Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes

Der Bundesrat hat in seiner 926. Sitzung am 10. Oktober 2014 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 1 Absatz 1 Nummer 3 AsylbLG), Nummer 2 (§ 1a AsylbLG), Nummer 3 Buchstabe a (§ 2 Absatz 1 AsylbLG), Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe aa (§ 3 Absatz 2 Satz 1 AsylbLG), Buchstabe c (§ 3 Absatz 3, 4 - neu -, 5 und 6 AsylbLG), Artikel 2a - neu - (§ 46 Absatz 6 Satz 2 SGB II)

'Artikel 2a
Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch

In § 46 Absatz 6 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I S. 850, 2094), das zuletzt durch ... geändert worden ist, werden nach der Angabe " § 28" die Wörter ", nach § 3 Absatz 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes" eingefügt.'

Begründung:

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 festgestellt, dass bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums Sonderregelungen für bestimmte Personengruppen nur dann verfassungsmäßig sind, wenn eine Differenzierung zwischen den Bedarfen der unterschiedlichen Personengruppen möglich ist. Eine Differenzierung ist dementsprechend nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann. Lassen sich tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und will der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasst, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhalten. Dies lässt sich zu Beginn des Aufenthalts nur anhand einer Prognose beurteilen. Diese bemisst sich zwar nicht allein, aber auch am jeweiligen Aufenthaltsstatus. Dabei ist stets dessen Einbindung in die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen.

Unabhängig davon, dass schon Zweifel daran bestehen, dass sich eine solche Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Ausländergruppierungen sowie einer Teilung zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und den Leistungssystemen nach den Sozialgesetzbüchern vornehmen lässt, nimmt der Gesetzentwurf der Bundesregierung Differenzierungen vor, die auch bei Einräumung einer großzügigen Einschätzungsprärogative nicht mehr nachvollziehbar sind. Sie müssen im Einzelnen so verändert werden, dass sie zumindest nicht offensichtlich den verfassungsgemäßen Rahmen überschreiten.

Zu Buchstabe a:
Zu Doppelbuchstabe aa:

Der Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes muss auf Asylbewerber beschränkt werden. Bei Personengruppen, die eine Aufenthaltsbefugnis nach § 23 Absatz 1, §§ 24 und 25 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltgesetzes wegen humanitären oder tatsächlichen Ausreisehindernissen besitzen, kann tatsächlich nicht von einem kurzfristigen Verbleib ausgegangen werden. Ein aktuelles Beispiel hierfür sind die von den Ländern gemäß ihrer Landesanordnungen aufgenommenen syrischen Flüchtlinge, bei denen keine Prognose der Rückkehr in ihr Heimatland erkennbar ist.

Zu Doppelbuchstabe bb:

Die in § 2 vorgesehene Verkürzung der Wartezeit auf 15 Monate wird der gegebenenfalls zulässigen Sonderregelung bei kurzfristigen Aufenthalten nicht gerecht. Denn wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, beträgt die Dauer eines behördlichen Asylverfahrens etwa ein halbes Jahr, die bestandskräftige Entscheidung etwa ein Jahr. Auch die mit dem "Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und gelduldete Ausländer" vorgenommene Verkürzung der Wartefrist zur Erteilung der Arbeitserlaubnis auf nunmehr drei Monate ist ein Indiz dafür, dass eine Sonderregelung für Asylbewerber nur für einen sehr engen Zeitraum in Betracht kommen kann.

Unabhängig von der Dauer der Wartezeit ist es aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in keinem Fall hinnehmbar, dass die Sonderregelung für Asylbewerber dauerhaft fortgesetzt wird. Denn das Gesetz geht davon aus, dass nach der Wartezeit lediglich eine entsprechende Anwendung der Regelungen des SGB XII in Betracht kommt. Eine entsprechende Anwendung verschließt aber dauerhaft den direkten Zugang zu den Leistungssystemen des SGB, insbesondere des SGB II für erwerbsfähige Personen und den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung nach SGB V. Auch der Anspruch auf Integrationskurse bleibt dauerhaft verwehrt.

