Unterrichtung durch die Bundesregierung
Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zur Verordnung zur Durchführung des § 72 des Bundessozialhilfegesetzes

Bundesministerium Bonn, den 27. Mai 2005

für Gesundheit und Soziale Sicherung


An den

Präsidenten des Bundesrates


Sehr geehrter Herr Präsident,

gemäß dem im Beschluss des Bundesrates vom 21. Dezember 2000 (BR-Drs. 734/00(Beschluss) ) geäußerten Wunsch, über die praktischen Auswirkungen der Neufassung der Verordnung zur Durchführung des § 72 des Bundessozialhilfegesetzes unterrichtet zu werden, übersende ich Ihnen den entsprechenden Bericht der Bundesregierung.


Mit freundlichen Grüßen

Ulla Schmidt

Bericht der Bundesregierung an den Bundesrat
über die praktischen Auswirkungen der Neufassung der Verordnung zur Durchführung des § 72 des Bundessozialhilfegesetzes

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 21. Dezember 2000 der Neufassung der Verordnung zur Durchführung des § 72 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zugestimmt und gleichzeitig in einer Entschließung die Bundesregierung gebeten, bis zum 31. Dezember 2002 einen Bericht über die praktischen Auswirkungen der Verordnung, die eingetretene Kostenentwicklung und ihre Ursachen vorzulegen (BR-Drs. 734/00(Beschluss) ).

§ 72 BSHG (seit 1. Januar 2005 §§ 67 - 69 SGB XII) regelt die Voraussetzungen, unter denen Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten zu gewähren ist. Hierbei handelt es sich vor allem um persönliche Hilfen in Gestalt von Beratung und Unterstützung von Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse derart mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, dass die Überwindung der besonderen Lebensverhältnisse auch die Überwindung der sozialen Schwierigkeiten erfordert. Die Neufassung der Verordnung zur Durchführung des § 72 BSHG löste die Verordnung aus dem Jahre 1976 ab, die den inzwischen eingetretenen Entwicklungen der Problemlagen, des Leistungsstandards und des Personenkreises nicht mehr entsprach, so dass bis zu 50 % der Hilfesuchenden nach § 72 BSHG nicht mehr zugeordnet werden konnten. Die Neufassung trägt diesen Entwicklungen Rechnung.

Der Konferenz der Obersten Landessozialbehörden hat das damals zuständige Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung in der Sitzung am 29./30. März 2001 berichtet, dass

Die Konferenz der Obersten Landessozialbehörden hat den Bericht zustimmend zur Kenntnis genommen und die Auffassung vertreten, dass eine Berichterstattung nicht vor Ende 2004 möglich sein werde.

Der Bericht der Bundesregierung an den Bundesrat basiert auf einer empirischen Beobachtung und Analyse der Sozialhilfepraxis vor und nach In-Kraft-Treten der Verordnung. Zur Vorbereitung des Berichts wurde ein zweiteiliges Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben. Der erste Untersuchungsteil, eine Bestandsaufnahme zur Verwaltungspraxis vor dem In-Kraft-Treten der Neufassung zum 1. August 2001, ist im Dezember 2001 abgeschlossen worden. Der zweite Untersuchungsteil, der in diesem Jahr abgeschlossen werden konnte, befasste sich mit der Verwaltungspraxis nach In-Kraft-Treten der Neufassung.

Ergebnisse des Forschungsvorhabens sind:

Begleitende Untersuchung zur Umsetzung der Verordnung zur Durchführung des § 72 BSHG im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung

Endbericht

Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik e.V.

Bearbeiterinnen:
Dr. Dietrich Engels
Christine Sellin

Köln, den 27. Juli 2004

Otto-Blume-Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik e. V. .
Postfach 26 02 44 .
D-50515 Köln
Barbarossaplatz 2 .
D-50674 Köln .
Telefon: 0221 / 23 54 73 .
Telefax: 0221 / 21 52 67 .
e-mail: info@isginstitut.de

Vorstand:Stadtsparkasse Köln
Dr. Wilhelm Breuer (Vors.)Konto-Nr. 776 20 32
Dr. Dietrich EngelsBLZ 370 501 98
Dr. Werner FriedrichSt.-Nr. 214 / 5862 / 0205
Inhaltsverzeichnis
1.Ziel und Hintergrund der Untersuchung
2.Konzept der begleitenden Untersuchung
3.Umsetzung der DVO zu § 72 BSHG: Ergebnisse der Evaluation
(1)Untersuchungsziel, Forschungsfragen, Untersuchungsmethode
(2)Erhebungen zur Evaluation der Umsetzung der neuen Verordnung
3.1Empfänger der Hilfe nach § 72 BSHG
(1)Die Hilfe nach § 72 BSHG im Spiegel der amtlichen Statistik
(2)Anzahl und Quote der Hilfeempfänger
(3)Zielgruppen der Hilfe
(4)Durchschnittliches Alter und Hilfebedarf dieser Zielgruppen
(5)Durchschnittliche Dauer des Hilfebedarfs
(6)Bedeutung sozialer Schwierigkeiten und zukünftige Entwicklung
3.2Zuständigkeit und Hilfepraxis
(1)Unterschiedliche Regelungen in den Ausführungsgesetzen der Länder
(2)Hilfegewährung und Kostenträgerschaft
(3)Abgrenzung der Hilfen nach § 72 BSHG zu anderen Hilfen
(4)Durchführung der Hilfe durch Sozialhilfeträger und Freie Träger
(5)Leistungen für einzelne Zielgruppen
(6)Hilfeplanung und Gesamtplanung
3.3Verwaltung und Kosten
(1)Zahl der Mitarbeiterinnen
(2)Leistungsausgaben / Kosten pro Fall
(3)Leistungsausgaben nach weiterer Untergliederung
(4)Verwaltungskosten
3.4Veränderungen durch die neue Verordnung zu § 72 BSHG
(1)Veränderung der Hilfe
(2)Veränderung des Personenkreises durch die neue Verordnung
(3)Veränderung der Kosten durch die neue Verordnung
(4)Anderweitige Veränderungen
(5)Weitere Anmerkungen
(6)Die "Bundeskanzlerfrage"
4.Zusammenfassung
Anhang
Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis

1. Ziel und Hintergrund der Untersuchung

Das ehemalige Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung l hat das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (iSG) damit beauftragt, die Auswirkungen der zum August 2001 in Kraft getretenen neuen Durchführungsverordnung (DVO) des § 72 BSHG auf den Empfängerkreis und die Kosten dieser Hilfeart empirisch zu untersuchen. Dieser Auftrag steht im Zusammenhang mit der Frage des Bundesrates, ob sich mit der Neufassung der Verordnung "Unwägbarkeiten in Bezug auf die Abgrenzung des Personenkreises und die Kostenentwicklung" ergeben (Beschluss des Bundesrates vom 22.12.2000). Um vor diesem Hintergrund die Auswirkungen der Neufassung beurteilen zu können, sind die Fragen zu beantworten, welche Personengruppen vor und nach dem in-Kraft-Treten der Verordnung zu § 72 BSHG erhalten haben, in welcher Beziehung diese Form der Hilfe zu anderen Hilfeformen steht und welche Relation zwischen Hilfen und Kostenstrukturen besteht.

Das ISG hatte zwischen Mai und Oktober 2001 eine erste Teiluntersuchung in Form einer Bestandsaufnahme der Sozialhilfepraxis vor Geltung der neuen Verordnung durchgeführt und konzentrierte sich im zweiten Teil der Untersuchung auf die Analyse der seitdem erfolgten Entwicklung. insbesondere die Aufzählung der Zielgruppen in der früheren Fassung war definitorisch unzureichend, konzeptionell überholt und wurde teilweise als diskriminierend empfunden. Demgegenüber fasst die neue Verordnung in § 1 - neu - die Zielgruppe allgemeiner und definiert sie durch die Kombination von "besonderen Lebensverhältnissen" und "sozialen Schwierigkeiten". Weiterhin stellt die Neufassung die Definition von kausaler Begründung auf eine finale Begründung um, wodurch die Hilfemaßnahmen weniger an bestimmten Ursachen als vielmehr an den Zielen der Hilfe orientiert werden (vor allem Befähigung zur Selbsthilfe, Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und Führung eines menschenwürdigen Lebens; § 2 Abs. 1 - neu - VO).

Um beantworten zu können, ob und ggf. wie sich die geänderte Verordnung auswirkt, war auf der Ebene der Sozialhilfepraxis zu klären, wie die Abgrenzung der Gruppen von Hilfeempfängern nach § 72 BSHG bzw. die zielgruppenorientierte Hilfegewährung vor August 2001 vorgenommen wurde und wie sich dies nach dem in-Kraft-Treten der neuen Verordnung verändert hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass manche Kommunen ihre Hilfepraxis bereits vor diesem Zeitpunkt im Sinne der neuen Verordnung weiterentwickelt hatten. Außerdem waren (landesspezifische) Zuständigkeitsregelungen zwischen örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträgern, Formen der Hilfegewährung und Kostenstrukturen zu berücksichtigen. Neben der Frage, ob sich mit der Neufassung auch der Umfang des Klientenkreises verändert hat, sind auch mögliche Kostenfolgen zu analysieren. Die begleitende Evaluation ei1 Nach der Neustrukturierung der Ressorts lag die Zuständigkeit für dieses Projekt beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung. ner sich ändernden Praxis der Hilfegewährung sollte auf diese zentralen Aspekte fokussieren, musste zugleich aber Rahmenbedingungen und heterogene Einflussfaktoren in die Untersuchung einbeziehen. in der ersten Teiluntersuchung, die eine Bestandsaufnahme der Hilfepraxis vor August 2001 zum Gegenstand hatte, ist deutlich geworden:2

Die quantitativen Ergebnisse und qualitativen Einschätzungen dieser Teiluntersuchung bildeten den Ausgangspunkt einer tiefer gehenden Untersuchung, in der quantitative Veränderungen ebenso wie veränderte Sichtweisen zu ermitteln und auszuwerten waren.

Das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik e.V. hat in einem ersten Zwischenbericht im Februar 2003 die Ergebnisse einer im Herbst 2002 durchgeführten schriftlichen Erhebung vorgelegt. Der zweite Zwischenbericht von November 2003 informierte über die Ergebnisse der Expertinnengespräche vom Sommer des selben Jahres, der Kurzbericht von November 2003 enthielt stichwortartig erste Ergebnisse der im Herbst 2003 durchgeführten schriftlichen Befragung von Sozialhilfeträgern und der nun vorliegende Endbericht führt alle Berichtsteile zu einem integrierten Gesamtbericht zusammen. im nachstehenden Bericht wird zunächst das Untersuchungskonzept erläutert, um anschließend die Ergebnisse der schriftlichen Erhebungen sowie der mündlichen Ex2 D. Engels, Vorarbeiten für einen Bericht der Bundesregierung über die praktischen Auswirkungen der neuen VO zu § 72 BSHG, über die Kostenentwicklung und deren Ursachen - Abschlussbericht zu Teil i: Bestandsaufnahme vor dem 1. August 2001, iSG Köln, Dezember 2001 pertenbefragung zu präsentieren. Abschließend werden zentrale Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst.

2. Konzept der begleitenden Untersuchung

Der folgende Abschnitt umfasst in seinem ersten Teil Erläuterungen zum Untersuchungsziel, zu den zentralen forschungsleitenden Fragen und zur Untersuchungsmethode. im zweiten Teil werden die Erhebungen vorgestellt, die für die Evaluation der Umsetzung der neuen Durchführungsverordnung durchgeführt wurden.

Ausgehend von der Bestandsaufnahme der früheren Hilfepraxis (1. Teil der Untersuchung) wurden im 2. Teil der begleitenden Untersuchung die Veränderungen hinsichtlich der Zielgruppen, der inhalte und Formen sowie der Kosten dieser Hilfen empirisch ermittelt, die sich in Folge der neuen Verordnung seit August 2001 vollzogen haben. Diese Prozessstudie, die die Effekte einer gesetzlichen Neugestaltung im Vorher-Nachher-Vergleich dokumentiert und analysiert, soll die empirischen Grundlagen für den vom Bundesrat geforderten "Bericht über die praktischen Auswirkungen der neuen Verordnung, die eingetretene Kostenentwicklung und ihre Ursachen" liefern.

Forschungsfragen

Die forschungsleitenden Fragestellungen lassen sich fünf thematischen Komplexen zuordnen, die im Folgenden erläutert werden.

1. Zuständigkeit und organisatorische Umsetzung des § 72 BSHG

Die praktische Durchführung der Hilfen einerseits und die Kostenträgerschaft andererseits sind nach Landesrecht unterschiedlich geregelt. Dabei bestehen Unterschiede hinsichtlich der Form der Hilfe (Zuständigkeit für ambulante, teilstationäre und vollstationäre Hilfen) ebenso wie hinsichtlich einzelner Zielgruppen (wie teilweise im Falle der ambulanten "Nichtsesshaftenhilfe"). Darüber hinaus werden in die Durchführung der Hilfen in unterschiedlichem Maße auch Freie Träger einbezogen, die in manchen Kommunen sogar die Durchführung vollständig übernehmen. Daraus ergaben sich folgende Fragestellungen:

2. Zielgruppen des § 72 BSHG

Nach den Ergebnissen der Vorstudie war davon auszugehen, dass die Klientel der Hilfe nach § 72 BSHG grundsätzlich die gleiche bleiben wird wie vorher; verändert sind aber die Bezeichnungen der Zielgruppen und ihre Definition. in diesem Zusammenhang war die Hypothese zu überprüfen, dass nur ein Teil der Sozialhilfeträger seine Praxis in Reaktion auf die neue Verordnung verändert hat, während ein zweiter Teil deren neue Begrifflichkeit in seiner Praxis schon früher antizipiert hat. Es war auch denkbar, dass ein dritter Teil ungeachtet der neuen VO die gleiche Definition und Zuordnung wie zuvor beibehält. Diese Möglichkeiten waren durch die Untersuchung zu quantifizieren; darüber hinaus waren Bewertungen der Veränderungen qualitativ zu ermitteln. in diesem Kontext stellten sich die nachstehenden Fragen:

3. Leistungen nach § 72 BSHG

Formal lässt sich ein Leistungskontinuum mit zunehmender intensität beschreiben, das von reiner Geldleistung über information und Beratung bis zu intensiver Betreuung reicht. inhaltlich werden diese Leistungsformen je nach Zielgruppe (entsprechend des Hilfebedarfs; in Abgrenzung zur Jugendhilfe aber auch mit Bezug auf das Alter) unterschiedlich ausgefüllt. Dabei sollte der Zusammenhang mit der Leistungserbringung durch den Sozialhilfeträger oder durch Freie Träger unmittelbar mit berücksichtigt werden. Somit waren die folgenden Fragen zu klären:

4. Kosten der Leistungserbringung und Kapazitäten der Verwaltung

Die Kostenentwicklung wurde im Hinblick auf die Leistungsausgaben, auf die Verwaltungskosten (unter Berücksichtigung des Personaleinsatzes) und die fallbezogenen Kosten (Entwicklung dieser Positionen innerhalb der letzten fünf Jahre) analysiert. Diese Auswertung erfolgte differenziert nach überörtlichen und örtlichen Sozialhilfeträgern sowie bei Letzteren nach kreisfreien Städten und Landkreisen. Hierzu waren die Fragen zu beantworten:

5. Zusätzliche Untersuchungsfragen

Aus der Perspektive nach dem in-Kraft-Treten der neuen Verordnung stellten sich weitere Fragen zur veränderten Gesetzgebung und Hilfepraxis:

Untersuchungsmethode

Die Untersuchung verknüpfte quantitative Forschungsmethoden (zwei schriftliche Befragungen sowie eine statistische Analyse) mit qualitativen Forschungsmethoden (mündliche Befragung).

1. Statistische Analysen

Mittels statistischer Analysen auf der Basis der Sozialhilfestatistiken des Statistischen Bundesamtes und einzelner Landesämter waren seit 1995 zu analysieren:

2. Schriftliche Befragungen in der schriftlichen Hauptbefragung des Jahres 2002

- ein Jahr nach der ersten Bestandsaufnahme - wurden alle quantitativen informationen über die Klientel sowie über die Gewährungspraxis der Hilfen nach § 72 BSHG für das Bezugsjahr bzw. Jahresende 2001 gewonnen. Unter anderem erfasste dieses instrument:

Die schriftliche Hauptbefragung wurde als flächendeckende Erhebung bei allen 440 örtlichen und 24 überörtlichen Sozialhilfeträgern durchgeführt, um ein möglichst umfassendes Bild der Sozialhilfepraxis zu erhalten.

Im Spätsommer des Jahres 2003 wurde eine kurze Folgebefragung vorgenommen. in dieser Kurzbefragung wurden einige Kerndaten zu Hilfeempfängern, Personal und Ausgabenentwicklung im Jahr bzw. am Jahresende 2002 erhoben, um auch evt1. zeitlich verzögerte Auswirkungen der neuen Verordnung analysieren zu können. Der dabei einzusetzende Kurzfragebogen enthielt auch eine Frage zur Einschätzung der Auswirkungen aus der nunmehr zweijährigen Distanz.

3. Expertinnengespräche in den zuständigen Verwaltungsstellen

der örtlichen bzw. überörtlichen Sozialhilfeträger wurden im weiteren Verlauf der Untersuchung Gespräche mit den für die Durchführung der Hilfen befassten Mitarbeiterinnen geführt, um die Praxis, die Erfahrungen und die Veränderungen im Umstellungsprozess der Hilfen nach § 72 BSHG eingehend zu untersuchen. Anders als in der - unter erheblichem Zeitdruck stehenden - Voruntersuchung wurden dabei in verstärktem Maße auch Mitarbeiterinnen Freier Träger hinzu gezogen, um deren Perspektive insbesondere im Hinblick auf die Durchführung der Hilfe mit berücksichtigen zu können. Hierzu wurden in den Kommunen, in denen den Freien Trägern bei der Durchführung der Hilfe eine wesentliche Rolle zukommt, gemeinsame Gesprächsrunden durchgeführt. Alle Gesprächspartnerinnen hatten sowohl einen mehrjährigen Einblick in die Praxis der Hilfegewährung als auch einen Überblick über die nach § 72 BSHG gewährten Hilfen und Hilfearten.

Die Untersuchungsergebnisse basieren damit einerseits auf sog. "harten" Daten - den quantitativstatistischen Daten - als auch auf "weichen" Daten - den qualitativen Aussagen der Gesprächspartnerinnen. Die qualitativen Aussagen haben erläuternden und illustrierenden Charakter. im Untersuchungsbericht sind sie durch Formulierungen wie "aus Sicht der Gesprächspartnerinnen" oder "nach Einschätzung der Befragten" deutlich als qualitative Anmerkungen erkennbar und damit eindeutig von den quantitativen Daten unterscheidbar.

4. Begleitender informeller Beraterkreis

Vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung wurde für dieses Projekt ein informeller Beraterkreis einberufen, der den gesamten Prozess von der Planung der Untersuchung bis zur Ausarbeitung der Erhebungsinstrumente und der Erörterung der Ergebnisse begleitet hat. Diesem Beraterkreis gehörten neben Vertreterinnen der Länder die kommunalen Spitzenverbände an, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger, der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege, die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe und die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe.

(2) Erhebungen zur Evaluation der Umsetzung der neuen Verordnung

Im Folgenden wird die Datenbasis, auf die sich die Studie bezieht, vorgestellt. Es handelt sich dabei (quantitativ) um die zweimalige Befragung aller örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger in der Bundesrepublik und (qualitativ) um die Befragung von Expertinnen aus allen Bundesländern. Bei der Darstellung der Expertinnenbefragung wird insbesondere auf die Kriterien eingegangen, nach denen die Interviewpartnerinnen ausgewählt wurden.

Schriftliche Erhebung (2002)

Der Fragebogen der schriftlichen Hauptbefragung wurde - nach eingehender Erörterung im informellen Beraterkreis und einem Pretest bei vier Sozialhilfeträgern - Ende September 2002 an 440 örtliche und 24 überörtliche Sozialhilfeträger versandt.

Bis zum 15. November 2002 waren 122 Fragebögen im iSG eingegangen, dies entspricht einer Rücklaufquote von 26 % (vgl. Tabelle 1). Darunter waren 112 Fragebögen von örtlichen Sozialhilfeträgern (25 % Rücklauf), 8 Fragebögen von überörtlichen Sozialhilfeträgern (35 % Rücklauf) und 2 Fragebögen aus Stadtstaaten, die örtlicher und überörtlicher Sozialhilfeträger zugleich sind (33 % Rücklauf). Ein Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland zeigt, dass der Rücklauf im Westen mit 25 % niedriger liegt als im Osten mit 31 %.

Eine Reihe von Sozialhilfeträgern hat Gründe für eine Nichtbeteiligung genannt; zum Teil wurde eine Überlastung der Mitarbeiterinnen angeführt, zum Teil bestand aber offensichtlich auch keine hinreichende Klarheit über die Unterstützung der Untersuchung durch die kommunalen Spitzenverbände. Diese waren, im informellen Beraterkreis vertreten und haben den gesamten Prozess von der Planung der Untersuchung bis zur Ausarbeitung der Erhebungsinstrumente begleitet. in dem Anschreiben, das das iSG zusammen mit den Fragebögen verschickte, wurde explizit darauf hingewiesen; dort heißt es: "Die kommunalen Spitzenverbände Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag und Deutscher Städte- und Gemeindebund sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger und die Fachreferate der Länder sind in dem Beraterkreis, der diese Untersuchung begleitet, vertreten. Sie unterstützen die Befragung und waren an der Erstellung des Fragebogens beteiligt." Dennoch lehnten mehrere Landkreise eine Beteiligung unter Hinweis darauf ab, dass der Landkreistag ihres Bundeslandes die Erhebung nicht unterstütze bzw. über eine Unterstützung seitens des Deutschen Landkreistages nicht informiert sei.

Die durch diese Erhebung erzielten Befragungsergebnisse geben einen Trend wieder, der durch die Ergebnisse der späteren schriftlichen Erhebung (2003) in den meisten Fällen bestätigt wird. Wenn sich in einzelnen Fragestellungen eine andere Gewichtung ergibt, so wird in der Ergebnisdarstellung dieses Berichts explizit darauf verwiesen.

Tabelle 1: Rücklauf der schriftlichen Befragung 2002

Rücklauf nach Trägertyp und Bundesland (Befragung 2002)
Trägertyp
Bundeslandörtlicherüberörtlicherörtlich und überörtlichinsgesamtRücklauf
SH-TrägerSH-TrägerSH-Trägerquote
Baden-Württemberg1021226%
Bayern1541918%
Berlin---2233%
Brandenburg5nicht zuständig528%
Bremen---------------
Hamburg---------------
Hessen1611763%
Mecklenburg-Vorpommern6---632%
Niedersachsen8---817%
Nordrhein-Westfalen15---1527%
Rheinland-Pfalz6---616%
Saarland4---457%
Sachsen9---930%
Sachsen-Anhalt911040%
Schleswig-Holstein4-425%
Thüringen5---521%
Gesamt1128212226%
darunter:
Westdeutschland787---8825%
Ostdeutschland34122631%
Schriftliche Erhebung (2003)

im Folgejahr - Ende September 2003 - wurde der Fragebogen der zweiten und damit letzten schriftlichen Erhebung an alle 440 örtlichen Sozialhilfeträger (davon: 117 Städte und 323 Kreise) und 24 überörtlichen Sozialhilfeträger versandt.

Tabelle 2: Rücklauf der schriftlichen Befragung 2003

Rücklauf nach Trägertyp und Bundesland (Befragung 2003)
Trägertyp
Bundeslandörtlicherüberörtlicherörtlich und überörtlichinsgesamtRücklauf
SH-TrägerSH-TrägerSH-Trägerquote
Baden-Württemberg62817%
Bayern1451918%
Berlin3325%
Brandenburg2nicht zuständig211%
Bremen---------------
Hamburg---------------
Hessen2112281%
Mecklenburg-Vorpommern4nicht zuständig421%
Niedersachsen81919%
Nordrhein-Westfalen1611730%
Rheinland-Pfalz5---514%
Saarland2---229%
Sachsen51620%
Sachsen-Anhalt81936%
Schleswig-Holstein6-638%
Thüringen1128%
darunter:7810---8826%
Gesamt
Westdeutschland9813311424%
Ostdeutschland20332622%

Insgesamt füllten 114 Sozialhilfeträger den Fragebogen aus; dies entspricht einer Rücklaufquote von 24 % (vgl. Tabelle 2). Darunter waren 98 Fragebögen von örtlichen Sozialhilfeträgern (22 % Rücklauf), 13 Fragebögen von überörtlichen Trägern (54 % Rücklauf) und 3 Fragebögen aus Berlin, wo die Sozialhilfeträger zugleich örtliche und überörtliche Sozialhilfeträger sind. Der Rücklauf aus Westdeutschland lag mit 26 % etwas über dem Rücklauf aus Ostdeutschland von 22 %. Der Rücklauf fiel bei dieser Befragung insgesamt geringer aus als bei der Vorjahresbefragung (im Vorjahr füllten 26 % aller befragen Sozialhilfeträger einen Fragebogen aus), was damit zu begründen sein dürfte, dass sich durch die neue VO zu § 72 BSHG auch 2 Jahre nach inkrafttreten keine maßgeblichen Änderungen für die Sozialhilfeträger ergeben haben und dadurch auch die Motivation, zusätzliche Statistiken auszufüllen, zurückgegangen ist. Zudem weisen die Ergebnisse der Befragung des Jahres 2002 und die der Nachfolgebefragung des Jahres 2003 weitgehende Übereinstimmungen bei den Fragen auf, die in beiden Erhebungen gleich lautend gestellt wurden. Nur in einigen Teilbereichen sind leicht veränderte Ergebnisse feststellbar. Dies liegt vor allem daran, dass die Ergebnisse des Jahres 2003 zu gut der Hälfte auf den Angaben von Kreisen beruhen:

Von Sozialhilfeträgern der Kreise wurden 59% der Fragebögen ausgefüllt und von Sozialhilfeträgern der kreisfreien Städte 41 (Grundgesamtheit: 73 % Kreise und 27 % Städte). im Vergleich zu der Vorjahresbefragung, bei der die kreisfreien Städte einen Anteil von 36 % an den ausgefüllten Fragebögen einnahmen, liegt der aktuelle Anteil um 5 Prozentpunkte höher.

