Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation

900. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2012

A

Der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS), der Rechtsausschuss (R) und der Verkehrsausschuss (Vk) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetz gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 (§ 92 Satz 2 - neu - SeeArbG)

In Artikel 1 ist dem § 92 folgender Satz anzufügen:

"Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung informiert die Länder frühzeitig über Neuordnungskonzepte und bezieht sie in die Abstimmung ein."

Begründung:

In § 92 des neuen Seearbeitsgesetzes wird dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die Ermächtigung erteilt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung ohne Zustimmung des Bundesrates Ausbildungsberufe in der Seeschifffahrt staatlich anzuerkennen und die weitere Ausgestaltung der praktischen Ausbildung an Bord durch Rechtsverordnung zu regeln. Bisher ist nach § 142 Absatz 1 des Seemannsgesetzes die Zustimmung des Bundesrates für den Erlass von Rechtsverordnungen zur beruflichen Ausbildung erforderlich. Das geforderte Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung soll sicherstellen, dass die Regelungen im Einklang mit dem Berufsbildungsgesetz stehen. Dennoch sollte zur Klarstellung die Aufnahme einer Regelung entsprechend § 4 Absatz 5 Berufsbildungsgesetz (frühzeitige Einbindung der Länder bei Neuordnungskonzepten) vorgenommen werden.

2. Zu Artikel 1 (§ 96 Absatz 1 Satz 1 SeeArbG)

In Artikel 1 sind in § 96 Absatz 1 Satz 1 nach dem Wort "Stadtentwicklung" die Wörter "und im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit" einzufügen.

Begründung:

Regelungen für Wohn- und Aufenthaltsbereiche, sanitäre Anlagen, Wascheinrichtungen, Küchenräume sowie Versorgungsanlagen an Bord werden bisher in der Verordnung über die Unterbringung der Besatzungsmitglieder an Bord von Kauffahrteischiffen (LogisV) definiert. Von diesen Regelungen ist beispielsweise auch die Thematik der Trinkwasserhygiene unmittelbar betroffen. Zukünftig werden die die oben genannten Bereiche betreffenden Verordnungen durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen. Bisher war stets die Zustimmung des Bundesrates erforderlich. Es wird als zwingend erforderlich angesehen, Regelungen, die beispielsweise Anforderungen an die Trinkwasserhygiene oder an die medizinischen Räumlichkeiten stellen, mindestens zusätzlich im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit zu treffen.

3. Zu Artikel 1 (§ 109 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Satz 4 SeeArbG)

In Artikel 1 ist § 109 Absatz 1 wie folgt zu ändern:

Begründung:

Die im aktuellen Entwurf vorhandene Regelung widerspricht den Anforderungen der Richtlinie 92/29/EWG des Rates vom 31. März 1992 über Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zum Zweck einer besseren Versorgung auf Schiffen. Hierin legt Artikel 5 Ziffer 3 fest, dass jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen trifft, damit "... der Kapitän und der beziehungsweise die Arbeitnehmer, denen er gegebenenfalls [...] den Gebrauch der medizinischen Ausstattung des Schiffes übertragen hat, eine besondere Ausbildung nach den in Anhang V genannten allgemeinen Leitlinien erhalten, die in regelmäßigen Abständen, und zwar zumindest alle fünf Jahre, aufgefrischt wird und die durch die unterschiedlichen Schiffskategorien gegebenen spezifischen Risiken und Erfordernisse berücksichtigt." Aus welchem Grund das Fortbildungsintervall für den Kapitän in § 109 Absatz 1 Satz 4 SeeArbG-E von fünf Jahren auf zehn Jahre erweitert werden soll, ist fachlich nicht nachvollziehbar. Auch die Begründung zum Entwurf kann hier keine überzeugende Erklärung liefern:

"Auf Schiffen ohne Schiffsarzt muss sich Kapitän und ein Schiffsoffizier alle fünf Jahre durch einen anerkannten medizinischen Wiederholungskurs fortbilden. Soweit ein Schiffsoffizier als medizinische Betreuungsperson an Bord eingesetzt wird, muss der Kapitän sich mindestens alle zehn Jahre medizinisch fortbilden. Damit wird die medizinische Betreuung auch dann sichergestellt, wenn der für die medizinische Betreuung zuständige Schiffsoffizier ausfallen sollte". Der medizinische Wiederholungslehrgang umfasst 40 Stunden Ausbildung, der aktuell alle fünf Jahre wiederholt werden muss. Eine Erweiterung auf ein 10-Jahres-Intervall kann in keinem Fall dem Qualitätsanspruch für die verantwortungsvolle medizinische Tätigkeit des Kapitäns gerecht werden.