Zu Doppelbuchstabe cc:

Zu Dreifachbuchstabe aaa

Da das Bundesverfassungsgericht eine ausdrückliche Prüfung der Notwendigkeit von Sonderbedarfen verlangt und die Leistungen der Sozialgesetzbücher entgeltliche sind, ist es im Asylbewerberleistungsgesetz nicht zulässig, weiterhin der Sachleistung grundsätzlich den Vorrang vor Geldleistungen zu geben.

Zu Dreifachbuchstabe bbb

Der Bund befürwortet und unterstützt, dass alle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in den Genuss von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket kommen. Allerdings ist es dann auch sinnvoll, auf den Leistungsanspruch im SGB II ( § 28 SGB II) direkt zu verweisen und somit die Refinanzierung der Kosten durch den Bund einzuführen ( § 46 Absatz 6 SGB II) .

Zu Buchstabe b:

Folgeänderung zu Buchstabe a Doppelbuchstabe cc Dreifachbuchstabe bbb.

Zu Buchstabe c:

Im § 1a AsylbLG wird nur allgemein von Anspruchseinschränkung gesprochen. Da es sich hier aber um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums handelt, ist eine Konkretisierung erforderlich. Das gilt beispielsweise für die Höhe der Anspruchseinschränkung und die Dauer der Leistungskürzung.

2. Zu Artikel 1 Nummer 4a - neu - (§ 4 AsylbLG) Nummer 4b - neu - (§ 6 Absatz 2 AsylbLG) Artikel 2b - neu - (§ 264 Absatz 8 - neu - SGB V)

Begründung:

Bisher werden Leistungsberechtigte nach §§ 1, 1a AsylbLG, die Leistung bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt sowie sonstige zur Sicherung der Gesundheit unerlässliche Leistungen nach §§ 4 und 6 AsylbLG erhalten, direkt durch die Träger der Leistungen des AsylbLG betreut. Dies hat den Nachteil, dass die Träger der Leistungen des AsylbLG einen kostenaufwändigen Bewilligungs- und Prüfapparat entsprechend dem Niveau einer gesetzlichen Krankenkasse unter Einsatz von entsprechendem Fachpersonal (wie Ärzten) und spezieller Abrechnungstechnologie (wie entsprechender Prüfsoftware) aufbauen und unterhalten müssen.

Einige Länder sind daher dazu übergegangen, Verträge mit gesetzlichen Krankenkassen zu schließen, wonach diese die Krankenbehandlung dieser Leistungsberechtigten gemäß § 264 Absatz 1 SGB V sicherstellen. Vorteile dieser Übertragung sind vor allem, dass die Krankenkassen die Versorgung der Leistungsberechtigten besser und effizienter gewährleisten als die Träger der Leistungen nach dem AsylbLG, da die Gesundheitsversorgung ihre Kernaufgabe und das SGB V entsprechend auf sie zugeschnitten ist. Vom Leistungskatalog über die Leistungserbringung und -abrechnung bis zum elektronischen Datenaustausch gibt es entsprechende gesetzliche Vorgaben, die ihnen zusammen mit der großen Zahl an Versicherten eine starke Verhandlungs- und Rechtsposition gegenüber den Leistungserbringern im Gesundheitswesen verleihen. Zudem sind die Versorgungsstrukturen der Leistungserbringer (Ärzte, Krankenhäuser etc.) insbesondere an das SGB V und die GKV angepasst (zum Beispiel die Abrechnung über die Krankenversichertenkarten bzw. elektronischen Gesundheitskarten). Die Leistungsberechtigten können ihre Versorgung über eine Versichertenkarte in Anspruch nehmen, ohne in jedem Fall eine Bewilligung der zuständigen Dienststellen einholen zu müssen. Durch die Übertragung der Versorgung auf eine Krankenkasse können die Versorgungsstrukturen bei den Sozialdienststellen, den Gesundheitsämtern, den Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen und den Sozialministerien weitestgehend abgebaut beziehungsweise verschlankt werden. Hierdurch können Einsparungen bei Personal- und Sachkosten erzielt werden.

