Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Europäischen Rat -Eine bürgernahe Agenda: Konkrete Ergebnisse für Europa KOM (2006) 211 endg.; Ratsdok. 9390/06

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 30. Mai 2006 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (BGBl. I 1993 S. 313 ff.).

Die Vorlage ist von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 11. Mai 2006 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 102/06 (PDF) = AE-Nr. 060418, AE-Nr. 061238 und
Drucksache 349/06 (PDF) = AE-Nr. 061240

Mitteilung der Kommission an den Europäischen Rat
Eine Bürgernahe Agenda: KONKRETE Ergebnisse für Europa

Einleitung

Im Zeitalter der Globalisierung ist die EU nötiger denn je, doch selten wurde sie so sehr in Frage gestellt. Dies ist ein Paradox, auf das alle, die in den Mitgliedstaaten der EU und den EU-Organen politische Verantwortung tragen, eine Antwort finden müssen.

Die EU ist eine Erfolgsgeschichte. Sie brachte ihren Bürgern in noch nie da gewesenem Ausmaß Frieden, Wohlstand und Stabilität. Äußere Einflüsse wurden abgefedert. Die Grundprinzipien und Werte der EU sind nach wie vor dieselben — Freiheit, Demokratie,

Rechtstaatlichkeit, Toleranz, Solidarität und Fortschritt im Wege friedlicher Zusammenarbeit sind heute noch genauso aktuell wie zu Zeiten der Unterzeichnung des Vertrags von Rom.

Dies gilt für die zentrale Rolle, die der kulturelle Reichtum und die Vielfalt für Europas Identität spielen. In den vergangenen 50 Jahren haben sich Europa und die Welt jedoch verändert. Die EU muss angesichts der zunehmenden Vielfalt und des zunehmenden Wandels für ihre Werte werben und eintreten. Das Treffen des Europäischen Rates in Hampton Court im Oktober vergangenen Jahres zeigte, dass über die Art der Herausforderungen und die Antwort, die die EU hierauf in Form von Modernisierung und Reformen geben kann, politischer Konsens besteht. Die in Hampton Court beschlossene Agenda, zu der auch die Förderung einer wissensbasierten Wirtschaft gehört, ist für die Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen von zentraler Bedeutung.

Die Erwartungen der Bürger an die EU sind im Verlauf von 50 Jahren gestiegen. Darin drückt sich die Anerkennung der zunehmenden Bedeutung der EU aus, doch bedeutet dies auch eine Herausforderung für alle führenden europäischen Politiker. Die EU-Bürger möchten einen besseren Einblick in das Wirken der EU und ein größeres Mitspracherecht haben bei dem, was die EU tut und wie sie es tut. Sie halten die EU für wichtig, empfinden sie aber als wenig greifbar.

Dieses Manko soll unter anderem durch den Verfassungsvertrag behoben werden. Die Kommission steht nach wie vor hinter den Grundprinzipien und Werten des Verfassungsvertrags, weil die EU dadurch effektiver, transparenter und stärker rechenschaftspflichtig wird. 15 Mitgliedstaaten haben den Verfassungsvertrag bisher ratifiziert und in den kommenden Monaten können es noch einige mehr werden. In zwei Mitgliedstaaten ist das Verfassungsreferendum negativ ausgegangen. Über die weiteren Schritte ist man sich noch uneins.

Die Bürger wollen, dass die Arbeit der EU Wirkung zeigt, und zwar jetzt. Gestützt durch Meinungsumfragen zeigen die Debatten im Rahmen von Plan D (D wie Demokratie, Dialog und Diskussion), dass bei den Bürgern Europas ein starker Wunsch nach mehr Engagement der EU auf den verschiedensten Gebieten besteht: bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Bewältigung der Folgen der Globalisierung, der Bekämpfung von Terrorismus und organisiertem Verbrechen sowie der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und der Solidarität.

