Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes

926. Sitzung des Bundesrates am 10. Oktober 2014

A

Der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS) und der Finanzausschuss (Fz) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zum Gesetzentwurf insgesamt

Der Gesetzentwurf ist in folgender Fassung anzunehmen:

'Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Vom ...

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Das Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch [...] geändert worden ist, wird aufgehoben.

Artikel 2
Folgeänderungen

Artikel 3
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am [einsetzen: Datum des ersten Tages des dritten auf die Verkündung folgenden Kalendermonats] in Kraft.'

Begründung:

Zu Artikel 1:

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 (1 BVL 10/ 10) Folgendes festgestellt:

"Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will (vgl. BVerfGE 116, 229 <239>), darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann (zu diesen Obliegenheiten vgl. wiederum BVerfGE 125, 175 <225>). Lassen sich tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und will der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, muss er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasst, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhalten. Dies lässt sich zu Beginn des Aufenthalts nur anhand einer Prognose beurteilen. Diese bemisst sich zwar nicht allein, aber auch am jeweiligen Aufenthaltsstatus. Dabei ist stets dessen Einbindung in die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen."

Diesen vom Bundesverfassungsgericht formulierten Anforderungen wird der Gesetzentwurf nicht gerecht. Er begründet nicht im Einzelnen, warum die in § 1 des Gesetzentwurfes genannten Personengruppen einer gesonderten Regelung des Existenzminimums bedürften. Auch eine Prognose über die tatsächliche Dauer ihres Verbleibes ist nicht erfolgt. Lediglich die Personengruppe nach § 25 Absatz 4a und 4b sowie Absatz 5 AufenthG sind - hier wegen ihrer immer über 18 Monate bestehenden Verbleibszeit - aus dem Anwendungsbereich herausgenommen. Ohne den positiven Nachweis aber, dass die in § 1 verbleibenden Personengruppen einer gesonderten Regelung der Feststellung des Existenzminimums bedürfen, ist es nicht gerechtfertigt, diese Personengruppen aus den sozialen Sicherungssystemen des SGB II, SGB V und SGB XII auszugliedern.

Zu Artikel 2:

Es handelt es sich um Folgeänderungen zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Artikel 1.

Zu Artikel 3:

Artikel 3 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

2. Hilfsempfehlung zu Ziffer 1

Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 1 Absatz 1 Nummer 3 AsylbLG), Nummer 2 (§ 1a AsylbLG), Nummer 3 Buchstabe a (§ 2 Absatz 1 AsylbLG), Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe aa (§ 3 Absatz 2 Satz 1 AsylbLG), Buchstabe c (§ 3 Absatz 3, 4 - neu -, 5 und 6 AsylbLG), Artikel 2a - neu - (§ 46 Absatz 6 Satz 2 SGB II)

Begründung:

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 festgestellt, dass bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums Sonderregelungen für bestimmte Personengruppen nur dann verfassungsmäßig sind, wenn eine Differenzierung zwischen den Bedarfen der unterschiedlichen Personengruppen möglich ist. Eine Differenzierung ist dementsprechend nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann. Lassen sich tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und will der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasst, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhalten. Dies lässt sich zu Beginn des Aufenthalts nur anhand einer Prognose beurteilen. Diese bemisst sich zwar nicht allein, aber auch am jeweiligen Aufenthaltsstatus. Dabei ist stets dessen Einbindung in die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen.

Unabhängig davon, dass schon Zweifel daran bestehen, dass sich eine solche Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Ausländergruppierungen sowie einer Teilung zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und den Leistungssystemen nach den Sozialgesetzbüchern vornehmen lässt, nimmt der Gesetzentwurf der Bundesregierung Differenzierungen vor, die auch bei Einräumung einer großzügigen Einschätzungsprärogative nicht mehr nachvollziehbar sind. Sie müssen im Einzelnen so verändert werden, dass sie zumindest nicht offensichtlich den verfassungsgemäßen Rahmen überschreiten:

Zu Buchstabe a:

Doppelbuchstabe aa:

