zweckmäßig und verhältnismäßig erscheint. Auf jeden Fall sollte aufgrund der Art und des Zusammenhangs der Informationsverbreitung nicht der Eindruck entstehen, dass eine Person schuldig ist, bevor ihre Schuld rechtsförmlich nachgewiesen wurde.

Aus demselben Grund ist auch ein Tätigwerden der Polizei- oder Ordnungsbehörden im öffentlichen Interesse zur Verhütung oder Vorbeugung von Straftaten aufgrund der jeweiligen Polizeigesetze des Bundes und der Länder sowie der Ordnungsgesetze der Länder richtlinienkonform, denn in allen diesen Gesetzen ist bei solch grundrechtsrelevanten Eingriffen in Persönlichkeitsrechte eine Verhältnismäßigkeits- und Zweckmäßigkeitsprüfung erforderlich und eine genaue Interessenabwägung im Einzelfall. Auch insoweit besteht daher im deutschen Recht kein Umsetzungsbedarf.

Öffentliche Mitteilungen durch Pressesprecher der Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte, wie auch öffentliche Erklärungen anderer Behörden, die dabei gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung verstoßen, können als Akte öffentlicher Gewalt einer gerichtlichen Prüfung unterzogen werden (Artikel 19 Absatz 4 GG) . Es ist zwar streitig, ob Pressemitteilungen eines Strafrichters oder von Ermittlungsbeamten, die lediglich berichten und nicht im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung erfolgen, als spezifisch justizmäßige Aufgabe zu qualifizieren sind und damit über § 23 des Einführungsgesetzes zum GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist, oder aber ob für diese genauso wie für Mitteilungen anderer Amtsträger der Verwaltungsrechtweg eröffnet ist. Letzterer Meinung hat sich der BGH jüngst angeschlossen (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2017, 2 ARs 188/15 (PDF) , StraFo 2017, 462). Da der Rechtsweg nach beiden Ansichten eröffnet ist, stehen - wie von Artikel 4 der Richtlinie gefordert - geeignete Maßnahmen für den Fall eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung zur Verfügung, so dass auch hier die Richtlinie keinen Handlungsbedarf für den Gesetzgeber schafft. Darüber hinaus besteht gegebenenfalls auch ein Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG. Für diesen Anspruch gelten die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung. Das Handeln der Behörden kann damit stets auch gerichtlich überprüft werden. Die Einführung neuer Rechtsbehelfe ist nicht veranlasst.

d) Artikel 5 (Darstellung von Verdächtigen und beschuldigten Personen)

Nach Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen vor Gericht oder in der Öffentlichkeit nicht durch den Einsatz physischer Zwangsmaßnahmen (z.B. Hand- und Fußfesseln, Glaskabinen oder Käfige) so dargestellt werden, als seien sie schuldig.

Nach Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie hindert dies die Mitgliedstaaten aber nicht daran, aus Gründen der Sicherheit oder zur Verhinderung einer Flucht oder einer Kontaktaufnahme mit Dritten im konkreten Fall solche physischen Zwangsmaßnahmen einzusetzen.

Nach Artikel 10 der Richtlinie müssen bei Verstößen gegen diese Verpflichtung geeignete Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen.

§ 231 Absatz 1 Satz 2 StPO sieht vor, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung die geeigneten Maßregeln treffen kann, um die Entfernung des Angeklagten zu verhindern. Nach der Rechtsprechung bedarf es hierfür konkreter, auf Tatsachen gestützter Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr. Erforderlich ist ein belegbarer Anlass für die Annahme, dass der Angeklagte beabsichtigt, sich der weiteren Verhandlung zu entziehen. Es kommt also auf eine Würdigung der Umstände des Einzelfalles an, wie sie auch in Artikel 5 der Richtlinie gefordert wird. Die Wahl der Mittel unterliegt dabei einer Verhältnismäßigkeitsprü-fung, so dass das mildeste geeignete Mittel zu wählen ist - von der umfriedeten Anklagebank über die Bewachung durch einen Gerichtswachtmeister zur Fesselung. Die entgegenstehenden Interessen des Beschuldigten sowie Aspekte der Unschuldsvermutung sind zu gewichten und abzuwägen. Eine Maßnahme nach § 231 Absatz 2 Satz 1 StPO ist sodann grundsätzlich gemäß § 304 StPO mit der Beschwerde anfechtbar (vergleiche OLG

Frankfurt a. M., Beschluss vom 12. Mai 2003, 3 Ws 498/03 (PDF) , NStZ-RR 2003, 329, OLG Dresden, Beschluss vom 15. Februar 2006, 1 Ws 025/06 (PDF) , NStZ 2007, 479).

§ 305 Satz 1 StPO steht in den meisten Fallkonstellationen nicht entgegen, da es sich in der Regel nicht um eine Maßnahme handelt, die im inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung steht. Die Anforderungen der Richtlinie werden damit erfüllt.

Bei sitzungspolizeilichen Maßnahmen nach § 176 GVG gelten die gleichen Anforderungen. Auf Rechtsfolgenseite ist hier zu beachten, dass § 181 Absatz 1 StPO zwar regelt, dass in den Fällen, in denen nach den §§ 178, 180 GVG ein Ordnungsmittel festgesetzt ist, Beschwerde eingelegt werden kann. Nach überwiegender Ansicht wird hieraus im Umkehrschluss gefolgert, dass andere sitzungspolizeiliche Maßnahmen - insbesondere solche auf der Grundlage des § 176 GVG - der gesonderten Anfechtung mit der Beschwerde grundsätzlich entzogen sind (vergleiche KG, Beschluss vom 27. Mai 2010, 4 Ws 061/10 (PDF) , NStZ 2011, 120). Nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung ist hiervon jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden (vergleiche BVerfG, Beschluss vom 17. April 2015, 1 BvR 3276/08, NJW 2015, 2175, OLG München, Beschluss vom 14. Juli 2006, 2 Ws 679, 684/06 (PDF) , NJW 2006, 3079, LG Ravensburg, Beschluss vom 27. Januar 2007, 2 Qs 010/07 (PDF) , NStZ-RR 2007, 348; KG, Beschluss vom 27. Mai 2010, 4 Ws 061/10 (PDF) , NStZ 2011, 120, OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Juni 2011, 4 Ws 136/11 (PDF) , NJW 2011, 2899, OLG Hamm, Beschluss vom 24. November 2011, 3 Ws 370/11 (PDF) , NStZ-RR 2012, 118). Dies ist bei den in Rede stehenden physischen Zwangsmaßnahmen der Fall. Denn jedenfalls sobald durch eine physische Zwangsmaßnahme ein Angeklagter so dargestellt werden könnte, als sei er schuldig, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten zu berücksichtigen, sowie der auch in der Richtlinie verkörperte Gedanke, dass der Einsatz physischer Zwangsmaßnahmen die Unschuldsvermutung tangiert. Der dem Vorsitzenden hier gewährte Ermessensspielraum muss dann einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten. Insoweit steht auch in diesen Fällen ein geeigneter Rechtsbehelf zur Verfügung.

