Beschluss des Bundesrates
Entschließung des Bundesrates - Einbeziehung der urbanen Zentren in die Energiewende

Der Bundesrat hat in seiner 971. Sitzung am 19. Oktober 2018 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst

Anlage
Entschließung des Bundesrates - Einbeziehung der urbanen Zentren in die Energiewende

Begründung:

Im Interesse des Klimaschutzes und zur Erreichung der europäischen, nationalen und regionalen Erneuerbare-Energien-Ausbauziele ist es erforderlich, die urbanen Zentren des Landes in die Energiewende maßgeblich mit einzubeziehen, denn nur so kann eine bisher vorrangig auf die Stromerzeugung fokussierte Energiewende eine Energiewende in allen Sektoren werden, ohne das Stromübertragungsnetz zusätzlich zu belasten.

Die bestehende Rechtslage sieht eine unnötige Begrenzung von Mieterstromprojekten auf maximal 100 kWp pro Gebäude vor. Die Regelung führt so zu einer unnötigen Projektbegrenzung, weil Mieterstromanlagen derzeit unnötig klein gehalten werden, obwohl das entsprechende Gebäude i.d.R. deutlich mehr Platz bietet, und zu einer verzögerten Inbetriebnahme von Anlagen, weil Betreiber ihre Anlagen teilweise auf mehrere Projekte, bzw. auf mehrere Gebäude aufspalten, was mit höheren Planungs- und Installationskosten verbunden ist und den Ausbau verzögert. Die bestehende Regelung ist somit Hindernis für die zügige und flächenschonende Hebung der PV-Potentiale auf Mehrfamilienhäusern, insbesondere Mietshäusern in den Städten.

Die derzeitige Rechtslage führt für Quartierskonzepte zu einer unsicheren und unbefriedigenden Situation, da der Mieterstromzuschlag nur dann gewährt werden kann, wenn der Strom nicht durch ein öffentliches Netz durchgeleitet wird. Die Einschränkung führt dazu, dass nur Anlagen, die nach dem EnWG als Kundenanlagen zu qualifizieren sind, den Mieterstromzuschlag nach dem EEG erhalten können. Die Bewertung, ob und wann es sich um ein öffentliches Stromnetz oder um eine Kundenanlage handelt, wird derzeit von unterschiedlichen Seiten sehr uneinheitlich vorgenommen und zusätzlich durch Auslegungen der Bundesnetzagentur begrenzt. Diese Situation führt dazu, dass die Möglichkeit zur Nutzung von Mieterstrommodellen, insbesondere in großen Wohnkomplexen bzw. Quartieren oder bei Denkmalschutzeinschränkungen bestimmter Gebäude eines Wohnkomplexes, unnötig eingeschränkt wird und Mieter entsprechend ausgeschlossen werden.

Deutschland liegt bereits das vierte Jahr in Folge beim Ausbau der Stromerzeugung aus solarer Strahlungsenergie mit einem Zubau von knapp 1.753 MW hinter dem jährlichen Ausbaupfad von 2.500 MW zurück. Folglich ist die in § 23b Absatz 3 EEG vorgenommene Definition eines zusätzlichen Zubaudeckels für PV-basierte Mieterstromprojekte von 500 MW pro Jahr als energiepolitisch kontraproduktiv und hinderlich einzuschätzen und entsprechend zu streichen. Darüber hinaus ergeben sich durch eine zusätzliche Deckelung unnötige Planungsrisiken für Anlagenerrichterinnen und Anlagenerrichter. Eine Begrenzung des maximalen Anteils der "Mieterstromanlagen" im Vergleich zum Anteil der ins Netz einspeisenden "EEG-Anlagen" ist nicht zielführend.

In Mieterstromobjekten wird der Großteil des erzeugten Stroms von den Beziehern des Mieterstroms innerhalb des Objekts verbraucht. Die eingespeiste Strommenge ist meist sehr viel geringer als die von den Bezieherinnen und Beziehern des Mieterstroms verbrauchte. Für die direkt zu vermarktende Reststrommenge jedoch lässt sich oft überhaupt nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem und vielfach mit zusätzlichen Kosten verbundenem Aufwand ein Direktvermarkter finden, der den Reststrom an der Börse vermarktet. Die De-Minimis-Grenze für die Direktvermarktungspflicht aus Mieterstromanlagen sollte daher für Mieterstromprojekte deutlich erhöht werden.

