Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch

900. Sitzung des Bundesrates am 10. September 2012

Der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS), der Finanzausschuss (Fz) und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetz gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zum Gesetzentwurf allgemein

Der Bundesrat begrüßt den Entwurf des Gesetzes, mit dem die Bundesregierung einen wichtigen Beitrag zur finanziellen Entlastung der Kommunen erbringt und damit einen nachhaltigen Beitrag zur Verbesserung der finanziellen Situation der Kommunen leistet.

Trotz der grundsätzlichen Übereinstimmung in der Zielsetzung des Gesetzes sieht der Bundesrat nicht die Möglichkeit, das Gesetz uneingeschränkt zu unterstützen. Er hält vielmehr zum allseits gewünschten Gelingen der verwaltungsorganisatorischen und -praktischen Umsetzung verschiedene Änderungen für erforderlich.

Begründung:

Mit dem Gesetzentwurf erfüllt die Bundesregierung ihre Zusage aus dem Jahr 2011, ihre Beteiligung an den Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bis zum Jahr 2014 zu einer vollen Erstattung auszubauen. Außerdem löst sie die Verpflichtung aus dem Fiskalvertrag ein, auf eine Erstattung der jeweils aktuellen Nettoausgaben überzugehen. Die Länder erkennen den darin zum Ausdruck kommenden Willen der Bundesregierung, Verantwortung für eine lastengerechte Verteilung von Ressourcen und Lasten zu übernehmen, ausdrücklich an. Sie begrüßen insbesondere, dass damit ein substantieller Beitrag zu einer Verbesserung der finanziellen Situation der Kommunen geleistet wird.

Eine vorbehaltslose Zustimmung zu diesem Entwurf ist allerdings nicht möglich. Es sind Änderungen erforderlich, die den Entwurf auf das in der Sache unbedingt Notwendige reduzieren und alle weiteren Regelungen einer Reform vorbehalten, die die nötigen Bezüge zu dem Gesamtsystem des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch berücksichtigt.

2. Zu Artikel 1 Nummer 2 (§ 42 Nummer 1 SGB XII), Nummer 8 (§ 46a Absatz 1 Satz 2 - neu - und Satz 3 - neu - SGB XII)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung:

Nach aktuellem Recht haben die Länder im Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die Möglichkeit, eine abweichende Neufestsetzung der Regelsätze vorzunehmen (§ 29 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB XII). Die Länder können wiederum die Träger der Sozialhilfe ermächtigen, regionale Regelsätze festzusetzen (§ 29 Absatz 3 Satz 1 SGB XII). So können die Träger der Sozialhilfe regionale Besonderheiten sowie statistisch nachweisbare Abweichungen in den Verbrauchsausgaben berücksichtigen.

Diese Möglichkeit wird durch die Neufassung von § 42 Nummer 1 SGB XII-E künftig abgeschnitten, da die Neuformulierung den Leistungsrahmen der Grundsicherung beschneidet und örtliche Regelsätze im Vierten Kapitel SGB XII nicht mehr zulässt. Kommunen, die aufgrund örtlicher Festsetzung derzeit einen erhöhten Regelsatz ausbezahlen, sind damit gezwungen, ihre Leistungen auf den bundesweiten Regelsatz zu reduzieren. Das widerspricht sozialpolitischen Interessen. Zudem wäre es widersprüchlich, wenn einerseits die erhöhten örtlichen Regelsätze im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt weiter ausbezahlt werden könnten, andererseits im Bereich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung hingegen nicht, obwohl beide Leistungen zum Ziel haben, das soziokulturelle Existenzminimum zu decken.

Dass der Bund seine Erstattungsleistungen auf der Basis eines bundeseinheitlichen Regelsatzes erbringen will, ist nachvollziehbar. Dieses Ziel kann aber auf andere Weise ebenso gut erreicht werden. Der Leistungsumfang der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 42 Nummer 1 SGB XII-E bleibt dabei unverändert. Allerdings erfolgt die Bundeserstattung auf Basis der bundeseinheitlich ermittelten Regelbedarfe bzw. der fortgeschriebenen Regelbedarfsstufen. So wird einerseits ein größerer Spielraum für Länder und Kommunen erreicht, die regionale Besonderheiten besser berücksichtigen können, andererseits kommt es zu keiner zusätzlichen finanziellen Belastung für den Bund und zusätzlicher bürokratischer Aufwand wird vermieden.