Die im vorliegenden Bericht präsentierten Befragungsergebnisse beziehen sich - soweit nicht anders vermerkt - auf die Ergebnisse des Jahres 2003 und basieren auf den Daten und Einschätzungen von rund einem Viertel aller Sozialhilfeträger.

Expertinnengespräche (2003)

Um die Praxis, die Erfahrungen und die Veränderungen im Umstellungsprozess der Hilfen nach § 72 BSHG eingehend untersuchen zu können, wurden in den zuständigen Verwaltungsstellen der örtlichen bzw. überörtlichen Sozialhilfeträger Gespräche mit den Mitarbeiterinnen geführt, die mit der Durchführung der Hilfen befasst sind. Bei der Hälfte der Gespräche wurden auch Mitarbeiterinnen Freier Träger hinzu gezogen, insbesondere dann, wenn sie in erheblichem Maße an der Durchführung der Hilfe beteiligt waren. Um zu gewährleisten, dass alle relevanten Sichtweisen angemessen repräsentiert sind, wurden beim Konzept der mündlichen Erhebung folgende Kriterien beachtet:

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien wurden im Zeitraum zwischen April und August 2003 Gespräche mit insgesamt 81 Vertreterinnen von 45 Trägern geführt (Tabellen 3 und 4). Die Gespräche wurden geführt mit: 8 überörtlichen Sozialhilfeträgern, 3 sowohl örtlichen als auch überörtlichen Sozialhilfeträgern, 13 örtlichen Sozialhilfeträgern und 21 Freien Trägern. An den Gesprächen wurden Sozialhilfeträger aus allen Bundesländern beteiligt (Tabellen 5 und 6). Zwei Drittel der Gespräche fanden in kreisfreien Städten statt, ein Drittel in Landkreisen. Zwei Drittel der Gespräche wurden in den alten Bundesländern geführt; ein Drittel in den neuen Bundesländern.

Tabelle 3: Befragte Träger (2003)

Befragte Träger
Insgesamt45
Institutionen
100,0%
örtliche Sozialhilfeträger1328,9%
überörtliche Sozialhilfeträger817,8%
örtlich und überörtlich Sozialhilfeträger36,7%
freie Träger2146,7%

Die Expertinnen wurden in Form von Leitfadeninterviews geführt. im Schwerpunkt ging es darum zu erfahren, ob bedingt durch die neue VO eine Ausweitung des anspruchsberechtigten Personenkreises stattgefunden hat und ob in Folge der neuen VO Kostensteigerungen zu verzeichnen sind. Darüber hinaus wurden weiter reichende Aspekte, die mit der VO in Verbindung stehen und auf mögliche Änderungen in der Ausgestaltung und Durchführung der Hilfe schließen lassen, abgefragt. So stellt die neue Definition der einen Hilfeanspruch begründenden Anspruchsvoraussetzungen, d.h. die Abkehr von der Personengruppenbeschreibung und die Hinwendung zur lebenslagenorientierten Beschreibung, eine der beiden zentralen Änderungen dar, die mit der neuen VO verbunden sind. Die zweite wesentliche Änderung bezieht sich auf die stärkere Betonung der Steuerung durch die Sozialhilfeträger - insbesondere mit dem instrument der Gesamtplanung. Darüber hinaus erfolgt in der VO eine Klarstellung hinsichtlich des Vorrangs der persönlichen Hilfe vor Geld- und Sachleistungen und eine Priorisierung der ambulanten vor der teil- und vollstationären Hilfe. Zu diesen Aspekten wurden die Expertinnen ebenfalls befragt.

Tabelle 4: Gesprächspartnerinnen (2003)

Gesprächspartnerinnen (Personen)
Insgesamt81 Personen100,0%
örtliche Sozialhilfeträger2429,6%
überörtliche Sozialhilfeträger1923,5%
örtlich und überörtlich Sozialhilfeträger78,6%
freie Träger3138,3%
Gesprächspartnerinnen pro Gespräch3,7

Tabelle 5: Anzahl der Gespräche (2003)

Anzahl der Gespräche mit Sozialhilfeträgern nach Bundesländern
Insgesamt24100,0%
Baden-Württemberg28,3%
Bayern28,3%
Berlin14,2%
Brandenburg14,2%
Bremen14,2%
Hamburg14,2%
Hessen14,2%
Mecklenburg-Vorpommern14,2%
Niedersachsen312,5%
Nordrhein-Westfalen28,3%
Rheinland-Pfalz28,3%
Saarland14,2%
Sachsen28,3%
Sachsen-Anhalt28,3%
Schleswig-Holstein14,2%
Thüringen14,2%

Tabelle 6: Befragte Träger nach Bundesländern (2003)

Befragte Sozialhilfeträger und freie Träger nach Bundesländern
Bundeslandörtliche Trägerüberörtliche Trägerfreie Träger
Baden-WürttembergStadt Mannheim------
Rhein-Neckar-Kreis
BayernStadt NürnbergBezirk Oberbayern---
Diakonisches Werk
Berlin-Brandenburg
BerlinBerlinInternationaler Bund
Verein Bürgerhilfe
Verein Casa Nostra
BrandenburgStadt Cottbus---Miteinander gGmbH
Verein Bremische
BremenBremenStraffälligenbetreuung
Innere Mission
HamburgHamburgMog wat e.V. (Arbeiterwohlfahrt)
Hessen---Landeswohlfahrtsverband Hessen---
Mecklenburg-VorpommernStadt Neubrandenburg---Arbeiter-Samariter-Bund
Stadt HannoverNiedersächsisches
NiedersachsenRegion HannoverMinisterium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit---
Nordrhein WestfalenStadt KölnLandschaftsverband RheinlandSozialdienst Katholischer Männer Sozialdienst Katholischer Frauen
Rheinland-PfalzStadt MainzLandesamt für Soziales, Jugend und Versorgung---
SaarlandLandkreis Saarlouis------
SachsenStadt LeipzigLandeswohlfahrtsverband SachsenQuelle e.V. Blaues Kreuz, Diakonie Caritasverband Suchtzentrum
Sachsen AnhaltStadt HalleLandesamt für Versorgung und SozialesDer Paritätische Caritasverband Evangelische Stadtmission Verein für Rehabilitierung Behinderter
Schleswig Holstein---Ministerium für Soziales, Gesundheit und VerbraucherschutzDiakonisches Werk Schleswig-Holstein, Landesverband der Inneren Mission e.V.
ThüringenKrels Sonneberg---Beschäftigungsträger R.O.S.A. (Recycling organischer Substanzen)

3. Umsetzung der DVO zu § 72 BSHG:

Ergebnisse der Evaluation im nachfolgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung in integrierter Form präsentiert, d.h. die Ergebnisse der statistischen Analyse und der beiden schriftlichen Erhebungen (2002, 2003) werden in Verbindung mit den Ergebnissen der Expertinnengespräche (ebenfalls aus dem Jahr 2003) dargestellt.

Sofern Ergebnisse der Expertinnengespräche einfließen, werden diese in eingerückter Form und kursiv formatiert dargestellt.

Bei den beiden schriftlichen Befragungen der Sozialhilfeträger wurden teilweise gleichlautende Fragen gestellt; in diesem Fall werden die jeweils letzten Ergebnisse kommentiert - es sei denn, es ergeben sich signifikante Abweichungen oder Entwicklungen. Grundsätzlich wird bei jeder Ergebniskommentierung deutlich, aus welchem Jahr die analysierten Daten stammen.

3.1 Empfänger der Hilfe nach § 72 BSHG

(1) Die Hilfe nach § 72 BSHG im Spiegel der amtlichen Statistik

Die Sozialhilfestatistik vermittelt in ihrer Unterscheidung nach Hilfen außerhalb von und in Einrichtungen nur einen ersten und recht allgemeinen Eindruck von der Praxis der Hilfe nach § 72 BSHG (Tabelle 7).

Entwicklung der Ausgaben 1995 - 2002

Die Ausgaben für die Hilfe nach § 72 BSHG zeigen einen schwankenden Verlauf: Sie sind von 230,5 Mio. € im Jahr 1995 zunächst auf unter 220 Mio. € zurückgegangen, erreichten dann 1998 ein Volumen von 245 Mio. €, um dann in den beiden Folgejahren wieder unter diesen Wert zu fallen. Mit 254,5 Mio. € wurde im Jahr 2002 das bisher höchste Ausgabenvolumen erreicht. Dieses Ergebnis klingt allerdings weniger dramatisch, wenn man bedenkt, dass die Ausgaben seit dem Jahr 1995 nur um 10 % gestiegen sind, was im Vergleich zur Ausgabenentwicklung in anderen Bereichen der Sozialhilfe eher unbedeutend erscheint.

Die Ausgaben für die ambulante Hilfeform haben seit dem Ende der 1990er Jahre stärker zugenommen und liegen in 2002 um 54 % über dem Wert von 1995, während die Ausgaben der vollstationären und teilstationären Hilfe im gesamten hier betrachteten Zeitraum unter dem Betrag des Jahres 1995 liegen, erst im Jahr 2002 haben sie diesen fast wieder erreicht. Diese Entwicklung beeinflusst die Gesamtausgaben stärker als die des ambulanten Bereichs, da die Ausgaben im vollstationären und teilstationären Bereich in etwa auf dem dreifachen Niveau liegen wie diese.

Im Zeitraum zwischen 2000 und 2002, in dem die neue VO zu § 72 BSHG in Kraft getreten ist, sind die Bruttoausgaben der Sozialhilfe für diese Hilfeart um jährlich 4 % gestiegen. Diese Steigerung fällt etwas geringer aus als die Ausgabenentwicklung für die Hilfe in besonderen Lebenslagen insgesamt.

Tabelle 7: Sozialhilfestatistik 1995 - 2002

Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§ 72 BSHG)
Sozialhilfestatistik Deutschland 1995 - 2002
Ausgaben pro Jahr in 1.000 €Hilfeempfänger am Jahresende
Jahraußerhalb von Einrichtungenin Einrichtungeninsgesamtaußerhalb von Einrichtungenin Einrichtungeninsgesamt
199545.086185.457230.5432.6026.0498.651
199645.568171.661217.2282.4715.4727.943
199743.968173.494217.4622.0705.4507.520
199860.493184.467244.9612.4715.6028.073
199956.930141.007197.9372.4335.1127.545
200062.543173.752236.2961.7885.7847.572
200166.646178.977245.6231.7835.2277.010
200269.326185.226254.5521.8906.0147.904
Index: 1995 = 100
1995100,0100,0100,0100,0100,0100,0
1996101,192,694,295,090,591,8
199797,593,594,379,690,186,9
1998134,299,5106,395,092,693,3
1999126,376,085,993,584,587,2
2000138,793,7102,568,795,687,5
2001147,896,5106,568,586,481,0
2002153,899,9110,472,699,491,4
jährliche Veränderung
199519%-6%-2%17%22%20%
19961%-7%-6%-5%-10%-8%
1997-4%1%0%-16%0%-5%
199838%6%13%19%3%7%
1999-6%-24%-19%-2%-9%-7%
200010%23%19%-270/o13%0%
20017%3%40h0%-10%-7%
20024%3%4%6%15%13%
00-025,4%3,3%3,9%2,9%2,0%2,2%

Quelle: Statistisches Bundesamt 1995 - 2002; Berechnungen des ISG

Entwicklung der Empfängerzahlen 1995 - 2002

Betrachtet man die von der Statistik ausgewiesenen Empfängerzahlen, so wird auf den ersten Blick deutlich, dass hier von einer Untererfassung, insbesondere im ambulanten Bereich, auszugehen ist: insgesamt 7.904 Hilfeempfänger weist die Sozialhilfestatistik für das Jahresende 2002 aus, davon 1.890 außerhalb von und 6.014 in Einrichtungen. Eine Hochrechnung der Angaben der örtlichen Sozialhilfeträger, die sich an unserer Befragung beteiligten, ergibt dagegen eine Gesamtzahl von rd. 53.000 Empfängern in Deutschland, davon rd. 33.000 Personen außerhalb von und rd. 20.000 Personen in Einrichtungen.

Die hier verwendeten Stichtagszahlen zum Jahresende vermitteln eher einen Eindruck von der Situation im Jahresdurchschnitt als die Jahresgesamtzahlen, die angesichts der hohen Fluktuation in diesem Bereich wenig aussagekräftig wären. Die Analyse der Zeitreihe ergibt, dass die Zahl der Hilfeempfänger über mehrere Jahre eine weitgehende Konstanz aufweist. im vollstationären und teilstationären Bereich war die Zahl der Hilfeempfänger bis 1999 gut doppelt so hoch wie im Bereich der ambulanten Hilfen, seither sogar dreimal so hoch; dies könnte durch einen Ausbau teilstationärer Angebote begründet sein.

Auch bezüglich der Hilfeempfänger ergibt die Analyse der Entwicklung von 2000 bis 2002 einen nur moderaten Zuwachs: die jährliche Steigerungsrate von 2,9 % in der ambulanten und von 2 % in der vollstationären Hilfe liegt auf dem gleichen Niveau wie die Entwicklung der Empfängerzahlen in der Hilfe in besonderen Lebenslagen insgesamt (jährlicher Zuwachs von 2 %).

Entwicklung der Ausgaben pro Empfänger 1995 - 2002

Ein Indikator, der die Entwicklung der Ausgaben und der Empfängerzahlen zusammenfasst, sind die jährlichen Fallkosten, oder hier genauer: der Bruttoausgaben pro Empfänger. Diese bewegen sich im beobachteten Zeitraum zwischen rd. 26.600 und rd. 35.000 €. in der vollstationären Hilfe liegen sie im Jahr 2002 auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 1995, in der ambulanten Hilfe um rd. 12 % höher.

Die Fallkostenentwicklung der Hilfe außerhalb von Einrichtungen ergibt allerdings für die Jahre 2000 bis 2002 unplausible Werte, die dadurch zustand gekommen sein können, dass zwar die Ausgaben weitgehend, die Empfänger aber unzureichend erfasst worden sind (Tabelle 8).

Tabelle 8: Fallkosten der Hilfe nach e 72 BSHG

Fallkosten der Hilfe nach § 72 BSHG
€ pro Empfänger pro Jahr
Jahraußerhalb von Einrichtungenin Einrichtungeninsgesamt
199517.32830.65926.649
199618.44131.37127.348
199721.24031.83428.918
199824.48132.92930.343
199923.39927.58326.234
200034.97930.04031.206
200137.37934.24135.039
200236.68130.79932.205
Index: 1995 = 100
1995100,0100,0100,0
1996106,4102,3102,6
1997122,6103,8108,5
1998141,3107,4113,9
1999135,090,098,4
2000201,998,0117,1
2001215,7111,7131,5
2002211,7100,5120,8

Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des iSG

Relation von Empfängerinnen und Empfängern

Trotz der offensichtlichen Unzulänglichkeit kann im Rahmen der statistischen Analyse schließlich noch der Frage nachgegangen werden, ob sich in den letzten Jahren die Relation zwischen Frauen und Männern verändert hat. Vergleicht man dazu die Empfängerzahlen der Jahre 1998, 2000 und 2002, so spricht alles dafür, dass der Frauenanteil in diesem Bereich relativ konstant zwischen 13 % und 15 % liegt, die männlichen Hilfeempfänger machen dementsprechend einen Anteil zwischen 85 % und 87 % aus.

Tabelle 9: Geschlecht der Empfänger von Hilfe nach § 72 BSHG

Geschlecht der Hilfeempfänger
Jahr199820002002
Empfänger insgesamt8.0737.5727.904
darunter:
Männer6.8986.5266.744
Frauen1.1751.0461.160
Frauenanteil14,6%13,8%14,7%

Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des iSG insgesamt führt die Analyse der Sozialhilfestatistik zu dem Ergebnis,

(2) Anzahl und Quote der Hilfeempfänger

Die Anzahl der Empfänger von Sozialhilfe und darunter von Hilfe nach § 72 BSHG wurde auch in den schriftlichen Befragungen erhoben. Zunächst wurden einige zentrale Eckdaten zu den Sozialhilfeträgern und ihren Hilfeleistungen erhoben. in der Unterscheidung nach örtlichen Sozialhilfeträgern und überörtlichen Sozialhilfeträgern (sowie den Sozialhilfeträgern aus Berlin und Hamburg, für die diese Trennung nicht zutrifft) ergibt sich folgendes Bild:

Die Sozialhilfeträger, die sich an der Befragung beteiligten, haben einen durchschnittlichen Zuständigkeitsbereich von rd. 187.000 Einwohnern (örtliche Träger) bzw. rd. 4 Mio. Einwohnern (überörtliche Träger). Die örtlichen Sozialhilfeträger berichten über durchschnittlich 7.300 Empfänger der Hilfe zum Lebensunterhalt (34,8 je 1.000 Einwohner) und 1.900 Empfänger der Hilfe in besonderen Lebenslagen (10,5 je 1.000 Einwohner). Sehr niedrig, erscheinen im Vergleich dazu die Quoten der Empfänger von Hilfen nach § 72 BSHG mit 0,64 je 1.000 Einwohner bei den örtlichen Trägern (0,40 je 1.000 Einwohner ambulante Hilfe und 0,24 je 1.000 Einwohner vollstationäre Hilfe) und mit 0,18 je 1.000 Einwohner bei den überörtlichen Trägern. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ergibt dies rd. 53.000 Empfänger von Hilfen nach § 72 BSHG, davon rd. 33.000 außerhalb und rd. 20.000 innerhalb von Einrichtungen.3 Diese Zahl liegt deutlich über der in der amtlichen Statistik ausgewiesenen Zah1.

Im Vergleich zur Vorjahresbefragung weisen die Sozialhilfequoten bei den örtlichen Trägern nahezu identische Werte aus (0,64 Empfänger von Hilfe nach § 72 BSHG je 1.000 Einwohner im Jahr 2003 im Vergleich zu 0,61 im Jahr 2002) bei den überörtlichen Trägern etwas niedrigere Werte (0,18 Empfänger im Vergleich zu 0,25).

Tabelle 10: Durchschnittliche Anzahl und Quote der Hilfeempfänger (2003)

Anzahl und Quote der Hilfeempfänger
örtlicher SH-Trägerüberörtlicher SH-Trägerörtl./überörtl. SH-Trägerinsgesamt
Anzahl Sozialhilfeträger:98133114
Einwohner im Zuständigkeitsbereich187.3323.986.739252.185630.072
Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt7.305---13.4119.128
Hilfe in besonderen Lebenslagen1.92721.0613.3953.917
darunter:
Hilfe nach § 72 BSHG gesamt121704277196
darunter:
außerhalb von Einrichtungen7538044111
in Einrichtungen4431523383
Quote je 1.000 Einwohner
Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt34,80---53,2514,49
Hilfe in besonderen Lebenslagen10,485,2813,466,22
darunter:
Hilfe nach § 72 BSHG gesamt0,640,181,100,31
darunter:
außerhalb von Einrichtungen0,400,100,180,18
in Einrichtungen0,240,080,920,13

Quelle: Angaben der befragten Sozialhilfeträger; Berechnungen des ISG

(3) Zielgruppen der Hilfe

Ein grundlegendes Problem der vergleichenden Untersuchung bestand darin, dass quantitative Veränderungen der Empfängergruppe untersucht werden sollten, während gleichzeitig die Bezeichnung der Empfängergruppe in der Differenzierung nach

3 vgl. dazu die Ausführungen im Abschnitt 3.1 (1): Die Hilfe nach § 72 BSHG im Spiegel der amtlichen Statistik. einzelnen Zielgruppen der Hilfe durch die neue Verordnung verändert wurde. Um dieses Problem lösen zu können, wurde diese Veränderung gleich zu Beginn der Befragung (2002) thematisiert: Die Befragten wurden gebeten, die Zielgruppen der Hilfe, nun definiert einerseits durch deren "besondere Lebensverhältnisse" (vgl. VO zu § 72 BSHG, § 1 Abs. 2) und andererseits durch "soziale Schwierigkeiten" (vgl. VO zu § 72 BSHG, § 1 Abs. 3), nach ihrer quantitativen Bedeutung zu gewichten und jeweils anzugeben, welche Bezeichnung nach der Begrifflichkeit der früheren Verordnung gewählt worden wäre.

Zur Begriffsklärung

Besondere Lebensverhältnisse in Verbindung mit sozialen Schwierigkeiten

Ein Bedarf an Hilfe nach § 72 BSHG ist gegeben, wenn mehrere problematische Aspekte zu "besonderen sozialen Schwierigkeiten" kulminieren und wenn auf Grund dieser Komplexität der Problemlage vorrangige Hilfen nicht ausreichen. Nach § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 72 BSHG leben Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten, "wenn besondere Lebensverhältnisse derart mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, dass die Überwindung der besonderen Lebensverhältnisse auch die Überwindung der sozialen Schwierigkeiten erfordert."

Diese Bestimmung ist mehrstufig: Objektiv vorliegende, belastete Lebensverhältnisse, die sonst häufig durch eine besondere Anstrengung der Betroffenen und ihres sozialen Umfelds überwindbar wären, erweisen sich hier als besonders hartnäckig, weil auf Grund sozialer Schwierigkeiten weder Unterstützungsmöglichkeiten im sozialen Umfeld noch die eigene subjektive Handlungsfähigkeit der Betroffenen ausreichen; deshalb bedürfen diese bei dem Versuch der Überwindung einer besonderen Hilfe.

Besondere Lebensverhältnisse

Nach § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 72 BSHG bestehen besondere Lebensverhältnisse "bei fehlender oder nicht ausreichender Wohnung, bei ungesicherter wirtschaftlicher Lebensgrundlage, bei gewaltgeprägten Lebensumständen, bei Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung oder bei vergleichbaren nachteiligen Umständen".

Der Bezug zur Wohnungslosigkeit steht in dieser Definition nicht zufällig an erster Stelle, da die Klienten zum großen Teil hierunter leiden. Neben den explizit genannten können aber auch weitere, "vergleichbare" nachteilige Umstände die besonderen Lebensverhältnisse charakterisieren.

Auf Anregung einiger Sozialhilfeträger im Pretest des eingesetzten Befragungsinstrumentes wurden insbesondere die durch "Migration" und durch "Trennung/ Scheidung" charakterisierten Lebensverhältnisse genannt, die hier weiterhin eine Rolle spielen. Zu beachten ist aber immer, dass nicht eines dieser Merkmale allein schon einen Hilfebedarf nach § 72 BSHG begründet, sondern dass damit nur einzelne Aspekte einer insgesamt schwierigen Lebenslage genannt werden.

Soziale Schwierigkeiten

"Soziale Schwierigkeiten" liegen nach § 1 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung des § 72 BSHG dann vor, "wenn ein Leben in der Gemeinschaft durch ausgrenzendes Verhalten des Hilfesuchenden oder eines Dritten wesentlich eingeschränkt ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Erhaltung oder Beschaffung einer Wohnung, mit der Erlangung oder Sicherung eines Arbeitsplatzes, mit familiären oder anderen sozialen Beziehungen oder mit Straffälligkeit".

Auch hier werden einige zentrale Merkmale genannt, die aber nicht im Sinne einer vollständigen Aufzählung zu verstehen sind. im Zuge der Erstellung des Befragungsinstrumentes wurden als weitere soziale Schwierigkeiten "Überschuldung", "Suchtprobleme" sowie "gesundheitliche" und "psychische Beeinträchtigungen" genannt. im Unterschied zu den objektiv vorliegenden "Lebensverhältnissen" stehen hier die Beeinträchtigungen der subjektiven Handlungsfähigkeit und mangelnde Unterstützungsressourcen im sozialen Umfeld im Vordergrund. Die genannten Merkmale sind daher nicht als Situationsbeschreibung, sondern als Merkmale individuellen und sozialen Handelns innerhalb dieser Situation zu verstehen. Der Akzent liegt hier beispielsweise nicht auf der Situation der Wohnungslosigkeit, sondern auf den in der Person des Klienten oder in seinem Verhalten liegenden Schwierigkeiten, die das Bemühen um Erhaltung oder Beschaffung einer Wohnung immer wieder scheitern lassen.

Die folgende Tabelle (Tabelle 11) gibt zunächst Auskunft über das relative Gewicht der einzelnen Zielgruppen, d.h. über den Anteil einzelner Zielgruppen an der Gesamtheit aller Personen, die Hilfe nach § 72 BSHG beziehen.

Die Komplexität der Belastungen von Personen, die Hilfe nach § 72 BSHG benötigen, kommt darin zum Ausdruck, dass in der Regel mehrere Belastungen im Einzelfall zusammentreffen. Methodisch wurde dies dadurch berücksichtigt, dass bei der Beantwortung Mehrfachnennungen zugelassen wurden. im Ergebnis werden daher relative Gewichtungen deutlich, in denen sich die Einschätzungen von 159 Sozialhilfeträgern widerspiegeln.

Demnach sind (2002 und 2003) die wichtigsten Zielgruppen durch fehlende oder nicht ausreichende Wohnung und/ oder durch eine ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage belastet.

Tabelle 11: Zielgruppen und besondere Lebensverhältnisse (2003)

Zielgruppen der Hilfe nach Lebensverhältnis
durchschnittlich geschätzte Anzahl bzw. Anteil in Prozent (Mehrfachnennung möglich)
besondereörtlicher SHTüberörtlicher SHT ört1./überort1. SHTinsgesamt
LebensverhältnisseAnzahlFrauenanteilAnzahlFrauenanteilAnzahlFrauenanteil,AnzahlFrauenanteil
fehlende oder nicht ausreichende Wohnung6412%45917%12911%10814%
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage5613%37313% 1414%8913%
gewaltgeprägte Lebensumstände926%10575%------1955%
Entlassung aus geschl. Einrichtung148%658% 7--- 198%
Migration211%1312% 1---311%
Trennung / Scheidung1620%29212%--- --- 4514%
andere nachteilige Umstände822%285% 2914%1117%
Gesamt14%19%11% 16%

Je nach Trägerart ergeben sich in der Rangfolge der relevanten Lebenslagen und Benachteiligungen nur auf den Rängen 4 und 5 unterschiedliche Gewichtungsprofile, und zwar ...

