Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Modernisierung des Sozialschutzes und zur Entwicklung einer hochwertigen Gesundheitsversorgung

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 308157 - vom 7. Juni 2005. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 28. April 2005 angenommen.

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Modernisierung des Sozialschutzes und zur Entwicklung einer hochwertigen Gesundheitsversorgung (2004/2189(INI))

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass das Recht auf Gesundheit ein Grundrecht ist, das auch in Artikel II-95 des derzeit zur Ratifizierung anstehenden Vertrags über eine Verfassung für Europa4 verankert ist, und in der Erwägung, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union5 das Recht jeder Person auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge sowie auf ärztliche Versorgung anerkennt, sowie das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen, kulturellen und Arbeütsleben,

B. in der Erwägung, dass die Gesundheit eines jeden Menschen in allen Phasen und Situationen seines Lebens ein eigener Wert und eine der Grundvoraussetzungen für seinen aktiven Beitrag zur Gesellschaft ist, und in der Erwägung, dass die öffentliche Gesundheit Teil unseres gesellschaftlichen Wertesystems ist und ihre Erhaltung eine der grundlegendsten Aufgaben der Gesellschaft ist,

C. in der Erwägung, dass die Gesundheit von vielen Faktoren beeinflusst wird, zu denen unter anderem die genetische Prädisposition, der Lebensstil und die soziale Situation gehören, und in der Erwägung, dass die Gesundheitsversorgung nur begrenzt zum allgemeinen Gesundheitszustand des Einzelnen beiträgt (in diesem Zusammenhang wird oft ein Prozentsatz von 10 % genannt),

D. in der Erwägung, dass die Gewissheit, dass eine angemessene Gesundheitsversorgung bei Bedarf verfügbar ist, für die reibungslose Funktionsfähigkeit des Einzelnen in der Gesellschaft in allen Phasen und allen Situationen des Lebens unerlässlich ist,

E. in der Erwägung, dass die Freizügigkeit (einschließlich von Arbeitnehmern) eines der Grundprinzipien der Europäischen Union und zugleich von wesentlicher Bedeutung für die weitere Entwicklung sowohl der einzelnen Mitgliedstaaten als auch der Union als Ganzes ist, und in der Erwägung, dass durch die offene Koordinierung der Sozialsysteme das Vertrauen der Bürger in die Verfügbarkeit und Qualität der Gesundheitsversorgung infolge ihrer grenzüberschreitenden Mobilität gestärkt werden kann,

F. in der Erwägung, dass es nicht zuletzt infolge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu einer vermehrten Mobilität bei den Patienten und der Inanspruchnahme grenzüberschreitender Leistungen kommen wird und dass diese Entwicklung, zusammen mit einer Vertiefung des Binnenmarktes, immer größere Auswirkungen auf die nationalen Gesundheitssysteme haben wird, deren Grundsätze und Ziele hierdurch nicht gefährdet werden dürfen,

G. in der Erwägung, dass die Europäische Krankenversicherungskarte geeignet ist, die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union zu gewährleisten, auch wenn die einzelstaatlichen Sozialsysteme sehr unterschiedliche Strukturen haben,

H. in der Erwägung, dass der Europäische Gerichtshof mehrfach den Anspruch von Patienten auf Erstattung von Kosten für die ärztliche Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt hat, wobei er jedoch zwischen einer Behandlung in und außerhalb eines Krankenhauses unterschieden hat, und damit die Wahrnehmung dieses Anspruchs an bestimmte Bedingungen geknüpft hat, die insbesondere für finanzielle Ausgewogenheit und soziale Sicherheit sorgen sollen, stets mit dem Ziel, einen hohen Standard beim Gesundheitsschutz zu gewährleisten,

I. in der Erwägung, dass das Europäische Parlament in seiner genannten Entschließung vom 11. März 2004 die Mitgliedstaaten aufgefordert hat, ihre öffentlichen und privaten Behandlungs- und Pflegeeinrichtungen durch die Wahrnehmung des im Herkunftsland des Patienten verfügbaren Gesamtangebots zu verstärken,

