Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben

Der Bundesrat hat in seiner 948. Sitzung am 23. September 2016 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zum Vorblatt des Gesetzentwurfs

Der Bundesrat stellt fest, dass entgegen der im Vorblatt des Gesetzentwurfs unter Abschnitt E.3 "Erfüllungsaufwand der Verwaltung" getroffenen Einschätzung der Bundesregierung der Erfüllungsaufwand der Verwaltung nicht nur ein geringer ist, sondern erheblich sein kann.

Begründung:

In der Summe der Änderungen, die das Artikelgesetz vorsieht, ist der dadurch verursachte zusätzliche Verwaltungsaufwand nicht unerheblich. Beispielhaft seien die folgenden Änderungen genannt:

2. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa Dreifachbuchstabe ccc (§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 UmwRG)

In Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa Dreifachbuchstabe ccc ist Nummer 6 wie folgt zu ändern:

Begründung:

Soweit kommunale Selbstverwaltungskörperschaften im eigenen Wirkungskreis tätig werden (z.B. als Straßenbaulastträger für Gemeinde- oder Kreisstraßen) unterliegen sie der Rechtsaufsicht staatlicher Behörden. Die im Rahmen dieser Rechtsaufsicht ergehenden aufsichtlichen Maßnahmen sind in der Regel Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG).

Derartige aufsichtliche Maßnahmen, die Regelungsgegenstände des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 bis 5 berühren (z.B. Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung für den Bau einer Kreisstraße), könnten nach der im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Fassung der Nummer 6 zum Gegenstand einer Verpflichtungsklage einer anerkannten Umweltvereinigung werden, da § 2 Absatz 1 diesen auch die Möglichkeit von Rechtsbehelfen gegen das Unterlassen von Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 eröffnet.

Um sicherzustellen, dass - anstelle oder zusätzlich zu der bestehenden Möglichkeit eines direkten Vorgehens anerkannter Umweltvereinigungen gegen Entscheidungen kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften nach den Nummern 1 bis 5 - nicht auch der Weg über die Rechtsaufsicht bemüht wird, ist in Nummer 6 die Anwendung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes für diese Fälle explizit auszuschließen.

3. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe a1 - neu - (§ 1 Absatz 3 UmwRG)

In Artikel 1 Nummer 1 ist nach Buchstabe a folgender Buchstabe a1 einzufügen:

Begründung:

Im geltenden Recht findet die Klage nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatschG) gegen Planfeststellungsverfahren neben Rechtsbehelfen nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) keine Anwendung. Durch die voraussichtlich mit "Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates" (Stellungnahme des Bundesrates zum zugehörigen Gesetzentwurf der Bundesregierung mit Beschluss vom 17. Juni 2016, BR-Drucksache 237/16(B) HTML PDF -) einzuführenden Nummern 2a und 2b in § 1 Absatz 1 UmwRG sowie die durch den Gesetzentwurf für § 1 Absatz 1 vorgesehenen Nummern 4 bis 6 werden die Klagemöglichkeiten erweitert. Hierdurch können anerkannte Umweltvereinigungen Rechtsbehelfe gegen weitere Entscheidungen erheben, die umweltbezogene Rechtsvorschriften betreffen. Der Begriff der Umweltbezogenheit in diesem Sinne ist weiter gefasst als die von § 64 Absatz 1 BNatSchG erfassten rügefähigen Entscheidungen. Um die parallele Anwendung von Klagemöglichkeiten nach dem BNatSchG und dem UmwRG auszuschließen, ist der Anwendungsausschluss von § 64 Absatz 1 BNatSchG auf sämtliche Rechtsbehelfe nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz auszudehnen.

4. Zu Artikel 1 Nummer 5 (§ 7 Absatz 1 UmwRG)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Regelung in § 7 Absatz 1 UmwRG auf die Gesetzgebungskompetenz hin zu überprüfen.

Begründung:

§ 7 Absatz 1 UmwRG sieht vor, dass der Antragsteller bei Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 UmwRG eine Bekanntgabe an Vereinigungen beantragen kann, wenn eine solche nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht vorgesehen ist. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes, der sich auf das gerichtliche Verfahren bezieht.

§ 7 Absatz 1 UmwRG beinhaltet jedoch keine Regelung zum gerichtlichen Verfahren, sondern bezieht sich auf das Verwaltungsverfahren.

5. Zu Artikel 2 Nummer 1 Buchstabe b (§ 9 Absatz 1c Satz 2 UVPG), Nummer 2 Buchstabe b (§ 9a Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 UVPG), Artikel 3 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb (§ 10 Absatz 3 Satz 5 BImSchG), Artikel 14 Nummer 2 (§ 11a Absatz 4 Satz 1 der 9. BImSchV), Artikel 15 Nummer 1 Buchstabe b (§ 7 Absatz 1 Satz 2 AtVfV), Nummer 2 Buchstabe b (§ 7a Absatz 1 Satz 3 AtVfV)

Begründung:

In der Gesetzesbegründung zu § 9 Absatz 1c Satz 2 UVPG wird ausgeführt, dass die Vorschrift die Äußerungen, die im weiteren Verfahren nicht ausgeschlossen seien, regele. Unberührt von der neuen Regelung bleibe die bereits nach geltendem Recht bestehende Berücksichtigungspflicht verspäteter Einwendungen auf Grund der Amtsermittlungspflicht der Behörde; dies werde durch den letzten Halbsatz in Satz 2 klargestellt. Auf diese Gesetzesbegründung wird in der Begründung zu den übrigen o.g. Vorschriften jeweils verwiesen.