- für örtliche Sozialhilfeträger:

1. fehlende oder nicht ausreichende Wohnung
2. ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage
3. Trennung/ Scheidung
4. Entlassung aus geschlossener Einrichtung
5. gewaltgeprägte Lebensumstände
6. "andere nachteilige Umstände" (z.B. Sucht)

- für überörtliche Sozialhilfeträger:

1. fehlende oder nicht ausreichende Wohnung
2. ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage
3. Trennung/ Scheidung
4. gewaltgeprägte Lebensumstände
5. Entlassung aus geschlossener Einrichtung
6. "andere nachteilige Umstände" (z.B. Sucht)

Für jede Zielgruppe wurde weiterhin gefragt, wie hoch der Frauenanteil an dieser Personengruppe ist. insgesamt machen Frauen 16 % der gesamten Klientel aus (örtliche Träger 14 %, überörtliche Träger 19 %). Dabei sind Frauen von den im Einzelnen aufgeführten Lebensverhältnissen in sehr unterschiedlichem Maße betroffen: Am höchsten ist ihr Anteil im Bereich "gewaltgeprägte Lebensumstände", dieses Merkmal trifft zu 55 % auf Frauen zu. in den anderen Bereichen liegt der Frauenanteil zwischen 8 und 17 % (17 % bei "anderen nachteiligen Umständen", insbesondere Krankheit/ Suchtkrankheit).

Gerade im Bereich der Wohnungslosigkeit machen die Träger aber immer wieder auf die "verdeckte" Wohnungslosigkeit von Frauen aufmerksam, die darauf beruht, dass wohnungslose Frauen zunächst bei Bekannten Unterschlupf suchen und sich erst dann an das Sozialamt wenden, wenn auch in dieser Situation größere Konflikte auftreten.

Diese Daten korrespondieren mit den Expertinnenaussagen aus den Interviews, wonach einerseits der Frauenanteil an den Hilfeempfängern nach § 72 BSHG nicht steigt, und Frauen andererseits im Bedarfsfall zunächst einmal die Hilfeangebote von Frauenhäusern nutzen. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass Frauen andere "Unterschlupf- und Überlebensmöglichkeiten" (Unterkunft bei Bekannten; Prostitution) für sich realisieren würden als Männer und dass Männer ohne ausreichenden Wohnraum eher auffällig würden und eher den Weg zu einer Hilfeinstanz finden würden als Frauen.

Vergleicht man die Beschreibung, die auf der Grundlage der neuen Verordnung erfolgte, mit den früheren Bezeichnungen, so treten weitgehende Übereinstimmungen bei den Lebenssituationen "fehlende oder nicht ausreichende Wohnung" sowie "Entlassung aus geschlossener Einrichtung" auf, jeweils rd. 90 % dieses Personenkreises wären nach der früheren Begrifflichkeit ebenso eindeutig zu den "Personen ohne ausreichende Unterkunft" bzw. "aus Freiheitsentziehung Entlassenen" zugeordnet worden (vgl. die fett markierten Prozentanteile in Tabelle 12).

Der Zugewinn an deskriptiver Genauigkeit durch die neue Verordnung wird bei weiteren Lebensverhältnissen deutlich: Die von Trennung/ Scheidung betroffenen Personen wären vorher überwiegend (zu rd. 80 %) der Hauptkategorie "Personen ohne Unterkunft" zugeordnet worden. Auch Klienten mit "ungesicherter wirtschaftlicher Lebensgrundlage" wären bei der früheren Kategorisierung als "Nichtsesshafte" (zu 65 %) oder "Personen ohne Unterkunft" (zu rd. 60 %) weniger differenziert beschrieben worden.4

4 in diesem Zusammenhang ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass Beschreibungen wie "Migration" oder "Trennung/ Scheidung" selbstverständlich nicht jeweils für sich bereits eine Hilfe nach § 72 BSHG erfordern, sondern als besondere Merkmale zur Beschreibung einer komplexen Problemsituation dienen, wobei eine fehlende oder nicht ausreichende Wohnung in vielen Fällen das Grundproblem darstellt.

Personengruppen, die in "sonstigen nachteiligen Umständen" leben, wären auch zuvor überwiegend der Kategorie "Sonstige" zugeordnet worden, wobei früher wie heute hierunter insbesondere eine (Sucht-) Krankheit verstanden wird. Die Situation von Migranten wäre anhand der früheren Begrifflichkeit vorwiegend mit "fehlender Unterkunft" (68 %) und "Sonstige" (48 %) beschrieben worden. Auch zur Charakterisierung der Personen, die in gewaltgeprägten Lebensverhältnissen leben, wäre diese Restkategorie (ebenso wie "verhaltensgestörte junge Menschen") zur Systematisierung herangezogen worden.

Tabelle 12: Frühere und aktuelle Bezeichnung (2002)

Frühere und aktuelle Bezeichnung der Zielgruppen
(in Prozent; Mehrfachnennung möglich)
aktuelle Bezeichnungfrühere Bezeichnung
ohne UnterkunftLandfahrerNicht- SesshafteStrafentlasseneverhaltensgestörte jMSonstige
fehlende oder nicht ausreichende Wohnung87%18%73%50%31%21%
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage61%16%65%51%38%43%
gewaltgeprägte Lebensumstände43%1%34%41%50%47%
Entlassung aus geschlossener Einrichtung44% 18%88%33%25%
Migration68%10%42%32%29%48%
Trennung/ Scheidung78%2%33%21%11%63%
andere nachteilige Umstände48%9%23%29%41%75%

Beispiel: Klienten, deren wirtschaftliche Lebensgrundlage ungesichert ist, wären nach der früheren Kategorisierung von 65 % der Sozialhilfeträger als "Nichtsesshafte" bezeichnet worden, von 59 % der Sozialhilfeträger (evt1. zusätzlich) als "Personen ohne Unterkunft", von 36 % der Sozialhilfeträger (evt1. zusätzlich) als "verhaltensgestörte junge Menschen" usw.

Bei den Expertinnengesprächen (2003) wurden die Interviewpartnerinnen danach gefragt, ob die neuen Definitionen der VO (besondere Lebensumstände, soziale Schwierigkeiten) sich eher als vorteilhaft oder als nachteilig erweisen. Die größte Gruppe bildeten die Befragten, die angaben, dass die neuen Definitionen für sie weder vorteilhaft noch nachteilig seien. Begründet wurde dies damit, dass (intern) schon seit einigen Jahren mit lebenslageorientierten Definitionen gearbeitet werde und dass es daher keine große Neuerung darstelle, diese Definitionen nun auch in der VO wieder zu finden.

Wenn die neuen Begrifflichkeiten als vorteilhaft bewertet wurden, dann vor allem deshalb, weil sie nach Einschätzung der Befragten sowohl ihre eigene Arbeit besser abbildeten und absicherten als auch der Situation der Klienten eher entsprechen würden.

Die Wenigen, die die neuen Definitionen als nachteilig empfanden, begründeten dies mit der größeren Interpretationsfähigkeit der Begrifflichkeiten - damit, dass man sich nun mehr Mühe geben müsse, den Hilfebedarf zu begründen.5

Unabhängig von der neuen VO scheint ein Begriff noch klärungsbedürftig zu sein: der Begriff der "nachgehenden Hilfe". Die nachgehende Hilfe nach dem Verständnis des § 6 BSHG kommt für den Personenkreis des § 72 BSHG nur dann in Betracht, wenn der Wiedereintritt besonderer sozialer Schwierigkeiten droht. Der Begriff der nachgehenden Hilfe findet hier also nicht in dem Sinne Verwendung, wie er im Bereich der Wohnungslosenhilfe üblich ist, d.h. als ambulante Hilfe im Anschluss an vollstationäre Maßnahmen.6

(4) Durchschnittliches Alter und Hilfebedarf dieser Zielgruppen

Örtliche und überörtliche Sozialhilfeträger erbringen ihre Hilfeleistungen für eine teilweise unterschiedlich strukturierte Klientel, was sich beispielsweise anhand der Indikatoren des Durchschnittsalters und der Dauer des Hilfebedarfs aufzeigen lässt. Eher jünger sind die Klienten, die von Migration betroffen sind (Durchschnittsalter 33 Jahre bei den örtlichen und 36 Jahre bei den überörtlichen Sozialhilfeträgern), dies gilt in ähnlicher Weise für Personen, die in gewaltgeprägten Verhältnissen leben (Durchschnittsalter 35 Jahre bei den örtlichen und 33 Jahre bei den überörtlichen Sozialhilfeträgern; vgl. Tabelle 10). Etwas älter sind im Durchschnitt die Strafentlassenen (örtliche SHT: 35 Jahre, überörtliche SHT: 38 Jahre) sowie die von Trennung/ Scheidung oder (Sucht-) Krankheit Betroffenen (örtliche SHT: 39 Jahre, überörtliche SHT: 36 bzw. 38 Jahre), deutlich älter die Klienten ohne gesicherte

5 Von Seiten der Fachöffentlichkeit wird wiederholt begrüßt, dass die neuen Definitionen "besondere Lebensverhältnisse" und "soziale Schwierigkeiten" nun objektivierbare Begriffe seien. vgl. hierzu stellvertretend: Falk Roscher, 003/2002: Die neue Rechtsverordnung zu § 72 BSHG - eine kritische Analyse, in: http://Verlagsozialehilfe.de/publi/ w1.phtml
6 siehe dazu: Johannes Lippert: Die rechtliche Entwicklung der Hilfe nach § 72 BSHG. Überlegungen auf der Grundlage der Verordnung vom 24. Januar 2001, in: http://www.rollyman-hp.de wirtschaftliche Lebensgrundlage bzw. ohne ausreichende Wohnung, deren Durchschnittsalter bei 40 Jahren (örtliche Träger) oder höher (überörtliche Träger) liegt.

Tabelle 13: Durchschnittliches Alter (2002)

Durchschnittliches Alter der Zielgruppen
Klienten örtlicher TrägerKlienten überörtlicher Träger
Zielgruppeca. von ... bis ... JahreDurchschnittca. von ... bis ... JahreDurchschnitt
fehlende oder nicht ausreichende Wohnung245640256042
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage245540255641
gewaltgeprägte Lebensumstände234735234333
Entlassung aus geschlossener Einrichtung234735245338
Migration214533314236
Trennung/ Scheidung285039274536
andere nachteilige Umstände295039215538
Gesamt255037255038

(5) Durchschnittliche Dauer des Hilfebedarfs

Was die Dauer des Hilfebedarfs betrifft, so benötigen 46 % der Klienten der örtlichen und 40 % der Klienten der überörtlichen Sozialhilfeträger eine zeitlich intensive Hilfe von mehr als neun Monaten; nur bei einem Fünftel wird der Hilfebedarf auf weniger als drei Monate geschätzt (Tabelle 14).

Die diesbezüglichen Einschätzungen der befragten Sozialhilfeträger variieren nur geringfügig je nach Zielgruppe: Die örtlichen Sozialhilfeträger schätzen die erforderliche Hilfedauer von Migranten und Personen in gewaltgeprägten Lebensverhältnissen etwas niedriger ein als im Durchschnitt, während zu hohen Anteilen Personen ohne gesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage (zu 49 %) und vor allem Personen in "anderen nachteiligen Lebensumständen (zu 60 %) länger als 9 Monate Hilfe benötigen.

Aus Sicht der überörtlichen Sozialhilfeträger weisen vor allem Strafentlassene (zu 61 %) und Personen in gewaltgeprägten Lebensverhältnissen einen lange andauernden Hilfebedarf auf (Tabelle 14). in der Vorstudie wurde die zeitliche Dauer des Hilfebedarfs insgesamt niedriger eingeschätzt (37% unter 3 Monaten, nur 36% über 9 Monate). Die Tendenzen hinsichtlich der Zielgruppen stimmen - soweit vergleichbar - in etwa überein mit Ausnahme der aus einer geschlossenen Einrichtung entlassenen Klienten, die nach der aktuellen Einschätzung für einen relativ langen Zeitraum der Hilfe bedürfen, während in der Befragung des Jahres 2001 die (sich weitgehend damit überschneidende) Gruppe der Haftentlassenen als diejenige mit dem zeitlich geringsten Hilfebedarf eingeschätzt worden war. Als mögliche Ursache für den längeren Hilfebedarf wurde von den Sozialhilfeträgern mehrfach der komplexe Hilfebedarf der allein stehenden Klienten genannt, die mit vielfältigen Problemen konfrontiert seien, was teilweise auch die Bestellung eines gesetzlichen Betreuers erfordere. Diese Entwicklung stehe allerdings nicht in Zusammenhang mit der neuen VO.

Tabelle 14: Dauer des Hilfebedarfs (2002)

Hilfebedarf der Zielgruppen nach geschätzter Dauer
Klienten örtlicher TrägerKlienten überörtlicher Träger
geschätzter Hilfebedarf in Monatengeschätzter Hilfebedarf in Monaten
Zielgruppe< 33 - 9> 9< 33-9> 9
fehlende oder nicht ausreichende Wohnung22%33%45%18%38%44%
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage22%30%49%15%43%41%
gewaltgeprägte Lebensumstände24%38%38%14%36%50%
Entlassung aus geschlossener Einrichtung21%36%43%12%27%61%
Migration28%26%45%30%48%22%
Trennung/ Scheidung20%36%44%37%34%29%
andere nachteilige Umstände15%25%60%38%28%34%
Gesamt22%32%46%23%36%40%

Im Rahmen der Expertinnengespräche konnten 2 von 21 Sozialhilfeträgern eine Veränderung der Dauer der Hilfegewährung beobachten: ein Sozialhilfeträger berichtete auf Grund der durch die Hilfeplanung / Gesamtplanung strukturierten Hilfegewährung von einer tendenziellen Verkürzung der Bezugsdauer, ein anderer Sozialhilfeträger berichtete von einer Tendenz zur längeren Hilfegewährung, da eine Zunahme der sog. "Multiproblemfälle" zu beobachten sei.

Bei den Gesprächen wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, dass es immer mehr Klienten mit hoch problematischen Lebensumständen gebe. Dies zeige sich beispielsweise daran, dass die Freien Träger immer mehr mit Ärzten zu tun hätten, so dass sie teilweise überlegen müssten, ob die Klienten nicht eher in ein Pflegeheim gehörten als in eine Betreuung nach § 72 BSHG. Als weitere Problemgruppe wurden ältere Langzeit-Wohnungslose genannt, die irgendwann eine Lebenssituation erreichten, in der der Aufenthalt in einer § 72-er-Einrichtung nicht mehr zu rechtfertigen sei, sondern vielmehr eine Kommune für die Unterbringung in einem Altenheim zuständig sein müsse.

Über Einzelfälle, in denen die Hilfe nach § 72 BSHG sich zu einer Dauerhilfe zu entwickeln drohe, wussten viele Sozialhilfeträger zu berichten. Einige bemängelten, dass es keinen anderen Träger gebe, an den sie die Hilfesuchenden verweisen könnten, andere bemühten sich, die Anspruchsvoraussetzungen für andere Hilfen zu formulieren.

Ein anderer Aspekt, der im Kontext der längeren Hilfegewährung genannt wurde war die Erfahrung, dass fehlender preisgünstiger Wohnraum und fehlende Arbeitsmöglichkeiten dazu beitragen, dass Personen, die (mittlerweile) eigentlich in der Lage wären selbstständig zu leben, dies auf Grund der fehlenden Wohnung und Arbeit nicht können.

Alle Gesprächspartnerinnen, die in Einzelfällen eine Verlängerung der Hilfedauer feststellen konnten, werteten diese nicht als Auswirkung der neuen DVO, sondern führten sie auf die Zunahmen von Problemfällen bzw. auf die ungünstigen Rahmenbedingungen (z.B. fehlender preisgünstiger Wohnraum) zurück. Nur der Sozialhilfeträger, der eine Tendenz zur kürzeren Hilfegewährung feststellen konnte, brachte dies in Zusammenhang mit der durch die neue DVO stärker akzentuierten Gesamtplanung.

(6) Bedeutung sozialer Schwierigkeiten und zukünftige Entwicklung in einem zweiten Zugang können, auf der Grundlage der neuen Verordnung, die Zielgruppen im Hinblick auf "soziale Schwierigkeiten" beschrieben werden. Unter diesem Begriff versteht die Verordnung eine wesentliche Einschränkung des Lebens in der Gemeinschaft, die sowohl durch selbstausgrenzendes Verhalten der Klienten als auch durch Ausgrenzungen seitens der sozialen Umgebung hervorgerufen sein kann (vgl. VO zu § 72 BSHG, § 1 Abs. 3; vgl. Definition auf S. 12 f). Der Fokus dieser Begrifflichkeit scheint stärker auf die Persönlichkeit und das Verhalten des Klienten und seine psychosoziale Biografie gerichtet zu sein, was im Erhebungsinstrument durch die Deskriptionen "soziale Schwierigkeiten auf Grund von mangelnder beruflicher Qualifizierung", sowie durch "Suchtprobleme", "schwere persönliche oder familiäre Konflikte" und "psychische/ gesundheitliche Beeinträchtigungen" bedingte soziale Schwierigkeiten zum Ausdruck gebracht wird. Aber auch ausgrenzendes bzw. selbstausgrenzendes Verhalten im Zusammenhang mit Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder mit durch Straffälligkeit bedingten Schwierigkeiten werden in diesem Zusammenhang im Verordnungstext genannt, was eine klare Abgrenzung zur Operationalisierung der "besonderen Lebensverhältnisse" erfordert, um Überschneidungen zu vermeiden.

Die Gewichtung einzelner Zielgruppen der Hilfe im Hinblick auf soziale Schwierigkeiten (Tabelle 15) führte zu einer starken Betonung von "Schwierigkeiten bei der "Arbeitssuche" (78 %) und "Schwierigkeiten bei Problemen der Erhaltung/ Beschaffung einer geeigneten Wohnung" (73 %). Weiterhin weisen - nach Einschätzung der befragten Mitarbeiterinnen der Sozialhilfeträger - rd. 60 % der Klienten "Suchtprobleme" oder "mangelnde berufliche Qualifizierung" auf. Etwa die Hälfte der Klienten ist überschuldet; rd. 40 % leiden unter "gesundheitlichen Beeinträchtigungen" und "schweren persönlichen oder familiären Konflikten". Von den überörtlichen Sozialhilfeträgern werden die durch "Straffälligkeit" bedingten sozialen Schwierigkeiten stärker gewichtet als von den örtlichen Sozialhilfeträgern, die anderen Schwierigkeiten werden von den überörtlichen Sozialhilfeträgern eher etwas geringer gewichtet.

Auch in diesem Kontext wurde versucht, zumindest über Einschätzungen eine geschlechtsdifferenzierte Gewichtung der Problemlagen zu gewinnen. Der Anteil der betroffenen Frauen wird auch hier, im Durchschnitt auf knapp 25 % geschätzt, bei den überörtlichen sowie den nicht zuzuordnenden Trägern fällt diese Schätzung etwas niedriger aus. Überdurchschnittliche Frauenanteile werden bei "schweren persönlichen oder familiären Konflikten" (36 %), "mangelnder beruflicher Qualifizierung" (28 %), bei "psychischen Beeinträchtigungen" (26 %) und bei "sonstigen Problemen" (33 %) genannt.

7 Die Berücksichtigung des Persönlichkeitsfaktors darf nicht als "Personalisierung" der Schwierigkeiten missverstanden werden; eine angemessene Analyse der Problemlagen dieser Klienten muss versuchen, die Faktoren von Persönlichkeit, Sozialisation und aktuellen sozialen Rahmenbedingungen in ihrem Zusammenwirken zu berücksichtigen.

Tabelle 15: Soziale Schwierigkeiten (2002)

Zielgruppen der Hilfe nach sozialer Schwierigkeit
geschätzte Anteile (in Prozent; Mehrfachnennung möglich)
soziale Schwierigkeiten durch / im Hinblick auförtlicher SHTüberörtlicher SHTörtl./überörtl. SHTinsgesamt
...GewichtFrauenanteilGewichtFrauenanteilGewichtFrauenanteilGewichtFrauenanteil
Arbeitssuche77%22%78%17%93%20%78%22%
mangelnde berufliche Qualifizierung58%29%52%31%85%19%59%28%
Erhaltung/ Beschaffung einer Wohnung74%19%58%18%85%16%73%19%
Überschuldung53%25%46%10%70%11%53%22%
Straffälligkeit28%11%36%15%25%7%29%11%
Suchtprobleme60%19%56%21%80%19%60%19%
Psychische Beeinträchtigungen33%26%35%60%20%34%26%
Gesundheitliche Beeinträchtigungen40%21%40%21%50%15%41%21%
Schwere persönliche oder familiäre Konflikte45%38%47%26%35%14%45%36%
sonstige Probleme*46%39%5%10%41%33%
Insgesamt100%25%100%17%100%14%100%24%

* unter sonstigen Problemen wurden genannt:

Lese-Rechtschreib-Schwäche, Isolation, mangelnde Kommunikationsfähigkeit, fehlende Tagesstruktur, fehlender Selbsterhaltungstrieb, unangemessene Verhaltensweisen, Probleme mit Behörden

Tabelle 16: Erwartete Entwicklungen (2002)

Erwartete Entwicklungstendenz der Zielgruppen
(in Prozent)
soziale Schwierigkeiten durch / im Hinblick aufEinschätzung: Bedeutung dieser Gruppe eher ...
zunehmendabnehmend
Arbeitssuche96%4%
mangelnde berufliche Qualifizierung96%4%
Erhaltung/ Beschaffung einer Wohnung72%28%
Überschuldung97%3%
Straffälligkeit72%28%
Suchtprobleme97%3%
Psychische Beeinträchtigungen98%2%
Gesundheitliche Beeinträchtigungen81%19%
Schwere persönliche oder familiäre Konflikte86%14%

Fragt man nach der zukünftigen Relevanz dieser sozialen Schwierigkeiten, so sind die Befürchtungen, dass diese an Bedeutung gewinnen werden, weitaus stärker ausgeprägt (zwischen 72 % und 98 %) als die Erwartungen eines Bedeutungsrückgangs (zwischen 2 % und 28 %; vgl. Tabelle 16).8 Auch hier handelt es sich lediglich um Einschätzungen, aber im Vergleich der unterschiedlichen Erwartungen für einzelne Gruppen kommen praktische Erfahrungen zum Ausdruck.

Fast alle Befragten rechnen mit einem zunehmenden Gewicht von psychischen Beeinträchtigungen (98 %), Überschuldung und Suchtproblemen (97 %) sowie mangelnder beruflicher Qualifizierung und Arbeitslosigkeit (96 %). in geringerem Maße wird mit einer Zunahme der Schwierigkeiten bei Suche bzw. Erhalt der Wohnung und bei Straffälligkeit gerechnet.

8 Bei der Fragestellung war allerdings die Kategorie "gleich bleibend" nicht vorgesehen, sodass die Erwartung eines zunehmenden Gewichts wohl eher als "zunehmend oder gleich bleibend" zu interpretieren ist.

Im Rahmen der Expertinnengespräche wurde mehrfach auf die Zunahme der psychischen Erkrankungen bzw. Auffälligkeiten der Klienten hingewiesen, was für die Sozialhilfeträger mit der Schwierigkeit verbunden sei, den Hilfebedarf nach § 39 BSHG bzw. § 72 BSHG zu bestimmen.

Nach den Erfahrungen der meisten befragten Expertinnen gibt es auch einen spürbaren Anstieg des Anteils junger Erwachsener und psychisch kranker junger Erwachsener. Bei den jungen Erwachsenen, die Hilfe nach § 72 BSHG beziehen, lägen oft gewaltgeprägte Lebensumstände vor. Sie hätten nicht selten schon an Maßnahmen aus dem Kinder- und Jugendhilfebereich teilgenommen bzw. in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gelebt, ehe sie Hilfe nach § 72 BSHG beziehen. Bei den jungen Erwachsenen sei es vor allem problematisch, dass die meisten über keinerlei formale Qualifikation verfügten - weder über einen schulischen noch über einen beruflichen Abschluss. Sie würden sich zum Teil "recht wohl fühlen" in den 72-er-Einrichtungen und seien allgemein nur schwer zu motivieren, was aber nachvollziehbar sei, da man den Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen in der Regel keine Ausbildungs- oder Arbeitsstellen anbieten könne, sondern lediglich tagesstrukturierende Maßnahmen.

Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) stellte bei ihrer Fachtagung im Juni 2003 fest, "dass gerade die Gruppe der jüngeren Personen, meist mit Drogenproblemen, drastisch zunimmt. Dies gilt ebenso für Personen, die auf Grund von Persönlichkeitsveränderungen nicht mehr sozial integriert sind."9

9 Abschlussbericht: Fachtagung zu Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 72 BSHG am 04.04.2003 in Kassel, in: Mitgliederinfo Nr. 6/2004 der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, 13.01.2004, S. 4

3.2 Zuständigkeit und Hilfepraxis

Gewährung, Durchführung und Finanzierung der Hilfen nach § 72 BSHG erfolgen in der Regel nicht aus einer Hand, sondern sind auf verschiedene Akteure verteilt. Um hierüber ein klares Bild zu erhalten, wurden einerseits die jeweiligen Ausführungsgesetze der Länder hinsichtlich der Zuständigkeit für die Gewährung der Hilfe und der Kostenträgerschaft beleuchtet und andererseits wurden die Sozialhilfeträger im Rahmen der schriftlichen Erhebungen dazu befragt.

(1) Unterschiedliche Regelungen in den Ausführungsgesetzen der Länder

Die sachliche Zuständigkeit der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger wird in den §§ 99 und 100 BSHG sowie durch Landesrecht geregelt. Generell liegen die Hilfen nach § 72 BSHG in der Zuständigkeit des überörtlichen Trägers, soweit sie in (teil- oder vollstationären) Einrichtungen gewährt werden (§ 100 Abs. 1 Nr. 5 BSHG), ambulante Hilfen liegen normalerweise in der Zuständigkeit des örtlichen Trägers. Die einzelnen Bundesländer haben aber in unterschiedlicher Weise davon abweichende Regelungen getroffen (Tabelle 17).