J. in der Erwägung, dass die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten auf den Grundsätzen der Gleichheit und der Solidarität beruhen, welche eine angemessene und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege gebieten, die allen Bürgern zur Verfügung steht und die unabhängig von ihrem Alter oder ihren finanziellen Mitteln auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist,

K. in der Erwägung, dass die Förderung eines hohen Sozialschutzniveaus beständiges Ziel der Union ist und eine effektivere Zusammenarbeit im Bereich Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege zur nachhaltigen Modernisierung des europäischen Sozialmodells und zu größerem sozialem Zusammenhalt beiträgt; und in der Erwägung, dass es sich bei der Gesundheitsversorgung und der Langzeitpflege um Leistungen der Daseinsvorsorge handelt, bei denen dem Grundsatz der Solidarität Vorrang einzuräumen ist,

L. in der Erwägung, dass die Gesundheitssysteme als Teil der sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedstaaten den Herausforderungen aufgrund neuer Diagnose- und Therapiemethoden, der Bevölkerungsalterung (d.h. einem enormen Zuwachs der Zahl der sehr Alten und Gebrechlichen, die eine bedarfsgerechte Beurteilung ihres Gesundheitszustands und entsprechende Versorgung benötigen), der steigenden Erwartungen der Öffentlichkeit und der Sicherung des universellen Zugangs für alle Bürger zu diesen Systemen begegnen müssen,

M. in der Erwägung, dass die Überalterung der im Gesundheitswesen Tätigen in einigen Mitgliedstaaten eine Herausforderung darstellen, wie das Altern vieler, die unbezahlte Pflegeleistungen erbringen,

N. in der Erwägung, dass die neuen Diagnose- und Therapiemethoden nicht nur das finanzielle Gleichgewicht der Gesundheitssysteme gefährden, sondern auch im stetigen Kampf der Menschheit gegen Krankheit und Alter neue Perspektiven eröffnen und neue Hoffnung geben; dass jedoch auch die steigende Altersarmut mit berücksichtigt werden muss,

0. in der Erwägung, dass die Vorbeugung die effektivste und effizienteste Form der Gesundheitsversorgung ist, und in der Erwägung, dass erschwingliche, für jeden zugängliche und qualitativ hochwertige Vorbeugemaßnahmen zu einer Erhöhung der mittleren Lebenserwartung, einer Senkung der Krankheitshäufigkeit sowie niedrigeren Gesundheitsausgaben führen und zur langfristigen Finanzierbarkeit der Gesundheitssysteme beitragen,

P. in der Erwägung, dass zwar die große Mehrheit der älteren Menschen gesund und unabhängig lebt, allerdings eine erhebliche Anzahl nach wie vor an Krankheiten und unter Behinderung leiden und daher Zugang zu gut integrierten Sozial- und Gesundheitsdiensten von hoher Qualität benötigen, die eine angemessene geriatrische (multidisziplinäre und ganzheitliche) Bewertung bieten, was das einzige Mittel darstellt, um Einschränkungen abzubauen und für Angehörige dieser Bevölkerungsgruppe unnötige Langzeitpflege zu verhindern,

Q. in der Erwägung, dass der einzelne Patient Dreh- und Angelpunkt des Gesundheitswesens ist und jener Empfänger der Gesundheitsdienstleistungen ist, für die er entweder direkt oder in Form von Versicherungsbeiträgen oder Steuern zahlt; in der Erwägung, dass die breite Bevölkerung ein äußerst hohes Interesse an der Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Angemessenheit und Qualität der Gesundheitsversorgung hat und deshalb 1aufend und vollständig informiert werden muss sowie ein Mitspracherecht und eine Wahlmöglichkeit - bei den Behandlungsmöglichkeiten und der Inanspruchnahme haben muss,

R. in der Erwägung, dass die Qualität der Gesundheitsversorgung vor allem von dem Aus- und Fortbildungsniveau der Angehörigen der Gesundheitsberufe, ihren angemessenen Arbeits - und Arbeitsschutzbedingungen, der Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Diagnose- und Therapietechnologien, der Organisation der Gesundheitsdienste sowie der Qualität der Kommunikation und des Informationsaustauschs zwischen den Gesundheitsdienstleistern und den Patienten abhängt,