Als weitere Möglichkeit steht dem Angeklagten die Anrufung des Gerichts zur Nachprüfung der sitzungspolizeilichen Maßnahme nach § 238 Absatz 2 StPO zur Verfügung. Wenn die Fesselung des Angeklagten beispielsweise dessen sachgerechte Verteidigung zu verhindern vermag, so kann es sich bei der Anordnung physischer Zwangsmaßnahmen auch um eine die Sachleitung betreffende Anordnung des Gerichts handeln. Die Verteidigung hat sodann eine Entscheidung des Gerichts nach § 238 Absatz 2 StPO herbeizuführen, um im Rahmen der Revision Verfahrensrüge zu erheben.

In jedem Fall kann der Angeklagte durch einen Befangenheitsantrag eine Entscheidung über die gerichtliche Maßnahme herbeiführen, die ihrerseits mit der Revision überprüft werden kann.

Mit Erwägungsgrund 21 wird Artikel 5 dahingehend konkretisiert, dass nach Möglichkeit vermieden werden soll, Beschuldigte in Häftlingskleidung zu zeigen. Der Untersuchungshaftvollzug ist in der Bundesrepublik Deutschland Ländersache. In den jeweiligen Untersuchungshaftvollzugsgesetzen der Länder befindet sich jeweils die Regelung, dass der Gefangene grundsätzlich bei Aus- oder Vorführung seine eigene Kleidung tragen soll. Mit § 119a StPO steht dem Gefangenen auch ein Rechtsbehelf zur Verfügung. Somit entspricht die deutsche Rechtslage auch hier den Anforderungen der Richtlinie.

e) Artikel 6 (Beweislast)

Nach Artikel 6 der Richtlinie stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Beweislast für die Feststellung der Schuld von Beschuldigten bei der Strafverfolgungsbehörde liegt. Dies ist im deutschen Recht durchgehend der Fall. Im Ermittlungsverfahren hat gemäß § 160 StPO die Staatsanwaltschaft, wenn sie von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, den Sachverhalt umfassend zu erforschen. Im Rahmen der Hauptverhandlung hat gemäß der in § 244 Absatz 2 StPO niedergelegten Amtsaufklärungspflicht das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Im deutschen Recht liegen daher die Erforschung des Sachverhalts und die Beweislast stets bei den Strafverfolgungsbehörden. Eine Beweislastumkehr, die dem Angeklagten eine Beweislast aufbürdet, kennt das deutsche Recht nicht. Auch die Voraussetzung der "nicht erweislichen wahren" Tatsache in § 186 StGB stellt keine solche formelle Beweislastregel dar. Die materielle Wahrheit ist weiterhin vom Gericht von Amts wegen zu erforschen.

Gemäß Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie muss jeglicher Zweifel hinsichtlich der Frage der Schuld dem Beschuldigten zugutekommen. Nach dem im deutschen Recht geltenden, aus Verfassungsrecht und § 261 StPO abgeleiteten Grundsatz "in dubio pro reo" muss, wenn das Gericht Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten oder am Bestehen unmittelbar entscheidungserheblicher Tatsachen hat, dies jeweils zugunsten des Angeklagten wirken.

Allerdings stellt § 186 StGB bei der üblen Nachrede die Behauptung herabwürdigender oder verächtlichmachender Tatsachen bereits dann unter Strafe, wenn diese nicht nachweislich wahr sind. Insoweit lässt sich aber argumentieren, dass der Schutz des Opfers unzureichend bliebe, wenn Zweifel an der Wahrheit der behaupteten Tatsache allein zu seinen Lasten gingen. Es ist das Grundrecht auf persönliche Ehre des Opfers mit der zugunsten des Angeklagten geltenden Unschuldsvermutung in Einklang zu bringen. Vor diesem Hintergrund bestimmt auch Erwägungsgrund 22 der Richtlinie, dass derartige Vermutungen unter Berücksichtigung der Bedeutung der betroffenen Belange und unter Wahrung der Verteidigungsrechte auf ein vertretbares Maß beschränkt werden sollten, und die eingesetzten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten legitimen Ziel stehen sollten. Insbesondere im Lichte der Schwierigkeit, einen Negativbeweis zu führen, lässt sich eine ausgewogene Interessenabwägung nur durch die getroffene Regelung sinnvoll erreichen. Insoweit besteht auch in Bezug auf Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie kein Umsetzungsbedarf.

f) Artikel 7 (Recht, die Aussage zu verweigern, und Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen)

Nach Artikel 7 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass der Beschuldigte das Recht hat, die Aussage zu verweigern und sich nicht selbst belasten zu müssen, ohne dass dies gegen ihn verwendet werden darf. Der im Strafprozess zentrale Grundsatz der Aussage- und Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten gehört im deutschen Recht zu den anerkannten Grundsätzen des Strafprozesses. Er gilt als fundamentaler und übergeordneter Rechtsgrundsatz mit Verfassungsrang, der als Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung auf dem Leitgedanken der Achtung vor der Menschenwürde (Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 GG) beruht (BVerfGE 38, 105, 113, 56, 37, 43, BGHSt 14, 358, 364, 34, 39, 46, 38, 214, 220 f.; 38, 302, 305). Einfachgesetzlich ist er in den §§ 136, 163a und 243 Absatz 5 StPO ausgeprägt. Das Recht zu schweigen führt auch notwendig dazu, dass das Schweigeverhalten des Beschuldigten gegenüber Strafverfolgungsbehörden als solches nicht als belastendes Indiz gewertet werden darf (BGH, Beschluss vom 27. Januar 1987, 1 StR 703/86, StV 1987, 377, BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1995, 2 BvR 326/92, NStZ 1995, 555). Auch hier ergibt sich kein Umsetzungsbedarf im deutschen Recht.

Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie fordert darüber hinaus, dass bei der Würdigung von Aussagen von Verdächtigen oder bei der Würdigung von Beweisen, die unter Missachtung der Aussage- und Selbstbelastungsfreiheit erlangt wurden, die Verteidigungsrechte und das Recht auf ein faires Verfahren beachtet werden. Im deutschen Recht ist eine Aussage, bei der der Beschuldigte nicht zuvor über seine Aussagefreiheit informiert wurde, grundsätzlich unverwertbar (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992, 5 StR 190/91, NJW 1992, 1463). Wenn in der Hauptverhandlung ein Verteidiger mitwirkt und der Angeklagte oder sein Verteidiger der Verwertung der früheren Aussage zustimmt oder ihr nicht bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht, so besteht aber kein Verwertungsverbot. Hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter keinen Verteidiger gehabt, so gilt die genannte Einschränkung nur dann, wenn der Angeklagte vom Vorsitzenden belehrt worden ist, dass er der Verwertung seiner bei der Polizei gemachten Aussage widersprechen kann. Diese Vorgehensweise entspricht einem fairen Verfahren, da der Angeklagte bzw. sein Verteidiger entscheiden kann, ob die Verwertung einer sinnvollen Verteidigung zugutekommt oder nicht. Die Verteidigungsrechte werden dadurch gerade gewahrt.