3. Zu Artikel 1 Nummer 8 (§ 46a Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 SGB XII), Nummer 22 ( § 131 Satz 1 SGB XII)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung:

§ 46a SGB XII-E sieht für die Bundesbeteiligung eine Anknüpfung an die den zuständigen Trägern entstandenen Nettoausgaben für Geldleistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vor. Eine Einschränkung der Erstattungsleistungen auf Geldleistungen entspricht weder der bisherigen gesetzlichen Regelung noch den Zusagen zur Entlastung der Kommunen.

Die vorgesehene Einschränkung führt begrifflich zudem zu Unklarheiten über den Umfang der Bundesbeteiligung.

Die Einordnung von Leistungen als Sach-, Dienst- oder Geldleistungen ist nicht in allen Fällen hinreichend bestimmt; die Verwendung des Begriffs der Geldleistungen im Rahmen einer Erstattungsregelung führt ohne gleichzeitige Definition und Erläuterung zu Unklarheiten über den Umfang der Erstattung.

Das Bundessozialgericht hat - entgegen der überwiegenden Meinung in der Literatur - mit seiner Entscheidung vom 28. Oktober 2008, Aktenzeichen B 8 SO 22/07 R, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes aufgegeben, dass Sozialhilfeleistungen in Einrichtungen Geldleistungen sind. Folgt man dieser Rechtsprechung, ist nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfes die Auslegung denkbar, dass die Leistungen der Grundsicherung für Menschen in Einrichtungen nicht unter die Bundeserstattung fallen. Ein solcher Abzug entspricht weder den Zusagen zur Entlastung der Kommunen noch den Ansätzen, Gesprächen oder Berechnungen zur Bundesbeteiligung. Es wird davon ausgegangen, dass ein derartiger Abzug nicht gewollt ist, so dass angesichts der Rechtsprechung und des Gesetzeswortlautes eine Klarstellung und eindeutige Regelung geboten ist.

4. Zu Artikel 1 Nummer 8 (§ 46a Absatz 3 Satz 1 und 2 SGB XII)

In Artikel 1 Nummer 8 ist § 46a Absatz 3 wie folgt zu ändern:

Begründung:

Die Regelung eröffnet optional die Möglichkeit des monatlichen Abrufs oder des quartalsweisen Abrufs.

Durch die Möglichkeit des monatlichen Abrufs ist ein mit den Ausgaben gleichlaufender Mittelzufluss gewährleistet, der Zinsverluste durch eine Vorfinanzierung vermeiden kann. Insoweit entspricht die Regelung der Vorschrift zur Bundesbeteiligung in § 46 Absatz 8 SGB II.

5. Zu Artikel 1 Nummer 8 (§ 46a Absatz 4 Satz 1, Satz 2 und Absatz 5 SGB XII)

In Artikel 1 Nummer 8 ist § 46a wie folgt zu ändern:

Begründung:

Die Änderung fasst die beiden im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Meldepflichten der Länder (§ 46a Absatz 4 und 5 SGB XII-E) zu einer halbjährigen Meldepflicht in Absatz 4 zusammen.

Auf den in § 46a Absatz 5 SGB XII-E vorgesehenen jährlichen Nachweis der Ausgaben für Geldleistungen entsprechend der Untergliederung der Erhebungen nach § 128c Nummer 1 bis 5, Nummer 6 Buchstabe c und d und Nummer 7 SGB XII-E durch die Länder soll verzichtet werden, da die Bundesregierung bereits mittels der beabsichtigten Bundesstatistik für das Vierte Kapitel nach § 128a SGB XII-E in Verbindung mit § 128c SGB XII-E Zugriff auf diese Informationen haben wird.