Tabelle 17: Zuständigkeit der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger

Zuständigkeiten der Sozialhilfeträger
sachlich zuständig für ...ambulante Hilfeteilstationäre und stationäre HilfenAbweichungen
Baden-WürttembergüöTrSHüöTrSHSesshaftmachung
BayernöTrSHüöTrSHSesshaftmachung*
Berlin**öTrSHüöTrSHSesshaftmachung
BrandenburgöTrSHöTrSH
BremenöTrSHuöTrSH
Hamburg**
HessenöTrSHüöTrSHSesshaftmachung
Mecklenburg-VorpommernöTrSHüöTrSH
NiedersachsenöTrSHüöTrSHSesshaftmachung
Nordrhein-WestfalenöTrSHüöTrSHSesshaftmachung
Rheinland-PfalzöTrSHüöTrSHSesshaftmachung
SaarlandöTrSHüöTrSHSesshaftmachung
SachsenöTrSHüöTrSHSesshaftmachung und soziale Eingliederung
Sachsen-AnhaltöTrSHüöTrSH
Schleswig-HolsteinöTrSHüöTrSH
ThüringenöTrSHöTrSH

* Die Sozialhilfe für Nichtsesshafte in Bayern wird über eine Zweckvereinbarung der bayerischen Bezirke (Bayreuther Vereinbarung) geregelt.
** Die Länder Berlin und Hamburg sind gleichzeitig örtlicher und überörtlicher Träger der Sozialhilfe.

Eine landesrechtliche Übertragung der generellen Zuständigkeit ist in den Ausführungsgesetzen weniger Länder zu finden: in Baden-Württemberg sind die überörtlichen Träger der Sozialhilfe abweichend vom BSHG neben den teil- und vollstationären Hilfen auch sachlich zuständig für ambulante Hilfen nach § 72 BSHG. Laut Ausführungsgesetz sind in Bremen den örtlichen Trägern der Sozialhilfe alle Angelegenheiten nach § 100 BSHG übertragen.

Ein besonderer Stellenwert kommt insgesamt den Maßnahmen zur "Sesshaftmachung" von Nichtsesshaften zu, 10 die in acht Bundesländern auch dann in der Zuständigkeit des überörtlichen Trägers liegen, wenn sie in ambulanter Form (z.B. als betreutes Wohnen) durchgeführt werden.

In Sachsen sind die überörtlichen Träger der Sozialhilfe darüber hinaus auch zuständig für ambulante Hilfen, die dazu bestimmt sind, Personen ohne ausreichende Unterkunft sozial einzugliedern.

Im Rahmen einer "Fachtagung zu Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 72 BSHG", die im Juni 2003 in Kassel stattfand, wurde von den teilnehmenden überörtlichen Trägern der Sozialhilfe die aktuelle sachliche Zuständigkeit in verschiedenen Bundesländern thematisiert:

Exkurs: Ergänzende information zur Landeszuständigkeit

Baden-Württemberg:

Sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers für die Hilfen innerhalb und außerhalb einer Anstalt, eines Heimes oder einer gleichartigen Einrichtung oder einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung einschließlich der nach § 100 Abs. 2 Halbsatz 1 BSHG gleichzeitig zu gewährenden Leistungen. Die Durchführung der Hilfen ist nach § 96 Abs. 2 BSHG auf die örtlichen Träger delegiert. Anmerkung: Diese Zuständigkeit wird sich nach den Vorstellungen des Ministerpräsidenten zur Verwaltungsreform mit einiger Sicherheit zum 01.01.2005 ändern.

Bayern:

Die bundesrechtlich sachliche Zuständigkeit für Hilfen nach § 72 BSHG ist in § 100 Abs. 1a Nr. 5 BSHG geregelt. Danach ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe (in Bayern = Bezirke) sachlich für die Hilfe nach § 72 BSHG zuständig, soweit sie vollstationär bzw. teilstationär gewährt wird. Für die ambulante Hilfe nach § 72 BSHG ist nach der bundesrechtlichen Regelung in § 99 BSHG (Grundzuständigkeit des örtlichen Trägers der Sozialhilfe, soweit nicht durch § 100 BSHG oder durch Landesrecht die sachliche Zuständigkeit dem überörtlichen Träger zugewiesen ist) der örtliche Träger der Sozialhilfe sach10 in allen Flächenländern außer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein war der überörtliche Träger zum Zeitpunkt der Befragung im Jahr 2002 für "Sesshaftmachung" zuständig.

11 Die Ausführungen wurden dem Abschlussbericht Fachtagung zu Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 72 BSHG am 04.04.2003 in Kassel, in: Mitgliederinfo Nr. 6/2004 der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, 13.01.2004, S. 2ff entnommen. Sie geben den Austausch der Mitglieder der Arbeitsgruppe über die jeweiligen Landeszuständigkeiten mit Stand Juni 2003 wieder. lich zuständig. Die landesrechtliche Regelung in Bayern (Art. 7 Abs. 1a AGBSHG), welche für alle vollstationären und teilstationären Hilfen die sachliche Zuständigkeit den Bezirken als überörtliche Träger zuweist, wird im Bereich der Hilfe nach § 72 BSHG bereits durch die vorgenannte bundesrechtliche Regelung überlagert (Grundsatz: Bundesrecht bricht Landesrecht, Art. 31 GG). Darüber hinaus sieht das Landesrecht in Bayern in Art. 10 Abs. 2 AGBSHG bei bestimmten Hilfen die Heranziehung der örtlichen Träger durch die überörtlichen Träger beim Vollzug dieser Hilfen vor. U. a. ist dabei die Übertragung des Vollzuges von teilstationärer Hilfe mit Ausnahmen auf die Landkreise und kreisfreien Städte (örtliche Träger) geschehen. Eine Übertragung auf kreisangehörige Kommunen, wie in anderen Bundesländern der Fall, ist in Bayern nicht erfolgt. Die bayerischen Bezirke haben, mit Ausnahme von Oberfranken, Oberpfalz und Unterfranken die teilstationäre Hilfe im Rahmen des § 72 BSHG auf die örtlichen Träger zum Vollzug übertragen. im Übrigen gibt es in Bayern so gut wie keine teilstationären Hilfsangebote im Rahmen des § 72 BSHG.

Berlin:

In Berlin ist - durch den Stadt-Staaten-Status bedingt - nach § 100 BSHG geregelt, dass der Sozialhilfeträger das Land Berlin ist. Dabei werden i.d.R. die Aufgaben des örtlichen Sozialhilfeträgers von den 12 Bezirksämtern von Berlin sowie die Aufgaben des überörtlichen Sozialhilfeträgers von der Senatsverwaltung für den Geschäftsbereich Soziales wahrgenommen.

Hessen:

Der LWV Hessen als überörtlicher Träger der Sozialhilfe ist gemäß § 100 Abs.1 Nr. 5 BSHG sachlich zuständig für teil- und vollstationäre Hilfen nach § 72 BSHG. Gemäß § 3 HAG/BSHG besteht auch die sachliche Zuständigkeit bei Nichtsesshaften für die Hilfe zum Lebensunterhalt oder in besonderen Lebenslagen außerhalb einer Anstalt, eines Heimes oder einer gleichartigen Einrichtung, wenn die Hilfe zur Sesshaftmachung bestimmt ist.

Niedersachsen:

Der überörtliche Träger der Sozialhilfe ist neben den vollstationären und teilstationären Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 72 BSHG zuständig für die Hilfe zum Lebensunterhalt und für die Hilfe in besonderen Lebenslagen außerhalb einer Anstalt, eines Heimes oder einer gleichartigen Einrichtung, wenn die Hilfe dazu bestimmt ist, Nichtsesshaften bei der Überwindung ihrer besonderen sozialen Schwierigkeiten zu helfen (§ 3 Abs. 1 Nds. AG BSHG). im Übrigen sind im ambulanten Bereich die örtlichen Träger der Sozialhilfe zuständig. Die Zuständigkeit der örtlichen Träger der Sozialhilfe ist für sämtliche Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 72 BSHG gegeben, wenn Hilfeempfänger das 60. Lebensjahr vollendet haben, und zwar ab dem darauf folgenden Monat (§ 3 Abs. 2 Nds. AG BSHG).

Nordrhein-Westfalen:

In Nordrhein-Westfalen sind die überörtlichen Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig für:

Für die Auslegung wird an den § 4 der früheren DVO zu § 72 BSHG sowie die Rechtsprechung des OVG Münster angeknüpft.

Sachsen:

Für die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 72 BSHG in teil- und vollstationären Einrichtungen ist der LWV Sachsen sachlich zuständig. Gemäß § 3 Abs. 1 Buchstabe b des Sächsischen Ausführungsgesetzes zum BSHG (SächsAGBSHG) ist der LWV Sachsen als überörtlicher Träger der Sozialhilfe auch sachlich zuständig für alle Hilfen außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen, wenn und solange sie dazu bestimmt sind, Nichtsesshafte sesshaft zu machen oder Personen ohne ausreichende Unterkunft sozial einzugliedern. Für die übrigen Personen im Sinne des § 72 BSHG sind im ambulanten Bereich die örtlichen Träger der Sozialhilfe gemäß § 99 BSHG zuständig.

Sachsen-Anhalt:

In Sachsen-Anhalt sind die örtlichen Träger der Sozialhilfe für die ambulanten Hilfen nach § 72 BSHG, die überörtlichen Träger für teilstationäre und vollstationäre Hilfen nach § 72 BSHG. Gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1b Heranziehungsverordnung LSA wurde der öTrSH zu den Aufgaben des üöTrSH für die Hilfen nach § 72 BSHG im Rahmen der Zuständigkeit nach § 100 Abs. 1 Nr. 5 BSHG herangezogen.

Thüringen:

Abweichend von § 100 Abs. 1 BSHG sind die örtlichen Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig in den Fällen des § 100 Abs. 1 Nr. 1, 2, 5 und 6 BSHG. Die örtlichen Träger der Sozialhilfe haben in den Fällen des § 100 Abs. 1 Nr. 1 und 5 BSHG auch die Hilfen nach § 100 Abs. 2 zu gewähren (§ 3 ThürAGBSHG vom 24.06.2003).

Die Aufteilung der Zuständigkeit und deren (teils intendierte, teils ungewollte) Konsequenzen werden in den Expertinnengesprächen wiederholt thematisiert und spiegeln sich auch in den quantitativen Auswertungsergebnissen wider (Abschnitte 3.3 und 3.4.6).

(2) Hilfegewährung und Kostenträgerschaft

Die Zuständigkeiten für Hilfegewährung und Kostenträgerschaft unterscheiden sich nicht nur zwischen den Hilfearten der ambulanten, teilstationären und vollstationären Hilfe, sondern können auch für unterschiedliche Zielgruppen differieren. Es wurde eine untypische Aufteilung insbesondere im Zusammenhang mit der "Sesshaftmachung" von "Nichtsesshaften" festgestellt, die zwar meist in der Form des ambulant betreuten Wohnens erfolgt, aber in den meisten Ländern von den überörtlichen Sozialhilfeträgern finanziert wird. Dies führt dazu, dass bei der Kostenträgerschaft ambulanter Hilfe keine eindeutige Zuordnung vorgenommen werden konnte. in der Befragung des Jahres 2002 wurden die Fragen nach Hilfegewährung und Kostenträgerschaft nicht nur nach der Art der Hilfe differenziert, sondern auch nach einzelnen Zielgruppen. Es wurden aber zwischen den Zielgruppen keine größeren Unterschiede deutlich, die Zuständigkeiten scheinen weitgehend nach der Hilfeart strukturiert zu sein.

Tabelle 18: Zuständigkeiten Hilfegewährung (2002)

Hilfegewährung
Zuständigkeit unterschiedlicher Träger (in Prozent)
Hilfeart und Zielgruppeörtlicher SH-Trägerüberörtlicher SH-Trägerbeide SH-Träger
(a) ambulante Hilfe92%2%5%
fehlende/ nicht ausreichende Wohnung90%2%7%
ungesicherter wirtschaftliche Lebensgrundlage93%2%5%
gewaltgeprägte Lebensumstände96%1%3%
Entlassung aus geschl. Einrichtung90%3%6%
andere nachteilige Umstände93%1%5%
(b) teilstationäre Hilfe70%27%3%
fehlende/ nicht ausreichende Wohnung71%26%3%
ungesicherter wirtschaftliche Lebensgrundlage72%25%3%
gewaltgeprägte Lebensumstände71%26%2%
Entlassung aus geschl. Einrichtung64%33%3%
andere nachteilige Umstände70%26%4%
(c) vollstationäre Hilfe46%49%5%
fehlende/ nicht ausreichende Wohnung46%49%5%
ungesicherter wirtschaftliche Lebensgrundlage47%49%4%
gewaltgeprägte Lebensumstände46%50%4%
Entlassung aus geschl. Einrichtung44%50%5%
andere nachteilige Umstände49%46%6%

Die Gewährung ambulanter Hilfen erfolgt fast ausschließlich durch die örtlichen Träger allein (bei durchschnittlich 92 % der Befragten). Teilstationäre Hilfen werden im Jahr 2002 bei 70 % der befragten Sozialhilfeträger vom örtlichen Träger gewährt, bei 27 % vom überörtlichen Träger und bei 3 % von beiden Trägern. Bei teilstationären Hilfen für Strafentlassene ist der überörtliche Träger etwas stärker involviert als bei den Hilfen für die übrigen Zielgruppen (Tabelle 18). im vollstationären Bereich verschiebt sich die Relation zwischen den Trägern weiter: Bei der einen Hälfte der Befragten werden diese Hilfen durch den örtlichen, bei der anderen Hälfte durch den überörtlichen Sozialhilfeträger gewährt, auch hier ohne nennenswerte Unterschiede bezüglich der Zielgruppen.

Eine ähnliche Tendenz der Zuständigkeitsverlagerung von ambulanter über teilstationäre zu vollstationärer Hilfe lässt sich auch bei der Frage der Kostenträgerschaft beobachten, allerdings in allen Bereichen mit stärkeren Kostenanteilen des überörtlichen Trägers (Tabelle 19).

Tabelle 19: Zuständigkeiten Kostenträgerschaft (2002)

Kostenträgerschaft
Zuständigkeit unterschiedlicher Träger (in Prozent)
Hilfeart und Zielgruppeortlicher SH-Trägerüberörtlicher SH-Trägerbeide SH-Träger
(a) ambulante Hilfe60%25%15%
fehlende/ nicht ausreichende Wohnung56%25%19%
ungesicherter wirtschaftliche Lebensgrundlage61%25%14%
gewaltgeprägte Lebensumstände64%23%13%
Entlassung aus geschl. Einrichtung57%27%15%
andere nachteilige Umstände62%24%14%
(b) teilstationäre Hilfe13%74%13%
fehlende/ nicht ausreichende Wohnung15%71%13%
ungesicherter wirtschaftliche Lebensgrundlage17%71%12%
gewaltgeprägte Lebensumstände12%75%13%
Entlassung aus geschl. Einrichtung8%79%13%
andere nachteilige Umstände12%73%13%
(c) vollstationäre Hilfe3%91%6%
fehlende/ nicht ausreichende Wohnung4%90%6%
ungesicherter wirtschaftliche Lebensgrundlage3%92%6%
gewaltgeprägte Lebensumstände3%92%5%
Entlassung aus geschl. Einrichtung3%93%4%
andere nachteilige Umstände5%86%8%

Während die ambulanten Hilfen im Jahr 2002 noch von 60 % der örtlichen Träger allein und von weiteren 15 % mitfinanziert werden, geht deren Kostenträgerschaft im teilstationären Bereich auf 13 % (plus 13 % gemeinsame Finanzierung) zurück und verliert im vollstationären Bereich völlig an Bedeutung - dort werden die Hilfen zu 91 % ausschließlich und zu weiteren 6 % anteilig vom überörtlichen Sozialhilfeträger übernommen. Eine gemeinsame Kostenträgerschaft kann etwa so geregelt sein, dass die Hilfeform "betreutes Wohnen" von örtlichem und überörtlichem Träger zu jeweils den Anteilen finanziert wird, zu denen die Angebote auch mit Klienten des einen oder anderen Trägers belegt werden (so eine Regelung im Bereich des Landschaftsverbandes Rheinland).12

12 vgl. Landschaftsverband Rheinland (Hg.): Empfehlungen und Hinweise des Landschaftsverbandes Rheinland für die Gewährung von Hilfe nach § 72 BSHG durch den überörtlichen Träger der Sozialhilfe, Köln 1997, Anlage 1

Exkurs: Ambulant vor Vollstationär

In § 2 Abs. 5 der neuen VO wird die besondere Bedeutung der ambulanten Hilfe im Rahmen des § 72 BSHG betont, wobei die Gewährung vollstationärer Hilfe an bestimmte Bedingungen geknüpft wird. Sie soll befristet gewährt werden und auch nur dann, wenn verfügbare ambulante Angebote nicht geeignet sind.

Ein Drittel der im Rahmen der Expertinnengespräche befragten Sozialhilfeträger gab an, seit Inkrafttreten der neuen VO eine Ausweitung der ambulanten Hilfen beobachtet zu haben, während zwei Drittel dies verneinen. Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass trotz der eindeutigen Priorisierung der ambulanten Hilfe gem. § 3 BSHG "nur" ein Drittel diese Entwicklung beobachtet. Auf den zweiten Blick ergibt sich allerdings ein anderes Bild: von diversen Trägern wurde ausgeführt, dass bereits etliche Jahre vor Inkrafttreten der neuen VO im politischen Raum der Beschluss gefasst wurde, die ambulanten Dienste auszubauen, so dass diese Änderung nicht in Zusammenhang mit der neuen VO stehe.

Allerdings beeinflussen auch hier wiederum Fragen der Finanzierung Ausbau und Ausmaß des ambulanten Angebots. Einige Sozialhilfeträger gaben an, dass es für die Kommunen gegenwärtig nicht realisierbar sei, durch den Ausbau ambulanter Dienste die eigene Kostenbelastung zu erhöhen. Zudem berichteten etliche Träger von Auslastungsproblemen bei vollstationären Einrichtungen. Eine Frage, die in diesem Kontext von verschiedenen Expertinnen angesprochen wurde, war die, ob die ambulante Hilfe tatsächlich immer kostengünstiger sei als die vollstationäre Hilfe. In Fällen längerfristigen Hilfebedarfs sei oftmals die vollstationäre Hilfe die kostengünstigere.

Die innerhalb der Hilfearten vorgenommene Differenzierung nach Zielgruppen weist auch hinsichtlich der Kostenträgerschaft keine größeren Abweichungen vom generellen Trend auf, allenfalls bei Hilfen für Personen in "anderen nachteiligen Lebensumständen" sind die örtlichen Träger auch im vollstationären Bereich etwas stärker gefordert als bei anderen Hilfen, doch diese Abweichung bleibt geringfügig. in der schriftlichen Befragung des Jahres 2003 wurde die Frage nach Hilfegewährung und Kostenträgerschaft nur noch nach der Art der Hilfe differenziert (Tabelle 20), wobei sich - wie in der Befragung des Jahres 2002 - klare Unterschiede zwischen den einzelnen Hilfearten zeigen. Die Gewährung ambulanter Hilfen erfolgt unverändert fast ausschließlich durch die örtlichen Träger allein (bei durchschnittlich 92 % der Befragten), im teilstationären Bereich gewährt mit 54 % gut die Hälfte der örtlichen Träger die Hilfe und im vollstationären Bereich verschiebt sich wiederum die Relation zwischen den Trägern weiter: Bei der einen Hälfte der Befragten werden diese Hilfen durch den örtlichen, bei der anderen Hälfte durch den überörtlichen Sozialhilfeträger gewährt (bzw. durch die Träger, die gleichzeitig örtliche und überörtliche Träger sind).

Tabelle 20: Zuständigkeiten (2003)

Kostenträgerschaft und Hilfegewährung nach Hilfeart (in Prozent)
SH-Träger (N = 101; Mehrfachnennungen)Hilfeart
ambulante Hilfeteilstationäre Hilfevollstationäre Hilfe
örtlicher SH TrägerKostenträgerschaft5721
Hilfegewährung925450
überörtlicher SH-TrägerKostenträgerschaft197477
Hilfegewährung23140
beide SH TrägerKostenträgerschaft242422
Hilfegewährung61510
SH-Träger (N = 25; Mehrfachnennungen)Hilfeart
ambulante Hilfeteilstationäre Hilfevollstationäre Hilfe
örtlicher SH-Träger22010
Hilfe wird nicht angebotenüberörtlicher SH-Träger3
beide SH-Träger1
22410

Im Vergleich mit der Vorjahresbefragung hat sich bezüglich der Zuständigkeit für die ambulante Hilfegewährung keine Veränderung ergeben. Bei der teilstationären Hilfe zeigt sich aktuell seltener eine Zuständigkeit der örtlichen Träger als im Vorjahr (54 % im Vergleich zu 70 %) und bei der vollstationären Hilfe zeigt sich bei den überörtlichen Trägern seltener eine Zuständigkeit für die Hilfegewährung (40 % im Vergleich zu 49 %). Beim Vergleich der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass in einzelnen Bundesländern - wie etwa in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen - eine strukturelle Veränderung der Zuständigkeiten stattgefunden hat und dass teilweise einzelne Angebotssegmente (insbesondere teilstationäre Hilfen) nicht mehr vorgehalten werden. Veränderungen bzw. Verschiebungen, die sich aus der neuen VO zu § 72 BSHG ergeben, sind nicht erkennbar.

Ein ähnliches Bild der Zuständigkeit wie hinsichtlich der Hilfegewährung zeigt sich auch bei der Frage der Kostenträgerschaft. Während die ambulanten Hilfen noch von 57 % der örtlichen Träger allein und von weiteren 24 % mitfinanziert werden, geht deren Kostenträgerschaft im teilstationären Bereich auf 2 % (plus 15 % gemeinsame Finanzierung) zurück und verliert im vollstationären Bereich völlig an

Bedeutung - dort werden die Hilfen zu 77 % ausschließlich und zu weiteren 22 anteilig vom überörtlichen Sozialhilfeträger übernommen. im Vergleich zur Vorjahresbefragung zeigen sich bei der Kostenträgerschaft für die vollstationäre Hilfe Veränderungen: Danach sind 77 % der überörtlichen Träger (zuvor: 91 %) für die Kostenübernahme der vollstationären Hilfe zuständig. Auch hier ist wiederum zu bedenken, dass die Kommunalisierung der Sozialhilfe bzw. der Übergang der Zuständigkeit der überörtlichen Sozialhilfe in die kommunale Zuständigkeit das Ergebnis mit beeinflusst. So wurde beispielsweise die Kommunalisierung der Sozialhilfe zum 01.07.2003 in Thüringen realisiert, die Neuordnung der Landesverwaltung in Sachsen-Anhalt erfolgte zum 01.01.2004 und der Landeswohlfahrtsverband Baden wird zum 01.01.2005 aufgelöst - nicht aber der Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern.

(3) Abgrenzung der Hilfen nach § 72 BSHG zu anderen Hilfen

Neben der Frage der generellen Zuständigkeit für Kostenträgerschaft und Hilfegewährung war weiterhin zu klären, inwieweit die bereits seit längerem zu beobachtenden Abgrenzungsprobleme zwischen unterschiedlichen Zuständigkeiten für einzelne Hilfearten fortbestehen.

Angesichts des breiten Spektrums"der Problemlagen von Klienten nach § 72 BSHG können die hier gewährten Hilfen andere Hilfebereiche des BSHG13 oder auch anderer Sozialgesetze berühren. Möglicherweise hängt es auch mit der geringen Aufmerksamkeit zusammen, die innerhalb der Sozialhilfeverwaltung dem (quantitativ wenig gewichtigen) Bereich dieser Hilfen zukommt, dass organisatorische Strukturen häufig nicht ausdifferenziert und Zuständigkeitsbereiche nicht eindeutig abgegrenzt sind. insbesondere drei Schnittstellen sind (unter Anderem auch durch die Vorstudie) deutlich geworden, an denen über Reibungen im Rahmen der Hilfegewährung berichtet wurde. Dies sind:

13 vgl. Johannes Lippert: Die Hilfe nach § 72 BSHG im Geflecht der Hilfen in besonderen Lebenslagen, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins 4/2002, S. 134 ff zu hohe Anforderungen an Motivation, Mitwirkungsbereitschaft und soziales Integrationsvermögen stellen; es wird auch berichtet, dass manche Sozialhilfeträger nur Leistungen der Eingliederungshilfe anbieten und bei fehlender Mitwirkungsbereitschaft weitere (niedrigschwellige) Hilfen ausschließen;

14 Die Befragten hatten im Jahr 2002 nur die beiden Antwortmöglichkeiten zur Verfügung "es gibt häufig Schwierigkeiten" und "es gibt in der Regel keine Schwierigkeiten." in der Folgebefragung des Jahres 2003 konnten sie auf die Frage, ob es Abgrenzungsschwierigkeiten gibt, mit "ja", "teilweise" und "nein" antworten.
15 Die Eingliederungshilfe leistet vom Grundsatz her dem gleichen Kreis von Hilfesuchenden Hilfe wie § 72 BSHG, allerdings ist sie die weitergehende Hilfe. Während die Hilfe nach § 72 BSHG auf die Förderung der Hilfe zur Selbsthilfe abzielt, d.h. den Hilfesuchenden dazu befähigen will, seine Schwierigkeiten aus eigener Kraft zu überwinden, hat die Eingliederungshilfe die Integration des Hilfesuchenden selbst zum Zie1. Darüber hinaus setzt die Eingliederungshilfe eine Krankheitseinsicht voraus, während im Rahmen der Hilfe nach § 72 BSHG gemeinsam mit dem Hilfesuchenden an der Motivation und Krankeneinsicht gearbeitet werden kann. werden könnte. Es wurde aber auch von Freien Trägern berichtet, die sukzessive ihr Angebot umgestalten und innerhalb einer Einrichtung einen fließenden Übergang zwischen beiden Hilfearten ermöglichten.

Tabelle 21: Abgrenzungsprobleme (2003)

Abgrenzungsprobleme der Hilfe nach § 72 BSHG (in Prozent)
SH-TrägerAbgrenzungsprobleme zu:
§ 39 BSHG§ 41 KJHGsonstiger Hilfe
örtlicher SH-Trägerja19%20%21%
teilweise43%36%---
(N = 83; 80)nein34%30%79%
überörtlicher SH-Trägerja15%62%50%
teilweise69%23%---
(N = 13; 13)nein15%15%50%
beide SH-Trägerja33%100%---
teilweise67%------
(N = 3; 3)nein---------
InsgesamtRest zu 1oo% =
weiß nicht97%88%100%
ja19%28%24%
teilweise48%33%---
nein30%27%76%
N=99N=96N=21

16 vgl. Gemeinsames Rundschreiben der Kommunalen Landesverbände und der Landeswohlfahrtsverbände Baden-Württemberg: Erste Anwendungsempfehlungen zum Kinder- und Jugendhilfegesetz, Stuttgart 1991 sowie das gemeinsame Papier der Kommunalen Spitzenverbände in Nordrhein-Westfalen "Empfehlungen zur Hilfe für junge Volljährige nach § 41 KJHG / § 72 BSHG" (o.J.).

