Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. April 2009 zu Regelungsaspekten bei Nanomaterialien (2008/2208(INI))

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 307653 - vom 14. Mai 2009.

Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 24. April 2009 angenommen.

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass die Verwendung von Nanomaterialien und Nanotechnologien (nachfolgend als "Nanomaterialien" bezeichnet) wesentliche Fortschritte mit vielen Vorteilen in unzähligen Anwendungsbereichen für Verbraucher, Patienten und die Umwelt verspricht, weil Nanomaterialien, verglichen mit dem entsprechenden Stoff oder Material in seiner herkömmlichen Form, andere oder neue Eigenschaften aufweisen können,

B. in der Erwägung, dass die Fortschritte bezüglich der Nanomaterialien wesentliche Einflüsse auf politische Entscheidungen auf den Gebieten Gesundheit, Beschäftigung, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, Informationsgesellschaft, Energie, Verkehr, Sicherheit und Raumfahrt ausüben werden,

C. in der Erwägung, dass die Europäische Union trotz der Einführung einer als solche klar festgelegten europäischen Strategie im Bereich der Nanotechnologien und der anschließenden Zuweisung von rund 3 500 000 000 EUR für die nanowissenschaftliche Forschung im Siebten Rahmenprogramm Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007-2013) ("Siebtes Rahmenprogramm") einen Rückstand gegenüber ihren wichtigsten derzeitigen Konkurrenten, den Vereinigten Staaten, Japan und Südkorea, aufweist, auf die mehr als die Hälfte der Investitionen und insgesamt zwei Drittel der weltweit eingereichten Patente entfallen,

D. in der Erwägung, dass Nanomaterialien aufgrund ihrer extrem geringen Größe möglicherweise aber auch beträchtliche neue Gefahren mit sich bringen, beispielsweise eine höhere Reaktivität und Mobilität, durch die sie in Kombination mit ihrer Fähigkeit, in den Körper des Menschen ungehindert einzudringen, eine größere Toxizität aufweisen und unter Umständen durch andersartige Mechanismen in die physiologischen Abläufe im Menschen und in Umweltspezies eingreifen,

E. in der Erwägung, dass die unbedenkliche Entwicklung von Nanomaterialien erheblich zur Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Europäischen Union und zur Verwirklichung der Lissabon-Strategie beitragen kann,

F. in der Erwägung, dass die gegenwärtige Diskussion über Nanomaterialien durch erheblichen Mangel an Wissen und Informationen gekennzeichnet ist, woraus sich Uneinigkeit ergibt, die bereits auf der Ebene der Definitionen beginnt:

G. in der Erwägung, dass ein vollständig entwickelter Bestand an harmonisierten Definitionen derzeit nicht zur Verfügung steht, dass aber internationale Normen entweder verfügbar sind oder ausgearbeitet werden, in denen "Nanomaßstab" als "mit einer oder mehreren Dimensionen in der Größenordnung bis 100 nm" definiert wird, wobei häufig unterschieden wird zwischen

H. in der Erwägung, dass es keine klaren Informationen über die tatsächliche Verwendung von Nanomaterialien in Konsumgütern gibt, beispielsweise aus folgenden Gründen:

I. unter Hinweis darauf, dass es eindeutiger Meldevorschriften in Bezug auf den Einsatz von Nanomaterialien, der Unterrichtung der Verbraucher und der uneingeschränkten Durchführung der Richtlinie 2006/114/EG bedarf, damit zuverlässige Informationen über den Einsatz von Nanomaterialien bereitgestellt werden,

J. in der Erwägung, dass in Darstellungen der möglichen Vorteile von Nanotechnologien zwar eine nahezu unendliche Vielfalt künftiger Anwendungsbereiche von Nanomaterialien vorausgesagt wird, aber keine zuverlässigen Informationen über die derzeitigen Anwendungen geboten werden,