Um diesen Erwartungen gerecht zu werden, und trotz der fehlenden Einigkeit über den Verfassungsvertrag hat die EU in einigen Bereichen wichtige Schritte vollzogen: Die finanzielle Vorausschau für die nächsten sieben Jahre wurde unter Dach und Fach gebracht und die Lissabonner Wachstums- und Beschäftigungsstrategie in geänderter Form neu belebt; ferner einigte man sich auf eine neue Sozialagenda, eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, einen Aktionsplan zur Stärkung der EU als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, die Verdoppelung der ausländischen Entwicklungshilfe bis 2010 und die groben Umrisse einer neuen Energiepolitik. Eine politische Lösung wurde auch in Bezug auf sensible Materien wie das Dienstleistungs- und das Chemikalienrecht gefunden.

Die EU muss diese Errungenschaften jetzt in konkrete Vorteile ummünzen.

Sie muss aber noch einen Schritt weiter gehen, und zwar in Form einer strategischen Agenda, die die Erwartungen der EU-Bürger erfüllt, damit diese sich wieder für das europäische Einigungswerk stark machen. Die Agenda muss auf den fest vereinbarten prioritären Zielen Wohlstand, Solidarität und Sicherheit gründen und sich von der Notwendigkeit der Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen leiten lassen - alles wichtige Punkte, um das Vertrauen in Europa wiederherzustellen. Die Unterstützung der Bürger kann auch durch Projekte wie Erasmus, Galileo, das Europäische Technologieinstitut oder eine europäische Zivilschutzvorrichtung gewonnen werden. Doch sowohl die Strategien als auch die Projekte müssen sich in eine kohärente politische Agenda einfügen. Deshalb muss parallel hierzu versucht werden, die augenblicklichen Probleme mit dem Verfassungsvertrag Schritt für Schritt zu regeln, um so mit der Zeit die institutionellen Probleme mit Blick auf das ehrgeizige politische Ziel eines festgefügten "Miteinanders" lösen zu können.

Mehr als alles andere muss dazu aber überall in Europa, in den Mitgliedstaaten und in den Regionen der politische Wille vorhanden sein. Effizient arbeitende Institutionen sind für das Funktionieren der EU von zentraler Bedeutung und verkörpern gleichzeitig das politische Wesen des europäischen Einigungswerks. Die EU-Organe sind allein nicht in der Lage, Europa mit neuem Leben zu füllen. Überdies wäre das in einem Europa, das in erster Linie demokratisch ist und sein muss und nicht nur ein Verwaltungsapparat sein soll, auch nicht wünschenswert. Deshalb könnte der erste Schritt 50 Jahre nach Unterzeichnung des Vertrags von Rom darin bestehen, dass Mitgliedstaaten, Kommission und Europäisches Parlament eine Erklärung annehmen, in der sie nicht nur die Werte und Ziele Europas festschreiben, sondern sich auch gemeinsam verpflichten, diese umzusetzen ("obligation d"engagement"). Das Dokument könnte sich, was den Zweck und die Ausgestaltung angeht, die Erklärung von Messina zum Vorbild nehmen, die sowohl die Antwort auf einen institutionellen Rückschlag darstellte als auch der Vorläufer zu einem Vertrag - in diesem Fall dem Vertrag von Rom - war.

EINE politische Agenda für Europa, die Ergebnisse verspricht

Eine neue bürgernahe Agenda für Europa muss Frieden, Wohlstand und Solidarität in einem neuen globalisierten Umfeld gewährleisten. Sie muss zu einem offenen, voll funktionstüchtigen Binnenmarkt führen und die vier Grundfreiheiten auch in der Praxis verwirklichen Solidarität, Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Nachhaltigkeit fördern und die Sicherheit erhöhen. Die Agenda muss im Dienste aller Bürger Europas stehen, dabei auf dem bisher Erreichten aufbauen und die eingeschlagene Richtung mit einem besonderen Augenmerk für Wachstum und Beschäftigung weiter verfolgen.