Eine Fernwirkung dieser selbstbelastenden Aussage in der Weise, dass auch die durch die Aussage bekannt gewordenen Beweismittel nicht benutzt werden dürfen, besteht zwar nach der Rechtsprechung in Deutschland grundsätzlich nicht. Nach der hier herrschenden Abwägungslehre ist vielmehr im Einzelfall zu entscheiden, ob ein Beweisverwertungsverbot für weitere Ermittlungsergebnisse, die mittelbar aufgrund der Aussage erlangt wurden, besteht oder nicht. Es sind dabei die Schwere des Verstoßes, die Schwere der aufzuklärenden Straftat und der Rang des Rechtsguts gegeneinander abzuwägen. Diese Vorgehensweise - bei der also eine Einzelfallabwägung der widerstreitenden Interessen zu erfolgen hat - entspricht aber gerade dem Erfordernis eines fairen Verfahrens. Es besteht auch hier kein Umsetzungsbedarf.

g) Artikel 10 (Rechtsbehelfe)

Nach Artikel 10 haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Betroffenen im Falle einer Verletzung ihrer in dieser Richtlinie festgelegten Rechte über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügen. Das ist, wie bereits im Rahmen der jeweiligen Regelungen im Einzelnen dargelegt, im deutschen Strafprozessrecht durchweg gewährleistet.

h) Artikel 11 bis 16 (Allgemeine und Schlussbestimmungen)

Die Artikel 11 bis 16 der Richtlinie enthalten keinen umsetzungsbedürftigen Inhalt.

III. Alternativen

Keine.

IV. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt für die hier vorgesehenen Änderungen aus den Kompetenztiteln des Artikels 74 Absatz 1 Nummer 1 GG (gerichtliches Verfahren).

V. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen

Der Entwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar. Er dient der Umsetzung der Richtlinie 2016/343 /EU.

VI. Gesetzesfolgen

Der Entwurf sieht insbesondere Regelungen vor, die das Recht beschuldigter Personen auf Anwesenheit in der strafrechtlichen Verhandlung stärken.

1. Rechts- und Verwaltungsvereinfachung

Die zur Umsetzung der Richtlinie 2016/343 /EU erforderlichen gesetzlichen Regelungen werden nicht zu einer Rechts-und Verwaltungsvereinfachung führen.

2. Nachhaltigkeitsaspekte

Der Entwurf steht im Einklang mit den Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Er sieht insbesondere Regelungen vor, die das Recht beschuldigter Personen auf Anwesenheit in der strafrechtlichen Verhandlung stärken.

3. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

4. Erfüllungsaufwand

a) Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Für die Bürgerinnen und Bürger entsteht durch den Entwurf kein Erfüllungsaufwand.

b) Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Auch für die Wirtschaft löst der Entwurf keinen Erfüllungsaufwand aus.

c) Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Keiner.

5. Weitere Kosten

Infolge der vorgesehenen Änderung des § 350 StPO entsteht für die Gerichte in Bund und Ländern kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand. Die Änderung des § 350 StPO stellt lediglich die geltende Rechtslage klar. Inwiefern die Revisionsgerichte der Länder und der Bundesgerichtshof ihr bereits heute bestehendes Ermessen nach dieser Klarstellung anders als bisher ausüben werden, ist nicht absehbar. Angesichts der Tatsache, dass Angeklagte sich in der Revisionshauptverhandlung in aller Regel durch ihren Verteidiger vertreten lassen wollen, wird eine Vorführung inhaftierter Angeklagter auch künftig die Ausnahme bleiben. Sollte es dennoch zu häufigeren Vorführungen des inhaftierten Angeklagten zu seiner Revisionshauptverhandlung kommen, so würde lediglich der bereits auf der Grundlage des geltenden Rechts für die Verschubung, Unterbringung und Vorführung inhaftierter Angeklagter bestehende Erfüllungsaufwand in dem jeweiligen Einzelfall anfallen.

6. Weitere Gesetzesfolgen

Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung sind nicht ersichtlich. Ebenso ergeben sich keine verbraucherpolitischen oder demografischen Auswirkungen.

VII. Befristung; Evaluierung

Eine Befristung der Regelungen kommt in Anbetracht der Tatsache, dass verbindliche Richtlinienvorgaben umgesetzt werden, nicht in Betracht.

Artikel 12 der Richtlinie 2016/343 /EU enthält eine Verpflichtung der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 1. April 2021 zu berichten, inwieweit die Mitgliedstaaten die Maßnahmen getroffen haben, die erforderlich sind, um der Richtlinie nachzukommen. Der deutsche Bericht wird dem nationalen Evaluierungsverfahren gleichwertig sein. Einer darüber hinausgehenden gesetzlichen Evaluierungsregelung bedarf es nicht.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung der Strafprozessordnung)

Zu Nummer 1 (§ 32a)

Es handelt sich um die Berichtigung eines im Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 (BGBl. I S. 2208) enthaltenen redaktionellen Fehlers. Die elektronische Übermittlung von Dokumenten über das besondere Behördenpostfach (beBPo) sollte für am Strafverfahren beteiligte Behörden, wie sich auch aus der Parallelregelung des § 32a Absatz 4 Nummer 2 StPO ergibt, von Anfang an nicht nur an die elektronische Poststelle von Gerichten, sondern auch an die elektronische Poststelle von Strafverfolgungsbehörden, insbesondere also Staatsanwaltschaften und Polizeidienststellen, erfolgen können. Insbesondere die Stellung formwirksamer Strafanträge bei Polizei oder Staatsanwaltschaft soll über den sicheren Übermittlungsweg des beBPo ermöglicht werden, ohne dass es hierzu einer zusätzlichen qualifizierten Signatur bedarf.

Zu Nummer 2 (§ 35a)

Es handelt sich um eine Anpassung der Rechtsmittelbelehrung aufgrund der durch § 350 StPO-E (vergleiche die Begründung zu Nummer 6) und § 40 Absatz 3 StPO-E (vergleiche die Begründung zu Nummer 3) vorgeschlagenen Änderungen.

Derzeit ist der Betroffene gemäß § 35a StPO bei der Bekanntmachung einer Entscheidung, die durch ein befristetes Rechtsmittel angefochten werden kann, über die Möglichkeiten der Anfechtung und die dafür vorgeschriebenen Fristen und Formen zu belehren. Ist gegen ein Urteil Berufung zulässig, so ist der Angeklagte nach § 35a Satz 2 StPO auch über die Rechtsfolgen des § 40 Absatz 3 StPO und der §§ 329, 330 StPO zu belehren.

