Antrag des Landes Baden-Württemberg
Entschließung des Bundesrates "Unzulässige Kapitalanlagegenossenschaften wirkungsvoll bekämpfen - Vorschläge zur Anpassung des Genossenschaftsgesetzes zum Schutze des Genossenschaftswesens"

Der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg Stuttgart, 1. September 2020

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung von Baden-Württemberg hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates "Unzulässige Kapitalanlagegenossenschaften wirkungsvoll bekämpfen - Vorschläge zur Anpassung des Genossenschaftsgesetzes zum Schutze des Genossenschaftswesens" zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 23 Absatz 3 in Verbindung mit § 15 Absatz 1 und § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 993. Sitzung des Bundesrates am 18. September 2020 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Winfried Kretschmann

Entschließung des Bundesrates
"Unzulässige Kapitalanlagegenossenschaften wirkungsvoll bekämpfen - Vorschläge zur Anpassung des Genossenschaftsgesetzes zum Schutze des Genossenschaftswesens"

Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:

Begründung:

Zu Ziffer 1:

Das Genossenschaftswesen hat in Deutschland eine mehr als 150-jährige Tradition. Rund 22 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind Mitglied in einer Genossenschaft, rund 2,8 Millionen davon in einer Wohnungsbaugenossenschaft. Die Genossenschaften stellen einen unverzichtbaren Bestandteil der deutschen Wirtschaft dar.

In den letzten Jahren hat das Genossenschaftswesen in Deutschland nicht zuletzt durch öffentlich bekanntgewordene Fälle sogenannter Kapitalanlagegenossenschaften einen erheblichen Imageverlust erlitten. Dabei handelt es sich um Kapitalanlagegenossenschaften, die zum sogenannten "grauen Kapitalmarkt" zählen und in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft entgegen ihrem formalen Förderzweck ausschließlich oder zumindest überwiegend Kapitalanlagegeschäfte betrieben haben. Die bloße Kapitalanlage ist aber kein zulässiger Förderzweck nach dem GenG, weshalb solche Kapitalanlagegenossenschaften eigentlich gar nicht existieren dürften. In den Fokus sind auch die genossenschaftlichen Prüfungsverbände geraten. Insbesondere das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Pflichtprüfungen nach dem GenG sowie in die sogenannten Gründungsgutachten der genossenschaftlichen Prüfungsverbände wurde in diesem Zusammenhang erheblich erschüttert.

Der Bundesrat hat bereits am 7. Juni 2019 einen Gesetzentwurf verabschiedet (Gesetzentwurf des Bundesrates eines Gesetzes zum Schutz von Genossenschaften, BR-Drs. 244/19(B) HTML PDF ), der dem Schutz der Rechtsform der Genossenschaft - der "Marke Genossenschaft" - vor solchen Geschäftsmodellen dient, die dem "grauen Kapitalmarkt" zugeordnet werden können. Insbesondere zielt der Entwurf auf eine verstärkte Information der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Aufsichtsbehörde durch die genossenschaftlichen Prüfungsverbände ab. Die Bundesregierung hat den Gesetzentwurf mit Schreiben vom 10. Juli 2019 dem Deutschen Bundestag zugeleitet (BT-Drs. 19/11467). In ihrer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf unterstützt die Bundesregierung die Zielsetzung des Gesetzentwurfs, teilt jedoch mit, dass sie diesen nicht für ausreichend hält, um unseriöse Kapitalanlagegenossenschaften wirksam zu verhindern, und statt einzelnen, allein nur wenig wirksamen Änderungen ein späteres Gesamtpaket für vorzugswürdig erachtet. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt jedoch bislang nicht vor.

Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, dieses Reformvorhaben voranzubringen. Dabei können aus Sicht des Bundesrats die Ergebnisse der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) durchgeführten Anhörung zu einem Diskussionspapier des BMJV über mögliche gesetzgeberische Maßnahmen im Hinblick auf unzulässige Kapitalanlagegenossenschaften aus dem Mai 2019 ebenso wie die Beratungen des Bund-Länder-Ausschusses "Genossenschaftsreferenten" im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unter Berücksichtigung der nachfolgenden Punkte als gute Grundlage dienen.