Eine stärkere wirtschaftliche Integration: Ein Binnenmarkt für das 21. Jahrhundert Die europäische Wirtschaft steht im 21. Jahrhundert vor neuen Herausforderungen und neuen Chancen. Der Binnenmarkt und eine wirksame Wettbewerbspolitik haben den europäischen Bürgern enorme Vorteile gebracht und ihnen neue Möglichkeiten und Alternativen eröffnet, selbst in Bereichen, die früher als unantastbar galten, wie die Telekommunikation und der Luftverkehr. Er hat den Weg bereitet für die Einführung des Euro, der wiederum die Dynamik des Binnenmarktes belebt und zu einer stärkeren Integration der Finanzmärkte und der Wirtschaft geführt hat. Die Lissabon-Strategie schließlich hat die Grundlage geschaffen für eine wachstums- und beschäftigungswirksame die Modernisierung unserer Volkswirtschaften.

Die Zeit ist reif für eine Bilanzierung der wirtschaftlichen Integration, insbesondere des Binnenmarktes, und für einen Blick in die Zukunft, wobei folgende Fragen zu beantworten sind:

Wie können wir auf dem bisher Erreichten aufbauen?

Wo gibt es noch Defizite?

Der Binnenmarkt ist noch nicht vollendet; benötigt wird noch eine stärkere Integration der Energie- und Finanzmärkte und der Abbau von Hindernissen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. All dies sind Probleme, deren Auswirkungen der Bürger spürt z.B. bei den Energiepreisen oder den Gebühren bei grenzüberschreitendem Roaming für Nutzer von Mobiltelefonen oder bei grenzüberschreitenden Bankgeschäften. In anderen Bereichen wiederum lässt der volle Nutzen für die Verbraucher noch auf sich warten: Warum ist es beispielsweise für einen Versicherungsnehmer in einem Mitgliedstaat immer noch schwierig sich in einem anderen Mitgliedstaat zu versichern? Und auch beim Gemeinschaftspatent wurden noch keine Fortschritte erzielt.

Wie können wir den Herausforderungen der Zukunft begegnen?

Die EU-Wirtschaftspolitik muss die Integration und Konvergenz der EU-Volkswirtschaften befördern.

Sie muss die Lissabon-Strategie weiterverfolgen, für die vollständige Umsetzung und das reibungslose Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion sorgen und den Binnenmarkt vollenden. Sie muss auf Druck von außen, z.B. Wettbewerbsdruck, reagieren und die Chancen nutzen, die die Globalisierung in Form von Investitions- und Exportmöglichkeiten bietet. Die Verwirklichung des Binnenmarktes ist keine einmalige Errungenschaft, sondern muss ein dynamischer Prozess sein. Ein starker, offener, wettbewerbsfähiger Binnenmarkt kann schon zu einem großen Teil die Antwort Europas auf die Herausforderung der Globalisierung bedeuten.

Führen die Mechanismen, deren wir uns bedienen, um den Binnenmarkt zu vollenden wirklich zum Erfolg?

Die Mittel zur Förderung der wirtschaftlichen Integration haben sich in den letzten 20 Jahren geändert. Es gibt neue Wege, wie das Unternehmertum und die Innovationsbereitschaft gefördert werden können. Damit das System funktioniert, ist die Kommission bereit, auf partnerschaftlicher Basis unter Einsatz neuer Technologien mit den Mitgliedstaaten und ihren Behörden zusammenzuarbeiten und sie dabei zu unterstützen, Tätigkeiten in ihren Verantwortungsbereich zu übernehmen.