Da eine Revisionshauptverhandlung nach § 350 Absatz 2 Satz 2 StPO-E auch weiterhin ohne den Angeklagten stattfinden kann, bedarf es zur Umsetzung der Richtlinie einer Unterrichtung über diese Folge des Nichterscheinens. Dies wird durch die vorgeschlagene Ergänzung des § 35a StPO gewährleistet.

Gemäß § 40 Absatz 3 StPO-E soll künftig auch im Revisionsverfahren eine vereinfachte öffentliche Zustellung ermöglicht werden (vergleiche hierzu die Begründung zu Nummer 3). Auch hierüber ist der Angeklagte bei der Urteilsbekanntmachung zu belehren. Die Verweisung auf § 40 Absatz 3 StPO ist daher entsprechend anzupassen.

Zu Nummer 3 (§ 40 Absatz 3)

Die Ergänzung des § 40 Absatz 3 StPO-E flankiert die vorgeschlagenen Änderungen des § 350 StPO.

Gemäß § 40 Absatz 3 StPO in der derzeitiger Fassung ist die öffentliche Zustellung im Verfahren über eine vom Angeklagten eingelegte Berufung bereits dann zulässig, wenn eine Zustellung unter der letzten bekannten Anschrift nicht möglich war. Dies soll künftig auch im Fall der vom Angeklagten eingelegten Revision gelten. Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 40 Absatz 3 StPO ist dem Umstand geschuldet, dass die Unterrichtung des Angeklagten von dem Hauptverhandlungstermin Voraussetzung dafür ist, dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann. Diese Unterrichtung erfolgt in Falle der Revision durch die Mitteilung über Zeit und Ort der Hauptverhandlung nach § 350 Absatz 1 Satz 1 StPO. Für die zur Durchführung der Revisionshauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten notwendige Mitteilung soll dann aber auch für diese Rechtsmittelinstanz eine vereinfachte öffentliche Zustellung aus denselben Gründen möglich sein wie bei der Berufung, nämlich immer dann, wenn das Rechtsmittel von dem Angeklagten selbst eingelegt wurde.

Die vereinfachte öffentliche Zustellung der Terminsmitteilung in den Fällen der vom Angeklagten selbst eingelegten Berufung oder Revision entspricht den Vorgaben der Richtlinie.

Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie setzt voraus, dass der Angeklagte über die Verhandlung "unterrichtet" wird. Nach Erwägungsgrund 36 der Richtlinie ist die Unterrichtung dahingehend zu verstehen, dass entweder die Person persönlich geladen wird oder auf anderem Wege amtlich über den Termin und Ort der Verhandlung in einer Weise unterrichtet wird, dass sie von der Verhandlung Kenntnis nehmen kann. Die öffentliche Zustellung erfüllt die Voraussetzungen für diese anderweitige amtliche Unterrichtung. Sie stellt eine im deutschen Gesetz verankerte Möglichkeit der Zustellung dar. Die Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung als wirksame Form der Zustellung hat auch der EuGH ausdrücklich anerkannt (EuGH, Urteil vom 15. März 2012, Rs. C-292/10, EuZW 2012, 381-387).

Dass der Angeklagte tatsächlich Kenntnis von dem Termin hat, setzt Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie demgegenüber nicht voraus. Die Richtlinie unterscheidet ausdrücklich zwischen der Information bzw. "Unterrichtung" und der tatsächlichen Kenntnisnahme. In Erwägungsgrund 38 erwähnt sie gerade auch den Fall, dass dem Angeklagten die Information zwar wirksam übermittelt wird, er sie aber nicht zur Kenntnis nimmt. Entscheidungen, die infolge einer wirksamen öffentlichen Zustellung der Ladung zum Hauptverhandlungstermin ergehen, sind damit nicht als Abwesenheitsentscheidungen im Sinne des Artikels 8 Absatz 4 der Richtlinie zu qualifizieren.

Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie sieht vor, dass, wenn Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsehen, Verhandlungen in Abwesenheit des Verdächtigen oder der beschuldigten Person zu führen, es jedoch nicht möglich ist, die in Absatz 2 dieses Artikels genannten Voraussetzungen zu erfüllen, weil der Verdächtige oder die beschuldigte Person trotz angemessener Bemühungen nicht aufgefunden werden kann, die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass gleichwohl eine Entscheidung ergehen und vollstreckt werden kann. In einem solchen Fall haben die Mitgliedstaaten jedoch sicherzustellen, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen, wenn sie über die Entscheidung unterrichtet werden, auch über die Möglichkeit, die Entscheidung anzufechten, sowie über das Recht, gemäß Artikel 9 der Richtlinie eine neue Verhandlung zu verlangen oder einen sonstigen Rechtsbehelf einzulegen, unterrichtet werden. Dabei hat Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie primär den Fall vor Augen, in dem der Angeklagte bereits von dem Verfahren als solchem keine Kenntnis hat, und in dem er von Anfang an nicht ergriffen werden kann. Einen solchen Fall kennt das deutsche Recht nicht, da § 232 StPO eine erstinstanzliche Hauptverhandlung gegen einen abwesenden Angeklagten in den Fällen öffentlicher Zustellung generell ausschließt. Soweit demgegenüber die Hauptverhandlung in den Rechtsmittelinstanzen aufgrund einer öffentlichen Zustellung grundsätzlich zulässig ist, erfolgt dies unter Einhaltung der in Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie enthaltenen Anforderungen.

Allerdings stellt § 40 StPO grundsätzlich hohe Anforderungen an die Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung und trägt damit dem Erwägungsgrund 38 der Richtlinie Rechnung. Dieser konkretisiert die Voraussetzungen des Artikels 8 Absatz 2 der Richtlinie und bestimmt, dass bei der Prüfung der Frage, "ob die Art der Übermittlung der Informationen eine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass die Person Kenntnis von der Verhandlung hat, gegebenenfalls auch in besonderem Maße darauf geachtet werden sollte, welche Sorgfalt die Behörden bei der Unterrichtung der betroffenen Person an den Tag gelegt haben und welche Sorgfalt die betroffene Person im Zusammenhang mit der Entgegennahme der an sie gerichteten Informationen an den Tag gelegt hat". Die öffentliche Zustellung ist regelmäßig als ultima ratio nur möglich, wenn das Gericht vorher mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht hat, den Aufenthaltsort des Angeklagten zu ermitteln. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Im Fall einer nicht vom Angeklagten selbst eingelegten Revision ist nach der Rechtsprechung überdies eine öffentliche Zustellung überhaupt nur zulässig, wenn der Angeklagte bereits Kenntnis von der Revisionsschrift erhalten hat (BayObLG, Urteil vom 30. März 1962 - RevReg. 3 St 004/62 , BayObLGSt 1962, 84). Unterlässt das Gericht erforderliche Nachforschungen, so ist die Zustellung unwirksam, was dem Angeklagten bei einer gleichwohl durchgeführten Hauptverhandlung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eröffnet. Dies entspricht den Richtlinienvorgaben und der Rechtsprechung des EuGH, der die Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung davon abhängig macht, dass das angerufene Gericht sich vorher vergewissert hat, dass alle Nachforschungen, die der Sorgfaltsgrundsatz und der Grundsatz von Treu und Glauben gebieten, vorgenommen worden sind, um die betreffende Person ausfindig zu machen (EuGH, Urteil vom 15. März 2012, Rs. C-292/10, EuZW 2012, 381-387).