S. in der Erwägung, dass angesichts der enormen Zunahme der gebrechlichen älteren Menschen ein dringender Bedarf an Ausbau und der Förderung gerontologischer und geriatrischer Ausbildung in Ausbildungsprogrammen sowohl vor der Graduierung als auch in postgraduellen Ausbildungsprogrammen besteht, um alle Angehörigen der Gesundheitsberufe mit dem Fachwissen und den Fähigkeiten auszustatten, die für eine bessere und angemessenere Versorgung dieser Gruppe erforderlich sind,

T. in der Erwägung, dass das Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit (2003-2008) einen allgemeinen Rahmen für gesundheitspolitische Maßnahmen und medizinische Versorgung bietet, und zwar unter anderem auf der Basis der Gesundheitsförderung und Primärprävention, der Beseitigung gesundheitsgefährdender Faktoren, der Berücksichtigung eines hohen Gesundheitsschutzes bei der Ausarbeitung und Umsetzung aller sektoralen Politiken sowie der Bekämpfung von sozialen Ungleichheiten als Ursache von Gesundheitsproblemen,

U. in der Erwägung, dass die Gesundheit ebenso wie die Wirtschaft ein äußerst wichtiges Wissens- und Forschungsgebiet ist, dass sie ein sehr breites Feld für die wissenschaftliche Entwicklung und Forschung und zugleich für die alltägliche Anwendung der Forschungsergebnisse bietet und dass sie einen Wirtschaftszweig darstellt, der einen nennenswerten Beitrag zur Arbeitsplatzbeschaffung und wirtschaftlichen Wertschöpfung leistet,

V. in der Erwägung, dass ergänzend zur Grundlagenforschung ein starker Bedarf an klinischer Forschung besteht, die sich mit den derzeitigen Gesundheitsproblemen einer wachsenden Zahl gebrechlicher älterer Menschen befasst und auf die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden abzielt, um die wirksamste und wirkungsvollste Versorgung zu bieten und zu einer hohen Lebensqualität beizutragen,

W. in der Erwägung, dass die Gesundheit ein unmittelbar mit dem Wirtschaftswachstum und der nachhaltigen Entwicklung verbundener Sektor ist und daher nicht nur als ein Kostenfaktor, sondern auch als eine mit einer wirksamen Gesundheitspolitik zu verwirklichende produktive Investition zu betrachten ist,

X. in der Erwägung, dass die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen ein Teil der Bemühungen für ein gesünderes Europa ist, und dass es vor allem in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt, diese zu organisieren; um eine hochqualitative, allgemein zugängliche und nachhaltige Gesundheitsversorgung zu verbessern bzw. zu entwickeln, muss ein Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten stattfinden; die Gesundheitsversorgung sollte in der Lissabon-Strategie einen bedeutenden Stellenwert einnehmen,

Y. in der Erwägung, dass der häusliche Pflegedienst, der die Betreuung im vertrauten familiären Umfeld ermöglicht, immer stärker nachgefragt wird und eine sinnvolle Ergänzung zum stationären Dienst ist und dass er eine wichtige Dienstleistung mit großem Beschäftigungspotenzial darstellt,

Z. in der Erwägung, dass es in der Mitteilung der Kommission über die Sozialpolitische Agenda (KOM (2000) 0379) heißt, dass die Einführung der sozialen Krankenversicherung ein wesentliches Element der Gesundheitsreform war, und dass herausgestellt wird, dass sieben von zehn neuen Mitgliedstaaten ein System auf Versicherungsbasis einem System auf Steuerbasis vorziehen,

" AB1. C 339 vom 29.11.2000, S. 154.
2 AB1. C 38 E vom 12.2.2004, S. 269.
3 ABI. C 102 E vom 28.4.2004, S. 862.
4 ABI. C 310 vom 16.12.2004.
5 AB1.C364vom 18.12.2000,S. 1.