Die Kommission macht es sich zur Aufgabe, bestehende Hemmnisse zu beseitigen, die einem Binnenmarkt noch entgegenstehen, damit die europäischen Bürger und die Unternehmen uneingeschränkt von den Vorteilen der EU profitieren können. Sie schlägt daher vor, den Binnenmarkt einer eingehenden Prüfung zu unterziehen, um festzustellen, wo und in welcher Form noch Handlungsbedarf besteht. Im nächsten Jahr soll dem Rat und dem europäischen Parlament unter der Überschrift "Der Binnenmarkt im 21. Jahrhundert" ein Bericht hierzu mit konkreten Vorschlägen für künftige Maßnahmen vorgelegt werden. Die Kommission wird des Weiteren mit aller Kraft die Lissabon-Strategie weiterverfolgen und daran arbeiten, dass der Binnenmarkt vollendet wird und reibungslos funktioniert.

Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität

Das Bestreben, die wirtschaftliche Integration zu vertiefen und auszudehnen, muss Hand in Hand mit der Förderung einer der Grundwerte gehen, die Europa in hohem Maße einen, nämlich Solidarität.

Um vor dem Hintergrund des demografischen Wandels das öffentliche Gesundheitswesen, die soziale Sicherheit und die Rentensysteme aufrecht zu erhalten und um den EU-Bürgern die Möglichkeit zu geben, sich an den Wandel anzupassen, muss die Politik Antworten finden auf eine neue Arbeitswelt: die Europäer leben länger und sehen sich beispiellosen Veränderungen im traditionellen Familienbild und einer verbesserten Chancengleichheit gegenüber; sie müssen sich auf neue Formen der Migration und der Vielfalt in der Gesellschaft einstellen, und die benachteiligten Gruppen unter ihnen sind nach wie vor von anhaltender Armut bedroht. Die Europäische Union muss die radikalen Veränderungen, die sich gegenwärtig in unseren Gesellschaften vollziehen, genauer unter die Lupe nehmen und tragfähige Antworten auf allen Ebenen liefern, um ihre Tätigkeit mit dem Reformbedarf der europäischen Wirtschaft abstimmen zu können.

Die Förderung von Rechten und Garantien am Arbeitsplatz muss mit der Schaffung von Arbeitsplätzen einhergehen. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass die Mitgliedstaaten als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik setzen. Speziell die Jugendarbeitslosigkeit bewegt sich in vielen Mitgliedstaaten auf einem Niveau, das längst nicht mehr hinnehmbar ist. In diesem Zusammenhang sei der Europäische Rat anlässlich der Formulierung der Lissabon-Strategie mit den Worten zitiert: "Der beste Schutz gegen soziale Ausgrenzung ist ein Arbeitsplatz".

Die Maßnahmen und Programme zur Aufrechterhaltung der Solidarität müssen den Lebensstandard, den sozialen Zusammenhalt und die Chancen der Unionsbürger verbessern.

Die EU muss dabei die nationalen, regionalen und anderen Behörden vor Ort auf den verschiedenen Ebenen ebenso einbinden wie die Sozialpartner im Wege des sozialen Dialogs und der Beteiligung der Zivilgesellschaft. Dies bedeutet, dass unsere Politik zur langfristigen Aufrechterhaltung der Solidarität flankiert werden muss von Maßnahmen, die die bestehenden Rechte der Bürger auf Beschäftigung, Bildung, Sozialleistungen, Gesundheitsfürsorge und sonstige Formen des Sozialschutzes in ganz Europa schützen.

Die Solidarität muss sich auch auf künftige Generationen erstrecken. Die EU muss eine passende Antwort nicht nur auf die demographische Entwicklung, sondern auch die Veränderungen der Umwelt finden. Die Union sollte auch in Zukunft an vorderster Front gegen Klimawandel und Rückgang der Artenvielfalt vorgehen, beispielsweise durch kosteneffektive Maßnahmen zur Einlösung der Verpflichtungen von Kyoto, Maßnahmen zur weiteren Reduzierung des CO₂-Ausstoßes nach dem Jahr 2012 und einen Aktionsplan zur Einhaltung der Ziele bis 2010 zur Erhaltung der Artenvielfalt.