4. Zu Artikel 1 (§ 109 Absatz 2 Satz 1 SeeArbG)

In Artikel 1 ist § 109 Absatz 2 Satz 1 wie folgt zu fassen:

"Der Reeder hat dafür Sorge zu tragen, dass sein Schiff

Begründung:

Die Neuregelung bewirkt eine Verschlechterung des bisher hohen Schutzniveaus durch eine Absenkung des Standards:

Bisher wurde die medizinische Ausrüstung durch die Hafenärztlichen Dienste überwacht. Zukünftig soll dies durch die Berufsgenossenschaft erfolgen. Die Hafenärztlichen Dienste haben im Rahmen ihrer Überwachung auf Basis der Verordnung über die Krankenfürsorge auf Kauffahrteischiffen (SchKrFürsV) Ärzte und Apotheker als fachkompetentes Personal zur Überwachung eingesetzt. Dies soll zukünftig nicht mehr in dieser Form erfolgen.

Das Überwachungsintervall lag bisher bei einem Jahr, zukünftig wird es erweitert auf drei Jahre und lediglich durch eine jährliche Eigenkontrolle des Reeders ergänzt.

Die bisher behördliche Überwachungsaufgabe kann mit der Neuregelung durch die Berufsgenossenschaft an privatwirtschaftlich arbeitende "anerkannte Organisationen" übertragen werden. Hierdurch wird ein wirtschaftlicher Interessenskonflikt begünstigt, da die anerkannten Organisationen bereits in einem Vertragsverhältnis mit der zu überwachenden Reederei stehen können.

Durch die Neuregelung werden eine Vielzahl weiterer Unternehmen und Organisationen mit der gleichen Aufgabe betraut. Zeitintensive und überflüssige Doppelbegehungen werden begünstigt, da die Gesundheitsämter/Hafenärztlichen Dienste weiterhin im Rahmen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) für die Begehung der medizinischen Räumlichkeiten an Bord verantwortlich sein werden.

Viele staatliche Überwachungsaufgaben, beispielsweise die Überwachung der Einhaltung des Medizinproduktegesetzes, liegen in Zuständigkeit der jeweiligen Landesbehörden und können an die lokalen Gesundheitsämter, nicht aber an die Berufsgenossenschaften delegiert werden.

Das Beibehalten der bisherigen Regelung und die Überwachung durch die Gesundheitsämter stellt somit ein fachlich sinnvolles und etabliertes Verfahren dar.

5. Zu Artikel 1 (§ 113 Absatz 1 Satz 3 SeeArbG)

In Artikel 1 § 113 Absatz 1 Satz 3 ist der abschließende Punkt durch ein Komma zu ersetzen und folgende Wörter sind anzufügen:

"sowie des Einvernehmens des Bundesministeriums für Gesundheit, soweit gesundheitliche, medizinische, infektiologische oder hygienische Regelungsinhalte betroffen sind."

Begründung:

Abschnitt 6 regelt unter anderem den Gesundheitsschutz und die medizinische Betreuung an Bord. Die einzelnen Regelungsinhalte wirken sich daher unmittelbar auf gesundheitliche Fragestellungen aus, die beispielsweise auch Regelungsinhalte anderer Gesetze wie zum Beispiel das Gesetz über die Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften oder die Trinkwasserverordnung betreffen könnten. Aus diesem Grund ist es zwingend erforderlich, nicht nur die Ressorts Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, sondern auch das Ressort Gesundheit auf Bundesebene in die Prozesse einzubeziehen.

6. Zu Artikel 1 (§ 130 Absatz 4 Satz 3 - neu - SeeArbG)

In Artikel 1 ist dem § 130 Absatz 4 der folgende Satz anzufügen:

"Sofern hygienische, infektiologische oder medizinische Gefährdungen festgestellt werden, haben die anerkannten Organisationen und die Berufsgenossenschaft unverzüglich das im jeweiligen Hafen zuständige Gesundheitsamt zu informieren."

Begründung:

Die Berufsgenossenschaft wird im Rahmen der Flaggenstaat- und Hafenstaatkontrolle legitimiert, die Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord, einschließlich gesundheitlicher Gefahren im Rahmen einer Inspektion zu beurteilen. Auch die anerkannten Organisationen erhalten die Legitimation zur Durchführung von Inspektionen.

Da im Rahmen dieser Inspektionen auch Mängel in Bezug auf gesundheitliche Fragestellungen (wie zum Beispiel die Trinkwasserversorgung und die medizinische Versorgung) festgestellt werden können, ist es zwingend erforderlich, das für den jeweiligen Hafen zuständige Gesundheitsamt unverzüglich zu benachrichtigen. Diese Anforderung geht letztlich auch aus den Internationalen Gesundheitsvorschriften hervor. Hinzu kommt, dass gemäß § 143 Absatz 1 Nummer 5 SeeArbG-E weder die Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft, noch die Mitarbeiter der anerkannten Organisationen Einblick in die vertraulichen Krankenunterlagen nehmen dürfen. Eine entsprechende Meldepflicht bei Feststellung hygienischer bzw. medizinischer Mängel durch die Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft bzw. das Personal der durch die Berufsgenossenschaft anerkannten Organisationen an das zuständige Gesundheitsamt ist zwingend erforderlich.