Dem steht nicht entgegen, dass die öffentliche Zustellung in den Fällen des § 40 Absatz 3 StPO-E unter erleichterten Voraussetzungen, nämlich bereits dann bewirkt werden kann, wenn ein Zustellungsversuch unter der letzten bekannten Anschrift des Angeklagten erfolglos war. Auch diese Ausnahme entspricht den Voraussetzungen der Richtlinie. Sie gilt nur, wenn der Angeklagte selbst das Rechtsmittel eingelegt hat und deshalb nicht nur weiß, dass er mit Zustellungen im Verfahren zu rechnen hat, sondern auch über die Bedeutung einer zutreffenden Anschriftenangabe und die erleichterte Möglichkeit der öffentlichen Zustellung ausdrücklich belehrt worden ist. Deshalb trifft ihn in diesen Fällen, entsprechend dem Erwägungsgrund 38 der Richtlinie, eine gesteigerte Sorgfaltspflicht im Zusammenhang mit der Entgegennahme der an ihn gerichteten Informationen. Die Nichtunterrichtung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts über einen Adresswechsel stellt dabei einen so erheblichen Sorgfaltsverstoß dar, dass es gerechtfertigt ist, in diesen Fällen eine öffentliche Zustellung unter erleichterten Voraussetzungen vorzunehmen.

Der Angeklagte hat bei der öffentlichen Zustellung in den Fällen des § 40 Absatz 3 StPO-E auch ausreichende tatsächliche Möglichkeiten, im Sinne des Erwägungsgrundes 36 der Richtlinie Kenntnis von der Ladung zu nehmen. Über den konkreten Termin der Hauptverhandlung wird er bei einer öffentlichen Zustellung gemäß § 186 Absatz 2 ZPO durch einen Aushang an der Gerichtstafel oder durch Veröffentlichung in einem elektronischen Informationssystem informiert. Diese Information ermöglicht ihm in zumutbarer Weise eine Kenntnisnahme. Denn er war bereits in erster Instanz anwesend und hatte also in jedem Fall Kenntnis von dem gegen ihn geführten Strafverfahren, an dem er in aller Regel selbst bis zur Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung teilgenommen hat. Ist die erstinstanzliche Hauptverhandlung nach § 232 StPO ausnahmsweise in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt worden, sieht § 232 Absatz 4 StPO ausdrücklich vor, dass ihm das Urteil - einschließlich der Rechtsmittelbelehrung - durch Übergabe zugestellt werden muss. Damit ist sichergestellt, dass der Angeklagte in jedem denkbaren Fall gemäß § 35a StPO über die Rechtsfolgen des § 40 Absatz 3 StPO belehrt worden ist. Da er selbst der Rechtsmittelführer in dem Verfahren ist, hat er auch Anlass, die Gerichtstafel bzw. das öffentlich zugängliche gerichtliche Informationssystem zu kontrollieren, wenn eine anderweite Zustellung an ihn aufgrund eines von ihm nicht mitgeteilten Adresswechsels nicht möglich ist.

Zu Nummer 4 (§ 231 Absatz 2)

Die Ergänzung des § 231 Absatz 2 StPO-E dient ebenfalls der Umsetzung von Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie. Eine Ausnahme von der Anwesenheit des Angeklagten darf hiernach nur vorgesehen werden, wenn der Angeklagte rechtzeitig über die Verhandlung und über die Folgen seines Ausbleibens unterrichtet wurde.

§ 231 Absatz 2 StPO normiert eine solche Ausnahme von der Anwesenheit für den Angeklagten, der sich eigenmächtig entfernt oder bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt, wenn er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Diese Vorschrift wird den Anforderungen des Artikels 8 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie bisher nicht vollumfänglich gerecht.

Zwar war der Angeklagte in den Fällen des § 231 Absatz 2 StPO über den Verhandlungstermin unterrichtet, da er sich ja entweder eigenmächtig aus der laufenden Verhandlung entfernt hat oder aber zu einem Fortsetzungstermin ordnungsgemäß geladen worden war. War der Angeklagte hingegen nicht ordnungsgemäß zum Fortsetzungstermin geladen worden, so gilt sein Fernbleiben nicht als eigenmächtig mit der Folge, dass bereits nach geltender Rechtslage eine Verhandlung nicht stattfinden kann. Jedoch setzt eine ordnungsgemäße Ladung bislang nicht voraus, dass der Angeklagte auch über die möglichen Konsequenzen seines Ausbleibens unterrichtet wird. Um den Anforderungen der Richtlinie zu genügen, soll deshalb eine entsprechende gesetzliche Hinweispflicht geschaffen werden. Vergleichbare Hinweise im Rahmen der Ladung kennt die StPO bereits im Fall des § 232 StPO und § 323 Absatz 1 Satz 2 StPO. Für den Fall des § 231 Absatz 2 StPO soll zukünftig eine solche Hinweispflicht eingeführt werden.

Dabei ist allein eine Unterrichtung im Rahmen der ersten Ladung zur Hauptverhandlung zweckmäßig. Ein mündlicher Hinweis des Gerichts in der Hauptverhandlung dahingehend, das Gericht könne unter Umständen ohne Anwesenheit des Angeklagten das Verfahren fortsetzen, birgt die Gefahr in sich, bei dem Angeklagten die Fehlvorstellung hervorzurufen, dass seine Anwesenheitspflicht beim Fortsetzungstermin nicht mehr bestehe (vergleiche BGH, Urteil vom 14.06.2000, 3 StR 26/00, NJW 2000, 2830 f.). Das gilt erst recht bei einer Belehrung nach dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte nach § 243 Absatz 4 Satz 2 StPO bereits Gelegenheit zur umfassenden Äußerung hatte. Diese pauschale Belehrung, dass er bei eigenmächtigem Sich-Entfernen oder Ausbleiben mit der Möglichkeit der Fortführung der Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit rechnen müsse, brächte erst recht die Gefahr mit sich, dass der Angeklagte seine Anwesenheit, zu der er im deutschen Strafverfahrensrecht grundsätzlich verpflichtet bleibt, als in seinem Belieben stehend ansieht. Eine mündliche Unterrichtung des Angeklagten soll aufgrund dieser Fehleranfälligkeit nicht erfolgen. Aus diesen Gründen wäre eine Unterrichtung im Rahmen der Ladung zu einem Fortsetzungstermin auch nur in dem eher seltenen Fall der erneuten schriftlichen Ladung nach § 216 StPO sinnvoll. Zumeist erfolgt die Ladung zum Fortsetzungstermin jedoch durch Verkündung im Rahmen der mündlichen Hauptverhandlung. Aus den oben genannten Gründen ist ein mündlicher Hinweis auf diesen Ausnahmefall jedoch nicht zweckmäßig. Es ist daher grundsätzlich bereits mit der ersten Ladung zu der Hauptverhandlung die Belehrung vorzunehmen.