Die Kommission wird nächstes Jahr eine umfassende Bestandsaufnahme der sozialen Wirklichkeit in Europa in die Wege leiten und parallel zur Binnenmarktuntersuchung und in Abstimmung mit ihr eine Sozialagenda für Zugangschancen und Solidarität auf den Weg bringen. Sie wird überdies die Möglichkeit der Einführung einer "Berechtigungskarte" prüfen, durch die jeder Bürger seine Rechte kennen lernen und sie in vollem Umfang wahrnehmen könnte. Außerdem wird die Kommission ihre Agenda für nachhaltige Entwicklung intensiv weiterverfolgen.

Freiheit, Sicherheit und Recht

Die Bürger der Union müssen darauf vertrauen können, dass alles getan wird, um Europa zu einem lebenswerten Ort zu machen, an dem die Sicherheit ebenso garantiert ist wie die Freiheit und die Ausübung der für die Europäer so wichtigen individuellen Freiheitsrechte.

Auf Ebene der EU besteht diesbezüglich noch weiterer Handlungsbedarf, z.B.

In einigen Politikbereichen behindern die derzeitigen Beschlussfassungsmechanismen die Handlungsfähigkeit und Rechenschaftspflicht. Nach den geltenden Vertragsbestimmungen (Artikel 42 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 67 Absatz 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) ist es schon jetzt möglich, diese Mechanismen zu ändern. Dadurch könnte die Beschlussfassung im Rat verbessert, eine angemessene demokratische Kontrolle durch das Europäische Parlament gewährleistet und der Europäische Gerichtshof in seiner Rolle gestärkt werden.

Die Kommission wird die von den geltenden Verträgen gebotenen Möglichkeiten nutzen, um eine Initiative zur Verbesserung der Beschlussfassung und der Verantwortlichkeit auf dem Gebiet der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit und der legalen Migration einzubringen.

Erweiterung

Die verschiedenen Erweiterungen haben die EU zu dem gemacht, was sie heute ist - eine starke Kraft, die zur Ausbreitung von Frieden, Demokratie und Wohlstand beiträgt und die ihre Interessen, ihre Werte und ihren Einfluss in der Welt geltend macht. Durch die Erweiterung wurden frühere Diktaturen in der Übergangsphase zu einem neuen System unterstützt und dies kommt allen Mitgliedstaaten zugute. Bei jedem Beitritt gab es Zweifel und jedes Mal stellte die EU ihre institutionelle, finanzielle und politische Fähigkeit zur Aufnahme neuer Mitglieder unter Beweis.

Die letzte Erweiterung im Jahr 2004 hat in erster Linie eine historische, politische und strategische Dimension: Sie hat Europa geeint. Sie ist aber auch ein wirtschaftlicher Erfolg, denn durch Zunahme der Investitionstätigkeit und des Handels hat die europäische Wirtschaft neuen Schwung erhalten; Wachstum und Beschäftigung haben zugenommen1.

Obgleich die Erweiterung nach wie vor mehrheitlich begrüßt wird, äußern die Bürger auch Kritik an ihrer Geschwindigkeit und ihren Ausmaßen. Die Union muss bestehende Verpflichtungen erfüllen; gleichzeitig muss eine fundierte Debatte über künftige Erweiterungen geführt und gezeigt werden, was sie für die Union insgesamt bedeuten.

Die Frage, wie sich die EU auf den Beitritt neuer Mitgliedstaaten einstellen kann, ohne Abstriche bei der Umsetzung ihrer Hauptziele zu machen, ist nicht neu: Auf dem Europäischen Rat von Kopenhagen von 1993 wurde bereits über die Aufnahmefähigkeit gesprochen in der Agenda 2000 wurden institutionelle, strategische und haushaltspolitische Reformen vorgeschlagen, die den Weg für die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten im Mai 2004 bereiteten.

Die EU hat bewiesen, dass sie in der Lage ist, neue Mitglieder aufzunehmen, ohne ihre Handlungsfähigkeit einzubüßen. Wenn ihr dies weiterhin gelingen soll, muss sie dafür sorgen, dass die Erweiterung Europa bei der Umsetzung der gemeinsamen Ziele weiterbringt.