Abgrenzungsprobleme an den Schnittstellen der Hilfe nach § 72 BSHG und der Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII traten mehr oder weniger häufig bei rund zwei Dritteln der befragten Sozialhilfeträger auf, die im Rahmen der Expertinneninterviews befragt wurden. Diejenigen Träger, die angaben, dass an dieser Stelle keine Probleme (mehr) auftreten, praktizierten neue Formen der Zusammenarbeit mit dem Jugendhilfeträger, z.B. in Form von monatlichen Fallbesprechungen oder in Form von schriftlich fixierten Abgrenzungsrichtlinien. Die Träger, bei denen die Finanzierung beider Hilfearten von Seiten desselben Trägers erfolgte bzw. aus derselben Finanzquelle gespeist wurde, verzeichneten ebenfalls keine Schnittstellenprobleme. Ansonsten wurde die unterschiedliche finanzielle Zuständigkeit von den Trägern immer wieder als Konfliktpunkt genannt. Für zusätzliches Konfliktpotenzial sorgte die Frage der Zuständigkeit für junge Erwachsene mit Suchtproblematik.

Die Abgrenzung der Hilfen kann sich im Wesentlichen aus folgenden Gründen schwierig gestalten:

Probleme bei der Abgrenzung der Hilfe nach § 72 BSHG zu anderen Hilfen werden nur von insgesamt 5 Sozialhilfeträgern benannt. Diese Abgrenzungsschwierigkeiten beziehen sich auf § 11 BSHG (Hilfe zum Lebensunterhalt), die Suchtkrankenhilfe, § 68 BSHG (Hilfe zur Pflege) und § 107 BSHG (Kostenerstattung bei Umzug).

Die Sozialhilfeträger wurden nicht nur nach Abgrenzungsproblemen bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und der Hilfe in besonderen sozialen Schwierigkeiten gefragt, sondern sie wurden darüber hinaus gebeten, vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen Statements zu bewerten, die sich alle mit der Hilfe nach § 39 bzw. § 72 BSHG befassen (Tabelle 22). Diese Statements wurden auf der

Grundlage von Aussagen der Expertinnengespräche formuliert, die im Sommer 2003 durchgeführt wurden.

Ein bemerkenswertes Ergebnis zeigt das Ausmaß der Zustimmung zum Statement "Die Hilfen nach § 39 und § 72 BSHG sollten miteinander verzahnt werden." Dieser Aussage stimmen 73 % der Sozialhilfeträger zu. Dies bestätigt die Erfahrungen der Gesprächspartnerinnen, die bei den Interviews angaben, immer wieder Schwierigkeiten zu haben, nicht nur die beiden Hilfearten gegeneinander abzugrenzen, sondern auch zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt die eine oder andere Hilfeart die geeignete ist. Auch die Erfahrung, dass die Träger der Freien Wohlfahrtspflege sukzessive dazu übergehen, sowohl Angebote nach § 72 BSHG als auch nach § 39 BSHG vorzuhalten, scheint verbreitet zu sein: Nur ein Viertel der Sozialhilfeträger (26 %) hat diese Erfahrung nicht gemacht. Zwei Fünftel der Befragten (40 %) haben - zumindest teilweise - die Tendenz beobachtet, dass immer häufiger eine Hilfe nach § 39 BSHG bewilligt wird und nicht nach § 72 BSHG. Nahezu 80 % stimmen der Aussage zu, dass für eine Hilfe nach § 39 BSHG häufig die Krankheitseinsicht fehlt und ebenfalls fast 80 % bestätigen, dass der Einstieg in die Hilfe meist über § 72 BSHG erfolgt und dann zur Hilfe nach § 39 BSHG wechselt (Tabelle 22).

Tabelle 22: Hilfen nach § 39 und § 72 BSHG (2003)

Aussagen hinsichtlich der Hilfegewährung nach § 72 und § 39 BSHG (in Prozent)
stimme der Aussage zu ...
Aussagenvollkommenüberwiegendteilweisegar nichtAntell Nennungen
Der Einstieg in die Hilfe erfolgt meist über § 72 BSHG und wechselt dann zu § 39 BSHG---20%58%23%97%
Für eine Hilfe nach § 39 BSHG fehlt meist die Krankheitseinsicht3%22%53%21%90%
Es besteht die Tendenz, immer häufiger eine Hilfe nach § 39 BSHG zu bewilligen und nicht nach § 72 BSHG5%3%32%60%92%
Die Hilfen nach § 39 und § 72 BSHG sollten miteinander verzahnt werden22%19%32%27%94%
Die Träger von Hilfeangeboten gehen immer mehr dazu über, sowohl Hilfen nach § 72 als auch nach § 39 BSHG anzubieten2%17%45%26%89%

(4) Durchführung der Hilfe durch Sozialhilfeträger und Freie Träger

Verlagert man nun die Blickrichtung von Fragen der Zuständigkeit auf Fragen der Durchführung, so gilt es insbesondere, die unterschiedlichen Kooperationsformen von Sozialhilfeträgern und Freien Trägern zu beschreiben. "Sonstige Akteure" spielen in der Praxis der Hilfegewährung - wie auch schon in der Vorstudie deutlich wurde - keine wesentliche Rolle. Die Frage der Arbeitsteilung zwischen Sozialhilfeträgern und Freien Trägern wurde im Hinblick auf die Hilfeart (ambulant - teilstationär - vollstationär), auf die Form der Hilfe (Geld- oder Sachleistung, persönliche oder organisatorische Hilfen) sowie auf einzelne Angebots-/ Maßnahmetypen untersucht.

Tabelle 23: Durchführung der Hilfe nach Hilfeart (2002)

Durchführung der Hilfe nach Hilfeart
Anteile der befragten Sozialhilfeträger (in Prozent)
Hilfeart undDurchführung der Hilfe durch:
Intensität der DurchführungSozialhilfeträger selbstFreie Trägersonstige Akteure*
Anzahl der Nennungen10010249
ambulante Hilfe
vollständig25%37%6%
überwiegend16%29%4%
teilweise33%31%31%
gar nicht26%2%59%
teilstationäre Hilfe
vollständig6%47%3%
überwiegend7%20%14%
teilweise18%19%32%
gar nicht69%14%50%
vollstationäre Hilfe
vollständig17%68%9%
überwiegend4%11%10%
teilweise13%10%32%
gar nicht67%11%50%

* sonstige Akteure: z.B. Wohnungsanbieter, Bewährungshilfe, Selbsthilfegruppen

41 % der befragten Sozialhilfeträger gaben bei der Befragung des Jahres 2002 an, dass sie die ambulanten Hilfen (vollständig oder überwiegend) selbst durchführen, während 59 % nur teilweise oder gar nicht in die Durchführung dieser Hilfen involviert waren (Tabelle 23). Die Freien Träger führen diese Hilfeart nach Auskunft von 67 % der Sozialhilfeträger vollständig oder überwiegend durch, nur bei 2 % der Sozialhilfeträger sind sie gar nicht einbezogen. Sonstige Akteure werden nur von der Hälfte der Sozialhilfeträger überhaupt bei der Beantwortung berücksichtigt und von diesen auch kaum (zu 10 %) in die Durchführung ambulanter Hilfen einbezogen.

Tabelle 24: Durchführung nach Form der Hilfe (2002)

Durchführung der Hilfe nach Form der Hilfe
Anteile der befragten Sozialhilfeträger (in Prozent)
Form der HilfeDurchführung der Hilfe durch:
und Intensität der DurchführungSozialhilfeträger selbstFreie Trägersonstige Akteure*
Anzahl der Nennungen1318946
Geldauszahlung
vollständig53%19%2%
überwiegend18%17%2%
teilweise18%39%13%
gar nicht10%25%83%
Sachleistung allgemein
vollständig32%23%6%
überwiegend22%18%2%
teilweise23%47%35%
gar nicht23%12%56%
persönliche Hilfen
vollständig8%30%9%
überwiegend14%40%---
teilweise61%30%43%
gar nicht18%---47%
organisatorische Hilfen
vollständig8%26%6%
überwiegend14%40%4%
teilweise59%33%38%
gar nicht19%1%51%

* sonstige Akteure: z.B. Wohnungsanbieter, Bewährungshilfe, Selbsthilfegruppen in den Bereichen der teilstationären und vollstationären Hilfen verlagert sich die Durchführung stärker auf die Freien Träger als im ambulanten Bereich. Teilstationäre Hilfen werden nach Angabe von 68 % der Sozialhilfeträger vollständig oder überwiegend von Freien Trägern durchgeführt, bei vollstationären Hilfen steigt dieser Anteil auf fast 80 %. Nur rd. 13 % der Sozialhilfeträger sehen sich selbst als Hauptakteure der teilstationären und rd. 20 % als Hauptakteure der vollstationären Hilfen.

Eine Auswertung nach der Hilfeform zeigt ebenfalls deutliche Unterschiede in der Arbeitsteilung (Tabelle 24). Die Auszahlung von Geldleistungen wird von 72 % der Sozialhilfeträger (vollständig oder überwiegend) selbst vorgenommen, Freie Träger werden hier zu 36 % genannt.

Bei den Sachleistungen geht der Anteil der durch die Sozialhilfeträger selbst erbrachten Leistungen auf 54 % zurück, die Freien Träger sind hier etwas stärker involviert als bei den Geldzahlungen. Eine ähnliche Verlagerung findet sich aber vor allem bei persönlichen und organisatorischen Hilfen: Diese werden jeweils nach Einschätzung von zwei Dritteln der Befragten vollständig oder überwiegend durch Freie Träger durchgeführt, nur 22 % der Sozialhilfeträger sehen sich selbst hier als Hauptakteure.

Schließlich war noch zu analysieren, wie die Durchführung im Hinblick auf einzelne Angebote organisiert ist. Auch hier werden die Freien Träger überwiegend als die Hauptakteure genannt, die die Hilfen vollständig oder überwiegend durchführen (Tabelle 25). im Falle von Wohnangeboten gaben 48 % der befragten Sozialhilfeträger diese Einschätzung, hier werden zu 24 % "sonstige Akteure" wie z.B. private Wohnanbieter genannt; nur 20 % der Sozialhilfeträger sehen sich selbst als Hauptakteur. Bei den Angeboten zur sozialen Integration werden von 68 % und bei speziellen Maßnahmen von 54 % der Sozialhilfeträger die Freien Träger als Hauptakteure gesehen.

Geringer fällt die Einschätzung nur hinsichtlich der Arbeitsangebote aus (32% durch Freie Träger), die offensichtlich insgesamt nur in vergleichsweise geringem Maße durchgeführt werden, denn auch die Sozialhilfeträger selbst sehen sich nur zu 30 % als Akteure auf diesem Gebiet. in den anderen Angebotsformen werden diese mit Anteilen zwischen 9 % (sonstige Angebote) und 15 % (spezielle Maßnahmen) als die durchführenden Akteure bezeichnet.

Tabelle 25: Durchführung nach einzelnen Angeboten (2002)

Durchführung der Hilfe nach einzelnen Angeboten
Anteile der befragten Sozialhilfeträger (in Prozent)
AngebotsformenDurchführung der Hilfe durch:
und Intensität der DurchführungSozialhilfeträger selbstFreie Trägersonstige Akteure
Anzahl der Nennungen11311466
Wohnangebote
vollständig8%23%12%
überwiegend12%25%12%
teilweise43%49%45%
gar nicht36%3%30%
Angebot zur sozialen Integration
vollständig4%29%6%
überwiegend10%39%2%
teilweise54%31%48%
gar nicht32%1%44%
Arbeitsangebote
vollständig11%19%3%
überwiegend19%13%12%
teilweise49%60%58%
gar nicht21%8%26%
spezielle Maßnahmen
vollständig7%25%2%
überwiegend8%29%6%
teilweise40%40%47%
gar nicht45%6%45%
sonstige Angebote
vollständig9%40%10%
überwiegend--------
teilweise4%13%20%
gar nicht87%47%70%

(5) Leistungen für einzelne Zielgruppen

Um weitere Transparenz der Hilfepraxis nach § 72 BSHG zu erhalten, wurden die Leistungen für die einzelnen Zielgruppen erhoben. Dabei wurden einerseits die Leistungsinhalte nach unterschiedlichen Lebensbereichen gegliedert, und zwar in:

Andererseits wurden die Leistungsformen in gradueller Abstufung gegliedert, und zwar nach zunehmender Intensität des Hilfebedarfs:

Die befragten Sozialhilfeträger wurden gebeten, sowohl die Leistungsinhalte als auch die Leistungsformen einzelnen Zielgruppen in der Weise zuzuordnen, wie die Hilfen schwerpunktmäßig gewährt werden.

Die aus diesem Leistungskatalog am häufigsten angekreuzte Leistung ist die "Basisversorgung", die - nach Einschätzung der Sozialhilfeträger - für alle Zielgruppen an erster Stelle steht (vgl. fett markierte Prozentwerte in Tabelle 26). Damit wird deutlich: Während für "anspruchsvollere" Hilfen wie etwa nach § 39 ff BSHG die Basisversorgung lediglich ein erster Schritt der Hilfeleistung ist, bleibt hier die Hilfegewährung häufig auf diesem Basisniveau. Mit zweiter Priorität folgt für fast alle Zielgruppen die "Hilfe zur selbstständigen Lebensführung", lediglich für Migranten wird die Hilfe zur Schule/ Ausbildung/ Arbeit" etwas stärker gewichtet, die ansonsten auch für Personen in ungesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen und für Haftentlassene als sehr wichtig eingeschätzt wird. Weiterhin haben für die beiden letztgenannten Zielgruppen sowie für Wohnungslose auch "Hilfen zur Tagesstrukturierung" einen relativ hohen Stellenwert.

Was die Leistungsformen betrifft, so besteht durchweg ein hoher Bedarf an "information und Beratung". Die weiteren Leistungsformen differenzieren sich deutlich nach den unterschiedlichen Zielgruppen: "Erschließung von Hilfen im Umfeld" sind wichtig insbesondere für Klientinnen und Klienten, die von Wohnungslosigkeit, von gewaltgeprägten Lebensverhältnissen oder von Trennung/ Scheidung betroffen sind. "Planung/ Beobachtung/ Rückmeldung" werden für die Gruppen der in ungesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen Lebenden sowie der Wohnungslosen, der unter gewaltgeprägten Verhältnissen Leidenden und der aus einer geschlossenen Einrichtung Entlassenen für besonders wichtig erachtet. "Begleitende und übende Unterstützung" benötigen schwerpunktmäßig Personen in ungesicherten Wohnsituationen und in ungesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen.

Tabelle 26: Leistungsschwerpunkte für einzelne Zielgruppen (2002)

Leistungsschwerpunkte für einzelne Zielgruppen
(Gewichtung durch die Sozialhilfeträger; Mehrfachnennung, in Prozent)
LeistungenZielgruppe
fehlende Wohnungungesicherte wirtschaftliche Verhältnissegewaltgeprägte Verhältnisse.Entlassung aus Einr.MigrationTrennung/ ScheidungSonstige
Anzahl der Antworten1191157692467066
Leistungsinhalte
Basisversorgung92%88%76%82%76%73%71%
Hilfe zur selbständigen Lebensführung77%79%70%73%39%73%55%
Hilfe zur Schule/ Ausbildung/ Arbeit42%65%34%54%48%46%48%
Hilfe zur Tagesstrukturierung56%54%46%55%30%39%41%
begl. Hilfe bei therapeutischen Maßnahmen29%30%51%43%22%41%33%
sonstige Hilfen26%25%28%22%22%24%32%
Leistungformen
Information und Beratung92%90%86%86%80%90%83%
Erschließung von Hilfen im Umfeld70%67%70%67%52%70%59%
Planung/ Beobachtung/ Rückmeldung66%69%64%63%48%59%50%
begleitende/ übende Unterstützung71%69%62%59%54%56%55%

(6) Hilfeplanung und Gesamtplanung

Der Gesamtplan, der im Sozialhilferecht bislang vorrangig im Kontext der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und ggf. noch im Kontext der Hilfe zur Arbeit Beachtung fand, wurde bereits mit der Novelle von 1996 auch in der individuellen Hilfe des § 72 BSHG verankert. Er ist ein Instrument des Sozialhilfeträgers zur Steuerung von Leistungen und Kosten, das sowohl eine größere Kostentransparenz als auch eine bessere Wirkungskontrolle ermöglicht. Ziel und Planung der Hilfe, Art und Koordinierung der Hilfeerbringung, Wirkungskontrolle der Hilfe sind einige der Aspekte, die zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. in der neuen VO zu § 72 BSHG ist dieser Entwicklung Rechnung getragen worden: die Zielsetzung der Hilfe wird in § 2 Abs. 1 Satz 1 genannt, die Planung der Hilfe ist zu einem den Hilfeplan und die Koordinierung der einzelnen Hilfen umfassenden Gesamtplan weiter ausgebaut worden und die Sozialhilfeträger sind dazu angehalten, eine aktive und steuernde Rolle im Hilfeprozess wahrzunehmen. Nach Möglichkeit ist vor Beginn der vollstationären Hilfe ein Gesamtplan zu erstellen und für den Fall, dass dies nicht möglich sein sollte, ist dieser unverzüglich nach Beginn der Hilfegewährung zu erstellen. Die Hilfe ist nach spätestens sechs Monaten zu überprüfen.

Dass der Gesamtplan durch die neue VO ein stärkeres Gewicht erhalten hat, wird auch von (einigen) Sozialhilfeträgern so wahrgenommen. Die aktiv steuernde Rolle, die dem Sozialhilfeträger bei der Gesamtplanung zukommt eröffnet ihm die Möglichkeit, die Hilfe zielgerichtet, effektiv und effizient einzusetzen. Die Verantwortung für den Gesamtplan liegt beim Sozialhilfeträger; die Freien Träger bzw. die Leistungserbringer stellen zusätzlich einen Hilfeplan auf, der die Art und Weise der Umsetzung der im Gesamtplan beschriebenen Maßnahmen und Hilfen festhält. Somit wird eine umfassende fallbezogene Steuerung ermöglicht. Dem strukturierten Gesamtplan, der in regelmäßigen zeitlichen Abständen anzupassen ist, sind deshalb im Idealfall Daten zu den Fragen zu entnehmen: "Wo und wobei ist im sozialhilferechtlichen Sinne für den betreffenden Menschen welche Hilfe erforderlich und erwünscht, wer soll diese in welcher Form erbringen und was soll damit innerhalb welchen Zeitraums bewirkt werden und wer hat welche Verantwortung?"17

Allerdings scheinen die theoretischen Steuerungsmöglichkeiten mittels des Gesamtplans und die praktische Anwendung noch weit auseinander zu liegen. Nach den Ergebnissen der Expertinnengespräche kann die von BRÜHL beschriebene Praxis bestätigt werden: "...(der) Gesamtplan im Sozialhilferecht (führt) ein Kümmerdasein, so dass bislang kaum ein Sozialhilfeträger Gesamtpläne macht, allemal nicht bei der Hilfe gemäß § 72 BSHG."18

Die Anforderungen, die an die Gewährung vollstationärer Hilfen im Rahmen des § 72 BSHG gestellt werden - insbesondere hinsichtlich der Erstellung eines Gesamtplanes - werden noch nicht in vollem Umfang erfüllt. Nach den Ergebnissen der durchgeführten Gespräche wird nur selten ein Gesamtplan aufgestellt (im Ausnahmefall vor Beginn der vollstationären Hilfe), allerdings wird die Hilfe nach sechs Monaten überprüft - zumeist anhand des individuellen Hilfeplans. Oftmals wird keine Unterscheidung zwischen Hilfeplanung und Gesamtplanung vorgenommen.19

17 Gerd Kronenberger 2001: Fallmanagement in der Behindertenhilfe - Was soll das bringen? Kritische Fragen und beherzte Antworten zur Anwendung des Gesamtplans nach § 46 BSHG, in: NDV Heft 8/2001, S. 266
18 Albrecht Brühl 2003: Gesamtplanung bei der Hilfe nach § 72 BSHG gemäß der Verordnung 2001, in: NDV, Februar 2003, S. 60
19 Die BAG Wohnungslosenhilfe verwendet die Begriffe Hilfeplan und Gesamtplan offensiv in synonymer Weise: "Der Terminus Gesamtplan wird hier synonym mit dem Begriff Hilfeplan verwendet. Zwar wird in der Praxis bisweilen Gut der Hälfte der befragten Sozialhilfeträger (und auch der Freien Träger) war ein Unterschied von Hilfeplan und Gesamtplan scheinbar nicht bewusst, so dass sie zum Teil auf die Frage, ob sie bei § 72 BSHG mit dem Instrument des Gesamtplans arbeiten, irritiert reagierten oder zur Antwort gaben: "Das machen wir doch schon immer." Bei näherer Erörterung wurde teilweise ein grundlegendes Unbehagen hinsichtlich einer schriftlich fixierten Planung artikuliert, das gerne mit dem dafür erforderlich hohen Zeitaufwand begründet wurde. Den Trägern war bewusst, dass es in ihrem Zuständigkeitsbereich geeignete Fälle für die Gesamtplanung gibt, der vermeintlich hohe Aufwand, der im Zusammenhang mit der Gesamtplanung vermutet wird, lässt sie aber davon Abstand nehmen.20

Tabelle 27: Hilfeplanung und Gesamtplanung (2002)

Durchführung von Hilfeplanung und Gesamtplanung
Nennungen nach Trägern (in Prozent)
Umfang der Planungörtlicher SH-Trägerüberörtlicher SH-Trägerbeide SH-Träger
Hilfeplanung wird durchgeführt in Form von ...
individueller Hilfeplanung57%79%67%
Gesamtplanung zur Leistungskoordination4%---17%
individueller Hilfeplanung und Gesamtplanung6%---17%
Hilfeplanung wird nicht durchgeführt33%21%---

Schon bei der Befragung im Jahr 2002 wurde ermittelt, in welchem Maße beide Formen der Hilfeplanung in der Praxis umgesetzt werden. Das Ergebnis war ernüchternd: Ein Drittel der örtlichen und ein Fünftel der überörtlichen Sozialhilfeträger führten keine Hilfeplanung durch (Tabelle 27). Die übrigen nannten überwiegend die individuelle Hilfeplanung, während der vorgesehene Gesamtplan erst in gering unter dem Terminus Gesamtplan die Koordination verschiedener Hilfearten verstanden und unter Hilfeplan die Koordination des Hilfeprozesses innerhalb einer Hilfeart. in der Praxis der Sozialarbeit fallen diese Planungsprozesse faktisch zusammen, so dass es sinnvoll ist, Gesamtplan und Hilfeplan synonym zu verwenden.", siehe dazu: wohnungslos 001/03 (PDF) , Clearing - Voraussetzung für die Erstellung eines Gesamtplanes (Hilfeplanes) in der Hilfe nach § 72 BSHG, Empfehlung der BAG Wohnungslosenhilfe zur Ausgestaltung des Clearingverfahrens, S. 32

Unterscheidet man weiter nach einzelnen Personengruppen, für die eine Planung durchgeführt wird, so gaben immerhin drei Viertel der örtlichen und fast alle überörtlichen Sozialhilfeträger an, zumindest in Einzelfällen eine Planung durchzuführen. Die differenziertere Fragestellung ergab:

20 "Ebenso wie im Jugendhilferecht wird auch im Sozialhilferecht die Verbreitung von Gesamtplänen (...) ganz maßgeblich davon abhängen, dass die Fachkräfte von ihrer Sinnhaftigkeit überzeugt sind." Albrecht Brühi 2003: Gesamtplanung bei der Hilfe nach § 72 BSHG gemäß der Verordnung 2001, in: NDV, Februar 2003, S. 62 gem Umfang umgesetzt wurde. in einem Bundesland wird das Fehlen von Durchführungsvorschriften als Begründung dafür angeführt, dass noch nicht mit dem Gesamtplan gearbeitet werde.21 Nur wenige Sozialhilfeträger setzten beide Planungsformen um.

Einige nannten darüber hinaus andere Fälle, in denen eine Hilfeplanung durchgeführt wird, so z.B. bei bestimmten Hilfeformen oder bei Langzeitklienten.

Bei der schriftlichen Abschlussbefragung 2003 ergab sich ein weiter entwickeltes differenzierteres Bild hinsichtlich der gesamten Planungssituation. Die Befragungsergebnisse bestätigten in der Tendenz die Ergebnisse der Expertinnenbefragung, bei der der Eindruck entstanden war, dass einerseits Hilfepläne zum Standard der

21 Formale Voraussetzung für die Anwendung der VO ist der Erlass der entsprechenden Richtlinie bzw. die Änderung des Ausführungsgesetzes durch das jeweilige Bundesland. Diese Voraussetzung ist in den meisten Bundesländern nicht gegeben. Dennoch findet die neue VO zu § 72 BSHG in allen Bundesländern Anwendung. Das Bundesland, das sich auf Grund der fehlenden formalen Voraussetzung nicht zur Anwendung des Gesamtplanes in der Lage sieht begründet diese Haltung damit, dass zum Gesamtplan nicht nur gehöre, dass man sich mit allen Beteiligten an einen Tisch setze und überlege was zu tun sei, sondern dass dazu auch die genaue Kenntnis der vorherigen Situation gehöre. in der Regel handele es sich im Bereich des § 72 BSHG nicht um eine nennenswerte Anzahl von Neufällen pro Jahr, sondern eher um diejenigen, die schon vorher im Rahmen des § 72 in Erscheinung getreten seien. Hier brauche man informationen darüber, wann derjenige schon einmal im Zuständigkeitsbereich des überörtlichen Trägers Sozialhilfe bezogen habe und in welcher Form. Für einen Informationsaustausch und einen derart weitreichenden Gesamtplan seien Durchführungsvorschriften unerlässliche Voraussetzung.

Hilfegewährung zählen und als Grundlage für die Kostenanerkenntnis durch den Sozialhilfeträger unerlässlich sind, und dass andererseits Gesamtpläne eher zu den Ausnahmeerscheinungen in der Hilfegewährung zählen. (Tabellen 28 und 29).