Zu Nummer 5 (§ 329 Absatz 7)

Gemäß § 329 Absatz 7 StPO kann der Angeklagte in den Fällen zulässiger Abwesenheitsentscheidungen nach § 329 StPO binnen einer Woche nach der Zustellung des Urteils die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den in den §§ 44 und 45 StPO bezeichneten Voraussetzungen beanspruchen. In der Praxis erfolgt bereits regelmäßig in entsprechender Anwendung des § 35a StPO eine Belehrung über diesen Rechtsbehelf.

§ 35a StPO ist allerdings nicht unmittelbar anwendbar, da er nach seinem Wortlaut nur bei der Bekanntmachung einer Entscheidung gilt, die durch ein befristetes Rechtsmittel angefochten werden kann.

Artikel 10 der Richtlinie erfordert allerdings die Bereitstellung eines "wirksamen Rechtsbehelfs". Für eine wirksame Ausübung der Rechte des Angeklagten ist es erforderlich, dass er auf diese Rechte hingewiesen wird. So führt auch Erwägungsgrund 44 aus, dass für den Fall der Verletzung eines durch Unionsrecht garantierten individuellen Rechts angemessene, wirksame Rechtsbehelfe vorzusehen sind. Ein wirksamer Rechtsbehelf bei einem Verstoß gegen ein in dieser Richtlinie festgelegtes Recht sollte die Verdächtigen oder beschuldigten Personen so weit wie möglich in die Lage versetzen, in der sie sich ohne den Verstoß befinden würden, damit das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf Verteidigung gewahrt werden. Dies wird durch die vorgeschlagene Hinweispflicht auf § 329 Absatz 7 StPO ermöglicht.

Zur Klarstellung soll deshalb eine ausdrückliche Regelung zur Belehrung in § 329 Absatz 7 StPO aufgenommen werden.

Zu Nummer 6 (§ 350)

Zu Buchstabe a Doppelbuchstabe aa (Absatz 1 Satz 1)

Die Erweiterung des Adressatenkreises, dem nach § 350 Absatz 1 Satz 1 StPO von dem Hauptverhandlungstermin Mitteilung zu machen ist, hat lediglich klarstellende Bedeutung. Eine Mitteilung an alle zur Anwesenheit in der Revisionshauptverhandlung berechtigten Verfahrensbeteiligten wird bereits derzeit allgemein für notwendig gehalten (vergleiche nur Gericke, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 350 Rn. 3). Die Norm soll daher nunmehr durch eine entsprechende Verweisung ausdrücklich der Regelung in § 214 Absatz 1 Satz 2 StPO angeglichen werden. Abweichend hiervon sollen auch dem Nebenkläger, der zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung gemäß § 397 Absatz 1 Satz 2 StPO förmlich zu laden ist, im Revisionsverfahren lediglich Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitzuteilen sein. Sonstige Mitteilungspflichten, die sich aus anderen gesetzlichen Vorschriften ergeben (zum Beispiel § 404 Absatz 3 StPO), bleiben von der Neuregelung in § 350 Absatz 1 Satz 1 StPO unberührt.

Zu Buchstabe a Doppelbuchstabe bb (Absatz 1 Satz 2)

Im Fall einer notwendigen Teilnahme des Verteidigers an der Hauptverhandlung soll dieser künftig förmlich geladen werden. Soweit eine Mitwirkung des Verteidigers notwendig ist, sind geringere Anforderungen an die Einhaltung der Ladungsvorschriften im Rahmen der Revisionshauptverhandlung nicht gerechtfertigt. Die Ladungspflicht gilt allerdings nicht für reine Verkündungstermine, in denen - auch wenn es sich formal um eine Fortsetzung der Hauptverhandlung handelt - eine Mitwirkung des Verteidigers nicht notwendig ist. Ladungspflichten aufgrund anderer Vorschriften (zum Beispiel 385 Absatz 2 StPO) bleiben unberührt.

Zu Buchstabe b (Absatz 2 Satz 2 und 3 - neu)

Derzeit regelt § 350 Absatz 2 Satz 2 StPO, dass der Angeklagte, der nicht auf freiem Fuß ist, keinen Anspruch auf Anwesenheit in der Revisionshauptverhandlung hat. Diese Regelung wird allerdings ergänzt durch Artikel 1 Nummer 2 des Gesetzes zu dem Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte vom 15. November 1973 (BGBl. II S. 1533). Danach ist Artikel 14 Absatz 3 Buchstabe d des Paktes, der dem Angeklagten das Recht gewährt bei der Verhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen, derart anzuwenden, dass die persönliche Anwesenheit eines nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten zur Revisionshauptverhandlung in das (pflichtgemäß auszuübende) Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Der Entwurf schlägt vor, den derzeitigen Satz 2, der dem Angeklagten nach seinem Wortlaut das Recht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung grundsätzlich abspricht und in dieser Form mit der Richtlinie unvereinbar ist, aufzuheben. An seine Stelle sollen die neuen Sätze 2 und 3 treten.

Der neue Satz 2 stellt dabei lediglich klar, dass die Durchführung der Revisionshauptverhandlung in Abwesenheit sowohl des Angeklagten als auch seines Verteidigers grundsätzlich zulässig ist. Dieser bereits bislang unbestrittene Grundsatz soll auch deshalb ausdrücklich in § 350 Absatz 2 StPO-E verankert werden, weil dies die Rechtsfolge ist, auf die der Angeklagte nach Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie ausdrücklich hinzuweisen ist (vergleiche hierzu die Begründung zu Nummer 2). Zugleich wird klargestellt, dass die Revisionshauptverhandlung in den Fällen notwendiger Verteidigung grundsätzlich nicht ohne den Verteidiger durchgeführt werden darf. Zur Ausnahme reiner Verkündungstermine vergleiche die Begründung zu Buchstabe a Doppelbuchstabe bb) .

Daneben soll in dem neuen § 350 Absatz 1 Satz 3 StPO-E ausdrücklich in der StPO klargestellt werden, dass es im Ermessen des Gerichts liegt, ob der Angeklagte, der nicht auf freiem Fuß ist, zu der Hauptverhandlung vorgeführt wird.