Die Kommission schlägt vor, unter dem finnischen Vorsitz eine Diskussion über die Aufnahmefähigkeit der Union und den Mehrwert der Erweiterung zu führen. Die Kommission wird später in diesem Jahr im Vorfeld der Dezembertagung des Europäischen Rates einen Bericht über die Erweiterungsstrategie der EU vorlegen.

Die EU in der Welt Die Welt braucht mehr denn je ein handlungsfähiges Europa. Die internationalen Verflechtungen bieten neue Möglichkeiten, die europäischen Werte und Interessen in andere Länder zu tragen, und haben die Europäer von der Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik überzeugt.

Die Tatsache, dass noch keine Lösung in der institutionellen Frage gefunden wurde, sollte der Stärkung der Rolle der EU in der Welt nicht im Wege stehen. Wir müssen unser großes kollektives Kapital optimal nutzen, z.B. in der Verteidigung durch Mobilisierung der operativen Ressourcen, in der Forschung und im Beschaffungswesen. Die Kommission ist jederzeit bereit, Anstrengungen, die die Mitgliedstaaten in diese Richtung unternehmen, zu unterstützen.

Damit Europa als globaler Partner mehr ist als die Summe seiner Bestandteile, sollten Mitgliedstaaten und EU-Organe zusammenarbeiten, um Folgendes zu gewährleisten:

- Schwerpunkte.

Je mehr außenpolitische Aufgaben die EU zu bewältigen und mit je mehr Partnern sie zu tun hat, desto klarer muss sie ihre Prioritäten und Ziele definieren und darlegen. Die Weiterentwicklung der Europäischen Nachbarschaftspolitik als Mittel zur Förderung von Stabilität und Wohlstand in den an die EU angrenzenden Ländern sollte größere Priorität erhalten.

- Kohärenz.

Die EU kann auf zahlreiche außenpolitische Instrumente zurückgreifen, die weit über die Mittel der herkömmlichen Außenpolitik hinausgehen: handelspolitische Instrumente, Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und politischer Dialog.

Zudem lassen sich umwelt-, verkehrs-, energie-, migrations- und sicherheitspolitische Ziele nur durch Maßnahmen voll umsetzen, die über die Grenzen Europas hinausreichen. Auf die Kohärenz der innergemeinschaftlichen und außenpolitischen Maßnahmen kommt es an.

Die Kommission wird noch in diesem Jahr ein neues Konzept für die internationale Wettbewerbsfähigkeit vorlegen, in dem Fragen wie verbesserter Zugang zu den überseeischen Märkten, neue Prioritäten in den Handelsbeziehungen, Förderung von Investitionsmöglichkeiten und Schutz des geistigen Eigentums behandelt werden sollen.

Die Europäische Union sollte sich in dem Zusammenhang weiterhin dafür einsetzen, dass weltweit bessere Wettbewerbs-, Sozial- und Umweltnormen zur Anwendung gelangen.

- Koordinierung.

Es gilt, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft sowie zwischen den Organen selbst im Interesse einer effektiven und effizienten Außenpolitik zu verbessern.



An denAußenbeziehungen sind zwangsläufig viele Akteure beteiligt. Sie alle müssen sich besonders vor Augen halten, was sie gemeinsam erreichen wollen, z.B. wirkungsvolle Hilfe und Zivilschutz in außenpolitischen Krisensituationen, und sich nicht damit beschäftigen, wer was macht.

Anknüpfend an die in Hampton Court geführte Diskussion über die Rolle Europas in der Welt wird die Kommission ein Strategiepapier zu den Außenbeziehungen mit konkreten Vorschlägen für Maßnahmen zur Bewältigung dieser Herausforderungen auf der Grundlage der bestehenden Verträge ausarbeiten. Dabei wird es vor allem darum gehen, wie die Abstimmung und Koordinierung der Aktionen der Kommission mit denen der anderen Gemeinschaftsorgane und denen der Mitgliedstaaten verbessert werden können.