Die derzeitige Rechtslage sieht vor, dass Mieterstromprojekte nur in Wohnhäusern möglich sind. Dadurch wird einerseits das Potenzial für Mieterstromprojekte in den Städten wesentlich eingeschränkt und andererseits eine Benachteiligung von Unternehmen erzeugt, die in reinen Gewerbegebäuden ansässig sind, gegenüber Unternehmen, die ihr Geschäft innerhalb eines zum überwiegenden Teil als Wohngebäude genutzten Hauses betreiben, da diese die Vorteile von Mieterstrommodellen nutzen können. Der Mieterstromzuschlag sollte daher auch für Gewerbegebäude Anwendung finden.

Die Vermietung von Wohnraum ist von der Gewerbesteuer befreit. Im Fall einer Mieterstromlieferung bzw. der Einspeisung des Überschussstroms aus der Solaranlage ins Netz wird die eigentlich gewerbesteuerbefreite Vermietungstätigkeit gewerbesteuerpflichtig. Um das zu verhindern, muss das Gewerbesteuergesetz angepasst werden. Damit würden Mieter den Eigenheimbesitzern gleichgestellt, welche die Vorteile der Eigenversorgung schon länger in Anspruch nehmen können.

Eine bürokratische Hürde bei der Realisierung von Mieterstrommodellen besteht darin, dass den Anlagenbetreiber als Stromlieferant eine Vielzahl von Pflichten, unter anderem nach dem EnWG (§§ 40 bis 42), treffen. Die Einführung einer Bagatellgrenze kann hier Abhilfe schaffen. Dies entspräche auch dem Gedanken der EE-Richtlinie, die in ihrer Neufassung eine Bagatellgrenze von 30 kW für lokalen Eigenverbrauch vorsieht.

Hauseigentümer, die PV-Strom erzeugen und einspeisen, unterliegen den Vorgaben des EStG und UStG. Diese verursachen für die Stromerzeuger einen relativ hohen Aufwand und können im Einzelfall einer entsprechenden Investitionsentscheidung entgegenstehen. Vor dem Hintergrund sinkender Einspeisevergütungen einerseits und dem Verwaltungsaufwand der Finanzämter andererseits wäre zu prüfen, inwieweit auch hier Bagatellgrenzen für Kleinanlagen (10 kWp) eingeführt werden könnten.

Dachflächen-PV-Anlagen weisen gegenüber Freiflächen PV-Anlagen in aller Regel Wettbewerbsnachteile auf, die die Zuschlagschancen im Ausschreibungssystem gravierend einschränken. Die komparativen Vorteile großer Dachflächen-PV-Anlagen - vor allem die Möglichkeit der EE-Stromerzeugung in besonderer Nähe zu Verbrauchern und innerhalb gut ausgebauter urbaner Stromnetze - können damit nicht zum Tragen kommen. Abhilfe würde die Einrichtung eines eigenen Ausschreibungssegments für Dachflächen-PV-Anlagen schaffen.

Die Flexibilisierung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zur Nutzung von Überschussstrom ist ein netzentlastender und auch im Hinblick auf die Sektorkopplung wesentlicher Beitrag zum Gelingen der Energiewende in den Städten. Die Möglichkeit der Anwendung der Regelung zu zuschaltbaren Lasten (Powerto-Heat in KWK-/Wärmenetzsystemen) sollte daher nicht auf das Netzausbaugebiet beschränkt bleiben. Das Prinzip "Nutzen statt Abregeln" sollte im gesamten Bundesgebiet gelten. Daher sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass zuschaltbare Lasten vertraglich zwischen dem Netzbetreiber und dem Anlagenbetreiber auch außerhalb der Netzausbaugebiete vereinbart werden können.

Der Einspeisevorrang für die erneuerbaren Energien stellt die Grundlage des EEG und die Basis für ein Gelingen der Energiewende und eine Umstellung auf eine klimaneutrale Energieversorgung in der Zukunft dar. Ein Abregeln von erneuerbaren Energien ist im Hinblick auf die Erreichung der Klimaziele schädlich und kontraproduktiv. Netzengpasssituationen entstehen, da ein Stromnetz genutzt werden muss, dass ursprünglich auf eine Versorgung mit Kohle- und Atomstrom ausgerichtet war. Netzkapazitäten sind damit insbesondere in den Standortregionen von konventionellen Anlagen vorhanden, nicht jedoch in denjenigen Regionen, in denen derzeit überwiegend ein Zubau der erneuerbaren Energien stattfinden kann. Netzengpasssituationen liegen also nahezu ausschließlich dort vor, wo insbesondere erneuerbare Energien ins Netz einspeisen. Eine Abschaffung des Einspeisevorrangs für erneuerbare Energien auch nur im Redispatch würde zu einer Abschaffung des Einspeisevorrangs für erneuerbare Energien im Allgemeinen führen und ist abzulehnen.