Aufgrund der beabsichtigten Bundesstatistik für das Vierte Kapitel und der damit verbundenen Verfügbarkeit entsprechender Informationen bei der Bundesregierung erscheint eine quartalsweise Meldepflicht der Länder als nicht erforderlich. Durch eine halbjährige Meldepflicht der Länder gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann die Begründetheit und Belegtheit der Ausgaben sowie die Einhaltung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nachgewiesen werden.

Die halbjährige Meldepflicht würde erstmals zum 15. August 2013 für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 30. Juni 2013 einsetzen. Der Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 31. Dezember 2013 wäre von der zum 15. Februar 2014 zu liefernden Meldung umfasst.

Die Formulierung in § 46a Absatz 4, Satz 1 SGB XII-E, wurde der Formulierung in § 46 Absatz 8 Satz 5 SGB II angepasst.

6. Zu Artikel 1 Nummer 9 und Nummer 10 (§ 46b und § 98 SGB XII)

In Artikel 1 sind die Nummer 9 und die Nummer 10 zu streichen.

Folgeänderungen:

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung:

Mit der Einfügung eines § 46b SGB XII-E wird eine eigenständige Vorschrift für die Trägerbestimmung durch die Länder im Vierten Kapitel SGB XII geschaffen. Gemäß § 46b Absatz 2 SGB XII-E wäre aufgrund des Ausschlusses der Anwendung der Zuständigkeitsregelungen des Zwölften Kapitels zukünftig für das Vierte Kapitel bundesgesetzlich weder eine sachliche noch eine örtliche Zuständigkeit geregelt.

Begründet wird die Einfügung dieser Vorschrift damit, dass durch den mit der Erhöhung der Erstattung des Bundes auf 75 Prozent im Jahr 2013 bedingten Übergang von der Eigenverwaltung nach Artikel 84 GG in die Bundesauftragsverwaltung nach Artikel 85 GG nicht mehr das den Ländern nach Artikel 84 Absatz 1 Satz 1 und 2 GG zustehende Abweichungsrecht bestehe. Die Bestimmung der für die Ausführung des Vierten Kapitels SGB XII zuständigen Träger werde daher den Ländern gemäß Artikel 85 Absatz 1 GG überlassen.

Artikel 85 Absatz 1 GG sieht allerdings vor, dass die Einrichtung der Behörden Angelegenheit der Länder bleibt, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen.

Außerdem bedarf es auch keiner gesonderten Regelung der Zuständigkeit, da es sich bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung um eine bestehende Aufgabe handelt, deren Zuständigkeit gemäß § 3 SGB XII bei den Trägern der Sozialhilfe liegt. Die hier in Rede stehende Änderung der Finanzierung führt - ungeachtet der Rechtsfolge aus Artikel 104a Absatz 3 GG - nicht dazu, dass eine neue Aufgabe geschaffen würde, die den zuständigen Trägern zugewiesen werden müsste. Das Gesetz regelt gerade keine neue Leistung, sondern lässt vielmehr die materiellrechtlichen Regelungen des Vierten Kapitels im Kern unverändert.

Insbesondere besteht keine Notwendigkeit, aus diesem Anlass die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung aus dem Kontext der übrigen Vorschriften des Zwölften Buches herauszulösen. Dies ist vielmehr kontraindiziert, weil die einheitliche Zuständigkeit der Träger der Sozialhilfe auch mit Blick auf die Kostenfolge bei Unterbringungsfällen mit stationären Leistungen in anderen Ländern erhalten bleiben muss. Sollte eine neue Regelung der Zuständigkeiten der Träger nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch erfolgen, müsste sich diese auf sämtliche Leistungen nach allen Kapiteln beziehen und auch in § 28 SGB I abgebildet werden.

7. Zu Artikel 1 Nummer 19 (§§ 128a bis 128h SGB XII)

Begründung:

Die Herauslösung der Statistik für das Vierte Kapitel des SGB XII und die Schaffung einer "Insellösung" ist weder sinnvoll noch praktikabel. Mit dem Gesetzentwurf wird das Gesamtsystem der Sozialhilfestatistiken grundlegend geändert. Die Sozialhilfestatistiken werden damit an zwei Stellen erhoben, was dem bereits erreichten Stand der Harmonisierung der Sozialstatistiken widerspricht und die Aussagekraft der Statistiken erheblich einschränkt.