Tabelle 28: Hilfeplanung (2003)

Aussagen zum Thema Hilfeplanung (in Prozent)
stimme der Aussage zu ...
Aussagenvollkommenüberwiegendteilweisegar nichtAnzahl Nennungen
Hilfepläne sind die Grundlage für die Kostenanerkennung durch den Sozialhilfeträger43%19%20%18%89%
Hilfepläne werden grundsätzlich in allen Fällen erstellt43%23%13%21%70%
Hilfepläne werden im ambulanten Bereich erstellt35%18%25%22%72%
Hilfepläne werden im stationären Bereich erstellt55%22%12%11%73%
Hilfepläne werden nur in geeigneten Fällen erstellt4%19%16%61%57%
... in geeigneten Fällen im ambulanten Bereich8%16%30%46%50%
... in geeigneten Fällen im stationären Bereich7%16%20%57%44%
Hilfepläne gehören zum Standard bei der Hilfe nach § 7249%25%15%11%88%

Während gut die Hälfte der überörtlichen Träger (54,5 %) angab, dass Hilfepläne grundsätzlich in allen Fällen erstellt würden, wurde diese Aussage nur von gut einem Drittel (37,5 %) der örtlichen Sozialhilfeträger unterstützt. Dass Hilfepläne nur in geeigneten Fällen erstellt würden, hielten 70 % der überörtlichen Träger für überhaupt nicht zutreffend, aber "nur" 58 % der örtlichen Träger. Als Begründung hierfür sind vor allem die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Zielgruppen, mit denen die Träger befasst sind, zu nennen. Während die überörtlichen Sozialhilfeträger fast ausschließlich die vollstationäre Hilfegewährung im Blick haben, sind die örtlichen Träger sowohl mit ambulanter als auch mit vollstationärer Hilfe befasst. Nach den Aussagen der örtlichen Sozialhilfeträger werden Hilfepläne (und Gesamtpläne) häufiger im Rahmen der vollstationären als der ambulanten Hilfe erstellt und hier wiederum oftmals aus dem formalen Grund der Kostenanerkenntnis.

Auf den ersten Blick mag verwundern, dass immerhin 18 % der Sozialhilfeträger angaben, ein Hilfeplan sei nicht Grundlage für die Kostenanerkenntnis durch den Sozialhilfeträger - hier bringt eine Differenzierung nach Art des Sozialhilfeträgers rasche Aufklärung: 20,5 % der örtlichen Sozialhilfeträger gaben an, dass ein Hilfeplan nicht als Grundlage für die Kostenanerkenntnis erforderlich sei, aber kein einziger überörtlicher Sozialhilfeträger stimmte dieser Aussage zu. Hier bestätigten 69 % der überörtlichen Träger, dass ein Hilfeplan die Grundlage für die Kostenanerkenntnis durch den Sozialhilfeträger darstelle (örtliche Träger: 37 %).

Sowohl örtlichen als auch überörtlichen Trägern wird zunehmend bewusst, welche Steuerungsmöglichkeiten ihnen durch die Planungsinstrumente Hilfeplan und Gesamtplan an die Hand gegeben werden und dass sich bei konsequenter Anwendung der Planungsinstrumente Änderungen im Hilfeablauf ergeben und in der Zusammenarbeit von Freien Trägern und Sozialhilfeträgern.

Tabelle 29: Gesamtplanung (2003)

Aussagen zum Thema Gesamtplanung (in Prozent)
stimme der Aussage zu ...Anzahl
Aussagenvollkommenüberwiegendteilweisegar nichtNennungen
Gesamtpläne werden nicht erstellt35%11%20%35%75%
Gesamtpläne werden nur in geeigneten Fällen erstellt14%12%35%39%51%
in geeigneten Fällen im ambulanten Bereich16%13%33%38%45%
in geeigneten Fällen im stationären Bereich14%17%31%38%42%
Am Gesamtplan wird neben dem Sozialhilfeträger noch beteiligt:
der Freie Träger37%29%17%17%48%
der Hilfeempfänger49%25%13%13%47%
die Arbeitsverwaltung3%13%30%53%30%
das Gesundheitsamt8%14%43%35%37%
das Jugendamt3%3%55%39%33%
Sonstige*27%---18%55%11%
Der Gesamtplan ist mit einem immensen Arbeitsaufwand verbunden42%26%26%5%57%
* Sonstige:
Betreuer4 Nennungen
Schuldnerberatung1 Nennung
Einrichtung und Kostenträger1 Nennung

Die Gesamtplanung stellt ein hohes Maß an Transparenz in der Hilfegewährung her, was nicht von allen Beteiligten ohne Skepsis aufgenommen wurde. Vor allem Freie Träger äußerten die Befürchtung, dass eine intensivere Planung und Steuerung durch die Sozialhilfeträger eine veränderte Form der Hilfegewährung zur Folge haben werde. Wenn die Sozialhilfeträger verstärkt Steuerungsaufgaben übernähmen, sei zu befürchten, dass die Freien Träger in ihrem Vorgehen weniger frei seien als bisher und eine Veränderung in der Zusammenarbeit zwischen Sozialhilfeträger und Freien Trägern auf Grund der Anwendung des Gesamtplans sehr wahrscheinlich sei. Von den Freien Trägern wird im Kontext der stärkeren Steuerung durch die Sozialhilfeträger insbesondere eine Reduzierung der Leistungen und eine stärkere Kontrolle der Art und Weise der Leistungserbringung erwartet.

"Die Steuerung war in der Vergangenheit immer in der Verantwortung der Freien Träger; in Zukunft wird der Sozialhilfeträger mehr Steuerungsaufgaben übernehmen, wie die Steuerung durch den Gesamtplan. Bei den Freien Trägern bleibt dann die Umsetzung der Hilfeplanschritte" - so die Aussage eines Sozialhilfeträgers.

Mehrere Sozialhilfeträger hielten die Anwendung der Gesamtplanung für eine gravierende Änderung, die mit der neuen VO verbunden sei. Durch die Gesamtplanung werde das ganze Hilfeverfahren strukturiert, die Hilfeerbringung werde besser steuerbar und effizienter. Bislang lägen Berichte oder Hilfepläne eher in Form "unstrukturierter Prosa" vor.

Seitens der Freien Träger wurde (nicht nur positiv) angemerkt, dass durch die Hilfeplanung / Gesamtplanung einige Sozialhilfeträger bereits dazu übergegangen seien, detailliertere Vorgaben zu machen mit dem Ziel, die Hilfe effektiver zu gestalten und die Hilfedauer zu verkürzen.

Die Frage, was ein für die Gesamtplanung "geeigneter Fall" ist, wurde sehr unterschiedlich beantwortet - nachfolgend einige Auszüge aus den geführten Gesprächen. Geeignete Fälle sind:

"Ein geeigneter Fall ist vor allem indiziert bei mehreren Maßnahmen und / oder mehreren Trägern ("Gesamtplanung"), längerer Dauer, Sesshaftmachung sowie stationärer Hilfe"22 - so die Auffassung von BRÜHL.

22 Albrecht Brühl 2003: Gesamtplanung bei der Hilfe nach § 72 BSHG gemäß der Verordnung 2001, in: NDV, Februar 2003, S. 63

3.3 Verwaltung und Kosten

Angaben zur Zahi der Bearbeiterinnen der Hilfe nach § 72 BSHG sowie zu den in diesem Bereich anfallenden Leistungsausgaben und Verwaltungskosten waren bereits im Rahmen der Vorstudie erhoben worden. Aus der seinerzeitigen Beantwortung dieser Fragen konnten bei der aktuellen Erhebung Schlussfolgerungen für Frageformulierungen gezogen werden, die einerseits möglichst präzise und hinreichend differenziert, andererseits aber auch nicht überdifferenziert waren.

(1) Zahl der Mitarbeiterinnen in vielen Gesprächen mit Mitarbeiterinnen der Sozialhilfeträger wiesen diese immer wieder darauf hin, dass ihr Arbeitsbereich personell unterbesetzt sei, worunter die Sachbearbeitung, aber auch weiter gehende Aufgaben wie Hilfeplanung, Dokumentation und auch die Beteiligung an empirischen Erhebungen leiden. im Rahmen der schriftlichen Erhebungen wurde darum gebeten, die zur Bearbeitung der Hilfen nach § 72 BSHG zur Verfügung stehenden Personalkapazitäten möglichst genau anzugeben, wobei anteilige Stellen auch als Anteile mit Bezug auf eine Vollzeitstelle ausgewiesen werden sollten ("Umrechnung auf Vollzeitstellen"). Antworten von Trägern, die auch bei telefonischen Nachfragen ihre vagen Angaben nicht präzisieren konnten ("insgesamt 15 Mitarbeiter mit einem Arbeitsumfang für § 72 BSHG von 5 % - 85 %") blieben bei der Auswertung unberücksichtigt.

Tabelle 30: Zahl der Mitarbeiterinnen (2003)

Zahl der Mitarbeiterinnen
Durchschnittswerte nach Trägern (umgerechnet auf Vollzeitäquivalente)
Mitarbeiterinnenörtlicher SH-Trägerüberörtlicher SH-Trägerört1./überört1. SH-Träger
durchschnittliche Zahl der Mitarbelterinnen2,63,12,8
Städte4,96
Landkreise0,76
unter 1 Mitarbeiterin49%46%
1 Mitarbeiterin20%
üb. 1 bis 2 Mitarbeiterinnen6%18%
üb. 2 bis 5 Mitarbeiterinnen17%9%100%
üb. 5 bis 10 Mitarbeiterinnen4%18%
üb. 10 bis 20 Mitarbeiterinnen1%9%
üb. 20 Mitarbeiterinnen3%
Fälle pro Mitarbeiterin15133421

Im Durchschnitt sind im Jahr 2003 bei den örtlichen Sozialhilfeträgern 2,6 Mitarbeiterinnen mit diesem Sachgebiet befasst, bei den überörtlichen Sozialhilfeträgern durchschnittlich 3,1. im Vergleich zur Vorjahresbefragung ergeben sich hier keine nennenswerten Unterschiede: Bei den. örtlichen Sozialhilfeträgern wurden im Vorjahr durchschnittlich 2,5 Stellen für diesen Bereich dokumentiert - bei den überörtlichen 3,2. Hauptsächlich sind die Mitarbeiterinnen bei Sozialhilfeträgern der Städte beschäftigt, die im Durchschnitt knapp 5 Stellen für die Hilfe nach § 72 BSHG vorhalten, während die Landkreise durchschnittlich auf weniger als eine volle Stelle kommen (3/4 Stelle).

Bis zu maximal einer vollen Stelle haben 69 % der örtlichen und 64 % der überörtlichen Sozialhilfeträger. Nur bei wenigen Sozialhilfeträgern (8 % der örtlichen und 27 % der überörtlichen Sozialhilfeträger) sind in diesem Bereich mehr als 5 Mitarbeiterinnen beschäftigt.

Differenziert man weiter nach Kapazitätsklassen, so zeigt sich, dass fast die Hälfte der Sozialhilfeträger keine volle Stelle für diesen Bereich vorsieht: 49 % der örtlichen und 46 % der überörtlichen Träger haben hier weniger als eine Personalstelle zur Verfügung. Hier zeigen sich bei den überörtlichen Sozialhilfeträgern im Vergleich zum Vorjahr abweichende Werte: Mit 46 % hat sich der Anteil der Sozialhilfeträger, die weniger als eine volle Stelle für diesen Bereich vorhalten, verdoppelt. in der Vorjahresbefragung waren es 23 % der überörtlichen Träger, die über weniger als eine Stelle für diesen Bereich verfügten (örtliche Träger: 42 %). Dies mag zu einem geringen Teil darauf zurückzuführen sein, dass eine stärkere Akzentuierung der ambulanten Hilfe, die primär im Zuständigkeitsbereich der örtlichen Sozialhilfeträger liegt, erfolgte. Zu einem größeren Anteil erfolgten bei Sozialhilfeträgern Umstrukturierungen mit entsprechender Zuständigkeitsverlagerung, z.B. bei Wohnprojekten.

Diese Annahme wird durch die Entwicklung der Fallzahlen untermauert. Die Zahl der pro Mitarbeiterin zu bearbeitenden Fälle scheint sich bei den örtlichen Sozialhilfeträgern erhöht (von 94 auf 151) und bei den überörtlichen Sozialhilfeträgern verringert zu haben (von 379 auf 334) - eine Personalaufstockung oder -reduzierung ist jedoch nur in minimalem Umfang zu verzeichnen: bei den örtlichen Sozialhilfeträgern von durchschnittlich 2,5 auf 2,6 Mitarbeiterinnen und bei den überörtlichen Sozialhilfeträgern von durchschnittlich 3,2 auf 3,1 Mitarbeiterinnen (Tabelle 30).23

23 siehe hierzu auch den Exkurs: Ambulant vor Stationär im Abschnitt 3.2.2

(2) Leistungsausgaben / Kosten pro Fall

Bei der Ermittlung der Ausgaben hatte die aus der Vorstudie gewonnene Erfahrung zu einem sehr differenzierten Erhebungsraster geführt: Um vergleichbare Werte zu erhalten, sollten geschätzte Angaben von statistisch erfassten Werten unterscheidbar sein und Angaben der Bruttoausgaben von Angaben der Nettoausgaben. Führt man diese Unterscheidung im Einzelnen durch, so wird allerdings die Fallzahl so klein, dass externe Faktoren (wie Größe und Zuständigkeitsbereich) die Ergebnisse überlagern. Ein Drittel der Sozialhilfeträger gab ihre Ausgaben als Bruttowerte, zwei Drittel der Sozialhilfeträger als Nettowerte (reine Ausgaben) an. Um mit beiden Datentypen rechnen zu können, wurden die Bruttoausgaben anhand der statistischen Relation zwischen Brutto- und reinen Ausgaben im Bereich der "sonstigen Hilfen in besonderen Lebenslagen" auf reine Ausgaben umgerechnet. Die reinen Ausgaben betragen in diesem Hilfebereich bundesweit rd. 94 % der Bruttoausgaben. Die nachfolgende Tabelle enthält somit die (teils genannten, teils berechneten) reinen Ausgaben. Filtert man weiterhin nur diejenigen heraus, die vollständige Angaben zu aufeinander folgenden Jahren gemacht haben, so kann sich die Auswertung des Jahres 2002 auf die Angaben von 60 Sozialhilfeträgern (52 örtlichen, 5 überörtlichen und 3 aus den Stadtstaaten) stützen.

Tabelle 31: Leistungsausgaben (2002)

Leistungsausgaben für die Hilfe nach § 72 BSHG
Nennungen nach Trägern (Jahresdurchschnitt in € und jährliche Veränderung)
Durchschnitt je Sozialhilfeträger
Ausgabenpositionörtlicher SH-Trägerüberörtlicher SH-Trägerört1./überörtl. SH-Träger
Anzahl der Antworten:5253
Leistungsausgaben im Jahr 1999 (in 1.000 €)30215.1681.645
Leistungsausgaben im Jahr 2000 (in 1.000 €)32915.6142.061
Leistungsausgaben im Jahr 2001 (in 1.000 €)35015.4422.418
Veränderung 2000 gegenüber 19999%3%25%
Veränderung 2001 gegenüber 20006%-1%17%

Die nach diesen Bearbeitungsschritten gewonnenen Daten bildeten eine verlässliche Grundlage zur Bewertung der Ausgabenentwicklung. Die Angaben von 60 Sozialhilfeträgern führten zu dem Ergebnis, dass die jährlichen Ausgaben der örtlichen Träger von durchschnittlich 302.000 € im Jahr 1999 auf 350.000 € im Jahr 2001 angestiegen sind, dies entspricht einer jährlichen Steigerung von etwa 8 %. Die Leistungsausgaben der in die Auswertung einbezogenen überörtlichen Träger sind im gleichen Zeitraum von durchschnittlich 15,2 Mio. € auf 15,4 Mio. € angestiegen, was einer Steigerung von 3 % zwischen 1999 und 2000 sowie einem Rückgang um 1 % zwischen 2000 und 2001 entspricht. in der Befragung des Jahres 2002 wurden Daten zu den Jahren 1999 - 2001 erhoben, in der Folgebefragung des Jahres 2003 Daten zu den Jahren 2001 und 2002. Hintergrund für die "doppelte" Abfrage der Kosten des Jahres 2001 war die Annahme, dass ein großer Teil derjenigen Sozialhilfeträger, die bereits an der Vorjahresbefragung teilgenommen hatten, sich auch an der Befragung des Jahres 2003 beteiligen würde und man über die Variable "Ausgaben 2001" eine Verknüpfung der Fälle vornehmen könnte, um die Kostenentwicklung über einen Zeitraum von maximal 4 Jahren darstellen zu können.

Von allen Sozialhilfeträgern, die sich 2003 an der Erhebung beteiligten, hatten 43 (38 %) bereits an der Vorjahresbefragung teilgenommen. Die Befragungsergebnisse dieser Träger wurden mit ihren Daten des Jahres 2002 zusammengeführt und einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Dabei ergab sich bei einigen Trägern Klärungsbedarf hinsichtlich scheinbarer Unstimmigkeiten der Nettoausgaben der Jahre 2001 und 2002. Durch die Nach-Recherche konnten starke Abweichungen bei den Leistungsausgaben geklärt werden - die oftmals durch strukturelle Änderungen der Hilfe bzw. durch eine Neuorganisation des Hilfeangebots bedingt waren:

Letztlich verblieb nur eine geringe Anzahl von Sozialhilfeträgern, die in beiden Befragungen vollständige und verwertbare Angaben zu dem Themenkomplex "Kosten" gemacht haben, so dass auf eine separate Auswertung dieser Träger verzichtet wurde. Die nachfolgende Tabelle bildet die Ergebnisse der letzten schriftlichen Erhebung ab, bei der sich 81 Träger zu den Leistungsausgaben der Jahre 2001 und 2002 äußerten (Tabelle 32).

Tabelle 32: Leistungsausgaben (2003)

Leistungsausgaben für die Hilfe nach § 72 BSHG
Nennungen nach Trägern (Jahresdurchschnitt in € und jährliche Veränderung)
Durchschnitt je Sozialhilfeträger
Ausgabenpositionörtlicher SH-Trägerüberörtlicher SH-Trägerört1./überörtl. SH-Träger
Anzahl der Antworten:65133
Leistungsausgaben im Jahr 2001 (in 1.000 €)49312.559836
Leistungsausgaben im Jahr 2002 (in 1.000 €)52513.156984
Veränderung 2002 gegenüber 20016%5%18%

Die Angaben von 81 Sozialhilfeträgern führen zu dem Ergebnis, dass die jährlichen Ausgaben der örtlichen Träger von 2001 auf 2002 um durchschnittlich 6 % angestiegen sind, womit sich die Tendenz aus der Vorjahresbefragung fortsetzt.24 Diese Steigerung entspricht in etwa der Kostensteigerung im gesamten Bereich der Hilfe in besonderen Lebenslagen.25

Die personenbezogenen Ausgaben, d.h. die Kosten pro Fall, lagen im Jahr 2002 bei durchschnittlich 8.052 € - bei den örtlichen Trägern bei 6.871 € und bei den überörtlichen Sozialhilfeträgern bei 16.549 € (Tabelle 33).26

Tabelle 33: Durchschnittliche Fallkosten für die Hilfe nach § 72 BSHG (2003)

Durchschnittliche Fallkosten für die Hilfe nach § 72 BSHG
Angabe nach Trägern (in €)
Nettoausgaben pro Fallinsgesamtörtlicher SH-Trägerüberörtlicher SH-Trägerörtl./überörtl. SH-Träger
Anzahl der Antworten:695982
Fallkosten im Jahr 20028.052 €6.871 €16.549 €8.890 €

24 Eine Fortschreibung der Tabelle 26 mit diesen Daten ist nicht möglich, da die Daten von unterschiedlichen Trägern stammen.
25 vgl. dazu den Abschnitt 3.1 (1): "Die Hilfe nach § 72 BSHG im Spiegel der amtlichen Statistik"
26 vgl. dazu den Abschnitt 3.1 (1)

(3) Leistungsausgaben nach weiterer Untergliederung

Bei der schriftlichen Befragung der Sozialhilfeträger wurde der Versuch unternommen, die Leistungsausgaben eines Jahres in tieferer Aufgliederung zu erfassen. Dies ist im Hinblick auf die Hilfeform gelungen, nicht aber in der weiteren Differenzierung der Ausgaben nach einzelnen Zielgruppen. Die Ausgaben für einzelne Zielgruppen wurden nur von so wenigen Befragten (und dann auch noch meist unvollständig) angegeben, dass eine tiefer gegliederte Auswertung dieser Dimension nicht möglich ist.

In Tabelle 34 sind die Ausgaben der Jahre 2001 und 2002 für ambulante, teilstationäre und vollstationäre Hilfen aufgegliedert;27 diese Auswertung beruht auf den Angaben von insgesamt 72 (Befragung 2002) bzw. 67 Sozialhilfeträgern (Befragung 2003).28

Tabelle 34: Leistungsausgaben nach Hilfeform

Leistungsausgaben 2001 und 2002 für die Hilfe nach § 72 BSHG
Nennungen nach Trägern (Jahresdurchschnitt pro Träger in 1.000 €)
Durchschnitt je Sozialhilfeträger
Ausgabenpositionörtlicher SH-Trägerüberörtlicher SH-Trägerörtl./überörtl. SH-Träger
Anzahl der Sozialhilfeträger6282
Ausgaben 2001 insgesamtDurchschnitt:37611.4815.607
Anteil:100%100%100%
darunter:
ambulant (in 1.000 €)Durchschnitt:1263.4972.348
Anteil:33%30%42%
Teilstationär (in 1.000 €)Durchschnitt:35 583
Anteil:9%10%
vollstationär (in 1.000 €)Durchschnitt:2157.9842.677
Anteil:57%70%48%
Anzahl der Sozialhilfeträger54112
Ausgaben 2002 insgesamtDurchschnitt:390371748
Anteil:100%100%100%
darunter:
ambulant (in 1.000 €)Durchschnitt:1285.880381
Anteil:33%41%51%
teilstationär (in 1.000 €)Durchschnitt:10---217
Anteil:3%---29%
vollstationär (in 1.000 €)Durchschnitt:2528.445150
Anteil:65%59%20%

27 vgl. dazu den Abschnitt 3.1
28 Diese Stichprobe ist nicht identisch mit derjenigen, die Angaben für den Drei-Jahres-Zeitraum machen konnte (vgl. Tabelle 27), dadurch sind Differenzen in den Beträgen bedingt. Die Träger, die örtliche und überörtliche Sozialhilfeträger zugleich sind, waren in der Befragung 2002 andere als in der Befragung 2003.

Das Ergebnis lässt die Ausgabenstruktur nach Art des Sozialhilfeträgers erkennen: Die örtlichen Träger haben im Jahr 2001 durchschnittlich 376.000 € ausgegeben, davon 33 % für ambulante Hilfen, 9 % für teilstationäre und 57 % für vollstationäre Hilfen. Die Ausgabenstruktur der überörtlichen Sozialhilfeträger (im Durchschnitt 11,5 Mio. € je Sozialhilfeträger) unterscheidet sich davon vor allem darin, dass dort keine Ausgaben für teilstationäre Hilfen angefallen sind, der Anteil für vollstationäre Hilfen fällt entsprechend höher aus. Die Sozialhilfeträger aus den Stadtstaaten unterscheiden sich von beiden dadurch, dass dort der Ausgabenanteil für ambulante Hilfen höher und der für vollstationäre Hilfen niedriger ist; dort liegen beide Hilfeformen in einer Hand.

(4) Verwaltungskosten

Bei den Verwaltungskosten konnten nur wenige Sozialhilfeträger ihre Daten auf exakter statistischer Basis benennen. in die Auswertung der Folgetabelle sind alle Angaben der Sozialhilfeträger eingeflossen, die vollständige Angaben für drei Jahre machen konnten. Damit basieren die folgenden Ergebnisse auf den Daten von 57 Sozialhilfeträgern: 50 örtlichen und 7 überörtlichen Trägern.29

Die je Sozialhilfeträger durchschnittlichen Gesamtausgaben im Verwaltungsbereich (Tabelle 35, oberes Drittel) sind bei den örtlichen Trägern von 102.000 € im Jahr 1999 über 109.000 € (2000; Steigerung um 7 %) auf 121.000 € im Jahr 2001 (Steigerung um 11 %) gestiegen. in etwas geringerem Maße und mit anderem zeitlichen Verlauf sind die Personalkosten der überörtlichen Sozialhilfeträger gestiegen, sie haben von 145.000 € (1999) über 161.000 € (2000, +11 %) auf 165.000 € (2001, +2 %) zugenommen.

Um die Verwaltungskosten zwischen den Sozialhilfeträgern besser vergleichbar zu machen, können sie weiterhin auf die Zahi der eingesetzten Mitarbeiterinnen bezogen werden. Dieser Wert wird zusätzlich nach "reinen Personalkosten" und "Personal- und Sachkosten" differenziert, da 20 Sozialhilfeträger ihre Angaben als reine Personalkosten machten, während 31 Sozialhilfeträger Personal- und Sachkosten als zusammengefassten Wert angaben.