Vor diesem Hintergrund werden die entsprechenden gesetzlichen Änderungen im AsylbLG und SGB V vorgenommen, um die Leistungsberechtigten in die Versorgung durch eine Krankenkasse nach § 264 SGB V einzubeziehen.

Da die derzeitigen Regelungen der §§ 4 und 6 AsylbLG im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung zu unbestimmt und in der Praxis nur schwer umsetzbar sind, findet eine Orientierung an den Leistungen des SGB XII statt, wobei das zuständige Bundesministerium entsprechende Leistungseinschränkungen bundeseinheitlich definieren kann. Hierfür ist eine Rechtsverordnungsermächtigung vorgesehen.

Um die Länder und Kommunen von den aufgrund der steigenden Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern ansteigenden Kosten der Gesundheitsversorgung der entsprechenden Personengruppen zu entlasten, ist eine Kostentragung des Bundes vorgesehen.

Damit die Träger der Leistungen nach dem AsylbLG, die bereits jetzt eine Versorgung der Leistungsberechtigten durch eine Krankenkasse vorsehen, ihr Versorgungssystem nicht grundsätzlich umstellen müssen, können die Leistungsberechtigten auch eine Krankenkasse außerhalb des Bereichs des für die Hilfe zuständigen Trägers der Leistungen nach dem AsylbLG wählen.

3. Zum Gesetzentwurf allgemein:

Begründung:

Der Bundesrat begrüßt die im Rahmen der Protokollerklärung zum "Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer" niedergelegte Absicht der Bundesregierung, im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Beziehungen mit den Ländern darüber zu verhandeln, wie Länder und Kommunen von den ansteigenden Kosten aufgrund der steigenden Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern und Asylbewerberinnen entlastet werden können.

Die Zeit drängt:

Länder und Kommunen benötigen aufgrund des fortlaufenden starken Anstiegs der Zahl Schutzsuchender bereits kurzfristig nachhaltige finanzielle Unterstützung und Entlastung zur Sicherstellung geordneter und menschenwürdiger Aufnahmebedingungen.

Die Prognosen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Januar 2014 gingen von 140 000 neuen Erstasylanträgen für das gesamte Jahr aus. Die Prognose wurde zum Stichtag 18. September 2014 nach oben revidiert und "für die nächsten Monate" auf monatlich 25 000 Erstantragsteller bundesweit angehoben. Tatsächlich wurden nach der statistischen Auswertung des EASY-Verfahrens in diesem Jahr bis August mit 119 019 Asylsuchenden bereits mehr Asylsuchende registriert als im gesamten Jahr 2013 mit 118 853 Asylbewerbern und Asylbewerberinnen. Aufgrund der fortbestehenden und sich ausweitenden kriegerischen Konflikte und fortbestehender Verfolgung von politischen, religiösen und ethnischen Minderheiten ist mit einem Rückgang der Schutzsuchenden nicht zu rechnen, vielmehr machen die nach oben korrigierten Zahlen bis zum Jahresende deutlich, dass mit einem weiteren Anstieg der Zahlen auch im Jahr 2015 zu rechnen ist.

Die finanziellen, logistischen und integrativen Herausforderungen für Länder und Kommunen entsprechen in ihrer Intensität dem Anstieg der Zahl der Asylsuchenden. Teils kann die Unterbringung nur in Zelten erfolgen, teilweise mussten Erstaufnahmeeinrichtungen vorübergehend geschlossen werden - mit entsprechenden Folgen für die Nachbarländer -, zunehmend müssen Bürgerhäuser und andere öffentliche Einrichtungen in Anspruch genommen werden, um Flüchtlingen und Asylsuchenden in den Kommunen Obdach zu bieten. Dennoch sind Länder und Kommunen an ihre Grenzen gelangt. Um weiterhin eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung zu gewährleisten und hierfür zusätzliche Kapazitäten zu schaffen, aber auch um die Bürgerinnen und Bürger weiterhin für eine wahre Willkommenskultur zu gewinnen, werden dringend kurzfristig finanzielle Kapazitäten benötigt, denn Länder und Kommunen sind längst überfordert.