Soweit dieses Ermessen bei der Anwendung des § 350 Absatz 2 Satz 2 StPO-E fehlerfrei und europarechtskonform ausgeübt wird, kommt das deutsche Recht damit den Anforderungen aus Artikel 8 der Richtlinie nach. Zwar lässt der Wortlaut der Richtlinie grundsätzlich kein Ermessen hinsichtlich des in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie gewährleisteten Anwesenheitsrechts des Angeklagten zu. Jedoch eröffnet der der Richtlinie zugrunde liegende Begriff der Verhandlung Spielräume, die im deutschen Recht am besten durch eine Ermessensregelung ausgefüllt werden können. Denn aus Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie, auch in Verbindung mit Artikel 9 Satz 1 der Richtlinie, ergibt sich, dass grundsätzlich nur solche Verhandlungen erfasst sein sollen, die zu einer Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten führen können. Es kommt also primär auf die Entscheidungskompetenzen des Gerichts an. Dabei nimmt die Richtlinie in ihrem Erwägungsgrund 11 auf die Rechtsprechung des EGMR und des EuGH Bezug und präzisiert, dass die Richtlinie nur für Strafverfahren im Sinne der Rechtsprechung des EuGH gelten sollte, unbeschadet der Rechtsprechung des EGMR.

Bei der Auslegung der Richtlinie ist deshalb in erster Linie die bisherige Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der strafgerichtlichen Verhandlung zu berücksichtigen. Insoweit hat der Gerichtshof zu Artikel 4a Absatz 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. L 81 vom 27.03.2009, S. 24) entschieden, dass die in dieser Vorschrift enthaltene Wendung "Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat" dahin auszulegen ist, dass sie nur die Instanz erfasst, nach deren Abschluss die Entscheidung erlassen wurde, durch die der Betroffene nach einer erneuten Prüfung des Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht rechtskräftig für schuldig befunden und zu einer Strafe wie einer freiheitsentziehenden Maßregel verurteilt wurde (Urteil vom 10. August 2017, Az. C-270/17 PPU - Rs. Tupikas). In einer weiteren Entscheidung hat der EuGH ergänzend ausgeführt, dass Artikel 4a Absatz 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 auch solche Verhandlungen erfasst, die zu einem Urteil führen, durch das die zuvor verhängten Freiheitsstrafen neu bemessen werden (Urteil vom 10. August 2017, Az. C-271/17 PPU - Rs. Zdziaszek). Reine Rechtsprüfungsinstanzen - wie das im erstgenannten Verfahren vom vorlegenden Gericht ausdrücklich genannte Kassationsverfahren niederländischen Rechts - fallen danach nicht unter diesen Verhandlungsbegriff. Diese Rechtsprechung des EuGH ist für die Auslegung von Artikel 8 der vorliegenden Richtlinie auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Richtlinie hinsichtlich der Regelungen zur Anwesenheit auf dem Rahmenbeschluss aufbaut.

Auch nach der daneben bei der Richtlinienauslegung zu beachtenden Rechtsprechung des EGMR hat das Gericht in zweiter oder dritter Instanz ein Ermessen in Bezug auf das Anwesenheitsrecht des Angeklagten, wobei für die Beurteilung, ob ein Urteil in absentia ergehen darf oder nicht, stets mehrere Kriterien maßgeblich sind. So spielt es auch hier eine wesentliche Rolle, ob es sich um eine neue Tatsacheninstanz handelt, um eine Instanz, deren Entscheidungsspielraum eingeschränkt ist, oder um eine reine Rechtsinstanz. Des Weiteren spielt in den Erwägungen des EGMR eine Rolle, ob der Angeklagte verteidigt ist und ein (bevollmächtigter) Verteidiger in der Hauptverhandlung anwesend ist, ob es sich für den Angeklagten um eine Verhandlung von erheblicher Bedeutung handelt und ob das Gebot der Waffengleichheit beachtet wird (vergleiche etwa EGMR, Entscheidung vom 8. Januar 2008, Nr. 30443/03 [Liebreich/DEU], Urteil vom 12. Februar 2009, Nr. 3891/03 [Samokhvalov/RUS], Urteil vom 21. September 1993, Nr. 12350/86 [Krem-zow/AUS]).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung von EuGH und EGMR, die bei der Auslegung und Umsetzung von Artikel 8 der Richtlinie zu beachten ist, ist die Vorführung des inhaftierten Angeklagten zur Revisionshauptverhandlung nur in den Fällen erforderlich, in denen ihm zu seiner effektiven Verteidigung und aufgrund des Grundsatzes des fairen Verfahrens ein solches Recht zugestanden werden muss.

Das Revisionsverfahren ist grundsätzlich auf eine rechtliche Nachprüfung beschränkt, § 337 StPO. Das Revisionsgericht ist an die tatsächlichen Feststellungen und Würdigungen der Vorinstanz gebunden und darf eigene tatsächliche Feststellungen nicht treffen.

Jedoch eröffnet § 354 StPO dem Revisionsgericht in Ausnahmefällen auch die Möglichkeit einer eigenen Entscheidung. Dies gilt insbesondere bei der erweiterten Auslegung des § 354 Absatz 1 StPO und im Falle einer Entscheidung nach § 354 Absatz 1a StPO. Hinzu kommt, dass die letztinstanzliche Entscheidung des Revisionsgerichts häufig von ganz entscheidender Bedeutung für den Angeklagten ist und er auch deshalb nach der Rechtsprechung des EGMR ein schützenswertes Interesse daran haben kann, selbst an der Verhandlung teilzunehmen, auch wenn darin nur über Rechtsfragen entschieden wird. Schließlich ist zu berücksichtigen, ob der Angeklagte selbst - etwa aufgrund eigener juristischer Sachkunde - ein berechtigtes Interesse daran geltend machen kann, neben seinem Verteidiger Ausführungen zu den maßgeblichen Rechtsfragen machen zu können.

Diese Aspekte sind zu beachten, wenn der inhaftierte Angeklagte sein Recht auf Anwesenheit in der Revisionshauptverhandlung nicht - wie in aller Regel - durch Erteilung einer ausdrücklichen Vertretungsvollmacht durch seinen Verteidiger ausüben lassen möchte, sondern erklärt, neben diesem selbst an der Verhandlung teilnehmen zu wollen. Ein solcher Wunsch des Angeklagten ist bei der Ausübung des gerichtlichen Ermessens vorrangig zu berücksichtigen, deshalb wird in aller Regel eine Vorführung nicht geboten sein, wenn der Angeklagte seinen Verteidiger auch mit seiner Vertretung in der Hauptverhandlung bevollmächtigt und nicht ausdrücklich erklärt hat, daneben auch selbst teilnehmen zu wollen. Allerdings kann das Gericht auch in diesen Fällen stets gemäß § 236 StPO das persönliche Erscheinen anordnen. Diese Anordnung erfolgt dann aber nicht zur Gewährleistung des nach der Richtlinie und der EMRK bestehenden, grundsätzlich vom Willen des Angeklagten getragenen Rechts auf Anwesenheit, sondern allein zur Verwirklichung der Aufklärungspflicht des Gerichts.

Ob die Anwesenheit des Angeklagten in denjenigen Fällen, in denen dieser ausdrücklich oder dadurch, dass er seinem Verteidiger keine Vertretungsvollmacht erteilt hat, erklärt hat, selbst an der Hauptverhandlung teilnehmen zu wollen, durch die Vorführung zur Hauptverhandlung zu gewährleisten ist, hat das Revisionsgericht sodann im jeweiligen Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte muss danach zur Hauptverhandlung vorgeführt werden, wenn er aufgrund der Art der zu treffenden Entscheidung, der Bedeutung des Falles und sonstiger in der Person des Angeklagten liegender Umstände das Anwesenheitsrecht auch angesichts der mit der Vorführung verbundenen zeitlichen Verzögerungen und der zum Teil ganz erheblichen Sicherheitsmaßnahmen gewährleistet werden muss.