Betrachtet man nur Sozialhilfeträger mit Angaben zu den reinen Personalkosten (mittlerer Bereich der Tabelle 35), so ergeben sich Werte, die beim örtlichen Sozialhilfeträger zwischen 32.000 € (1999) und 36.000 € (2001) pro Mitarbeiterin liegen,

29 Von den Sozialhilfeträgern aus den Stadtstaaten wurde diese Frage nicht beantwortet, daher werden in der dritten Spalte der Tabelle die Summen bzw. Gesamtdurchschnitte ausgewiesen. beim überörtlichen Sozialhilfeträger zwischen 35.000 € (1999) und 37.000 € (2001) pro Mitarbeiterin. Betrachtet man die Sozialhilfeträger mit zusammengefassten Angaben zu Personal- und Sachkosten (unterer Bereich der Tabelle 35), so liegen die Angaben um rd. 50 % bis 60 % über den reinen Personalkosten. Die örtlichen Träger kommen bei dieser Berechnung auf Werte zwischen 49.000 € (1999) und 54.000 € (2001), die überörtlichen Träger auf Werte zwischen 56.000 € (1999) und 58.000 € (2001).30

Tabelle 35: Verwaltungskosten

Verwaltungskosten für die Hilfe nach § 72 BSHG
Nennungen nach Trägern (Jahresdurchschnitt in 1.000 € und jährliche Veränderung)
Durchschnitt je Sozialhilfeträger
Ausgabenpositionörtlicher SH-Trägerüberörtlicher SH-Trägerinsgesamt
Anzahl der Antworten :50757
alle Sozialhilfeträger
Verwaltungskosten im Jahr 1999 (in 1.000 €)102145107
Verwaltungskosten im Jahr 2000 (in 1.000 €)109161116
Verwaltungskosten im Jahr 2001 (in 1.000 €)121165126
Veränderung 2000 gegenüber 19997%11%8%
Veränderung 2001 gegenüber 200011%2%9%
Anzahl der Antworten:17320
reine Personalkosten pro Mitarbeiterin
Verwaltungskosten im Jahr 1999323533
Verwaltungskosten im Jahr 2000333633
Verwaltungskosten im Jahr 2001363736
Veränderung 2000 gegenüber 19992%1%2%
Veränderung 2001 gegenüber 20009%5%8%
Anzahl der Antworten:27431
Personal- und Sachkosten pro Mitarbeiterin
Verwaltungskosten im Jahr 1999495650
Verwaltungskosten im Jahr 2000535753
Verwaltungskosten im Jahr 2001545854
Veränderung 2000 gegenüber 19998%2%7%
Veränderung 2001 gegenüber 20001%2%1%

Die Steigerung der Verwaltungskosten im beobachteten Zeitraum lässt sich somit weitgehend durch die Personalkostensteigerung pro vorhandener Stelle erklären; eine Aufstockung des Personals ist dagegen kaum erfolgt, der Stamm der Mitarbeiterinnen ist in diesem Bereich weitgehend unverändert geblieben.

30 Auf die zusätzliche tabellarische Darstellung der Ergebnisse der Träger, die sich an beiden schriftlichen Erhebungen beteiligt haben und die zu den Verwaltungskosten vollständige und verwertbare Angaben machen konnten, wird auf Grund der geringen Fallzahl verzichtet.

3.4 Veränderungen durch die neue Verordnung zu § 72 BSHG in der Voruntersuchung (2001),

in beiden schriftlichen Erhebungen der Hauptuntersuchung (2002 und 2003) und in den Expertinnengesprächen (2003) wurden die Sozialhilfeträger jeweils nach Veränderungen gefragt, die auf die neue VO zurückzuführen sind.

(1) Veränderung der Hilfe

Bei den schriftlichen Erhebungen wurden den Sozialhilfeträgern zunächst einige Aspekte zur Beurteilung vorgegeben, die sich im Zusammenhang mit der Hilfegewährung möglicherweise verändert haben könnten. Das Ergebnis zeigte bei allen Befragungen die gleiche Tendenz: der größte Teil der Befragten konnte keine nennenswerten Veränderungen durch die Einführung der neuen VO feststellen (vgl. Tabelle 36 - die Antworten sind nach dem Grad der Zustimmung sortiert): 67 h sehen keine wesentliche Veränderung gegenüber nur 10 %, die eine wesentliche Veränderung festgestellt haben.

Tabelle 36: Veränderung der Hilfe (2003)

Veränderung der Hilfe nach § 72 BSHG
Bewertung nach Anteilen und Anzahl der Antworten
Einschätzungen der Sozlalhilfeträgertrifft zuteils / teilstrifft nicht zuAnzahl Antworten
Auf Grund der neuen Verordnung zu § 72 BSHG ...
gab es keine wesentliche Veränderung67%23%10%101
hat die ambulante Hilfe im Vergleich zur stationären Hilfe ein größeres Gewicht erhalten24%28h48%86
wurden die Verfahren der Hilfeplanung verbessert19%35%46%85
wurde die genaue Bezeichnung d. Zielgruppe erleichtert17%40%43%88
wurde die Gestaltung der Hilfe gründlicher und genauer17%37%46%91
wurde die Abgrenzung zu anderen Hilfearten erleichtert9%27%64%89
wurde die Organisation v. Komplexleistungen erleichtert5%32%63%81
wurde die Hilfegewährung einfacher3%31%66%91
hat sich die Dauer der Hilfegewährung verkürzt2%21%77%87

andere Veränderungen: (jeweils eine Nennung)
- Zunahme von Statistiken
- Erweiterung der Personengruppe

Die weiteren Aspekte, die alle eine Veränderung unterstellen, fanden dementsprechend nur geringe Zustimmung. Allenfalls noch die stärkere Gewichtung ambulanter gegenüber der vollstationären Hilfeform wird in diesem Zusammenhang als Veränderung gewertet (24 %), aber auch hier verneinte mit 48 % knapp die Hälfte der

Befragten diese Aussage. Dass die Verfahren zur Hilfeplanung verbessert wurden, sahen 19 % der Befragten so und dass durch die neue VO die genaue Bezeichnung der Zielgruppen erleichtert wurde, hielten 17 % für zutreffend. Ebenso, dass die Gestaltung der Hilfe durch die neue VO gründlicher und genauer wurde. Allen weiteren in der Fragestellung vorgegebenen Aussagen stimmten nur weniger als 10 °to der Sozialhilfeträger zu, während sich die ablehnenden Anteile zwischen 63 % und 77 % (im Falle der Aussage, die Dauer der Hilfegewährung habe sich in Folge der neuen Verordnung verkürzt) bewegten.

(2) Veränderung des Personenkreises durch die neue Verordnung

Auch hinsichtlich des betroffenen Personenkreises sehen die meisten Sozialhilfeträger keine Veränderung. Dies wird zum Teil damit begründet, dass bereits zuvor die Begrifflichkeit der früheren Verordnung nicht mehr als handlungsleitend betrachtet worden war.

Die größte Gruppe der Befragten bilden hier diejenigen, die angaben, dass die neuen Definitionen der VO (besondere Lebensumstände, soziale Schwierigkeiten) für sie weder vorteilhaft noch nachteilig seien. Begründet wurde dies damit, dass (intern) schon seit Jahren mit lebenslageorientierten Definitionen gearbeitet werde und dass es daher keine große Neuerung darstelle, diese Definitionen nun auch in der VO wieder zu finden und anzuwenden.

Bei der Expertinnenbefragung bestätigten vier Fünftel der Befragten, dass sich durch die neue Verordnung keinerlei Änderungen ergeben hätten: weder in Hinsicht auf den Personenkreis noch im Hinblick auf die Kostenentwicklung. Gesprächspartnerinnen, die in den letzten 2 Jahren Veränderungen der Hilfepraxis nach § 72 BSHG beobachtet haben, legten dies in aller Regel nicht als Auswirkungen der neuen VO aus, sondern als Folge von sonstigen geänderten Rahmenbedingungen.

Auch die Frage, ob es in Folge der neuen VO - z.B. bedingt durch die Umschreibung "gewaltgeprägte Lebensumstände" - einen Anstieg des Frauenanteils gegeben habe, wurde von den Sozialhilfeträgern ebenfalls verneint.

Nur 3 von 21 Sozialhilfeträgern, die zu diesem Aspekt im Rahmen der Expertinnengespräche befragt wurden, konnten überhaupt einen Anstieg der weiblichen Hilfesuchenden feststellen, und auch dies nur bezogen auf wenige Einzelfälle. Ein Träger (der den Anstieg des Frauenanteils verneinte) gab an, dass ein (minimaler) Anstieg nicht auf die VO zu § 72 BSHG zurück zu führen sei, sondern auf das seit dem 01.01.2002 geltende Gewaltschutzgesetz (Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen).

Nach den Erfahrungen der Befragten seien die Hilfen, die von Frauenhäusern angeboten werden, diejenigen, die Frauen zunächst nutzen würden. Darüber hinaus würden Männer ohne ausreichenden Wohnraum eher auffällig und fänden eher den Weg zu einer Hilfeinstanz als Frauen.

(3) Veränderung der Kosten durch die neue Verordnung

Eine Veränderung der Kosten auf Grund der neuen Verordnung hatten im Vorfeld des In-Kraft-Tretens der VO nur die wenigsten Sozialhilfeträger erwartet und auch 2 Jahre nach inkrafttreten kann keine durch die VO bedingte Kostensteigerung dokumentiert werden. Als Begründung für gleich bleibende Kosten wurde angeführt, dass die Kostensätze konstant geblieben seien, dass sich die Klientel nicht verändert habe und dass steigende Kosten, wenn sie denn festzustellen wären, dem allgemeinen Trend entsprächen, aber nicht durch die neue Verordnung verursacht seien.

Wenn ein Kostenanstieg zu verzeichnen war, so beinhaltete dieser auch anderweitige Kosteneffekte wie z.B. den Ausbau ambulanter Hilfestrukturen, die nicht mit der neuen Verordnung in Verbindung stehen.

(4) Anderweitige Veränderungen

Auf die Frage, ob es außerhalb der Sozialhilfeverwaltung andere Entwicklungen gegeben habe, von denen die Hilfegewährung indirekt betroffen sei, antworteten 59 % der Befragten, dass sie solche Entwicklungen nicht hätten feststellen können (gegenüber 63 % im Vorjahr; Tabelle 37).

Zwei Fünftel der Befragten (41 %) benennen entsprechende Einflussfaktoren, wobei die politischen Rahmenbedingungen hier den ersten Platz einnehmen. Aus den Expertinnengesprächen ist bekannt, dass vor allem die Vorgaben seitens der Kommunalpolitik die Praxis der Hilfegewährung beeinflussen. Beispielsweise die Entscheidung, für allein stehende Hilfeempfänger keine präventiven Angebote mehr vorzuhalten, sondern diese auf Eltern(teile) mit Kindern zu fokussieren; die Wohnungslosenhilfe neu zu strukturieren; vollstationäre Angebote sukzessive abzubauen - alles Entscheidungen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Hilfegewährung nach § 72 BSHG haben, ohne jedoch im Zusammenhang mit der neuen VO zu stehen.

Tabelle 37: Anderweitige Veränderungen der Hilfe (2003)

Anderweitige Entwicklungen mit Einfluss auf die Hilfegewährung
Bewertung nach Anteilen und Anzahl der Antworten
Antworten der Sozialhilfeträger (N = 92)Anteil AntwortenAnzahl Antworten
Keine anderweitigen Entwicklungen mit Einfluss auf die Hilfegewährung59%54
anderweitige Entwicklungen mit Einfluss auf die Hilfegewährung41%38
Beispiele:
die politischen Rahmenbedingungen---11
Finanzierungsprobleme bei der Hilfe nach § 72 BSHG-7
Wegfall der Finanzierung ambulanter Hilfen durch örtlichen Träger ab 2003
Kommunalisierung der Sozialhilfe ab Juli 2003
Wohnungsmarkt-/Unterbringungsprobleme
verschlechterter Wohnungsmarkt in Ballungsräumen-6
finanzielle Probleme auf dem Wohnungsmarkt
Ausgliederung von betreutem Wohnen in allg. Wohnungsmarkt schwierig
fehlende Alternative zur Unterbringung
Arbeitsmarktprobleme-6
kompliziertes Antragsverfahren beim Arbeitsamt
immer größere Arbeitslosigkeit
schlechte Vermittlungschancen
Trägerschaft: Umstrukturierungen, Auseinandersetzungen-5
Zuständigkeitsprobleme zwischen örtlichen und überörtlichen SH-Trägern
Hilfe nach § 72 BSHG erst im Aufbau
in Landkreisen ist trotz neuer VO keine Bewegung
sonstige Gründe-3

(5) Weitere Anmerkungen

Wie bereits bei der schriftlichen Erhebung des Jahres 2002 wurde auch bei der abschließenden Befragung 2003 am Ende des Fragebogens Gelegenheit zu weiteren Anmerkungen gegeben. Soweit diese von allgemeinem Interesse sein könnten, werden sie in der nachfolgenden Auflistung stichwortartig wiedergegeben.

(6) Die "Bundeskanzlerfrage"

Die Bundeskanzlerfrage: Was würden Sie tun, wenn Sie alle Kompetenzen hätten - auch gesetzgeberische - um der neuen Verordnung zu § 72 BSHG (alternativ: um § 72 BSHG) zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen?"

Mit der sog. Bundeskanzlerfrage wird das kreative Potenzial der Befragten "ausgekundschaftet". Oft ergeben sich aus den Antworten auf die "Bundeskanzlerfrage" wertvolle Hinweise aus der Praxis für die Praxis. Häufig ist auch festzustellen, dass sich die Praktikerinnen vor Ort weit reichende Gedanken zu ihrem Arbeitsfeld und angrenzenden Bereichen machen und so in der Lage sind, die Diskussion um eine mögliche Weiterentwicklung und Optimierung der Hilfe voranzutreiben.

Die Antworten, die im Rahmen der durchgeführten Expertinnenbefragung gegeben wurden, weisen eine hohe Bandbreite auf. Sie reichen vom Wunsch, die Hilfe bundeseinheitlich zu gestalten über die Vorstellung, die Hilfe aus einer Hand zu gewähren, die nachgehende Betreuung zu verbessern, fließende Übergänge von der vollstationären zur ambulanten Betreuung zu schaffen, bis hin zu Finanzierungsideen für Beschäftigungsprojekte bzw. Arbeitsplätze. Die Notwendigkeit, Arbeits- oder Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten zu können, wurde seitens der befragten Sozialhilfeträger immer wieder betont - fast immer kamen dabei auch die Finanzierungsprobleme zur Sprache: bei denjenigen, die Arbeitslosenhilfe beziehen und grundsätzlich eine subventionierte Arbeit aufnehmen könnten, stellt sich das Problem, dass die Arbeitsplätze immer nur teilfinanziert sind bzw. dass es nur einen Zuschuss zu den Lohnkosten gibt und keine vollständige Finanzierung. Andererseits können Arbeitslosenhilfebezieher nicht im Rahmen der Hilfe zur Arbeit beschäftigt werden, da diese ausschließlich Sozialhilfeempfängern vorbehalten sei, die über keinerlei weitere Einkünfte verfügten.

Der zeitliche Aufwand, der mit der Kostenerstattung verbunden ist, wurde von einigen Sozialhilfeträgern kritisch aufgegriffen. Da bei § 72 BSHG nicht nur der allgemeine Nachrang der Sozialhilfe zum Tragen kommt, sondern auch der interne Nachrang, schließt § 2 Abs. 1 Satz 4 der VO Kostenerstattungsansprüche von Trägern der Sozialhilfe untereinander mit ein. in der folgenden Auflistung werden die Antworten auf die "Bundeskanzlerfrage" nach Themen strukturiert wiedergegeben.

Tabelle 38: Antworten auf die Bundeskanzlerfrage (2003) "Bundeskanzlerfrage"

Antworten:

Als Bundeskanzler kann man gar nicht auf die Frage antworten, denn beim BSHG haben immer die Länder mitzureden ...

Da fehlt mir die Phantasie, denn ich kann mir aus dem BSHG immer das raussuchen, was ich brauche.

bundesweit sollten die gleichen Verfahrensregeln gelten.

→ Hilfe aus einer Hand einführen.

→ Ausbau der Fachstelle; mehr Personal, um dann auch an der Hilfeplanung mitwirken zu können.

→ Die Personengruppensichtweise muss konsequent verlassen werden zugunsten einer Problemsichtweise.

→ Auf Mitwirkungsbereitschaft pochen.

→ Man braucht mehr Prävention und kleinräumige Strukturen, in denen frühzeitig Hilfe angeboten werden kann.

→ Eine Hospitalisierung in vollstationären Einrichtungen ist immer schädlich. Man sollte die Betroffenen für maximal 3 Monate vollstationär aufnehmen und in der Zeit überlegen, wie es ambulant in einer Wohngemeinschaft oder in einer eigenen Wohnung weitergehen kann.

→ Die Zugänge zu den Märkten (z.B. Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt) müssen so gestaltet sein, dass auch Menschen, die zeitweise am Rande der Gesellschaft stehen, wieder Zugang finden.

→ Eine § 72-Einrichtung (für Frauen und Männer) schaffen, die sowohl über eine integrierte Schuldnerberatung verfügt als auch über eine ärztliche Betreuung. An diese Einrichtung sollte eine Einrichtung nach § 39 angegliedert sein.

→ Es sollte ein nachgehender Betreuungsdienst eingerichtet werden.

→ Die Vielfalt der angebotenen Hilfen sollte trotz Sparzwang erhalten und niedrigschwellige Angebote (wie Wärmestuben) weiter ausgebaut oder zumindest erhalten werden.

Mehr Wohnprojekte, denn die derzeitigen Kapazitäten sind überlastet.

→ Es sollten mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verfügbar sein.

→ Einrichtung eines ärztlichen Dienstes und Verpflichtung der Hilfeempfänger, ausschließlich diesen ärztlichen Dienst zu konsultieren.

5 Das Zusammenwirken der unterschiedlichen Hilfsangebote und Unterstützungsmaßnahmen muss verbessert werden.
5 Hilfegewährung sollte "für mindestens 2 Jahre möglich sein.

→ Verzicht auf Erstellung eines Gesamtplanes.

§ 39 BSHG § 72 BSHG

§ 41 SGB VIII

→ Man kann nicht immer der liebe Gott sein und alles richten wollen. Es gibt Menschen, die man nicht erreicht und das ist auch bei dieser Zielgruppe so.

→ Die 3-Tage-Regelung ("vertreibende Hilfe") muss abgeschafft werden.

4. Zusammenfassung

Die Neufassung der Durchführungs-Verordnung zu § 72 BSHG vom 24. Januar 2001 trat am 1. August 2001 in Kraft und löste die bisherige VO aus dem Jahr 1976 ab, die zunehmend Kritik auf sich gezogen hatte. in der neu gefassten Verordnung wird die Zielgruppe allgemeiner bestimmt und durch die Kombination von "besonderen Lebensverhältnissen" und "sozialen Schwierigkeiten" definiert. Die Hilfemaßnahmen werden nun weniger an bestimmten Ursachen als vielmehr an den Zielen der Hilfe orientiert.

Gegen die Neufassung der Verordnung wurden Bedenken geäußert, es könnten sich "Unwägbarkeiten in Bezug auf die Abgrenzung des Personenkreises und die Kostenentwicklung" ergeben (Beschluss des Bundesrates vom 22.12.2000). Um vor diesem Hintergrund die Auswirkungen der Neufassung beurteilen zu können, war auf der Ebene der Sozialhilfepraxis zu klären, welche Abgrenzung der Gruppen von Hilfeempfängern nach § 72 BSHG vorgenommen wird, in welcher Beziehung diese Form der Hilfe zu anderen Hilfeformen steht und welche Relation zwischen Hilfen und Kostenstrukturen bestehen.

Diese Aspekte waren Gegenstand einer zweistufigen Untersuchung, in der zunächst eine Bestandsaufnahme der bis zum 31.7.2001 bestehenden Praxis der Hilfen nach § 72 BSHG erstellt wurde. Auf dieser Grundlage wurden mögliche Veränderungen (in Folge der neuen Verordnung ab August 2001) der Zielgruppen, der inhalte und Formen sowie der Kosten dieser Hilfen empirisch ermittelt. Diese Studie, die die Effekte einer gesetzlichen Neugestaltung im Vorher-Nachher-Vergleich analysiert, bildet die empirische Grundlage für den vom Bundesrat geforderten "Bericht über die praktischen Auswirkungen der neuen Verordnung, die eingetretene Kostenentwicklung und ihre Ursachen".

Das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (iSG) wurde im Mai 2001 vom heutigen Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung mit der Durchführung der Untersuchung beauftragt. Projektbegleitend wurde ein informeller Beraterkreis eingerichtet, mit dem das methodische Vorgehen und die jeweiligen Ergebnisse der Erhebungen erörtert wurden. Der nun vorgelegte Endbericht enthält die abschließende Auswertung der quantitativen und qualitativen Untersuchungsschritte, die im Rahmen des Projektes durchgeführt wurden.

Anhang

- Fragebogen 2002
- Fragebogen 2003
- Leitfaden für Expertinnengespräche

Auswirkung der neuen VO zu § 72 BSHG auf die Hilfepraxis

Befragung des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung

Sehr geehrte Damen und Herren,

Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) damit beauftragt, die Auswirkungen der zum August 2001 in Kraft getretenen neuen Verordnung zur Durchführung des § 72 BSHG auf den Empfängerkreis und die Kosten dieser Hilfeart empirisch zu untersuchen. Das ISG hat zwischen Mai und Oktober 2001 die erste Teiluntersuchung in Form einer Bestandsaufnahme der Sozialhilfepraxis vor Geltung der neuen Verordnung durchgeführt und konzentriert sich nun im zweiten Teil der Untersuchung auf die Analyse der seither erfolgten Entwicklung. Diese Befragung richtet sich an alle örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger. Diesen Auftrag können wir nur mit Ihrer Hilfe erfüllen. Daher möchten wir Sie freundlich bitten, den vorliegenden Fragebogen auszufüllen (bzw. an die zuständigen Bearbeiter/innen von Hilfen nach § 72 BSHG weiter zu leiten) und möglichst bis zum 21. Oktober 2002 zurück zu senden an das

Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik,
Postfach 26 02 44,
50515 Köln

Damit Ihre Belastung nicht zu groß wird, genügen uns auch geschätzte Angaben bei den Fragen, die ansonsten eine umfangreiche Recherche erfordern würden. Für Ihre Unterstützung danken wir Ihnen im Voraus ganz herzlich! Falls Sie Rückfragen haben, stehen Ihnen im ISG Herr Dr. Engels oder Frau Sellin unter der Te1.-Nr. 0221 - 235473 zur Verfügung.

Bezeichnung des Sozialhilfeträgers:Ort:
Art des Sozialhilfeträgers:überörtlicher Sozialhilfeträgerörtlicher Sozialhilfeträger
Ansprechpartner bei Rückfragen:Tel.:

A. Empfänger der Hilfe

1. Fragen zur Statistik
Zahl der Einwohner/innen im Zuständigkeitsbereich Ihrer Behörde:
Zahl der Empfänger/innen von ... (möglichst zum 31.12.2001):
Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) außerhalb von Einrichtungen:
Hilfe in besonderen Lebenslagen (HbL) insgesamt:
darunter:
Hilfe nach § 72 BSHG insgesamt:
davon:
Hilfe nach § 72 BSHG außerhalb von Einrichtungen:
Hilfe nach § 72 BSHG in Einrichtungen:
Die folgenden Fragen betreffen nur die Hilfe nach § 72 BSHG.
2. An welche Zielgruppen richten sich derzeit die Hilfeleistungen nach § 72 BSHG, und welche Anteile stellen diese Gruppen jeweils? (bitte schätzen)
In welchem Zusammenhang stehen sie zu den früheren Zielgruppenbezeichnungen, die sich noch an der bis August 2001 geltenden VO (Abs. 2) orientierten? (Maßgeblich ist, welche Lebensverhältnisse zu Beginn der Hilfe im Vordergrund stehen.)
ZielgruppeGewichtFrauenfrühere Bezeichnung (Mehrfachnennung möglich)
besondere Lebensverhältnisse:geschätzter Prozentanteil (Mehrfachzuordnung)Frauenanteil (jeweils schätzen)Personen ohne ausreichende UnterkunftLandfahrerNichtsesshafteaus Freiheitsentziehung Entlasseneverhaltensgestörte junge Menschensonstige Personen gruppen
fehlende oder nicht ausreichende Wohnungca. %ca. %
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlageca. %ca. %
gewaltgeprägte Lebensumständeca. %ca. %
Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtungca. %ca. %
Migrationca. %ca. %
Trennung / Scheidungca. %ca. %
Andere Nachteilige Umständeca. %ca. %
3. Bitte versuchen Sie, diese Zielgruppen näher zu beschreiben (Schätzung):
ZielgruppeDurchschnittsalterDauer der Hilfe (geschätzter Anteil in %):
besondere Lebensverhältnisse:ca. von ...bis Jahre< 3 Monate3 - 9 Monate> 9 Monate
fehlende oder nicht ausreichende Wohnungca. %ca. %ca. %
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlageca. %ca. %ca. %
gewaltgeprägte Lebensumständeca. %ca. %ca. %
Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtungca. %ca. %ca. %
Migrationca. %ca. %ca. %
Trennung / Scheidungca. %ca. %ca. %
andere nachteilige Umstände (bitte nennen):ca. %ca. %ca. %
4. In welchem Maße spielen folgende Schwierigkeiten eine Rolle (geschätztes Gewicht), und mit welcher zukünftigen Entwicklung rechnen Sie?
SchwierigkeitenGewichtbetroffene Frauenerwartete Entwicklungstendenz
soziale Schwierigkeiten:geschätztes Gewicht (Mehrfachzuordnung möglich)geschätzter Frauenanteil je SchwierigkeitBedeutung nimmt eher zuBedeutung nimmt eher ab
Arbeitslosigkeitca. %davon ca. %
davon Mangelnde berufliche Qualifizierungca. %davon ca. %
Wohnungslosigkeitca. %davon ca. %
Überschuldungca. %davon ca. %
Straffälligkeitca. %davon ca. %
Suchtproblemeca. %davon ca. %
Psychische Beeinträchtigungenca. %davon ca. %
Gesundheitliche Beeinträchtigungenca. %davon ca. %
Schwere persönliche oder familiäre Konflikteca. %davon ca. %
Sonstige Problemeca. %davon ca. %
4.1. Wie sind in Ihrem Amt/ Ihrer Fachstelle die Daten der Hilfeempfänger dokumentiert?
   Die Akten der Klienten nach § 72 BSHG werden über EDV verwaltet.
   Die Akten der Klienten werden nicht per EDV, sondern als Handakten geführt.
   Wir haben keine eigene Aktenführung, dokumentieren aber die Daten, die wir von den freien Trägern im Rahmen der Hilfeplanung erhalten.
   Wir haben für Klienten nach § 72 BSHG derzeit noch keine Aktenführung.
Wenn Sie Akten führen: Welche der nachfolgenden Informationen können Sie abrufen? (Mehrfachnennung)
Alter und GeschlechtWohnsituation
schulischer Abschlussbesondere Lebensverhältnisse
beruflicher Abschlusssoziale Schwierigkeiten
gesundheitliche Verfassungbisherige Hilfen
Familienstandzukünftig erforderliche Hilfen