7. Zu Artikel 1 (§ 138 Absatz 4 Satz 3 - neu - SeeArbG)

In Artikel 1 ist dem § 138 Absatz 4 der folgende Satz anzufügen:

"Sofern hygienische, infektiologische oder medizinische Gefährdungen festgestellt werden, hat die Berufsgenossenschaft unverzüglich das im jeweiligen Hafen zuständige Gesundheitsamt zu informieren."

Begründung:

Die Berufsgenossenschaft wird im Rahmen der Flaggenstaat- und Hafenstaatkontrolle legitimiert, die Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord, einschließlich gesundheitlicher Gefahren im Rahmen einer Inspektion zu beurteilen.

Im Falle festgestellter Mängel werden im weiteren Verlauf des § 138 SeeArbG-E verschiedene Institutionen genannt (Verband der Reeder, Vertreter des Flaggenstaats etc.), die durch die Berufsgenossenschaft über die Missstände informiert werden müssen. Speziell § 138 Absatz 5 SeeArbG-E verpflichtet die Berufsgenossenschaft, bei schwerwiegenden Verstößen beispielsweise die Reederverbände zu informieren.

Da hier auch Mängel in Bezug auf gesundheitliche Fragestellungen (wie zum Beispiel die Trinkwasserversorgung und die medizinische Versorgung) betroffen sind, ist es zwingend erforderlich, das für den jeweiligen Hafen zuständige Gesundheitsamt ebenfalls zu informieren. Da mit derart schweren Mängeln im Bereich der Lebensbedingungen erfahrungsgemäß eine Vielzahl möglicher infektiologischer Risiken einhergehen, und die Anforderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften in diesem Rahmen ebenfalls umzusetzen sind, ist eine entsprechende Meldepflicht für die Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft bzw. das Personal der durch die Berufsgenossenschaft anerkannten Organisationen an das zuständige Gesundheitsamt zwingend erforderlich.

8. Zu Artikel 1 (§ 145 Absatz 1 Nummer 5, 8, 12 und 13 SeeArbG)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die in § 145 Absatz 1 Nummer 5, 8, 12 und 13 SeeArbG-E vorgesehenen Bußgeldvorschriften auch bei nur fahrlässiger Begehung eine Ordnungswidrigkeit darstellen sollten.

Begründung:

§ 145 Absatz 1 Nummer 5, 8, 12 und 13 SeeArbG-E übernehmen Bußgeldtatbestände des Seemannsgesetzes, die nur im Fall der vorsätzlichen Begehung eine Ordnungswidrigkeit darstellen, was dem Ausmaß des Pflichtenverstoßes auch angemessen sein könnte.

Die Ahndung auch der fahrlässigen Begehungsweise ist in den genannten Fällen auch nicht im Hinblick auf die Anforderungen des Seearbeitsübereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation zwingend geboten. Nach Artikel V Absatz 6 des Übereinkommens hat jedes Mitglied Verstöße gegen die Anforderungen des Übereinkommens zu untersagen und hat im Einklang mit dem internationalen Recht Zwangsmaßnahmen festzulegen oder die Annahme von Abhilfemaßnahmen gemäß seinen Gesetzen vorzuschreiben, die ausreichen, um von solchen Verstößen abzuhalten.

9. Zu Artikel 1 (§ 146 Absatz 1 Nummer 2 SeeArbG)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die in § 146 Absatz 1 Nummer 2 SeeArbG-E vorgesehene Strafvorschrift um eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination erweitert werden sollte.

Begründung:

§ 146 Absatz 1 SeeArbG-E übernimmt weitgehend den bisherigen § 115 Absatz 1, 3 und 4 des Seemannsgesetzes und stuft die Ordnungswidrigkeit des § 145 Absatz 1 Nummer 16 Buchstabe b SeeArbG-E zur Straftat auf, wenn sie vorsätzlich und (Nummer 1) gemeinschaftlich mit anderen Besatzungsmitgliedern begangen wird oder (Nummer 2) begangen wird und dadurch Leben oder Gesundheit eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden.

§ 146 SeeArbG-E erfasst nur die vorsätzliche Gefährdung der Schutzgüter des § 146 Absatz 1 Nummer 2 SeeArbG-E. Es gibt also keine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination, wie sie § 115 Absatz 2 des Seemannsgesetzes vorsieht. Der Straftatbestand des § 146 Absatz 1 Nummer 2 SeeArbG-E ist damit nicht erfüllt, wenn der Täter vorsätzlich eine dienstliche Anordnung mit der entsprechenden Zweckbestimmung nicht befolgt und dadurch fahrlässig das Leben eines anderen gefährdet. Eine solche Verhaltensweise erscheint aber ebenso wie etwa im Fall der Straßenverkehrsgefährdung (vgl. § 315c Absatz 3 StGB) strafwürdig. Es dürfte im Übrigen praktisch höchst selten vorkommen, dass jemand eine dienstliche Anordnung nicht befolgt und dabei den Vorsatz besitzt, das Leben eines anderen zu gefährden.

B