Zu Ziffer 2a:

Die Qualitätskontrolle der genossenschaftlichen Prüfungsverbände dient der Überwachung, ob die Grundsätze und Maßnahmen zur Qualitätssicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften insgesamt und bei der Durchführung einzelner Aufträge eingehalten werden. Im Rahmen einer Qualitätskontrolle wird unter anderem die Bearbeitung einer bestimmten Zahl von genossenschaftlichen Pflichtprüfungen durch einen genossenschaftlichen Prüfungsverband untersucht.

Die Adressaten der Berichte der Prüfer für Qualitätskontrolle, die Wirtschaftsprüferkammer (WPK) bzw. deren Kommission für Qualitätskontrolle sowie mittelbar auch die Staatsaufsichtsbehörde gemäß § 64 GenG, müssen sich, ein entsprechendes Testat des Prüfers für Qualitätskontrolle in seinem Qualitätskontrollbericht vorausgesetzt, darauf verlassen können, dass die genossenschaftlichen Prüfungsverbände über wirksame Qualitätssicherungssysteme verfügen, die alle wesentlichen Prüfungshandlungen der Verbände in Bezug auf Genossenschaften beinhalten.

Die Qualitätskontrolle bezieht sich gemäß § 63e Absatz 2 Satz 2 GenG jedoch nur auf bestimmte Prüfungen, insbesondere auf Prüfungen nach § 53 Absatz 2 Satz 1 GenG, d.h. nur von Genossenschaften mit einer Bilanzsumme von mehr als 1,5 Millionen Euro und Umsatzerlösen von mehr als 3 Millionen Euro, bei denen auch eine Prüfung des Jahresabschlusses durchgeführt wird. Prüfungen kleinerer Genossenschaften werden folglich grundsätzlich nicht in die Qualitätskontrolle einbezogen. Ebenso wenig einbezogen werden die gutachterlichen Äußerungen der Prüfungsverbände nach § 11 Absatz 2 Nummer 3 GenG, ob nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere der Vermögenslage der Genossenschaft, eine Gefährdung der Belange der Mitglieder oder der Gläubiger der Genossenschaft zu besorgen ist (Gründungsprüfung).

Bei den bislang bekannt gewordenen Fällen faktischer Kapitalanlagegenossenschaften lagen Umsatz und Bilanzsumme in der Regel zunächst unter den durch § 63e Absatz 2 Satz 2 GenG in Verbindung mit § 53 Absatz 2 Satz 1 GenG definierten Schwellenwerten. Eine Qualitätssicherung bezüglich der Pflichtprüfungen der Prüfungsverbände bei diesen Genossenschaften im Rahmen der Qualitätskontrolle fand daher nicht statt. Die Gründungsprüfungen nach § 11 Absatz 2 Nummer 3 GenG sind gegenwärtig ebenfalls nicht in eine gesetzlich normierte Qualitätskontrolle einbezogen. Mit der Ausweitung der Qualitätskontrolle in dem genannten Sinn wird den genossenschaftlichen Prüfungsverbänden die Wichtigkeit einer sorgfältigen Durchführung auch der Gründungsprüfung und der Prüfung kleinerer Genossenschaften signalisiert.

Zu Ziffer 2b:

Derzeit müssen die genossenschaftlichen Prüfungsverbände im Rahmen ihrer gutachterlichen Äußerung nach § 11 Absatz 2 Nummer 3 Halbsatz 2 GenG zwar darauf eingehen, ob nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere der Vermögenslage der Genossenschaft, eine Gefährdung der Belange der Mitglieder oder der Gläubiger der Genossenschaft zu besorgen ist. Eine ausdrückliche Verpflichtung zur Prüfung, ob von der anzumeldenden Genossenschaft auch ein nach dem GenG zulässiger Förderzweck verfolgt wird (insbesondere keine unzulässige Kapitalanlagegenossenschaft betrieben wird), besteht jedoch nicht. Bislang bekannt gewordene Fälle tatsächlich existierender unzulässiger Kapitalanlagegenossenschaften legen die Annahme nahe, dass einige genossenschaftliche Prüfungsverbände der Gründungsprüfung von Genossenschaften und der Erstellung der gutachterlichen Äußerung nach § 11 Absatz 2 Nummer 3 Halbsatz 2 GenG nicht die erforderliche Sorgfalt beimessen. Insbesondere erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass einige Prüfungsverbände hierbei nicht ausreichend prüfen, ob ein nach dem GenG zulässiger Förderzweck verfolgt wird.

Mit den vorgeschlagenen Änderungen soll den Prüfungsverbänden signalisiert werden, dass der Gründungsprüfung von Genossenschaften, insbesondere hinsichtlich des Vorliegens eines zulässigen Förderzwecks, künftig mehr Gewicht beigemessen werden muss. Darüber hinaus sollen die Prüfungsverbände in den in Ziffer 2 b genannten Fällen verpflichtet werden, den Beitritt der Genossenschaft nach § 11 Absatz 2 Nummer 3 Halbsatz 1 GenG nicht zuzulassen. Dies hätte gemäß § 11a Absatz 1 GenG zur Folge, dass das für die Eintragung der Genossenschaft ins Genossenschaftsregister zuständige Gericht die Eintragung ablehnen müsste.

Zu Ziffer 2c:

Die vorgeschlagene Regelung dient der Verhinderung eines Missbrauchs der Genossenschaft als reine Kapitalanlage. Investierende Mitglieder im Sinne des § 8 Absatz 2 GenG sind solche, die für eine Nutzung oder Produktion der Güter und die Nutzung oder Erbringung der Dienste der Genossenschaft nicht in Frage kommen. Investierende Mitglieder haben grundsätzlich die gleiche Rechtsposition wie ordentliche Mitglieder. Die Zulassung investierender Mitglieder bedeutet somit eine gewisse Einschränkung des charakteristischen Merkmals der Genossenschaft, dass deren Zweck die Förderung ihrer Mitglieder ist. Um den Förderzweck nicht in Frage zu stellen, verlangt § 8 Absatz 2 Satz 2 GenG geeignete Regelungen in der Satzung der Genossenschaft zur Sicherstellung, dass investierende Mitglieder die ordentlichen Mitglieder in keinem Fall überstimmen können und dass sie Beschlüsse der Generalversammlung, die mindestens eine Dreiviertelmehrheit verlangen, nicht blockieren können. Eine zusätzliche Aufnahme einer 25 Prozent-Grenze für die Stimmrechte investierender Mitglieder entsprechend den Vorgaben für die SCE hielt der Gesetzgeber bei der Einführung der Möglichkeit, durch Satzungsregelung investierende Mitglieder zuzulassen, für nicht erforderlich (BT-Drs. 016/1025, S. 82). Der Einfluss investierender Mitglieder soll zudem gemäß § 8 Absatz 2 Satz 4 GenG dadurch eingeschränkt werden, dass ihre Zahl im Aufsichtsrat ein Viertel der Aufsichtsratsmitglieder nicht überschreiten darf.

Ziffer 4 des Diskussionsentwurfs des BMJV enthielt bereits den Vorschlag, die Zulässigkeit investierender Mitglieder einzuschränken. Die dort als eine Option genannte Festlegung einer prozentualen Höchstgrenze für die Zulassung investierender Mitglieder trägt dazu bei, das Geschäftsmodell von faktischen Kapitalanlagegenossenschaften, die auf die Gewinnung möglichst vieler investierender Mitglieder ausgerichtet sind und typischerweise nahezu ausschließlich aus investierenden Mitgliedern bestehen, unattraktiver zu machen. Um Signalwirkung zu erzielen, sollte eine solche prozentuale Höchstgrenze weniger als 50 Prozent betragen.