Der Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes muss auf Asylbewerber beschränkt werden. Bei Personengruppen, die eine Aufenthaltsbefugnis nach § 23 Absatz 1, §§ 24 und 25 Absatz 4 Satz 1 des Aufenthaltgesetzes wegen humanitären oder tatsächlichen Ausreisehindernissen besitzen, kann tatsächlich nicht von einem kurzfristigen Verbleib ausgegangen werden. Ein aktuelles Beispiel hierfür sind die von den Ländern gemäß ihrer Landesanordnungen aufgenommenen syrischen Flüchtlinge, bei denen keine Prognose der Rückkehr in ihr Heimatland erkennbar ist.

Doppelbuchstabe bb:

Die in § 2 vorgesehene Verkürzung der Wartezeit auf 15 Monate wird der gegebenenfalls zulässigen Sonderregelung bei kurzfristigen Aufenthalten nicht gerecht. Denn wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, beträgt die Dauer eines behördlichen Asylverfahrens etwa ein halbes Jahr, die bestandskräftige Entscheidung etwa ein Jahr. Auch die mit dem "Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und gelduldete Ausländer" vorgenommene Verkürzung der Wartefrist zur Erteilung der Arbeitserlaubnis auf nunmehr drei Monate ist ein Indiz dafür, dass eine Sonderregelung für Asylbewerber nur für einen sehr engen Zeitraum in Betracht kommen kann.

Unabhängig von der Dauer der Wartezeit ist es aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in keinem Fall hinnehmbar, dass die Sonderregelung für Asylbewerber dauerhaft fortgesetzt wird. Denn das Gesetz geht davon aus, dass nach der Wartezeit lediglich eine entsprechende Anwendung der Regelungen des SGB XII in Betracht kommt. Eine entsprechende Anwendung verschließt aber dauerhaft den direkten Zugang zu den Leistungssystemen des SGB, insbesondere des SGB II für erwerbsfähige Personen und den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung nach SGB V. Auch der Anspruch auf Integrationskurse bleibt dauerhaft verwehrt.

Doppelbuchstabe cc:

Dreifachbuchstabe aaa:

Da das Bundesverfassungsgericht eine ausdrückliche Prüfung der Notwendigkeit von Sonderbedarfen verlangt und die Leistungen der Sozialgesetzbücher entgeltliche sind, ist es im Asylbewerberleistungsgesetz nicht zulässig, weiterhin der Sachleistung grundsätzlich den Vorrang vor Geldleistungen zu geben.

Dreifachbuchstabe bbb:

Der Bund befürwortet und unterstützt, dass alle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in den Genuss von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket kommen. Allerdings ist es dann auch sinnvoll, auf den Leistungsanspruch im SGB II ( § 28 SGB II) direkt zu verweisen und somit die Refinanzierung der Kosten durch den Bund einzuführen (§ 46 Absatz 6 SGB II) .

Zu Buchstabe b:

Folgeänderung zu Buchstabe a Doppelbuchstabe cc Dreifachbuchstabe bbb.

Zu Buchstabe c:

Im § 1a AsylbLG wird nur allgemein von Anspruchseinschränkung gesprochen. Da es sich hier aber um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums handelt, ist eine Konkretisierung erforderlich. Das gilt beispielsweise für die Höhe der Anspruchseinschränkung und die Dauer der Leistungskürzung.

3. Hilfsempfehlung zu Ziffer 1 und 2

Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 1 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a AsylbLG)

In Artikel 1 Nummer 1 sind in § 1 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a die Wörter " § 23 Absatz 1 oder" zu streichen.

Begründung:

Die rechtliche Ungleichbehandlung von Flüchtlingen, die nach § 23 Absatz 1 AufenthG aufgrund einer Landesaufnahmeanordnung aufgenommen werden und im Bedarfsfall dem AsylbLG unterliegen, und denen, die gemäß § 23 Absatz 2 AufenthG aufgrund einer Bundesaufnahmeanordnung einreisen können und im Bedarfsfall dem Rechtskreis SGB II/XII zugeordnet werden, führt zu einer nicht nachvollziehbaren, unterschiedlichen Behandlung von Flüchtlingen.

