Empfehlungen der Ausschüsse
Gesetz über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze

885. Sitzung des Bundesrates am 8. Juli 2011

Der federführende Wirtschaftsausschuss (Wi) und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetz die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes aus folgenden Gründen zu verlangen:

1. Hauptempfehlung

Der Ausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetz die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes mit dem Ziel der grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes zu verlangen.

Begründung:

Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Bundesregierung, den Ausbau des Übertragungsstromnetzes in Deutschland zu beschleunigen. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien kommt dem Netzausbau sowohl auf der Übertragungsstromnetzebene als auch in den Verteilnetzen eine große Bedeutung zu. Ohne diesen Netzausbau können die erneuerbaren Energien nicht ausreichend zur Sicherung der Stromversorgung eingesetzt werden.

Das vom Deutschen Bundestag beschlossene Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz sieht vor, dass für länderübergreifende oder grenzüberschreitende Höchstspannungsleitungen, die in einem Gesetz über den Bundesbedarfsplan nach § 12e Absatz 4 Satz 1 EnWG als solche gekennzeichnet sind, durch eine Bundesfachplanung in der Hand der Bundesnetzagentur Trassenkorridore festgelegt werden und durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmt werden kann, für welche dieser Leitungen das Planfeststellungsverfahren von der Bundesnetzagentur durchgeführt wird.

Damit ist den im Rahmen der Beteiligung des Bundesrates erhobenen Forderungen der Länder nicht Rechnung getragen. Mit seinem Beschluss vom 17. Juni 2011 (vgl. BR-Drucksache 342/11(B) HTML PDF ) hat der Bundesrat festgestellt, dass die Ländergenehmigungsbehörden auf der Grundlage entsprechender verfahrensrechtlicher Instrumente die Planfeststellungsverfahren beschleunigt durchführen können. Er hat sich deshalb dagegen ausgesprochen, zukünftig Doppel- und Parallelstrukturen von Bund und Ländern in diesem Aufgabenfeld zu schaffen. Die in den Länderbehörden vorgehaltene Kompetenz und die in den bisherigen Verfahren gewonnenen Erfahrungen sollen vielmehr auch für die zukünftigen Genehmigungsverfahren genutzt werden. Der Bundesrat hat deshalb gefordert, dass die konkrete Trassenbestimmung und die Planfeststellung auch für die dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz unterfallenden Leitungsbauvorhaben generell von den Ländern durchgeführt werden müsse.

Die im Nachgang zur Gegenäußerung der Bundesregierung formulierten Änderungen, namentlich die Planfeststellung länderübergreifender oder grenzüberschreitender Höchstspannungsleitungen durch die Bundesnetzagentur in Abhängigkeit von einer Rechtsverordnung, die die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen kann, kommen dem Anliegen der Länder nur scheinbar entgegen. Der Bundesrat hat deutlich gemacht, dass eine Planfeststellung auf Bundesebene aus mehreren Gründen nicht zweckmäßig ist und nicht zur Beschleunigung beitragen wird. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass ihr Anwendungsbereich auf großräumig bedeutsame Leitungen beschränkt wird. Vielmehr muss das Gesetz grundlegend im Sinne einer strikten Trennung der Planungsebenen (Bedarfsplanung durch den Bund, Trassenplanung und Planfeststellung durch die Länder) überarbeitet werden.

Ebenfalls nicht aufgegriffen wurden Forderungen des Bundesrates nach Änderungen in der Anreizregulierungsverordnung, mit denen zum einen die geschätzten gesamtwirtschaftlichen Mehrkosten durch verzögerten Freileitungsbau im Vergleich zu Erdkabeln und zum anderen Kosten für Forschung und Entwicklung innovativer Netztechnologien einschließlich Pilotprojekten im Rahmen der Genehmigung von Investitionsbudgets berücksichtigungsfähig werden sollten.

2. Hilfsempfehlung zu Ziffer 1.

Zu Artikel 3 (Inhaltsangabe und § 54 Absatz 11 BNatSchG)

Artikel 3 ist zu streichen.

Begründung:

Die Verallgemeinerung der Prüfung durch verwaltungsseitige Vorgaben zur Verträglichkeitsprüfung, Ausnahmeentscheidungen und zu Kohärenzmaßnahmen fällt hinter die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes infolge des EuGH-Verfahrens C-98/03 zurück. In der am 10. Januar 2010 verkündeten Entscheidung hat der EuGH eine gesetzliche Beschränkung auf national einschränkend definierte Projekte als unzureichende Umsetzung des Projektbegriffs beschieden. Mit dem Ermächtigungsvorschlag für § 54 Absatz 11 BNatSchG wird dieser Fehler wiederholt, wenn auch mittelbar über verwaltungsseitige Vorgaben zur Relevanz von Projekten, zur Verträglichkeit von Projekten, zur Bestimmung von Ausnahmen und zu Kohärenzmaßnahmen. Damit werden bestimmte Vorhaben und Maßnahmen als unerhebliche Beeinträchtigung festgeschrieben, ohne noch die unverzichtbare Einzelfallentscheidung zu einem Vorhaben mit Blick auf ein bestimmtes Natura 2000-Gebiet und die darin geschützten konkreten Habitate und Arten treffen zu müssen.