K. in der Erwägung, dass es sehr umstritten ist, ob sich die Unbedenklichkeit von Nanomaterialien bewerten lässt, und unter Hinweis darauf, dass die Wissenschaftlichen Ausschüsse und die Einrichtungen der Europäischen Union auf erhebliche Mängel nicht nur bei den zentralen Daten, sondern gerade auch bei den Datenerfassungsmethoden verweisen, und in der Erwägung, dass die Europäische Union daher mehr in angemessene Bewertungen von Nanomaterialien investieren muss, um die Wissenslücken zu schließen, und in Zusammenarbeit mit ihren Einrichtungen und internationalen Partnern Bewertungsmethoden und eine geeignete, harmonisierte Metrologie und Nomenklatur konzipieren muss,

L. unter Hinweis darauf, dass der SCENIHR bei bestimmten Nanomaterialien spezielle Gesundheitsrisiken und toxische Effekte auf Umweltorganismen ermittelt hat und dass er außerdem einen allgemeinen Mangel an hochwertigen Expositionsdaten in Bezug auf den Menschen und die Umwelt festgestellt hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das Wissen über die Methoden zur Abschätzung der Exposition und zur Ermittlung von Risiken fortentwickelt, validiert und standardisiert werden muss,

M. in der Erwägung, dass im Siebten Rahmenprogramm derzeit bei weitem nicht genug Mittel zur Erforschung der Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Nanomaterialien vorgesehen sind, unter Hinweis darauf, dass die Kriterien für die Bewertung von Forschungsvorhaben zur Begutachtung der Unbedenklichkeit von Nanomaterialien im Siebten Rahmenprogramm zu restriktiv wirken (d. h. sie sind nur wenig auf Innovation ausgerichtet), sodass sie der dringend gebotenen Konzipierung wissenschaftlicher Methoden zur Bewertung von Nanomaterialien nicht ausreichend förderlich sind, und in der Erwägung, dass es entscheidend darauf ankommt, ausreichend Mittel für Forschungen über die unbedenkliche Entwicklung und Verwendung von Nanomaterialien bereitzustellen,

N. in der Erwägung, dass das Wissen über die möglichen Gesundheits- und Umweltauswirkungen von Nanomaterialien, wenn man die sehr rasche Entwicklung auf diesem Gebiet bedenkt, einen bedeutenden Rückstand gegenüber den Marktentwicklungen aufweist, woraus sich grundlegende Fragen nach der Fähigkeit der gegenwärtigen rechtlichen Regelungen ergeben, in "Realzeit" neu aufkommende Technologien wie z. B. die mit Nanomaterialien zusammenhängenden, zu bewältigen,

O. unter Hinweis darauf, dass es in seiner Entschließung vom 28. September 2006 zu Nanowissenschaften und Nanotechnologien dazu aufgefordert hat, entsprechend dem Vorsorgeprinzip die Auswirkungen von nicht leicht löslichen oder nicht biologisch abbaubaren Nanopartikeln untersuchen zu lassen, bevor derartige Partikel hergestellt und in Verkehr gebracht werden,

P. in der Erwägung, dass die oben genannte Mitteilung der Kommission mit dem Titel "Regelungsaspekte bei Nanomaterialien" einen eher begrenzten Wert hat wegen des Fehlens von Informationen über die spezifischen Eigenschaften von Nanomaterialien, ihre tatsächliche Verwendung und mögliche Gefahren und Vorteile und weil somit die gesetzgeberischen und politischen Herausforderungen, die sich aus den besonderen Eigenschaften von Nanomaterialien ergeben, nicht erörtert werden, mit der Folge, dass nur eine allgemeine Übersicht der Rechtsvorschriften vorliegt, die zeigt, dass es bislang keine spezifischen Bestimmungen zu Nanotechnologien im Gemeinschaftsrecht gibt,

Q. in der Erwägung, dass auf Nanomaterialien ein vielseitiger, differenzierter und anpassbarer Bestand an Rechtsregeln anwendbar sein sollte, der auf dem Vorsorgeprinzip1, dem Grundsatz der Herstellerhaftung und dem Verursacherprinzip beruhen sollte, damit für die unbedenkliche Herstellung, Verwendung und Beseitigung von Nanomaterialien gesorgt ist, bevor die Technologie auf den Markt kommt, und damit die systematische Anwendung allgemeiner Moratorien oder die undifferenzierte Behandlung verschiedener Anwendungen von Nanomaterialien vermieden wird,