4. Hilfsempfehlung zu Ziffer 1

Zu Artikel 1 Nummer 4a - neu - (§ 4 AsylbLG) Artikel 2b - neu - (§ 5 Absatz 8a Satz 2, Absatz 11 Satz 3, § 27 Absatz 2, § 242b Absatz 6 Satz 1, § 264 Absatz 2 Satz 1, § 315 Absatz 1 Nummer 4 und 5 SGB V)

Zu Buchstabe a:

Die bisherige Regelung sieht nur eine Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände vor, eine medizinische Vollversorgung bleibt den Leistungsberechtigten vorenthalten. Es ist nicht ersichtlich, wie eine solche Minderversorgung im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes begründbar wäre. Auch die Prognose einer baldigen Rückkehr in das Heimatland rechtfertigt ein Hinausschieben medizinischer Vollversorgung nicht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bei Rückkehr in das Herkunftsland oftmals keine hinreichende medizinische Versorgung gewährleistet ist. Eine Eingliederung in das SGB V würde eine direkte und bundesweit einheitliche Versorgung von Leistungsberechtigten sicherstellen.

Zu Buchstabe b:

Folgeänderung zu Buchstabe a.

5. Zum Gesetzentwurf allgemein:

Begründung:

Der Bundesrat begrüßt die im Rahmen der Protokollerklärung zum "Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer" niedergelegte Absicht der Bundesregierung, im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Beziehungen mit den Ländern darüber zu verhandeln, wie Länder und Kommunen von den ansteigenden Kosten aufgrund der steigenden Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern und Asylbewerberinnen entlastet werden können.

Die Zeit drängt:

Länder und Kommunen benötigen aufgrund des fortlaufenden starken Anstiegs der Zahl Schutzsuchender bereits kurzfristig nachhaltige finanzielle Unterstützung und Entlastung zur Sicherstellung geordneter und menschenwürdiger Aufnahmebedingungen.

Die Prognosen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Januar 2014 gingen von 140 000 neuen Erstasylanträgen für das gesamte Jahr aus. Die Prognose wurde zum Stichtag 18. September 2014 nach oben revidiert und "für die nächsten Monate" auf monatlich 25 000 Erstantragsteller bundesweit angehoben. Tatsächlich wurden nach der statistischen Auswertung des EASY-Verfahrens in diesem Jahr bis August mit 119 019 Asylsuchenden bereits mehr Asylsuchende registriert als im gesamten Jahr 2013 mit 118 853 Asylbewerbern und Asylbewerberinnen. Aufgrund der fortbestehenden und sich ausweitenden kriegerischen Konflikte und fortbestehender Verfolgung von politischen, religiösen und ethnischen Minderheiten ist mit einem Rückgang der Schutzsuchenden nicht zu rechnen, vielmehr machen die nach oben korrigierten Zahlen bis zum Jahresende deutlich, dass mit einem weiteren Anstieg der Zahlen auch im Jahr 2015 zu rechnen ist.

Die finanziellen, logistischen und integrativen Herausforderungen für Länder und Kommunen entsprechen in ihrer Intensität dem Anstieg der Zahl der Asylsuchenden. Teils kann die Unterbringung nur in Zelten erfolgen, teilweise mussten Erstaufnahmeeinrichtungen vorübergehend geschlossen werden - mit entsprechenden Folgen für die Nachbarländer -, zunehmend müssen Bürgerhäuser und andere öffentliche Einrichtungen in Anspruch genommen werden, um Flüchtlingen und Asylsuchenden in den Kommunen Obdach zu bieten. Dennoch sind Länder und Kommunen an ihre Grenzen gelangt. Um weiterhin eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung zu gewährleisten und hierfür zusätzliche Kapazitäten zu schaffen, aber auch um die Bürgerinnen und Bürger weiterhin für eine wahre Willkommenskultur zu gewinnen, werden dringend kurzfristig finanzielle Kapazitäten benötigt, denn Länder und Kommunen sind längst überfordert.

B