Zu Buchstabe c (§ 350 Absatz 3)

§ 350 Absatz 3 StPO regelt derzeit ein Antragsrecht des inhaftierten Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Revisionshauptverhandlung. Diese Regelung, die innerhalb des Rechts der notwendigen Verteidigung einen Fremdkörper darstellt, soll aufgehoben werden. So sollen auch im Bereich der Revisionshauptverhandlung künftig allein die allgemeinen Vorschriften über die notwendige Verteidigung zur Anwendung gelangen.

Die bisher vertretene Auffassung, die Bestellung eines Pflichtverteidigers wirke zwar im Revisionsverfahren grundsätzlich fort, ende aber vor der Revisionshauptverhandlung, wird sich nach der Streichung der Sonderregelung des § 350 Absatz 3 StPO und angesichts der systematischen Stellung des § 140 StPO nicht mehr halten lassen. Vielmehr wird davon auszugehen sein, dass eine bereits erfolgte Pflichtverteidigerbestellung fortwirkt und bei einem nicht verteidigten Angeklagten die Notwendigkeit einer Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung - insbesondere am Maßstab des § 140 Absatz 2 StPO - stets zu prüfen ist. Für den im Zeitpunkt der Revisionshauptverhandlung nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten bedeutet dies, dass dieser in aller Regel gemäß § 140 Absatz 1 Nummer 4 oder 5 StPO bereits einen Pflichtverteidiger hat. Sollte einmal der Fall eintreten, dass ein unverteidigter Angeklagter erst kurz vor der Revisionshauptverhandlung in anderer Sache inhaftiert oder in eine Anstalt eingewiesen wird, so hat das Revisionsgericht dem Angeklagten jedenfalls nach § 140 Absatz 2 StPO einen Verteidiger zu bestellen. Im Übrigen soll die derzeit in § 140 Absatz 1 Nummer 5 StPO enthaltene Dreimonatsgrenze im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Richtlinie (EU) Nr. 2016/1919 über Prozesskostenhilfe für verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren (ABl. L 297 vom 26.10.2016, S. 1) ohnehin gestrichen werden.

Zu Nummer 7 (§ 356a)

Die Ergänzung des § 356a StPO dient der Umsetzung von Artikel 9 in Verbindung mit Artikel 8 der Richtlinie.

Nach Artikel 9 der Richtlinie ist dem Angeklagten im Fall einer Verletzung seiner Anwesenheitsrechte ein entsprechender Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen. Für die Revisionshauptverhandlung ist ein solcher Rechtsbehelf mit § 356a StPO gegeben. Allerdings fehlt es - wie in § 329 Absatz 7 StPO (vergleiche hierzu die Begründung zu Nummer 5) - derzeit an einer ausdrücklichen Belehrungspflicht hinsichtlich dieses außerordentlichen, nicht von § 35a StPO erfassten Rechtsbehelfs.

Nach Artikel 10 der Richtlinie ist ein wirksamer Rechtsbehelf erforderlich, wobei wirksame Rechtsausübung einen entsprechenden Hinweis erfordert. Deshalb soll eine entsprechende ausdrückliche Belehrungspflicht über den Rechtsbehelf und seine Voraussetzungen auch in § 356a StPO aufgenommen werden. Da aber das Anwesenheitsrecht des Angeklagten nach der Richtlinie nur dann verletzt ist, wenn dieser in der Revisionshauptverhandlung selbst nicht anwesend war und ihn auch kein von ihm bevollmächtigter Verteidiger vertreten hat, ist auch ein Hinweis auf § 356a StPO nur in diesem Fall zu erteilen.

Weitere Anpassungen des § 356a StPO sind nicht erforderlich. Soweit Artikel 9 der Richtlinie einen Rechtsbehelf voraussetzt, der eine neue Prüfung des Sachverhalts einschließlich neuer Beweismittel erfordert, ist dies so zu verstehen, dass nur solche Tatsachen gemeint sind, die bei Einhaltung der Rechte aus Artikel 8 der Richtlinie in der Instanz erhoben worden wären, in welcher der Verstoß gegen das Anwesenheitsrecht stattgefunden hat. Im Revisionsverfahren kann es also höchstens um Tatsachen zu Verfahrensfragen gehen, die dort im Freibeweisverfahren erhoben werden dürfen. Es geht nämlich darum, den Angeklagten nicht schlechter zu stellen, als er bei Beachtung der Regeln zu seinem Anwesenheitsrecht stünde. Wenn im Rahmen des Revisionsverfahrens die Anwesenheitsregeln verletzt worden sind, so wird mit dem Rechtsbehelf des § 356a StPO das Verfahren genau in die Lage zurückversetzt, die vor dem Erlass der das Recht verletzenden Entscheidung - dem Revisionsurteil - bestand. Dies entspricht dem Sinn und Zweck von Artikel 9 und 10 der Richtlinie, was sich auch aus Erwägungsgrund 44 der Richtlinie ergibt, wonach der Rechtsbehelf das Verfahren so weit wie möglich in die Lage versetzen soll, in der es sich ohne den Verstoß befinden würde, damit das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf Verteidigung gewahrt werden.

Zu Artikel 2 (Änderung des Strafvollzugsgesetzes)

Es handelt sich um die Berichtigung eines im Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 (BGBl. I S. 2208) enthaltenen Fehlers. Darin wurde in § 110a Absatz 3 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) eine gesonderte Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung für die Einsicht in elektronische Akten geschaffen, obwohl in § 120 Absatz 1 Satz 2 StVollzG zugleich die auf der Grundlage des § 32f Absatz 6 StPO erlassene Rechtsverordnung über die Einsicht in elektronische Akten für anwendbar erklärt wurde. Allein die letztgenannte Verweisung ist zutreffend. Eine eigenständige Verordnung über das Verfahren bei der Akteneinsicht ist für den Bereich des StVollzG nicht angezeigt, da auch die gesetzlichen Vorgaben an das Verfahren der Akteneinsicht allein aufgrund der Verweisung auf die StPO zur Anwendung gelangen und nicht eigenständig geregelt sind.

Zu Artikel 3 (Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten)

Es handelt sich um die Berichtigung eines im Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 (BGBl. 1 S. 2208) enthaltenen Fehlers, zu deren näherer Begründung auf die Begründung zu Artikel 2 Bezug genommen wird. Auch § 110a Absatz 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten enthält eine nicht erforderliche Ermächtigung zum Erlass einer Verordnung über das Verfahren bei der Akteneinsicht.

Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)

Das Gesetz soll am Tag nach seiner Verkündung in Kraft treten.