Einer solchen Klarstellung bedarf es jedoch nicht. Es ist einhellige Auffassung, dass verfristete Einwendungen neben bestimmten verfahrensrechtlichen Konsequenzen nicht zugleich die materielle Unbeachtlichkeit zur Folge haben. Da die Behörde nach dem Untersuchungsgrundsatz des § 24 Absatz 1 Satz 1 VwVfG den Sachverhalt vielmehr von Amts wegen zu ermitteln hat, muss sie selbstverständlich auch verfristete Einwendungen ebenso wie jede andere, ihr bekannt gewordene Tatsache in die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen einbeziehen (vgl. BVerwGE 60, 297 (309 f.); zu §§ 16 ff. GewO a.F. ausdrücklich auch schon BVerwG, U.v. 22.6.1959, BVerwGE 9, 9 (12); Czajka, in: Feldhaus, BImSchR, Band 1/I, § 10 Rn. 62; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht III, § 10, Rn. 190, jeweils m.w.N.).

Die sich aus § 24 Absatz 1 Satz 1 VwVfG ergebende Prüfungspflicht der Behörde hat mit der formellen Präklusion nichts zu tun und ist deshalb losgelöst von dieser zu betrachten. Sie wird durch die Präklusion nicht verdrängt, sondern stellt eine originäre behördliche Pflicht dar. Deshalb kann sie auch nicht durch einen Präklusionsauschluss statuiert werden.

Im Übrigen ist die Rückausnahme auch rechtlich problematisch, weil sie suggeriert, dass die formelle Präklusion bei einer verfristeten Einwendung nicht gilt, wenn sie für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung von Bedeutung ist, sie also z.B. im Rahmen eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens eine nach § 6 BImSchG relevante Genehmigungsvoraussetzung betrifft. Präkludiert wären demnach nur solche "Äußerungen", die außerhalb der genehmigungsrechtlichen Relevanz liegen. Eine derartige Präklusionsregelung ginge völlig ins Leere. Ihr würde bereits ein verfehltes Verständnis des Einwendungsbegriffs zugrunde liegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist als Einwendung nur ein sachliches Gegenvorbringen anzusehen, das erkennen lässt, inwieweit entscheidungserhebliche Bedenken gegen das Vorhaben bestehen könnten und in welcher Weise die Genehmigungsbehörde diese in ihre Prüfung einbeziehen soll. Nach Sinn und Zweck soll das Vorbringen von Einwendungen zur sachlichen Bewältigung des Vorhabens durch die Genehmigungsbehörde beitragen (vgl. BVerwG, U.v. 17.7.1980, BVerwGE 60, 297 (300) = NVwZ 1982, 433, NJW 1981, 359; BVerwG, NVwZ 2002, 726; BVerwG, NVwZ 2012, 180).

Diesem Erfordernis genügt nur ein solches Vorbringen, das einen sachlichen Bezug zu einer materiellrechtlichen Zulassungsvoraussetzung aufweist. Dem Einwendungsbegriff ist die Entscheidungserheblichkeit des inhaltlichen Vorbringens also gleichsam immanent. Äußerungen jenseits dieses Kontextes vermögen keinen Beitrag zur sachlichen Bewältigung zu leisten. Sie sind per se irrelevant und stellen daher keine Einwendung im Rechtssinne dar. Sie rechtfertigen keine Beteiligung am weiteren Verwaltungsverfahren. Insoweit bedarf es zu ihrem "Ausschluss" aber keiner Präklusionsregelung. Vorbringen dieser Art ist unabhängig von bestimmten Äußerungsfristen von vornherein ausgeschlossen.

Regelungen zur formellen Präklusion haben demzufolge nur Sinn, wenn sie sich auf Einwendungen im Rechtssinne beziehen.

6. Zu Artikel 3 (§ 10 Absatz 6a Satz 1, § 16 Absatz 3 Satz 1 BImSchG)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die in § 10 Absatz 6a Satz 1 erster Halbsatz und § 16 Absatz 3 Satz 1 erster Halbsatz des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genannten Entscheidungsfristen infolge der vorgesehenen Verlängerung der Äußerungs- bzw. Einwendungsfristen in Artikel 2 Nummer 1 Buchstabe b des Gesetzentwurfs um jeweils einen Monat verlängert werden sollten.

Begründung:

Nach Artikel 2 Nummer 1 Buchstabe b des Gesetzentwurfs soll die Frist für die Erhebung von Einwendungen in Verfahren zur Genehmigung UVP-pflichtiger Vorhaben nicht mehr nach zwei Wochen, sondern erst einen Monat (bei Verlängerung der Äußerungsfrist entsprechend später) nach Ablauf der Auslegungsfrist enden. Gleiches soll auf Grund von Artikel 3 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Gesetzentwurfs für die Einwendungsfrist bei Genehmigungsverfahren für Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie gelten. Die Genehmigungsbehörde kann sich mit den Argumenten aus der Anhörung erst entsprechend später befassen. Als Folge sollten deshalb die Entscheidungsfristen angemessen verlängert werden.