EIN BUDGET für die Umsetzung des Programms

Im Haushalt kommen die politischen Ziele der Union konkret zum Ausdruck. Ein sowohl auf der Ausgaben- als auch der Einnahmenseite reformierter Haushalt ist für die Realisierung eines bürgernahen Grundsatzprogramms unabdingbar. Einige wichtige Schritte sind mit der jüngsten Vereinbarung über die Finanzielle Vorausschau vollzogen worden, beispielsweise durch die Aufstockung der Ausgabemittel für neue Politikbereiche wie Sicherheit, Innovation und Forschung und die Reform der EU-Kohäsionspolitik im Sinne sowohl der Wachstums- und Beschäftigungsstrategie als auch deren zentraler Bedeutung als Solidaritätsinstrument.

Doch es bleibt noch viel zu tun. Die Beschlüsse über die Ressourcen und Ausgaben der Union müssen sich auf einen Konsens gründen, und zwar über die künftige politische Richtung der Union, über die Aufgabenverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten sowie über die Finanzierungsmittel und -quellen, die es der Union erlauben, ihren Prioritäten gerecht zu werden. Deshalb wird die Kommission 2008/09 Überlegungen zu einer umfassenden Haushaltsreform unterbreiten, die die Grundlage für eine neue, auf Wohlstand, Solidarität und Sicherheit abstellende Politik schaffen soll.

EIN PARTNERSCHAFTLICHES Europa: Subsidiarität, bessere Rechtsetzung, Offenheit

Ein neues politisches Grundsatzprogramm erfordert eine neue Vorgehensweise. Die EU ist eine komplexe, einzigartige Organisation, die eine breite Palette von Zielen verfolgt. Sie kann nur funktionieren, wenn Macht und Verantwortung geteilt und demokratische Schlüsselprinzipien wie Rechenschaftspflicht, Transparenz und gegenseitiges Vertrauen eingehalten werden. Die EU muss:

Aber dies muss ein gemeinsames Unterfangen sein, und die anderen Institutionen sowie die nationalen und regionalen Behörden sollten mehr tun, um Unternehmen und Bürgern das Leben zu erleichtern. Die Kommission wird noch in diesem Jahr weitere Vorschläge unterbreiten damit eine bessere Rechtsetzung EU-weit Realität wird.

Partnerschaft bedeutet, dass die EU-Organe effizient zusammenarbeiten - die Trennungslinien zwischen ihren Aufgabenbereichen sind weniger wichtig als die Tatsache, dass alle gemeinsame Ziele verfolgen. Sie müssen außerdem - und dies ist ein wesentliches Ziel der neuen Kommunikationspolitik - auf die Bürger zugehen2.

Aber die Europäischen Institutionen müssen auch enger mit den wichtigsten Partnern kooperieren. Die nationalen Regierungen tragen eine besondere Verantwortung für die Handlungsfähigkeit der EU. In jeder Phase - Konsultation vor Festlegung der Politik,

Diskussion über konkrete Vorschläge und Umsetzung - kann die EU-Politik nur funktionieren wenn sich alle Akteure voll einsetzen.

Vor allem die nationalen Parlamente müssen stärker in die Konzipierung und Durchführung der EU-Politik eingebunden werden. Durch ihre intensivere Einbeziehung wird es möglich sein die Maßnahmen der EU genauer auf verschiedene Umstände abzustimmen und wirkungsvoller umzusetzen.

Die Kommission beabsichtigt, alle neuen Vorschläge und Konsultationspapiere direkt den nationalen Parlamenten zu übermitteln und sie zu einer Reaktion aufzufordern. Auf diese Weise ließe sich der politische Entscheidungsprozess verbessern.

LÖSUNG INSTITUTIONELLER Fragen

Die EU muss sicherstellen, dass ihre Institutionen in der Lage sind, das neue politische Grundsatzprogramm im Dienste der europäischen Bürger umzusetzen.