R. unter Hinweis darauf, dass die nahezu unbegrenzte Einsetzbarkeit der Nanotechnologien auf so verschiedenen Gebieten wie Elektronik, Textilien, Biomedizin, Körperpflegemittel, Reinigungsmittel, Lebensmittel oder Energie die Schaffung eines einzigen Regelungsrahmens auf Gemeinschaftsebene unmöglich macht,

S. in der Erwägung, dass im Zusammenhang mit REACH bereits Einigkeit darüber besteht, dass zusätzliche Anleitungen und Beratung im Bereich der Nanomaterialien, insbesondere bezüglich der Identifikation von Stoffen, und eine Anpassung der Risikobewertungsmethoden notwendig werden, und dass sich bei näherer Prüfung von REACH zusätzliche Mängel ergeben, was den Umgang mit Nanomaterialien betrifft,

T. unter Hinweis auf die Gefahr, dass das Abfallrecht in Ermangelung gezielter, auf Nanotechnologie bezogener Vorschriften, möglicherweise nicht korrekt angewandt wird,

U. unter Hinweis darauf, dass Nanotechnologie und Nanomaterialien während des gesamten Lebenszyklus erhebliche Herausforderungen für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz entstehen lassen, weil viele Arbeitnehmer entlang der gesamten Produktionskette diesen Materialien ausgesetzt sind, ohne zu wissen, ob die Sicherheitsverfahren und Schutzmaßnahmen angemessen und wirksam sind, und in der Erwägung, dass künftig die Zahl und die Vielfalt von Arbeitnehmern, die der Wirkung von Nanomaterialien ausgesetzt sind, voraussichtlich zunehmen werden,

V. in der Erwägung, dass die signifikanten auf Nanomaterialien bezogenen Änderungen, über die im Zuge der Neufassung der Kosmetika-Richtlinie1 zwischen Rat und Parlament in erster Lesung Einigung erzielt worden ist, und die bedeutenden Änderungen des Europäischen Parlaments in erster Lesung an der zu überarbeitenden Verordnung über neuartige Lebensmittel2 eindeutig aufzeigen, dass das Gemeinschaftsrecht geändert werden muss, um mit Nanomaterialien angemessen umzugehen,

W. unter Hinweis darauf, dass die gegenwärtige Debatte über die Regelungsaspekte bei Nanomaterialien weitgehend auf Expertenkreise begrenzt ist, obwohl Nanomaterialien das Potenzial haben, weit reichende gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, wodurch eine umfassende Konsultation der Öffentlichkeit notwendig wird,

X. in der Erwägung, dass eine breite Anwendung von Patenten auf Nanomaterialien, ebenso wie die überhöhten Patentierungskosten und das Fehlen eines erleichterten Zugangs für Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu Patenten weitere Innovationen hemmen könnten,

Y. in der Erwägung, dass die wahrscheinliche Verschmelzung der Nanotechnologie mit Biotechnologie, Biologie, kognitiven Wissenschaften und Informationstechnologien ernst zu nehmende Fragen der Ethik, der Unbedenklichkeit, der Zuverlässigkeit und der Achtung der Grundrechte aufwirft, die in einer neuen Stellungnahme der Europäischen Gruppe für Ethik in Wissenschaft und Neuen Technologien untersucht werden müssen,

Z. in der Erwägung, dass der Verhaltenskodex ein wichtiges Instrument für eine unbedenkliche, integrierte und verantwortbare Forschung auf dem Gebiet der Nanomaterialien ist und dass dieser Kodex von allen Herstellern übernommen und eingehalten werden muss, die beabsichtigen, solche Güter herzustellen oder in Verkehr zu bringen,

AA. in der Erwägung, dass bei der Überarbeitung aller einschlägigen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft der Grundsatz "keine Daten, kein Markt" in Bezug auf Nanomaterialien zur Geltung kommen sollte,