B. Zuständigkeit und Hilfepraxis

5. Wie sind Zuständigkeit und Kostenträgerschaft für die Umsetzung des § 72 BSHG geregelt? (bei geteilter Zuständigkeit bzw. Kostenträgerschaft bitte beide Träger ankreuzen)
ZielgruppeGewährung der HilfeKostenträgerschaft
zuständiger Sozialhilfeträger: örtlichüberörtlichörtlichüberörtlich
(a) ambulante Hilfen
fehlende oder nicht ausreichende Wohnung
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage
gewaltgeprägte Lebensumstände
Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung
andere nachteilige Umstände
ZielgruppeGewährung der HilfeKostenträgerschaft
zuständiger Sozialhilfeträger: örtlichüberörtlichörtlichüberörtlich
(b) teilstationäre Hilfen
fehlende oder nicht ausreichende Wohnung
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage
gewaltgeprägte Lebensumstände
Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung
andere nachteilige Umstände
ZielgruppeGewährung der HilfeKostenträgerschaft
zuständiger Sozialhilfeträger: örtlichüberörtlichörtlichüberörtlich
(c) vollstationäre Hilfen
fehlende oder nicht ausreichende Wohnung
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage
gewaltgeprägte Lebensumstände
Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung
andere nachteilige Umstände
5.1 Hat sich hinsichtlich der Zuständigkeit für Gewährung und Kostenträgerschaft eine Veränderung auf Grund der neuen Verordnung ergeben?
ja, geänderte Zuständigkeit für die Gewährung der Hilfe
ja, geänderte Zuständigkeit für Kostenträgerschaft
nein, keine Veränderung auf Grund der neuen Verordnung
6. Gibt es Ihrer Erfahrung nach Probleme an der Schnittstelle zwischen der Hilfe nach § 72 BSHG und anderen Hilfearten? (Zutreffendes bitte ankreuzen, Mehrfachnennung möglich)
6.1 an der Schnittstelle zur Hilfe zum Lebensunterhalt (z.B. § 15a BSHG):

Hier gibt es in der Regel keine Schwierigkeiten ...
weil Zuständigkeit in einer Hand (Fachstellenkonzept)
weil Absprache / Aktenübergabe mit anderen Abteilungen gut funktioniert
allgemein: keine Schwierigkeiten
aus anderen Gründen (bitte nennen):

Hier gibt es häufig Schwierigkeiten ...
weil Akten doppelt geführt werden
weil Absprache / Aktenübergabe mit anderen Abteilungen nicht gut funktioniert
weil Nachrangigkeit des § 72 BSHG in der Praxis nicht eingehalten wird
weil Probleme bei Abgrenzung der Hilfearten auftreten
aus anderen Gründen (bitte nennen):
6.2 an der Schnittstelle zur Eingliederungshilfe (§§ 39 ff BSHG):

Hier gibt es in der Regel keine Schwierigkeiten ...
weil Zuständigkeit in einer Hand (Fachstellenkonzept)
weil Absprache / Aktenübergabe mit anderen Abteilungen gut funktioniert
allgemein: keine Schwierigkeiten
aus anderen Gründen (bitte nennen):

Hier gibt es häufig Schwierigkeiten ...
weil Akten doppelt geführt werden
weil Absprache / Aktenübergabe mit anderen Abteilungen nicht gut funktioniert
weil Nachrangigkeit des § 72 BSHG in Praxis nicht eingehalten wird
weil Probleme bei Abgrenzung der Hilfearten auftreten
aus anderen Gründen (bitte nennen):
6.3 an der Schnittstelle zur Jugendhilfe (§ 41 SGB Vlll):

Hier gibt es in der Regel keine Schwierigkeiten ...
weil wir klare grundsätzliche Kriterien der Zuständigkeit vereinbart haben (bitte nennen):
weil jeweils im Einzelfall eine Absprache getroffen wird, was gut funktioniert
weil wir strikt nach Alter trennen (das BSHG ist für alle Personen ab Jahren zuständig)
aus anderen Gründen (bitte nennen):

Hier gibt es häufig Schwierigkeiten ...
weil grundsätzliche Kriterien der Zuständigkeit fehlen
weil jeweils im Einzelfall eine Absprache versucht wird, was häufig zu Meinungsverschiedenheiten führt
weil Nachrangigkeit des § 72 BSHG in Praxis nicht eingehalten wird
weil Probleme bei Abgrenzung der Hilfearten auftreten
aus anderen Gründen (bitte nennen):
7. Welche Hilfen führt der Sozialhilfeträger selbst durch, und welche werden von anderen Organisationen erbracht? (bitte Zutreffendes ankreuzen)
Hilfeleistung durch:
Art der Hilfe:Sozialhilfeträger selbstgemeinnützige Trägersonstige Akteure
vollständigüberwiegendteilweisegar nichtvollständigüberwiegendteilweisegar nichtvollständigüberwiegendteilweisegar nicht
ambulante Hilfen
teilstationäre Hilfe
vollstationäre Hilfe
Geldauszahlungen
Sachleistungen allgemein
persönliche Hilfen
organisatorische Hilfen
Wohnangebote
Angebote zur sozialen Integration
Arbeitsangebote
spezielle Maßnahmen
sonstige (benennen)
8. Welche Arten von Leistungen werden den einzelnen Hilfegruppen schwerpunktmäßig gewährt?
Zielgruppe
Leistungsinhaltefehlende oder nicht ausreichende Wohnungungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlagegewaltgeprägte LebensumständeEntlassung aus einer geschlossenen EinrichtungMigrationTrennung/ Scheidungandere nachteilige Umstände
Basisversorgung
Hilfe zur selbstständigen Lebensführung
Hilfe zur Schule/ Ausbildung/ Arbeit
Hilfe zur Tagesstrukturierung
begleitende Hilfe bei therapeutischen Maßnahmen
sonstige Hilfen
Leistungsformen
Information und Beratung
Erschließung/ Erhaltung von Hilfen im Umfeld
individuelle Planung/ Beobachtung/ Rückmeldung
begleitende/ übende Unterstützung
9. Wird vor bzw. zu Beginn der Hilfegewährung eine Hilfeplanung durchgeführt?
Nein (weiter mit Frage 10)
Ja, eine Gesamtplanung zur Leistungskoordination wird durchgeführt (vergleichbar mit § 46 BSHG)
Ja, ein individueller Hilfeplan wird erstellt
9.1 Wird die Hilfeplanung in jedem Fall durchgeführt, oder nur bei einem Teil der Klienten?
Gesamtplanungindividuelle Hilfeplanung
in jedem Fall
nur bei sehr komplexem Hilfebedarf (etwa % aller Klienten)
nur bei stationärem Hilfebedarf
in anderen Fällen, und zwar:
9.2 Wer wird an der Hilfeplanung beteiligt? (bitte nennen:)
Gesamtplanung:
individuelle Hilfeplanung:
9.3 Wird vor bzw. zu Beginn der Hilfegewährung eine Klärungsphase vorgeschaltet?
Nein bisher nicht, ist aber vorgesehen ab: Ja, und zwar mit einer Dauer von
Wochen

C. Verwaltung und Kosten

10. Wie viele Mitarbeiter/innen sünd in Ihrer Verwaltung mit der Gewährung von Hilfen nach § 72 BSHG befasst? (ggf. auf Vollzeitstellen umrechnen)Mitarbeiter/innen
11. Mit welchen jährlichen Leistungsausgaben ist die Hilfe nach § 72 BSHG verbunden?
(möglichst für die Jahre 1999 bis 2001 angeben, ggf schätzen)statistische Angaben geschätzte Angaben
Jahr 1999Leistungsausgaben: Bruttoausgaben reine Ausgaben
Jahr 2000Leistungsausgaben: Bruttoausgaben reine Ausgaben
Jahr 2001Leistungsausgaben: Bruttoausgaben reine Ausgaben
12. Mit welchen jährlichen Verwaltungskosten ist die Hilfe nach § 72 BSHG verbunden?
(möglichst für die Jahre 1999 bis 2001 angeben, ggf. schätzen)statistische Angaben geschätzte Angaben
Jahr 1999Verwaltungskosten: reine Personalkosten inkl. Sachkosten
Jahr 2000Verwaltungskosten: reine Personalkosten inkl. Sachkosten
Jahr 2001Verwaltungskosten: reine Personalkosten inkl. Sachkosten
13. Welche Leistungsausgaben waren im Jahr 2001 mit Hilfeleistungen nach § 72 BSHG verbunden?
(bitte Höhe der Ausgaben in € angeben, wenn möglich auch nach Zielgruppe und Hilfeform differenziert)statistische Angaben geschätzte Angaben
insgesamtambulantteilstationärvollstationär
Ausgaben insgesamt
sofern detaillierte Angaben möglich sind:
fehlende oder nicht ausreichende Wohnung
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlage
gewaltgeprägte Lebensumstände
Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtung
andere nachteilige Umstände

D. Veränderungen durch die neue Verordnung zu § 72 BSHG

14. Hat sich Ihrer Einschätzung nach die Hilfe nach § 72 BSHG durch die neue Verordnung verändert?
Auf Grund der neuen Verordnung zu § 72 BSHG ...trifft zuteils / teilstrifft nicht zu
gab es keine wesentliche Veränderung
wurde die Hilfegewährung einfacher
wurde die Gestaltung der Hilfe gründlicher und genauer
wurde die genaue Bezeichnung der Zielgruppe erleichtert
wurde die Abgrenzung zu anderen Hilfearten erleichtert
wurden die Verfahren der Hilfeplanung verbessert
wurde die Organisation von Komplexleistungen erleichtert
hat sich die Dauer der Hilfegewährung verkürzt
hat die ambulante Hilfe im Vergleich zur stationären Hilfe
ein größeres Gewicht erhalten andere Veränderungen (in Stichpunkten):
15. Hat sich Ihrer Einschätzung nach durch die neue Verordnung der Personenkreis der Empfänger der Hilfe nach § 72 BSHG verändert?
Nein, keine Veränderung
Personenkreis wurde erweitert
Personenkreis wurde eingegrenzt
Bitte begründen sie diese Einschätzung:
16. Haben sich Ihrer Einschätzung nach durch die neue Verordnung die Kosten der Hilfe nach § 72 BSHG verändert?
Nein, keine Veränderung
Kosten sind dadurch gestiegen
Kosten sind dadurch gesunken
Bitte begründen sie diese Einschätzung:
17. Gibt es andere Entwicklungen außerhalb der Sozialhilfeverwaltung, von denen die Hilfegewährung indirekt betroffen ist?
(z.B. Gebietsreform, allgemeine Verwaltungsreform, Entwicklung des Wohnungsmarktes, veränderte Rechtsprechung etc.)
Nein Ja, und zwar (in Stichpunkten):
18. Wenn Sie weitere Anmerkungen zur Durchführung der Hilfe nach § 72 BSHG machen möchten:

Wir bedanken uns für Ihre Unterstützung!

Auswirkung der neuen VO zu § 72 BSHG auf die Hilfepraxis

Befragung des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung

Sehr geehrte Damen und Herren,
Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik e.V. (ISG) damit beauftragt, die Auswirkungen der zum August 2001 in Kraft getretenen neuen Verordnung zur Durchführung des § 72 BSHG auf den Empfängerkreis und die Kosten dieser Hilfeart empirisch zu untersuchen. Das ISG hat 2001 eine erste Teiluntersuchung in Form einer Bestandsaufnahme der Sozialhilfepraxis vor in Kraft treten der neuen Verordnung durchgeführt, 2002 eine zweite Teiluntersuchung nach in Kraft treten der VO und beschließt nun die Untersuchung mit einer letzten Kurzbefragung aller örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger. Auch dieses Mal möchten wir Sie bitten, die Untersuchung zu unterstützen indem Sie den beiliegenden Fragebogen ausfüllen und möglichst bis zum 21. Oktober 2003 zurück senden an das

Für Ihre Unterstützung danken wir Ihnen im Voraus ganz herzlich! Falls Sie Rückfragen haben, stehen Ihnen im ISG Herr Dr. Engels oder Frau Sellin unter der Te1.-Nr. 0221 - 235473 gerne zur Verfügung.

Bezeichnung des Sozialhilfeträgers:Ort:
Art des Sozialhilfeträgers:überörtlicher Sozialhilfeträgerörtlicher Sozialhilfeträger
Ansprechpartner bei Rückfragen:Tel.:

A. Empfänger der Hilfe

1. Fragen zur Statistik
Zahl der Einwohner/innen im Zuständigkeitsbereich Ihrer Behörde:
Zahl der Empfänger/innen von ... (möglichst zum 31.12.2001):
Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) außerhalb von Einrichtungen:
Hilfe in besonderen Lebenslagen (HbL) insgesamt:
darunter:
Hilfe nach § 72 BSHG insgesamt:
davon:
Hilfe nach § 72 BSHG außerhalb von Einrichtungen:
Hilfe nach § 72 BSHG in Einrichtungen:
Die folgenden Fragen betreffen nur die Hilfe nach § 72 BSHG.
2. An welche Zielgruppen richten sich derzeit die Hilfeleistungen nach § 72 BSHG, und wie viele Personen erhalten diese Hilfe jeweils? (bitte schätzen)
 
ZielgruppeGewichtFrauenfrühere Bezeichnung (Mehrfachnennung möglich)
besondere Lebensverhältnisse:geschätzter Prozentanteil (Mehrfachzuordnung)Frauenanteil (jeweils schätzen)Personen ohne ausreichende UnterkunftLandfahrerNichtsesshafteaus Freiheitsentziehung Entlasseneverhaltensgestörte junge Menschensonstige Personen gruppen
fehlende oder nicht ausreichende Wohnungca. %ca. %
ungesicherte wirtschaftliche Lebensgrundlageca. %ca. %
gewaltgeprägte Lebensumständeca. %ca. %
Entlassung aus einer geschlossenen Einrichtungca. %ca. %
Migrationca. %ca. %
Trennung / Scheidungca. %ca. %
Andere Nachteilige Umständeca. %ca. %
3. Hat das Bundesland bereits eine entsprechende Ausführungsverordnung zur neuen VO des § 72 in Kraft gesetzt?
ja
nein, ist aber in Kürze geplant
nein, ist auch nicht in absehbarer Zeit geplant

B. Zuständigkeit und Hilfepraxis

4. Wie sind Zuständigkeit und Kostenträgerschaft für die Umsetzung des § 72 BSHG geregelt?
(bei geteilter Zuständigkeit bzw. Kostenträgerschaft bitte beide Träger ankreuzen)
Form der HilfeGewährung der HilfeKostenträgerschaft
zuständiger Sozialhilfeträgerörtlichüberörtlichörtlichüberörtlich
(a) ambulante Hilfen
entsprechende Hilfen werden nicht angeboten
(b) teilstationäre Hilfen
entsprechende Hilfen werden nicht angeboten
(c) vollstationäre Hilfen
entsprechende Hilfen werden nicht angeboten
5. Gibt es Ihrer Erfahrung nach Probleme hinsichtlich der Abgrenzung der Hilfe nach § 72 BSHG und anderen Hilfearten?
(Zutreffendes bitte ankreuzen, Mehrfachnennung möglich)
im Hinblick auf § 39 BSHG ja teilweise nein weiß nicht
im Hinblick auf § 41 KJHG ja teilweise nein weiß nicht
ja, im Hinblick auf Sonstiges (bitte nennen):
nein
6. Inwieweit können Sie den nachstehenden Aussagen hinsichtlich der Hilfen nach § 39 und § 72 zustimmen? (bitte Zutreffendes jeweils ankreuzen)
Aussagestimme zu:
vollkommenüberwiegendteilweisegar nicht
Der Einstieg in die Hilfe erfolgt meist über § 72 und wechselt dann zu § 39.
Für eine Hilfe nach § 39 fehlt meist die Krankheitseinsicht.
Es besteht die Tendenz, immer häufiger eine Hilfe nach § 39 zu bewilligen und nicht nach § 72.
Die Hilfen nach § 39 und § 72 sollten miteinander verzahnt werden.
Die Träger von Hilfeangeboten gehen immer mehr dazu über, sowohl Hilfen nach § 72 als auch nach § 39 anzubieten.
sonstiges (bitte nennen):
7. Gibt es im Bundesland einen einheitlichen Gesamtplan zur Koordinierung und Steuerung der Hilfe nach § 72?
ja, den gibt es bereits
nein, ist aber in Kürze geplant
nein, ist auch nicht in absehbarer Zeit geplant
Sonstiges: (bitte nennen):
8. In wie vielen Fällen wird die Hilfegewährung auf der Grundlage eines Hilfeplans durchgeführt und in wie vielen Fällen wird ein Gesamtplan aufgestellt?
trifft zu
Aussagen zur Hilfeplanung / Gesamtplanungvollkommenüberwiegendteilweisegar nicht
Hilfeplane sind die Grundlage für die Kostenanerkennung durch den Sozialhilfeträger.
Hilfepläne werden grundsätzlich in allen Fällen erstellt
Hilfepläne werde im ambulanten Bereich erstellt
Hilfepläne werde im stationären Bereich erstellt
Hilfepläne werden nur in geeigneten Fällen erstellt
... in geeigneten Fällen im ambulanten Bereich
... in geeigneten Fällen im stationären Bereich
Hilfepläne gehören zum Standard bei der Hilfe nach § 72
sonstiges:
Gesamtpläne werden nicht erstellt.
Gesamtpläne werden nur in geeigneten Fällen erstellt
... im ambulanten Bereich
... im stationären Bereich
Am Gesamtplan wird neben dem Sozialhilfeträger noch beteiligt:
der freie Träger
der Hilfeempfänger
die Arbeitsverwaltung
das Gesundheitsamt
das Jugendamt
sonstige:
Der Gesamtplan ist mit einem immensen Arbeitsaufwand verbunden
sonstiges:

C. Verwaltung und Kosten

9. Wie viele Mitarbeiter/innen sind in Ihrer Verwaltung mit der Gewährung von Hilfen nach § 72 BSHG befasst? (ggf. auf Vollzeitstellen umrechnen)Mitarbeiter/innen
10. Mit welchen jährlichen Leistunqsausqaben ist die Hilfe nach § 72 BSHG verbunden?
(Angaben ggf. schätzen)statistische Angaben geschätzte Angaben
Jahr 2001 Leistungsausgaben: Bruttoausgaben reine Ausgaben
Jahr 2002 Leistungsausgaben: Bruttoausgaben reine Ausgaben
von den Leistungsausgaben 2002:
ambulant: € teilstationär: € vollstationär:
11. Mit welchen jährlichen Verwaltunqskosten ist die Hilfe nach § 72 BSHG verbunden?
(Angaben ggf. schätzen)statistische Angaben geschätzte Angaben
Jahr 2001 Verwaltungskosten:reine Personalkosten inkl. Sachkosten
Jahr 2002 Verwaltungskosten:reine Personalkosten inkl. Sachkosten

D. Veränderungen durch die neue Verordnung zu 72 BSHG

12. Hat sich Ihrer Einschätzung nach die Hilfe nach § 72 BSHG durch die neue Verordnung verändert?
Auf Grund der neuen Verordnung zu § 72 BSHG ...trifft zuteils / teilstrifft nicht zu
gab es keine wesentliche Veränderung
wurde die Hilfegewährung einfacher
wurde die Gestaltung der Hilfe gründlicher und genauer
wurde die genaue Bezeichnung der Zielgruppe erleichtert
wurde die Abgrenzung zu anderen Hilfearten erleichtert
wurden die Verfahren der Hilfeplanung verbessert
wurde die Organisation von Komplexleistungen erleichtert
hat sich die Dauer der Hilfegewährung verkürzt
hat die ambulante Hilfe im Vergleich zur stationären Hilfe ein größeres Gewicht erhalten
andere Veränderungen (in Stichpunkten):
Gibt es andere Entwicklungen, unabhängig von der VO zu § 72, von denen die Hilfegewährung indirekt betroffen ist?
Nein
ja, die politischen Rahmenbedingungen der Kommune
ja, und zwar (in Stichpunkten)
14. Wenn Sie weitere Anmerkungen zur Durchführung der Hilfe nach § 72 BSHG machen möchten:

Vielen Dank für Ihre Unterstützung!

Umsetzung der Verordnung zur Durchführung des § 72 BSHG

- Gesprächsleitfaden -

I. Veränderungen durch die neue VO zu § 72 BSHG (in Kraft seit 01.08.2001)

1. Die in der Voruntersuchung (Juli - September 2001) befragten Sozialhilfeträger (SHT) äußerten überwiegend die Erwartung, dass sich durch die neue Verordnung (VO) in der Praxis nichts ändern wird, da der Personenkreis der Hilfesuchenden auch bei anderer Beschreibung identisch bleibe. Hat sich durch die VO tatsächlich nichts geändert? Personenkreis (a), Kosten (b), Dauer der Hilfegewährung (c)?

2. Hat sich durch die neue VO die Zusammenarbeit zwischen SHT und freien Trägern verändert?

3. Die neue VO enthält abstraktere Definitionen, die man "mit Leben" füllen muss. Sehen Sie das eher als Nachteil oder eher als Vorteil?

II. Hilfestrukturen, Konzeption und Organisation des Hilfeprozesses

4. Wann setzt die Hilfegewährung nach § 72 in der Regel ein: eher im Notfall oder eher präventiv?

Gibt es konzeptionelle Unterschiede zwischen SHT und freien Trägern?

5. ist die Hilfegewährung generell mit einem gewissen Maß an Beratung und begleitender Betreuung verknüpft oder beschränkt sie sich in der Regel auf die Gewährung von Unterkunft? wenn Beratung: wer berät?

6. Welches Verständnis haben Sie von Gesamtplan (GP) und Hilfeplan (Verwaltungsakt als Grundlage für Kostenanerkenntnis?)?

7. im Rahmen der Hilfe nach § 72 gibt es unterschiedliche Personengruppen. Haben diese Personengruppen auch einen unterschiedlichen Hilfebedarf, d.h. sind die Leistungsinhalte unterschiedlich und sind die Leistungsformen unterschiedlich?

Leistungsinhalte:

Leistungsformen:

Welche Personengruppe erhält welche Art von Leistung und in welcher Form?

8. ist bei ihnen eine Tendenz zur Ausweitung ambulanter, ortsnaher Hilfen feststellbar (z.B. Ausbau des betreuten Wohnens) bei gleichzeitiger Abkehr von stationären Hilfeformen? Wenn ja: welche Auswirkungen hat das für SHT (a), freie Träger (b) und Klientinnen (c)?

9. Wie ist das Verhältnis der Hilfen nach § 72 BSHG

Gibt es hier (noch) Abgrenzungsprobleme oder konnten zwischenzeitlich konstruktive Lösungen gefunden werden?

III. Personenkreis

10. Welche Personengruppe ist in ihrem Zuständigkeitsbereich die wichtigste Gruppierung, die Hilfe nach § 72 BSHG erhält und welche sind die Kernthemen? (wie werden die "alten" Zielgruppen heute bezeichnet?)

Nach den Ergebnissen der schriftlichen Befragung von SHT wären z.B. Klientinnen, deren wirtschaftliche Lebensgrundlage ungesichert ist, nach der früheren Kategorisierung von 65% der SHT als "Nichtsesshafte" bezeichnet worden, von 59% der SHT (evt1. zusätzlich) als "Personen ohne Unterkunft", von 36% der Sozialhilfeträger (evt1. zusätzlich) als "verhaltensgestörte junge Menschen" usw.

IV. Zu guter Letzt

13. Was haben wir vergessen, was im Zusammenhang mit der neuen VO unbedingt noch angesprochen werden sollte?

Bundeskanzlerfrage:

14. Was würden Sie tun wenn Sie alle Kompetenzen hätten - auch gesetzgeberische - um der neuen VO zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen (alternativ: um § 72 BSHG optimal zur Anwendung bringen zu können)?

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:Rücklauf der schriftlichen Befragung 2002
Tabelle 2:Rücklauf der schriftlichen Befragung 2003
Tabelle 3:Befragte Träger (2003)
Tabelle 4:Gesprächspartnerinnen (2003)
Tabelle 5:Anzahl der Gespräche (2003)
Tabelle 6:Befragte Träger nach Bundesländern (2003)
Tabelle 7:Sozialhilfestatistik 1995 - 2002
Tabelle 8:Fallkosten der Hilfe nach § 72 BSHG
Tabelle 9:Geschlecht der Empfänger von Hilfe nach § 72 BSHG
Tabelle 10:Durchschnittliche Anzahl und Quote der Hilfeempfänger (2003)
Tabelle 11:Zielgruppen und besondere Lebensverhältnisse (2003)
Tabelle 12:Frühere und aktuelle Bezeichnung (2002)
Tabelle 13:Durchschnittliches Alter (2002)
Tabelle 14:Dauer des Hilfebedarfs (2002)
Tabelle 15:Soziale Schwierigkeiten (2002)
Tabelle 16:Erwartete Entwicklungen (2002)
Tabelle 17:Zuständigkeit der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger
Tabelle 18:Zuständigkeiten Hilfegewährung (2002)
Tabelle 19:Zuständigkeiten Kostenträgerschaft (2002)
Tabelle 20:Zuständigkeiten (2003)
Tabelle 21:Abgrenzungsprobleme (2003)
Tabelle 22:Hilfen nach § 39 und § 72 BSHG (2003)
Tabelle 23:Durchführung der Hilfe nach Hilfeart (2002)
Tabelle 24:Durchführung nach Form der Hilfe (2002)
Tabelle 25:Durchführung nach einzelnen Angeboten (2002)
Tabelle 26:Leistungsschwerpunkte für einzelne Zielgruppen (2002)
Tabelle 27:Hilfeplanung und Gesamtplanung (2002)
Tabelle 28:Hilfeplanung (2003)
Tabelle 29:Gesamtplanung (2003)
Tabelle 30:Zahl der Mitarbeiterinnen (2003)
Tabelle 31:Leistungsausgaben (2002)
Tabelle 32:Leistungsausgaben (2003)
Tabelle 33:Durchschnittliche Fallkosten für die Hilfe nach § 72 BSHG (2003)
Tabelle 34:Leistungsausgaben nach Hilfeform
Tabelle 35:Verwaltungskosten
Tabelle 36:Veränderung der Hilfe (2003)
Tabelle 37:Anderweitige Veränderungen der Hilfe (2003)
Tabelle 38:Antworten auf die Bundeskanzlerfrage (2003)

Literaturverzeichnis

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Roscher, Falk: Die neue Rechtsverordnung zu § 72 BSHG - eine kritische Analyse, März 2002, in: http://Verlagsozialehilfe.de/publi/w1.phtml