In der Erklärung von Laeken aus dem Jahr 2001 wird ein klares, transparentes, wirksames, demokratisch bestimmtes gemeinschaftliches Konzept gefordert, das Europa zu einer Kraft werden lässt, die für die Zukunft der Welt richtungweisend sein kann. Auf dieser Grundlage arbeiteten der Konvent und die Regierungskonferenz an dem Verfassungsvertrag. Fünf Jahre später gelten die in der Laeken-Erklärung postulierten Ziele mehr denn je.

Im Juni 2005 vereinbarten die Staats- und Regierungschefs, im ersten Halbjahr 2006 eine Gesamtbewertung der nationalen Debatten vorzunehmen und Verabredungen über das weitere Vorgehen zu treffen. In der Mitteilung "Die Zeit der Reflexion und Plan D"3 analysiert die Kommission die Themen, mit denen sich die Bürger in den Debatten auseinander gesetzt haben. Insgesamt sehen diese, dass die Probleme innerhalb und außerhalb Europas nur auf europäischer Ebene angegangen werden können. Sie sind wegen der Beschäftigung- und Sicherheitslage besorgt und wünschen eine europäische Antwort auf die Globalisierung. Auch wüssten sie gern genauer, in welche Richtung Europa in Sachen Erweiterung geht. Schließlich sind sie der Ansicht, dass Europa seine Energien auf die Hervorbringung konkreter Ergebnisse konzentrieren sollte.

Generell wurden zum Verfassungsvertrag mehrere Optionen aufgezeigt. Die derzeit laufenden Ratifizierungsverfahren beweisen das Engagement der Mitgliedstaaten für den Verfassungsvertrag. Die Erklärung im Anhang zum Verfassungsvertrag sieht vor, dass der Europäische Rat befasst wird, wenn vier Fünftel der Mitgliedstaaten die Ratifizierung vollzogen haben. Allerdings fehlt derzeit ein politischer Konsens darüber, wie dann vorgegangen werden soll.

Gelingt es der EU, den Bürgern durch konkrete Leistungen zu beweisen, dass sie deren Bedenken und Erwartungen Rechnung tragen kann, und auf diese Weise erneut Vertrauen aufzubauen wäre ein wichtiger Schritt zu einem positiven Ergebnis getan.

Daher schlägt die Kommission Folgendes vor:

Schlussfolgerung

Die EU hat in einer Weise Frieden, Wohlstand und Sicherheit gebracht, wie es zur Zeit ihrer Gründung unvorstellbar war. Die EU kann und muss den Bedürfnissen und Wünschen neuer Generationen von Europäern weiterhin gerecht werden.

Deshalb muss die Kommission die Dynamik nutzen und ein neues Programm im Dienste der Unionsbürger entwerfen. Darin enthalten sein sollten Vorschläge, damit die europäischen Bürger die Chancen und Sicherheiten, die ein auf Offenheit und Solidarität basierendes Europa bietet, verstärkt nutzen können. Freiheit und Sicherheit müssen besser garantiert und der Stimme Europas muss weltweit mehr Gehör verschafft werden.

Bei der Umsetzung dieses Grundsatzprogramms muss die EU partnerschaftlich vorgehen. Die Größe der Herausforderung verlangt nicht nur das uneingeschränkte Engagement der EU-Organe, sondern aller, die am Erfolg Europas interessiert sind. Wenn es der Europäischen Union gelingt, als Motor des Wohlstands, der Solidarität und der Sicherheit in Europa und dem Rest der Welt ein neues Vertrauen zu wecken, schafft dies die richtigen Rahmenbedingungen für die Lösung der anstehenden institutionellen Fragen.


"Die Zukunft der Völker Europas liegt allein in der Einheit."
(Jean Monnet)


1 KOM (2006) 200 vom 3.5.2006.
2 KOM (2006) 35 vom 1.2.2006.
3 KOM (2006) 212 vom 10.5.2006.