Die zentrale Erhebung der Daten durch das Statistische Bundesamt sieht der Bundesrat kritisch. Sie widerspricht dem föderalen System der amtlichen Statistik. Die Statistischen Landesämter verfügen seit Jahren über ein zuverlässiges Erfassungs-, Aufbereitungs- und Auswertungsmanagement, das eine hohe Fach- und Wissenskompetenz, insbesondere auch über regionale Gegebenheiten und Besonderheiten, einschließt.

Der Bundesrat befürchtet, dass sich durch die geplanten Regelungen zwei unterschiedliche Zahlenstränge entwickeln könnten. Zum einen erhebt künftig das Statistische Bundesamt die Daten nach § 128a SGB XII-E bei den Trägern der Sozialhilfe. Parallel dazu haben die Länder jedoch gemäß § 46a SGB XII-E Angaben über die Ausgaben und Einnahmen im Rahmen der ihnen obliegenden Nachweispflichten zu liefern.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Grundsicherungsstatistik nicht losgelöst von den weiteren Sozialhilfestatistiken geändert werden kann. Die Überarbeitung der Vorschriften sollte unter Betrachtung des Gesamtsystems der Sozialhilfestatistiken erfolgen, um zweckmäßige und rechtlich sichere Regelungen zu schaffen. Bei der Einführung neuer Erhebungsmerkmale ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die mit dem Gesetzentwurf geplanten Entlastungen für die Kommunen nicht durch eine übermäßige Erweiterung der Berichtspflichten und eine damit einhergehende Erhöhung des Erfüllungsaufwandes konterkariert werden.

Die Zuständigkeitsregelung in § 128a Absatz 1 Satz 2 SGB XII führt überdies dazu, dass es sich um ein nach Artikel 85 Absatz 1 GG zustimmungsbedürftiges Gesetz handelt, soweit man der Auffassung ist, die Statistik folge im Rahmen der Verwaltungskompetenzen der jeweiligen Sachmaterie. Betrachtet man die Statistik als eigenständigen Bereich, so ist Artikel 84 Absatz 1 GG anzuwenden; dies beutet, dass das Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung besonders zu begründen wäre und im Gesetz die Abweichungsfestigkeit festgeschrieben werden muss, was wiederum der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

8. Zu Artikel 1a - neu - (§ 85 Absatz 2 Satz 2 SGG)

Nach Artikel 1 ist folgender Artikel einzufügen:

'Artikel 1a
Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

In § 85 Absatz 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes vom 23. September 1975 (BGBl. I S. 2535), das zuletzt durch ... geändert worden ist, werden nach den Wörtern "ist in Angelegenheiten nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch" die Wörter "und - soweit Landesrecht nichts Abweichendes bestimmt - nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch" eingefügt.'

Begründung:

Die Änderung ermöglicht es den Ländern, für die Entscheidung über Widersprüche auf dem Gebiet der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die bisherigen Zuständigkeiten beizubehalten.

Da der Bund ab dem Jahr 2013 einen mindestens hälftigen Anteil an den Ausgaben der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erstattet, tritt nach Artikel 104a Absatz 3 Satz 2 GG Bundesauftragsverwaltung nach Artikel 85 GG ein.

Mit der Änderung wird bewirkt, dass die Länder, in denen bisher die Ausgangsbehörden auch Widerspruchsbehörden waren, die Entscheidung über den Widerspruch nicht auf die nächsthöhere Behörde übertragen müssen. Auch die Länder, in denen bereits jetzt die nächsthöhere Behörde Widerspruchsbehörde ist, können wegen der vorgesehenen Abweichungsmöglichkeit der Länder bei ihrem bisherigen Verfahren bleiben. Damit wird vermieden, dass Aufgaben auf andere Stellen übertragen werden müssen und das dortige Personal neu geschult werden muss.