Die erkennbar dem Bundesimmissionsschutzrecht nachgebildete Regelung ist auf den Naturschutz nicht übertragbar. Den naturschutzrechtlichen Tatbeständen fehlt die serielle Ähnlichkeit immissionsrechtlicher Sachverhalte. Für die von der Verwaltungsvorschrift ausgeschlossenen Vorhabentypen wird damit faktisch wieder ein verkürztes Prüf- und Genehmigungsrecht wie vor dem EuGH-Urteil geschaffen. Ein solches Vorgehen widerspricht auch der ständigen EuGH-Rechtsprechung, wonach Richtlinien auf das Niveau des für nationale Regelungen vergleichbaren Normenstandards umgesetzt werden müssen. Für vergleichbare nationale Schutzgebiete werden Genehmigungen und Ausnahmen in einem materiellen Gesetz bzw. Verordnung geregelt und dann im Einzelfallverfahren durch die örtlich zuständige Fachverwaltung und nicht durch generalisierende Verwaltungsvorschrift entschieden. Hier dagegen würde der Bund unabhängig von der speziellen Gefährdung eines Gebiets, der Habitate und Arten eine pauschale Regelung an der gesetzlichen Entscheidung durch Verwaltungsvorschrift vorgeben.

Eine Veränderung landesgesetzlich ausgestalteter Prüf- und Bewilligungsverfahren durch Verwaltungsvorschriften ist auch verfassungsrechtlich unzulässig. Der Verstoß kann auch nicht durch eine Zustimmung des Bundesrates zu den nachgeschalteten Verwaltungsvorschriften geheilt werden.

3. Hilfsempfehlung zu Ziffer 1.

Zu Artikel 5 Nummer 2 (§ 23 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 ARegV)

In Artikel 5 Nummer 2 ist § 23 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 wie folgt zu fassen:

"6. Erweiterungsinvestitionen zur Errichtung von Hochspannungsleitungen auf neuen Trassen mit einer Nennspannung von 110 Kilovolt als Erdkabel, soweit die Gesamtkosten für Errichtung und Betrieb des Erdkabels die Gesamtkosten der technisch vergleichbaren Freileitung den Faktor 2,75 nicht überschreiten, sowie Erdkabel nach § 43 Satz 3 des Energiewirtschaftsgesetzes und § 2 Absatz 1 des Energieleitungsausbaugesetzes. Bei dem Kostenvergleich sind die geschätzten gesamtwirtschaftlichen Mehrkosten aus einer Verzögerung der Inbetriebnahme der Freileitung gegenüber der Inbetriebnahme des Erdkabels zu berücksichtigen."

Begründung:

Die Erhöhung des Vergleichsfaktors von 1,6 auf 2,75 für Erdkabel ist unter den Aspekten des Umweltschutzes, der Herstellung von Akzeptanz und der Beschleunigung von Verfahren zu begrüßen. Als Kosten sind bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung auch die Kosten zu berücksichtigen, die aus einer verzögerten Inbetriebnahme einer Freileitung gegenüber der Inbetriebnahme eines Erdkabels entstehen. Eine derartige gesamtwirtschaftliche Betrachtung ist auf Grund des dringend erforderlichen Leitungsausbaus einerseits und wachsender Akzeptanzprobleme andererseits von steigender Bedeutung. Zwischenzeitlich ist gutachterlich belegt, dass schon ein Jahr Beschleunigung die Mehrkosten des Erdkabels gegenüber einer Freileitung kompensiert.

Ein Kostenvergleich ist aber nur durchführbar, wenn die Bundesregierung Kriterien zur Berechnung dieser verzögerungsbedingten gesamtwirtschaftlichen Mehrkosten entwickelt.

4. Hilfsempfehlung zu Ziffer 1.

Zu Artikel 5 Nummer 2 (§ 23 Absatz 1 Satz 2 Nummer 10 - neu - ARegV)

In Artikel 5 Nummer 2 ist dem § 23 Absatz 1 Satz 2 folgende Nummer 10 anzufügen:

"10. projektbezogene Innovation, Forschung und Entwicklung neuer Technologien und Netzkonzepte im Zusammenhang mit dem Netzausbau, einschließlich der Kosten für die Durchführung von Pilotprojekten zur Erprobung neuer Technologien."

Begründung:

Die Anreizregulierungsverordnung erkennt bislang Kosten für Innovationen sowie Forschung und Entwicklung nicht an. Auf Grund des in relativ kurzer Zeit zu bewältigenden Netzerweiterungsbedarfs kommt der Innovation, Forschung und Entwicklung neuer Netztechnologien eine steigende Bedeutung zu. Die Anreizregulierungsverordnung ist an die sich daraus ergebenden Notwendigkeiten anzupassen. Kosten für die entsprechenden Investitionen sind projektbezogen im Rahmen der Investitionsbudgets zu berücksichtigen.